Titel
Begehrte Körper. Konstruktion und Inszenierung des "arischen Männerkörpers" im "Dritten Reich"


Autor(en)
Wildmann, Daniel
Erschienen
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 15,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Jockwer, FG Geschichte Lehrstuhl Prof. Dr. Schlögl, Universität Konstanz

An Leni Riefenstahls zweiteiligem Olympiafilm ("Fest der Völker", "Fest der Schönheit") scheiden sich auch noch nach Jahrzehnten die Geister. Klar ist einerseits die technische Brillanz einer sportfotografischen Glanzleistung der umstrittenen Regisseurin, offensichtlich jedoch auch die hemmungslose ästhetische Huldigung an eine idealisierte Körperlichkeit, die ihren festen Platz im Ideengebäude des Nationalsozialismus hatte.

Wird Riefenstahl auch nicht müde zu behaupten, es handele sich hier lediglich um eine der Schönheit der Bilder verpflichtete Dokumentation der sportlichen Wettspiele, so sind doch die politischen Implikationen allzu offensichtlich: Das Dritte Reich präsentierte sich der Weltöffentlichkeit 1936 mit einer pompösen Inszenierung, Riefenstahl überhöhte filmisch die Realität sogar noch. Kampf, Stärke und Wille waren wichtige Topoi nationalsozialistischer Weltanschauung, Riefenstahl bannte sie eindrucksvoll auf Zelluloid. Der Nationalsozialismus sah als ästhetisches Ideal den arischen Krieger, Riefenstahl setzte jenem ein filmisches Denkmal.

Daniel Wildmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Unabhängigen Expertenkommission "Schweiz - Zweiter Weltkrieg", unternimmt in seinem Buch "Begehrte Körper - Konstruktion und Inszenierung des 'arischen' Männerkörpers im 'Dritten Reich'" den Versuch, die offensichtliche Verbindung des Olympiafilms zur nationalsozialistischen Ideologie zu konkreten politischen Aussagen zuzuspitzen. Angesichts der Fülle von Vorarbeiten zum Thema Riefenstahl und Olympia hat er sich einiges vorgenommen, wenn er behauptet: "Die Dinge sind etwas komplizierter gelagert und nicht in Schlagworte zu fassen." (S. 7)

Auf insgesamt 160 Seiten weist Wildmann seinen Lesern den Weg zum Verständnis des Filmes, um am Ende plakativ die Nähe Riefenstahlscher Filmsprache zum Holocaust herauszustellen. 160 bedruckte Seiten, eine Zeichnung (aus dem "Stürmer"): Es scheint, als scheue sich Wildmann, visuellen Zitate aus seinem Studienobjekt Raum zuzugestehen, ist ihm die behandelte filmische Ästhetik mit Ausnahme der Titelgrafik doch nicht einmal ein Bildzitat wert. Doch genau dies wäre angesichts der Tatsache notwendig gewesen, daß die Vorkriegs-Version des Filmes, auf die sich Wildmann wiederholt bezieht, gar nicht für jedermann problemlos einzusehen ist.

"Die Perspektive der vorliegenden Studie geht davon aus, daß Filme als Produkte eines komplexen soziokulturellen Prozesses zu verstehen sind. Verschiedene Einflüsse strömen in die Konzeption und visuelle Umsetzung eines Films ein; je nach kulturellem Hintergrund eines potentiellen Publikums wird er unterschiedlich gelesen und verstanden." (S. 7) Um die Funktionsweise der Kommunikation zwischen Film und Publikum zu beschreiben , bedient sich Wildmann der Theorie des "kollektiven Gedächtnisses" des französischen Soziologen Maurice Halbwachs. Wildmann stellt die Frage, welche Entsprechungen sich für die Filmbilder in jenem kollektiven Gedächtnis finden lassen, d.h. worauf der Film "anspreche". In Verbindung mit der Filmanalyse müsse eine Beschreibung des kollektiven Gedächtnisses angefertigt werden, um so die spezifische Filmsprache "innerhalb eines historische generierten kollektiven Gedächtnisses" (S. 8) zu ergründen. Dazu sei es "notwendig, sehr unterschiedliche, aber sich ergänzende wissenschaftliche Bereiche zu verknüpfen". (S. 9) Hinzuzuziehen seien Forschungen filmwissenschaftlicher, kunstgeschichtlicher und sporthistorischer Art, Ergebnisse der Antisemitismusforschung und der an psychoanalytischen Konzepten orientierten Literaturwissenschaft.

