R. Hofmeier u.a. (Hgg.): Kleines Afrika-Lexikon

Cover
Titel
Kleines Afrika-Lexikon. Politik, Wirtschaft, Kultur


Herausgeber
Hofmeier, Rolf; Mehler, Andreas
Reihe
Becksche Reihe 1569
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
359 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Diepes, Departement van Afrikanistiek, Universiteit Leiden

Rolf Hofmeier und Andreas Mehler, der ehemalige und der amtierende Direktor des Instituts für Afrika-Kunde in Hamburg, haben mit dem „Kleinen Afrika-Lexikon“ ein detailliertes, hervorragend recherchiertes und ungemein informatives Nachschlagewerk zur aktuellen Situation und Entwicklung des größten Teils Afrikas vorgelegt. Die 55 meist deutschen Autoren der Einzelbeiträge sind zum großen Teil feste oder freie Mitarbeiter des Hamburger Instituts. Das Versprechen des Vorworts, für ein breites Publikum Informationen zu liefern, die über die gängige Medienberichterstattung hinausgehen, wird erfüllt. Auch Experten unterstützt das „Kleine Afrika-Lexikon“ bei der einfachen und raschen Einarbeitung in neue afrikarelevante Themengebiete.

Das Kleine Afrika-Lexikon gehört zusammen mit dem von J.E. Mabe herausgegebenen „Afrika-Lexikon“ 1 zu den einzigen in der jüngsten Zeit erschienenen Werken deutscher Sprache, die afrikabezogene Themen als alphabetische Nachschlagewerke präsentieren. Aktuelle essayistische Darstellungen, wie zum Beispiel das von der Bundeszentrale für politische Bildung publizierte „Afrika. Mythos und Zukunft“ 2, sind zwar außerordentlich lesenswert, bedienen aber nicht die Bedürfnisse eiliger BenutzerInnen. Gegenüber Mabes Afrika-Lexikon besticht das Kleine Afrika-Lexikon des Instituts für Afrika-Kunde durch eine höhere Detailgenauigkeit in der Behandlung politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge. Ein weiterer Vorteil des Kleinen Afrika-Lexikons liegt auch in seiner höheren Aktualität. Selbstverständlich gab es grundlegende afrikanische Probleme, Krisen und Entwicklungen, die erst nach der Drucklegung des Buches eintraten oder erkennbar waren. Man denke nur an die Ereignisse in Côte Ivoire oder die aktuelle Darfur-Krise, aber auch die ersten, wenngleich in der politischen Praxis noch kaum greifenden Erfolge der Afrikanischen Union. Die AutorInnen der Einzelbeiträge berücksichtigen in ihren Darstellungen jedoch deutlich die Zeitgebundenheit ihrer Analysen und deuten offene Fragen und Entwicklungen in vorsichtigen Prognosen an.

Die Länderinformationen zu den afrikanischen Staaten sind dreiteilig strukturiert: Nach einer knappen Skizzierung der territorialen Geschichte wird die jüngste politische Entwicklung, oftmals seit der staatlichen Unabhängigkeit, aufgezeichnet. Die Länderdarstellungen schließen mit Kerninformationen zu den nationalen Wirtschaftsentwicklungen.

Das Werk behandelt nicht den gesamten afrikanischen Kontinent. Die Auswahl der Stichworte und Länderdarstellungen beschränkt sich auf den Erdteil südlich der Sahara (Subsahara-Afrika, SSA). Diese Selektion ist gewiß von Vorteil, um den Umfang des Werkes auf 359 Seiten zu begrenzen. Sie folgt auch ausdrücklich der Praxis des großen englischsprachigen Referenzwerkes „Africa South of the Sahara“ 3. Die Aussparung des mediterranen Afrikas hätte jedoch stärker begründet werden sollen, zumal vergleichbare Veröffentlichungen, wie das von Mabe herausgegebene Afrika-Lexikon dieser Praxis nicht folgen.

Technische und konzeptionelle Schwächen des Buches schmälern den positiven Gesamteindruck. Das größte Problem des Kleinen Afrika-Lexikons besteht in der Ungleichbehandlung der im Untertitel versprochenen Themengebiete, nämlich Politik und Wirtschaft einerseits und Kultur andererseits. Während wirtschaftliche und politische Themen sehr detailliert verschlagwortet sind („Brain Drain“, „Strukturanpassung“, „Direktinvestition“), ist der Bereich der Kultur außerordentlich knapp abgehandelt, selbst wenn man einen noch so engen Kulturbegriff anlegen mag. Die LeserInnen finden in dem Kleinen Afrika-Lexikon zwar Informationen zu Themen wie „Film“, „Musik“ „Sport“, „Literatur“ usw. Jedoch sucht man vergeblich nach detaillierteren Angaben. Es fehlen zum Beispiel Schlagworte wie Zensur, Hörspiel, Musical, Verlage, um nur einige zu nennen.

