A.-K. Hanke: Niedersächsische Heimatbewegung

Titel
Die niedersächsische Heimatbewegung im ideologisch-politischen Kräftespiel zwischen 1920 und 1945.


Autor(en)
Hanke, Andrea-Katharina
Reihe
Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 123
Erschienen
Anzahl Seiten
191 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Werner Hartungs 1991 erschienene Studie zur Entstehung und Verbreitung des Heimatschutzgedankens anhand der Geschichte der niedersächsischen Heimatbewegung bis 1919 beschrieb nicht nur die Versuche regionaler Identitätsstiftung in Form lokaler Heimat- und Kulturpolitik, sondern untersuchte umfassend die zivilisationskritische Haltung und Ausrichtung der Bewegung.1 Hartungs Buch zog bis auf den heutigen Tag eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zum Thema Heimat und regionale Heimatbewegungen nach sich. Die Arbeit von Andrea-Katharina Hanke knüpft direkt an Hartungs Arbeit an, indem sie den politischen und ideologischen Werdegang der niedersächsischen Heimatbewegung für die Zeit von 1920 bis 1945 nachzeichnet. Der Autorin geht es, vor allem vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse und Umwälzungen nach 1918, um eine Darstellung der Auswirkungen auf die konservativ-bürgerliche Klientel der Heimatbewegung und ihre Versuche neuerlicher politischer und gesellschaftlicher Einflussnahme.

Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Reorganisation der beiden wichtigsten Vereine, dem Heimatbund Niedersachsen und dem Niedersächsischen Ausschuss für Heimatschutz und deren Bemühen um eine Reichsneugliederung nach föderalistischen Gesichtspunkten in ‚völkische Stammstaaten‘. An erster Stelle stand hierbei die Propaganda zur Schaffung einer selbstständigen Reichsprovinz Niedersachsen als Identifikationsraum gegen das dominante Preußen. Minutiös und ungemein detail- und materialreich geht die Autorin auf eine Vielzahl personeller, ideologischer und politischer Facetten beim letztlich aussichtslosen Kampf um ein von Preußen unabhängiges Niedersachsen ein. Eindrucksvoll illustriert sie anhand kurzer Vergleiche mit den gefestigteren und staatlich besser geförderten Heimatbewegungen Sachsens und Westfalens Macht und Ohnmacht der niedersächsischen Heimatbewegung. Darüber hinaus untersucht sie neben den Befürworten auch die Gegner des Niedersachsengedankens. Sie unterzieht die Kulturpolitik der Provinz Hannover einer genaueren Analyse und widmet sich neben den wirtschaftspolitischen Debatten auch der personellen Verbindung zwischen der Hannoveraner Handelskammer und der Heimatbewegung. Exemplarisch untersucht sie in einem eigenen Kapitel Kurt Brüning. Er erscheint als Schlüsselfigur, weil er die niedersächsische Heimatbewegung in den 1920er-Jahren wie kaum ein Zweiter prägte. Brüning versuchte der Landeskunde wissenschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Seine langjährigen Raumplanungen für Niedersachsen wurden nach 1945 für die britische Militärregierung zur Grundlange des neuentstehenden Bundeslandes Niedersachsen. Brünings ungebrochene Karriere im Nationalsozialismus, die die Autorin ebenso kritisch verfolgt, bildet den Übergang zum zweiten Teil des Buches, der sich mit der Heimatbewegung im Nationalsozialismus beschäftigt. Er erscheint stringenter und analytisch schärfer als der erste.

Hanke macht neben den verbindenden Elementen vor allem die Differenzen im Denken und Handeln von Heimatbewegung und NSDAP deutlich. Allein ihr direkter Vergleich vom Umgang des Niedersächsischen Ausschusses für Heimatschutz und der NSDAP mit der Landbevölkerung offenbart trotz rhetorischer Ähnlichkeiten nicht nur exemplarisch den starren Konservativismus der Heimatbewegung in seiner ideologischen Überhöhung des Bauerntums bei völliger Unkenntnis der ländlichen Realitäten, sondern veranschaulicht vor allem die schnell sichtbar werdenden und voneinander abweichenden Ziele der beiden Gruppen. Dennoch suchte nach 1933 die Heimatbewegung ein partnerschaftliches Verhältnis zur NSDAP und erhoffte sich Einfluss und Beteiligung bei der gesellschaftlichen Neugestaltung. Was jedoch folgte, war ein ständiges Auf und Ab zwischen Gleichschaltung, Einbindung, Auflösung und Neugründung der Heimatbewegung. Sie kämpfte ums Überleben und konnte sich nur auf Grund von Kompetenzgerangel und Uneinigkeit nationalsozialistischer Kulturorganisationen eine Zeit lang retten.

