K. Pilger: Kölner Zentral-Dombauverein

Titel
Der Kölner Zentral-Dombauverein im 19. Jahrhundert. Zur Konstitutierung des Bürgertums durch formale Organisation


Autor(en)
Pilger, Kathrin
Reihe
Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 26
Erschienen
Köln 2004: SH-Verlag
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Depkat, John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Freie Universität Berlin

Der heute noch bestehende Kölner Zentraldombauverein (ZDV) wurde im Jahre 1842 einzig zu dem Zweck gegründet, das Projekt der Domvollendung voranzutreiben und Gelder für den Weiterbau der Kölner Kathedrale zu sammeln. Die fachwissenschaftliche Forschung hat ihn lange Zeit nur am Rande wahrgenommen. Nun liegt mit Kathrin Pilgers informativer und auf breiter Quellenbasis fußender Arbeit die erste wissenschaftliche Studie vor, die die Geschichte dieser Organisation systematisch, zusammenhängend und über einen größeren Zeitraum verfolgt. Im Blick hat sie die Zeit von der Gründung des Vereins bis zur Vollendung des Kölner Doms im Jahre 1880. Gleichwohl ist diese Geschichte des ZDV weit mehr als nur ein Beitrag zur Geschichte des ZDV, die zu schreiben lange Zeit den Vereinsgenossen selber überlassen blieb, oder zur Stadtgeschichte Kölns. Beides ist diese Studie gewiss auch, doch ist ihr Analysehorizont viel breiter gesteckt. Weil Pilger ihren Untersuchungsgegenstand geschickt und umsichtig in den allgemeinen historischen Kontext des 19. Jahrhunderts einbindet, liefert ihre Arbeit auch einen Beitrag zur Bürgertumsforschung, zum Charakter der ‚bürgerlichen’ Öffentlichkeit sowie zur Geschichte und Struktur nationalistischer Vorstellungswelten in Deutschland.

Bewusst verzichtet Pilger auf eine mehrere Vereine einbeziehende Gesamtdarstellung. Sie konzentriert sich auf ein gut dokumentiertes Fallbeispiel, wie es mit dem ZDV zweifelsohne gegeben ist: Die gesamte Überlieferung des ZDV ist im Kölner Dombauarchiv aufbewahrt. Der Verein publizierte mit dem „Kölner Domblatt“ seit Juli 1842 ein gedrucktes Vereinsorgan, das kontinuierlich bis 1880 erschien, und in den einschlägigen Archiven finden sich zahlreiche relevante Akten der preußischen Behörden. Pilgers Methode ist die soziologische Organisationsanalyse. Ihr Ziel ist es, „aufzuzeigen, wie, d.h. durch welche Mechanismen, formale Organisation die Konstituierung des Bürgertums gefördert hat“ (S. 19). Deshalb untersucht Pilger in jedem der vier Großkapitel systematisch (1) Strukturen und Praktiken der inneren Organisation (die soziale Zusammensetzung von Mitgliedschaft und Vorstand, das Verhältnis Basis-Führung, die institutionellen und kommunikativen Strukturen, Machtverhältnisse und Grundsatzkontroversen innerhalb des ZDV), (2) Grundlagen und Formen der Finanzierung und (3) die Dombaufeste des 19. Jahrhunderts.

Zeitlich teilt Pilger die Geschichte des ZDV in vier Großabschnitte ein: Sie verfolgt zunächst die Vorgeschichte und Gründung des ZDV zwischen 1813/14 und 1842 (Kapitel 1). Hier skizziert sie präzise die Geschichte der öffentlichen Debatte um den Weiterbau des Domes, die mit den Befreiungskriegen begann und in die Gründung des ZDV einmündete. Die nationale Dynamik des Gotik-Diskurses und die Konstruktion des Doms als Nationalsymbol werden sehr anschaulich geschildert, wobei Pilger zu Recht die Offenheit des Doms als Projektionsfläche für eine ganze Reihe von widersprüchlichen politischen Zielutopien betont. Der Dom sei als Kunstwerk, als Nationaldenkmal oder als katholische Kirche zu einem wichtigen Thema in der vormärzlichen Öffentlichkeit geworden. Ihre Untersuchung zeigt eindrücklich, dass diese dreifache Dynamik einerseits in den Initiativen zur Gründung des ZDV von Beginn an präsent war, dass sie andererseits aber auch die Konfliktkonstellation definierte, die für die weitere Entwicklung des ZDV im 19. Jahrhundert bestimmend war.

