M. Mey: Regionalismus in Großbritannien

Titel
Regionalismus in Großbritannien - kulturwissenschaftlich betrachtet.


Autor(en)
Mey, Marcus
Reihe
Schriften zum Internationalen Recht 137
Erschienen
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 96,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Schwend, Institut für Anglistik, Universität Leipzig

Marcus Mey versucht eine Art Quadratur des Kreises mit seinem Ansatz, den Regionalismus im Vereinigten Königreich als Jurist kulturwissenschaftlich zu beschreiben. Die Studie gibt wichtige Erkenntnisse zum Regionalisierungsprozess und zum Spannungsfeld zwischen Regionen und Zentralregierung, aber immer wieder ist zu erkennen, dass sich zumindest vom Blickwinkel des Anglisten und Kulturwissenschaftlers Ungereimtheiten und sogar Fehler einschleichen, die den Gesamteindruck trüben.

Mey geht in seiner Studie zu Recht vom Begriff der Region aus, der in Europa zumindest seit dem Ende der 1980er-Jahre eine immer wichtigere Rolle spielt, wie etwa auch die Publikation von Undine Ruge "Die Erfindung des ‚Europa der Regionen’" 1 zeigt. Die Regionen Europas gelten als zu erhaltender Hort der Kulturenvielfalt Europas. Das Vereinigte Königreich, und insofern ist der Titel Regionalismus in Großbritannien nicht zutreffend, hat seit 1997 unter New Labour eine richtungweisende Entwicklung durchgemacht, die auf dem besten Weg ist, den unter Margaret Thatcher stark zentralisierten Staat in eine neue Form zu bringen, dessen endgültige Gestalt jedoch noch nicht klar umschrieben ist. Hier zeigt sich eine sehr englische Herangehensweise, die pragmatisch Schritt für Schritt voranschreitet und nicht ein vorgefertigtes Konzept dem Ist-Zustand überstülpt. Evolution und nicht Revolution ist ein Prinzip auf den Britischen Inseln seit der Glorreichen Revolution von 1688/89.

Das Evolutionäre der Vorgehensweise der Regierung Blair zeigt sich in der Verfassungsfrage, wobei die britische Verfassung auch aus schriftlich fixierten Elementen besteht, so dass man besser von einer nicht kodifizierten anstelle einer ungeschriebenen Verfassung spricht. Mey betont die Flexibilität der britischen Verfassung: „Es findet demgemäß ein ständiger Prozess gegenseitiger Befruchtung statt, ein beständiger Prozess der Interpretation, Veränderung und (Neu-)Schöpfung der Verfassung.“ (S. 51) Er beschreibt die Stellung der einzelnen Regionen im Vereinigten Königreich und gibt eine kurze historische Einführung, mit der er auch nationale Identitätskonstruktionen vorstellt bzw. Besonderheiten der einzelnen Regionen unterstreicht. Hierbei ist es wichtig, die Eigenständigkeit und die Sonderrolle Englands zu betonen, wie das Mey auch nachhaltig tut. Es stimmt allerdings nicht, dass nur Schottland eine eigene Flagge und ein eigenes Geschichtsverständnis besitzt (S. 320). Alle Regionen, einschließlich der nordirischen, haben ihre eigenen Flaggen, ihre eigenen Geschichten und auch ihre Identitätskonstruktionen. Nationen als so genannte ‚imagined communities’ werden entsprechend den Bedürfnissen ihrer Bürger geschaffen und definiert. Dass Mey den schottischen Nationaldichter Robert Burns wiederholt falsch schreibt (z.B. S. 87, 88, 93), ist ein gravierender und signifikanter Fehler. In die gleiche Kategorie von ärgerlichen Fehlern gehört auch die Verwendung von „jakobinisch“ anstelle von „jakobitisch“ (S. 112) sowie die wiederholte Schreibweise von „Torries“. (z. B. S. 127, 132, 133) Der Parlamentsabgeordnete Tam Dalyell ist Labour MP und nicht Tory (S. 127) und schon gar nicht „Torry“.

Die zunehmende Integration des Vereinigten Königreichs in transnationale Organisationen wie die Europäische Union bringt für das Selbstverständnis der politischen Einheit – das Vereinigte Königreich – gravierende Probleme, die, wie Mey richtig betont, eng mit dem Prinzip der Souveränität des Parlaments verbunden sind. Es ist ein schleichender und schon weit vorangeschrittener Prozess, der dieses Prinzip der ‚sovereignty of Parliament’ untergräbt. Mey argumentiert: „Ein Souveränitätsverlust erfolgt gleich von zwei Seiten: von Seiten der Regionen und von Seiten der Europäischen Union.“ (S. 308) Viele Briten haben bisher nicht erkannt oder wollen nicht erkennen, wie weit bereits europäisches Recht in britisches Recht eingreift. Es ist ein Verdienst von Mey, diesen Prozess klar herausgestellt und die Parallelität von transnationalen und regionalen Strömungen verdeutlicht zu haben. Gerade im Konflikt zwischen Europarecht und nationalem Recht kommt der Jurist in Mey sehr stark zum Tragen, der Kulturwissenschaftler ist beeindruckt von all den Details, aber im Grunde genommen sind sie für einen kulturwissenschaftlichen Ansatz in dieser Fülle nicht notwendig. Ein Verweis auf entsprechende Gesetzestexte und vergleichbare Quellen sowie auf ihre Verfügbarkeit hätte für den Kulturwissenschaftler genügt.