Diese quantitative Ungleichbehandlung von Politik/Wirtschaft und Kultur stellt sich den LeserInnen natürlich als eine Wertung dar. In der Summe der Schlagworte und auch in den speziellen Länderinformationen findet afrikanische Kultur nur marginal statt. Dies ist umso bedauerlicher, als hier eine Chance vertan wurde, jenseits der oft kritischen politisch-ökonomischen Situation der SSA-Staaten zu Recht positiv besetzte Aspekte der afrikanischen Realität zu präsentieren.

Immerhin: die kulturspezifischen Einzelartikel aus den Federn von ExpertInnen wie Lydia Gärtner, Peter Ripken, Wolfgang Bender und anderen fallen sehr differenziert und informativ aus.

Der Kulturbezug in der Reihung des Untertitels entspricht auch nicht der Ausrichtung des Hamburger Instituts für Afrika-Kunde. Das dem Deutschen Übersee-Institut angegliederte IfA betreibt und publiziert Forschungen, die in den Bereich der politischen und ökonomischen Entwicklungsanalyse, der Konfliktforschung oder der Analyse von staatlichen, nichtstaatlichen und parastaatlichen Institutionen anzusiedeln sind.4 Diese Erfahrung des Instituts spiegelt sich entsprechend in der Qualität und Detailgenauigkeit der politischen und wirtschaftlichen Stichworte wieder.

Angesichts dieser pragmatischen Ausrichtung des IfA war auch nicht zu erwarten, dass die angewendeten Kategorien und Indikatoren zur Datenerhebung und Analyse einer inhaltlichen Problematisierung unterworfen werden. Auch zentrale Kategorien der in der Regel von „westlicher“ Seite definierten Entwicklungszusammenarbeit bleiben unhinterfragt. Das Prinzip des „Good Governance“ zum Beispiel ist als Schlagwort nicht aufgeführt. Ebenso bleiben afrikanische Perspektiven und Positionen, die mit den „westlichen“ im Widerspruch stehen, im Kleinen Afrika-Lexikon unberücksichtigt. Von medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen abweichende Vorstellungen vom kausalen Zusammenhang zwischen HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung, die nicht nur in breiten Bevölkerungsschichten afrikanischer Staaten zu finden sind, sondern auch in den Verlautbarungen von Regierungsspitzen, werden beispielsweise nicht einmal angedeutet.

Ein technisches Manko des Werkes, das nicht nur Laien den Zugang erschwert, besteht darin, dass manche Phänomene nicht unter den gängigen eingebürgerten Begriffen zu finden sind. „Aids“ zum Beispiel ist nicht aufgeführt. In diesem Fall muss man unter „HIV/Aids“ nachschlagen, um K. Ochels Artikel zu finden. Auch das Lomé-Abkommen findet man nicht unter seiner gebräuchlichen Bezeichnung, sondern unter „Cotonou/Lomé-Abkommen“. Ein Sachindex mit Querverweisen hätte hier Abhilfe schaffen können, fehlt aber leider.

Außerdem fehlen bedauerlicherweise die in der Vorbemerkung angekündigten „Kurzbiographien der wichtigsten Persönlichkeiten Afrikas“. Der nigerianische Präsident Obasanjo zum Beispiel taucht natürlich in H. Bergstressers Artikel zu „Nigeria“ auf, nicht jedoch als eigenes Schlagwort.

Für eine Neuauflage des Kleinen Afrika-Lexikons, auf das angesichts der rasanten Entwicklungen in den SSA-Staaten bald gehofft werden darf, ist zusammenfassend die Einfügung eines Sachindexes und das Nachreichen der versprochenen Kurzbiografien zu empfehlen. Der Kultur-Teil sollte entweder gleichrangig ausgebaut werden oder, auch im Hinblick auf die Fülle der Fakten, von vornherein gestrichen werden.

Anmerkungen:
1 Mabe, Jacob E. (Hg.), Das Afrika-Lexikon. Ein Kontinent in 1000 Stichwörtern, Stuttgart 2001.
2 Böhler, Katja; Hoeren, Jürgen (Hg.), Afrika. Mythos und Zukunft, Bonn 2003.
3 Murison, Katherine (Hg.), Africa. South of the Sahara 2004, London 2003.
4 www.duei.de/iak

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