In einem Ausblick widmet sich die Autorin noch kurz der sich neu konstituierenden Heimatbewegung nach Kriegsende bis 1950. Die Niederlage 1945 war, so Hanke, für die Heimatbewegung kein ideologischer Wendepunkt, der kritische Selbstbetrachtung zur Folge gehabt habe. Vielmehr zeichnete „Mangel an politischen Rechtsbewusstsein“, „Ignoranz“ und „Verdrängung der eigenen Mitverantwortung“ (S. 147) die Bewegung aus. Sie stilisierte sich darüber hinaus zum Opfer der politischen Verhältnisse im Nationalsozialismus.

Hankes Arbeit ist, wie der Untertitel angibt, eine weitestgehend ideologie-politische Analyse der Heimatbewegung. Die Darstellung der gesellschafts- und kulturpolitischen Dimension fällt dünn aus. Über weite Strecken fehlt sie gänzlich. Wenn die Autorin dennoch auf den gesellschaftspolitischen Einfluss der Heimatbewegung eingeht, gelingt ihr trotz der vor allem im zweiten Teil des Buches überzeugenden Darstellung keine stringente Analyse. Ging sie zu Beginn ihrer Arbeit noch davon aus, dass die Heimatbewegung als Organisation der jungen Weimarer Demokratie nicht geschadet habe und der zivilisationskritische Ansatz der Bewegung eher antiquiert als bedrohlich gewesen sei, so kommt sie später nicht umhin, immer wieder auf deren „erstaunlich offensiv geführte Systemkritik“ und ihrer deutlichen „Ablehnung der Weimarer Republik“ (S. 155) hinzuweisen. Zwar stellt sie klar, dass die niedersächsische Heimatbewegung mit ihrer antidemokratischen Haltung dazu beitrug, völkisch-nationalen und schließlich nationalsozialistischen Kreisen den Boden zu bereiten. Doch sie verzichtet weitestgehend auf interne Untersuchungen der Vereinigungen, wie etwa deren soziale Anhänger- und Mitgliederspektren, deren anderweitige Mitgliedschaften oder etwa mögliche antisemitische Tendenzen innerhalb der Bewegung. Diese methodischen und analytischen Unschärfen ergeben sich zum Teil aus dem Alter der Arbeit, die 1998 an der Universität Hannover in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe über Regional- und Lokalgeschichte entstand. Dass sie für die vorliegende Druckversion nicht mehr überarbeitet oder gar erweitert wurde, wird am Literaturverzeichnis mit der dort 1998 endenden Forschungsliteratur erkenntlich und dem einleitenden Hinweis der Autorin auf einen „gerade“ erschienenen Aufsatz aus dem selben Jahr (S. 13). So ist auch erklärlich, dass die Autorin in der Einleitung anmerkt, dass es bislang keine Untersuchungen gebe, die die Auswirkungen der Gegnerschaft des konservativen Bürgertums auf die Weimarer Republik darstellen würden. Gerade aber solche lokal-politischen Detailuntersuchungen über das konservativ-nationale Milieu auf lokaler Ebene sind gerade in den letzten sechs Jahren verstärkt erschienen, jedoch nicht mehr in die Arbeit einbezogen worden. Ein entsprechender Hinweis auf diesen Umstand, wäre in einem Vorwort sicher hilfreich und angemessen gewesen, schmälert letztlich aber nicht den Erkenntnisgewinn, den Andrea-Katharina Hanke zur Geschichte der niedersächsischen Heimatbewegung beitragen kann.

Anmerkung:
1 Hartung, Werner, Konservative Zivilisationskritik und regionale Identität. Am Beispiel der niedersächsischen Heimatbewegung 1895 bis 1919 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 10), Hannover 1991.