Es sind die im Film gezeigten "männlichen", "vorbildlichen" und gleichzeitig "arischen" Körper, die Wildmann durchgängig in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt. Entsprechend seines komplexen Ansatzes fragt er nach ihrer Konstruktion, ihrer Bedeutung im Kontext des "kollektiven Gedächtnisses", nach ihrer politischen Funktion und nach ihrer Inszenierung im Film.

Der Olympia-Film sei explizit mit einer Vorbildfunktion verbunden: Die gezeigten Körper seien "begehrte Körper", deren filmische Inszenierung auf ein Begehren des - so Wildmann in bewußter Anlehnung an Goldhagen - "willing" Publikum (S. 16) antworte und gleichzeitig eine "Offerte" an jenes Publikum bedeute. Wildmann spricht von einem "mimetischem Begehren": "Nicht nur der Körper wird begehrt; auch der eigene Körper soll so werden wie der begehrte Körper im Film." (S. 61) Der Autor referiert in diesem Zusammenhang kurz die Bedeutung der visuellen Ebene für das biologistische Denken, wobei sich besonders der Film ausgezeichnet geeignet habe, "um den rassischen Ideen des frühen 20. Jahrhunderts einen Ausdruck zu geben" (S.11). Diese Behauptung erscheint vom filmhistorischen Standpunkt aus äußerst gewagt und wird der Entwicklungs- und Gattungsgeschichte der Cinematographie nur sehr bedingt gerecht. Außerdem bleibt die Tatsache unbeachtet, daß ein im Medium vermitteltes körperliches Idealbild keine Sache völkischer Rassisten ist, sondern ein von der Antike bis in unsere Zeit durchgängiges Phänomen.

Mit der "Konzeption des Gesunden" ist nach Wildmann die "Konzeption des Kranken" untrennbar verbunden: "Arischer Körper" stehe gegen "nichtarischen Körper", und das sei der "jüdische" und nicht etwa der "schwarze" Körper. Hier versucht Wildmann, ein beliebtes Argument zur Ehrenrettung Riefenstahls zu widerlegen, das den Filmsequenzen mit schwarzen Athleten eine in jedem Falle nicht ideologiekonforme Bedeutung zuweist. Daß bewegte Bilder von Jesse Owens selbstverständlicher Bestandteil des Filmes sind, sei nicht entscheidend. Die Frage sei nicht, ob sie Schwarze filmt, "sondern wie sie sie filmt und wen sie dafür gar nicht filmt".(S. 13) Und was eben gar nicht gezeigt würde, seien jüdische Menschen, sie existierten nur als imaginäres Gegenbild zum gesunden, arischen, begehrten Körper. Daß es ein durchgängiger Topos der völkischen und nationalsozialistischen Literatur gewesen ist, in allen Zusammenhängen rassistische Attacken gegen Schwarze zu richten, übergeht Wildmann leichtfüßig, indem er lediglich in Form einer Fußnote auf "Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten zwischen Rassismus und Antisemitismus" (S. 13) hinweist.

Drei Filmsequenzen zieht Wildmann zur Interpretation heran: Den vielzitierten Prolog inklusive Fackellauf und Entzünden des Olympischen Feuers, die filmtechnisch hochgelobte Marathonlaufsequenz nebst Siegerehrung und (recht knapp) den Hochsprung der Damen. Nach welchen Kriterien kommt jene Auswahl zustande? Fast ist man geneigt zu behaupten, weil sich jene wohl am sichersten in Wildmanns Thesenwelt einbauen lassen: Antikenmythos verklärt als nordisches Erbe, Wille, Kampf- und Opfergeist von Marathon und die Damenmannschaft ohne die jüdische Athletin Gretel Bergmann.