Das zweite Kapitel wendet sich den ereignisreichen ersten Vereinsjahren vom Beginn des Weiterbaus des Kölner Doms im Jahre 1842 bis zur Revolution von 1848 zu, die mit dem 600-jährigen Domjubiläum zusammenfiel. Der ZDV war ein in hohem Maße staatsnaher Verein, dessen Vorstand und Mitgliedschaft von der verbeamteten bürgerlichen Funktionselite Kölns dominiert wurde. Pilger zeigt, wie die aus der formalen Organisation erwachsenden Selektionsmechanismen in den 1840er-Jahren darauf zielten, den ultramontan-katholischen und den demokratischen Radikalismus, die für den politischen status quo in Preußen die größte Sprengkraft hatten, wenigstens zu kontrollieren, wenn nicht gar ganz aus dem Verein zu drängen, um das Vereinsziel – die Vollendung des Doms – nicht zu gefährden. Gleichwohl gelang es sowohl Demokraten als auch Aktiven des politischen Katholizismus bis 1848/49 in die Führungsspitze des ZDV aufzusteigen. Die weitere Geschichte des ZDV im 19. Jahrhundert stellt sich dann als die Geschichte einer doppelten Verdrängung dar: nach der Revolution von 1848 wurden die Demokraten, im Zuge des Kulturkampfes die Ultramontanen aus dem Verein gedrängt.

Das dritte Kapitel untersucht die Geschichte es ZDV zwischen Revolution und Reichsgründung. In diesen Jahren war der ZDV durch den Rückgang der Mitgliederzahlen, das Erlahmen des allgemeinen Enthusiasmus für die Domvollendung sowie durch den allmählichen Rückzug des preußischen Staates aus seinem finanziellen Engagement für den Dom in einer überaus prekären finanziellen Situation. Angesichts der sich in den 1850er-Jahren beständig vertiefenden Finanzkrise war der Verein, der den Fortbau des Doms ursprünglich aus Mitgliedsbeiträgen hatte bestreiten wollen, gezwungen, nach verlässlicheren Finanzierungsgrundlagen zu suchen. Diese war erst gefunden, als der preußische König Wilhelm I. im Jahre 1864 die erstmals 1856 vom ZDV beantragte, doch von den preußischen Finanz- und Innenministern immer wieder zurückgewiesene Konzession für eine Dombaulotterie genehmigte, um sich auf dem Höhepunkt des preußischen Verfassungskonflikts die Loyalität des ZDV und damit in ihm vereinigten Kölner Honoratiorenschicht zu sichern.

Das vierte und letzte Großkapitel hat die Geschichte der ZDV in den 1870er-Jahren zum Gegenstand. Die Reichsgründung und der Kulturkampf markieren die Pole des Spannungsfeldes, in das die Geschichte des ZDV eingelassen war. Nach 1871 driftete der ZDV mehrheitlich in das nationalliberale Lager ab und stellte sich auf den Boden der durch die Reichseinigung geschaffenen Tatsachen. Seinen handfesten Ausdruck fand dies in der vom ZDV in Auftrag gegebenen „Kaiserglocke“ für den Kölner Dom, die mit Genehmigung Wilhelms I. aus dem Material der im deutsch-französischen Krieg erbeuteten Kanonen gegossen wurde. Gleichzeitig wurden die politischen Konflikte der Zeit auch in den Verein getragen: Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes im Jahre 1877 versuchten ultramontane Katholiken den Verein unter ihre Kontrolle zu bekommen. Doch je mehr sie den katholischen Charakter des Doms herauszustellen versuchten und auch in anderen Fragen katholische Interessensvertretung betrieben, desto stärker mobilisierten sie den Widerstand der Nationalliberalen. In Folge dieser vereinsinternen Auseinandersetzungen, die untrennbar mit den politisch-kirchlichen Konflikten des frühen Kaiserreiches verknüpft waren, wurden die ultramontanen Katholiken von den Nationalliberalen aus den Schlüsselpositionen des Vereins hinausgedrängt, „bis schließlich gegen Ende der 1870er Jahre ein rechtsliberales, durchgängig regierungstreues Bürgertum den Verein dominierte“ (S. 250).