Die Problematik des differierenden Verständnisses von Föderalismus wird von Mey angesprochen (vgl. Fußnote 243) und die verschiedenen Auffassungen in einem komparatistischen Exkurs zu anderen europäischen Staaten dargelegt (S. 264-275). Die Darstellung dieser Unterschiede ist wichtig, da ohne diese Erkenntnis die britische Föderalismus-Debatte und die Phobie der Konservativen vor einem föderalen Europa unverständlich bliebe. Andererseits hätte Mey die unterschiedlichen Positionen der britischen Parteien erwähnen müssen, denn die Liberaldemokraten unterstützen das Konzept eines föderalen Systems, und der von Mey zitierte Vernon Bogdanor ist entgegen Meys Aussage (S. 134) kein konservativer, sondern ein liberaler Wissenschaftler, der in seinen Publikationen einen föderalen Ansatz vertritt.

Das erklärte Ziel der Arbeit war: „die Region und den Regionalismus kulturwissenschaftlich zu betrachten“ (S. 311), d.h. es ging Mey um „die Wechselwirkung zwischen kulturellem Bewusstsein und Rechtsentwicklung innerhalb Großbritanniens; zum anderen um die Wechselwirkung zwischen der Rechtsentwicklung in Europa und den einzelnen Regionen innerhalb Europas; zum wieder anderen um die Wechselwirkung zwischen der Region als Kulturphänomen und der Region als Gegenstand des Rechts auf europäischer Ebene“ (S. 311). Dieses selbst gesetzte Ziel hat Mey nur teilweise erreicht. Als Anglist muss man feststellen, dass die Studie an einer zu großen, möglicherweise ‚juristisch bedingten’, Detailfülle krankt, die kompilatorisch eine Vielzahl von Organisationen, Verwaltungsstrukturen und Dokumenten aufführt. Andererseits wird zu selten die Frage nach den Auswirkungen von Gesetzen und Entscheidungen für die Briten oder die Bewohner der Regionen gestellt. Es fehlt zudem eine Liste der Abkürzungen all der genannten Organisationen und Gruppierungen. In der den Leser stellenweise fast erschlagenden Detailfülle finden sich aber viele wichtige Erkenntnisse und Bausteine, die den Prozess der ‚devolution’ im Vereinigten Königreich erklären können.

Meys Dissertation passt gut in die gegenwärtige Verfassungsdiskussion im Vereinigten Königreich und zeigt viele gravierende Probleme auf, die gerade einem Staat wie dem Vereinigten Königreich mit seiner nicht kodifizierten, wenn auch teilweise schriftlich vorliegenden Verfassung inhärent sind. Hier wird vom Autor ein wichtiger Beitrag zur Forschung geleistet. Es gibt genug Beispiele englischer Literatur zur Situation der britischen Verfassung und der Problematik der Souveränität des Parlaments, aber meines Wissens keine derart umfassenden deutschsprachigen Publikationen.

Allerdings ist auch deutliche Kritik angebracht, denn die Studie zeigt erhebliche sprachliche Mängel und teilweise ärgerliche Nachlässigkeiten und Inkonsequenzen (z.B. Wechsel zwischen alter und neuer Rechtschreibung, verschiedene Schreibweisen von englischen Begriffen) bis zu falschen Aussagen. Ein Satz wie der folgende darf nicht in einer Publikation zum Regionalismus in Europa erscheinen: „Das Konzept, einem Volk, dass [sic!] alle Merkmale nicht nur einer Region, sondern zumindest soziokulturell einer Nation in sich vereint, zumindest ein gewisses Maß an politischer Mitbestimmung und Eigenständigkeit dauerhaft vorzuenthalten, hat im heutigen Europa Zukunft.“ (S. 316) Da kann man nur sagen: hoffentlich nicht! Der Anglist stört sich zudem an der ungenauen deutschen Terminologie für englische Begriffe und Konzepte. Die Bedeutungsvielfalt des englischen Originals wird häufig nur unzureichend wiedergegeben oder die Verwendung von Begriffen ist unsauber, so z.B. die Definition von „quangos“ (S. 75). Es hätte der Arbeit gut getan, wenn sie von einem Philologen oder noch besser einem Anglisten überprüft worden wäre. In der gegenwärtigen Form kann sie dem unbedarften Leser ohne gute Vorkenntnisse kaum empfohlen werden, da die Fehler dann nicht erkannt und womöglich übernommen werden.

Anmerkung:
1 Ruge, Undine, Die Erfindung des 'Europa der Regionen'. Kritische Ideengeschichte eines konservativen Konzepts, Frankfurt am Main 2003.

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