Gerade in der Interpretation des Prologs wirkt vieles recht konstruiert und erschließt sich nur bei wiederholter wohlwollender Betrachtung des Filmmaterials. Vor allem wenn Wildmann seine filmästhetischen Kompetenzen als Aufnahmeleiter und Regieassistent "bei verschiedenen Dokumentarfilmen" (Buchrücken) ausspielt, um seine Thesen aus dem Zusammenspiel von Kameraperspektive, Architektur, Musik usw. heraus zu belegen, wirken einige Aussagen doch recht bemüht. So folgert der Autor beispielsweise: "Riefenstahl opfert Schilgen [das ist der letzte Läufer der Fackelstafette, der das Olympische Feuer entzündet] filmisch und stellt als Abschluß des Prologs in der Ton-Bild-Montage eine der körperlichen Selbstvernichtung zustimmende Einheit zwischen dem Opfer, der Opferung und den Zuschauern und Zuschauerinnen her; eine mythische Entität von Person und Handlung, die ins Transzendente verweist." (S. 56) Diesem "schöne[n] Tod" in der Opferung für die Volksgemeinschaft in der Tradition von Langemarck entspreche als Kontrapunkt die Vernichtung von jüdischem Leben in Auschwitz.

Der Marathonlauf bildet laut Wildmann den "Brennpunkt" von Riefenstahls "Vorstellungen von Kampf und Körper". (S.62) Den wegen ihrer künstlerischen Perfektion oft hochgelobten Teil nennt der Autor die "Willen-Sequenz", in der das Ideal des nordischen Sportlers und Kämpfers seinen Ausdruck findet. Wildmann stellt fest, daß die erstplazierten Läufer Son, Nan (beide am Start für Japan) und Harper (England) in Frisur und Gesichtszügen dem arischen Vorbild entsprächen. Son und Nan, beides Koreaner, mußten nach der Besetzung ihrer Heimat für Japan starten, Riefenstahl verdopple diesen "kulturellen Mord" sogar, indem sie die Sportler jetzt noch zu Ariern stilisiere. Besonderes Augenmerk widmet Wildmann dem aufrechten Erscheinungsbild der Athleten und stellt fest: "Die Durchhalter bewahren durchgehend Haltung." (S. 78) Implizit werde der in der Propaganda "als gekrümmt und degeneriert gezeichnete Jude" als Gegenbild (aus dem kollektiven Gedächtnis) ins Bewußtsein des Kinopublikums gerufen.

Ins Zentrum des Hochsprungwettbewerbs der Frauen stellt Riefenstahl nicht die Siegerin, Ibolya Csak aus Ungarn, sondern die Deutsche Elfriede Kaun in ihrem Kampf mit den 1,60m: Die Marke des deutschen Rekordes, bisher gehalten von der jüdischen Athletin Gretel Bergmann, wird von der Arierin Kaun bewältigt: Das erklärt nach Wildmann Auswahl und Impetus der Szene: "Dieser Sprung legitimiert den Ausschluß des jüdischen Körpers..." (S. 101) Die Gewinnerin des Wettkampfes heißt jedoch Csak und ist - Jüdin. Jüdische Sportler anderer Nationen werden von Riefenstahl zwar gezeigt, aber nicht als solche kenntlich gemacht und seien folglich "unsichtbar".