Als wichtigste Ergebnisse der Studie lassen sich drei Aspekte festhalten:

1. Dass der Kölner Dom im 19. Jahrhundert zu einem Nationalsymbol wurde, das tief in einer romantisch-nationalistischen Vorstellungswelt verankert war, ist seit den Studien Thomas Nipperdeys bekannt.1 Wie extrem offen dieses Symbol aber für eine ganze Reihe konkurrierender und einander ausschließender Herrschafts- und Gesellschaftsentwürfe war und wie sehr es zwischen den verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Gruppen im 19. Jahrhundert umstritten war, das wird erst so richtig durch Pilgers Studie deutlich, die zudem auch die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts im Blick hat.

2. Die Studie zeigt eindrücklich, wie der ZDV und mit ihm die Dombaubewegung, die anfänglich ganz verschiedene politisch-gesellschaftliche Strömungen zu integrieren vermochten, durch die Mechanismen und Verfahren der formalen Organisation zum Club des nationalliberalen, gemäßigt katholischen bzw. protestantischen rheinischen Bürgertums wurde.

3. Damit zusammen hängt, dass die Dombaubewegung selbst im Laufe des 19. Jahrhundert aus einer anfänglichen Volksbewegung mit breitem Rückhalt in den verschiedensten sozialen Schichten zu einer vom Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum dominierten Veranstaltung wurde.2

Diesen Leistungen stehen zwei Defizite gegenüber:

1. Die Analyse wird durch eine Perspektive auf den ZDV bestimmt, die diesen allein in seinen Leistungen für die Konstituierung des Bürgertums bewertet. Phasenweise erweckt die Studie den Eindruck, als habe das städtische Bürgertum Kölns überhaupt nur durch sein Engagement für den ZDV zu sich selbst gefunden. Die Frage, inwiefern die Gründung und Entwicklung des Vereins nicht ihrerseits Ausdruck von bereits stattgehabten bürgerlichen Konstituierungsprozessen, die außerhalb und jenseits des Vereins anzusiedeln sind, fließt in die Analyse nicht ein. Diese Einwand wird umso gewichtiger, wenn berücksichtigt wird, dass, wie Pilger selbst betont, der ZDV in vieler Hinsicht ein ‚untypischer’ bürgerlicher Verein war: Er beschränkte sich allein auf die Sicherung der Finanzierung des Dombauprojekts, verzichtete auf jede Form von Geselligkeitspflege und war nicht zuletzt deshalb in besonderem Maße „staatsnah“, weil eine Vollendung des Kölner Domes gegen den preußischen Staat nicht zu haben war.

2. Die neuere Bürgertumsforschung hat ‚Bürgertum’ als „eine Kurzformel für ein kompliziertes Geflecht von Sozialformationen, die kaum je zu einer sozialen Klasse verschmolzen“ zu verstehen gelehrt und damit auch die Vielgestaltigkeit und Offenheit dieses sozialen Ensembles herausgearbeitet. Dieser Zusammenhang ist in Pilgers Studie kaum spürbar eingeflossen. Sie verschiebt weiterhin recht schablonenhaft „Großkategorien“ gegeneinander und verdeckt so die vielfachen Übergänge und komplexen Verflechtungen innerhalb der bürgerlichen Sozialformation selbst. Es gibt bei ihr, überspitzt formuliert, Bildungsbürger und Wirtschaftsbürger, die einen sind gebildet, die anderen haben Geld, die einen sind historischen Fragen gegenüber aufgeschlossen, die anderen sind ‚gegenwartsorientiert’, die einen suchen in der Domvollendung ästhetisches Raffinement, die anderen verlassen in Fragen des Weiterbaus sich pragmatisch auf den Rat rational argumentierender Experten.3 Das ist alles etwas blockhaft geraten und trägt letztlich nicht zur Klarheit der Analyse bei, die ansonsten sehr plausibel und erhellend ist.

Anmerkungen:
1 Nipperdey, Thomas, Der Kölner Dom als Nationaldenkmal, in: Ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte, München 1990, S. 189-207; Ders., Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 133-173, hier: S. 147f.
2 Hettling, Manfred; Nolte, Paul, Bürgerliche Feste als symbolische Politik im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hgg.), Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 7-36, hier: S. 7.
3 Besonders deutlich wird dies in dem Kapitel über den „ursprünglichen Plan“, S. 202-207, bes. S. 207.