Den "filmische Rauswurf" (S. 127) des jüdischen Menschen stellt Wildmann in den Kontext der "Arisierung", als deren "quasi naturhafte" Rechtfertigung der Film gelesen werden könne: "Riefenstahl führt deutsches Gesetz mit sportlicher Legitimität zusammen." (S. 129) Provokativ geht der Autor noch einen Schritt weiter in seiner Positionsbestimmung der Regisseurin im Dritten Reich: Riefenstahl schließe das Bild des Juden aus und sei damit "radikaler als der mit ihr befreundete Herausgeber der NS-Zeitschrift 'Der Stürmer', Julius Streicher, in dessen Blatt das Bild des Juden als Bild zumindest noch erscheint." (S. 134) Man könnte Wildmann zwar entgegensetzen, daß es nicht Riefenstahl gewesen ist, die die Juden aus der deutschen Olympiamannschaft ausgeschlossen hat, doch ihr fällt die Schuld zu, dieses Olympia im nationalsozialistischen Sinne filmisch in Szene gesetzt zu haben und dabei weder jüdische Menschen zu zeigen (wie auch immer sie das hätte tun sollen) noch deren Diskriminierung und Verfolgung.

Wildmanns Untersuchung bringt nach eigenen Worten die filmische Sprache Riefenstahls "mit dem Horizont Auschwitz zusammen" (S. 140) und verortet den Olympiafilm als durch und durch nationalsozialistisch. In diesem Zusammenhang holt Wildmann zum großen Schlag aus gegen jenen Teil der Filmhistorikerschaft, die den Film der NS-Zeit unter Aspekten wie Modernisierung, Freizeitkultur, Privatleben und Normalität beschreiben. Die Opfer spare man konsequent aus, verschweige Verfolgung und Täterschaft, Auschwitz und Antisemitismus. Derartige deutsche Autoren wie z.B. Klaus Kreimeier gehörten "der zweiten Generation des deutschen Täterkollektivs an". (S. 143) Wildmann weitet seine Anklage aus: Es falle vielen nicht mehr auf, daß Juden in den kulturellen Produkten des Dritten Reiches fehlten: "Wenn ein Publikum diese [Unterhaltungs-]Filme mag, wieso nicht gerade deswegen, weil die präsentierte Welt garantiert 'judenfrei' ist?" (S. 144)

Die Lektüre des Buches hinterläßt einen ambivalenten Eindruck: Kenntnis- und detailreich verknüpft Wildmann Sport, Körperkult, Männlichkeit und Nationalsozialismus mit Antisemitismus und Tod. Er deckt filmische Inszenierungen auf und liest zwischen den Zeilen. Doch was bleibt als Wesentlich für den weiteren wissenschaftlichen Diskurs über das Thema?

Die Feststellung, die sozialwissenschaftliche Kategorie "race" und besonders deren "antisemitische Argumentationsmuster" (S. 13) sei die dominante im Dritten Reich gewesen, überrascht nicht wirklich und so ist es legitim, diese als interpretativen Ausgangspunkt anzuwenden. Daraus resultiert auch die genuin Wildmannsche Trennung in "begehrte arische Körper" und "verschwiegene jüdische Körper", die nachvollziehbar und interessant aber letzten Endes wenig überzeugend wirkt.

Die Komplexität der Konzeption "kollektives Gedächtnis" erweist sich als potentiell problematisch und birgt die Gefahr, zu sehr ins kontruiert-spekulative abzurutschen. In Verbindung mit Forschungen zur zeitgenössischen Rezeption hätte der Ansatz interessant werden können, doch beruft sich Wildmann auf einen Mangel an Quellen. Kein Wunder, denn der eher spartanische Einsatz von zeitgenössischen Schriften und die faktisch nicht vorhandene Verwendung von (unedierten) Originalquellen ist insgesamt auffällig.

Unangenehm wirkt der streckenweise recht pädagogische Duktus, man könne "am Ende dieses Buches" klarer über den Film und seine politische Brisanz urteilen (z.B. S. 32). Dazu passen nicht die kleinen historischen Unebenheiten, Rudolf Höß (Lagerkommandant von Auschwitz) mit dem "Stellvertreter der Führers" zu verwechseln (S. 49), oder simplifizierend zu behaupten, "Technokraten, wie Albert Speer und Reinhard Heydrich" hätten ab 1934 die "alten Kämpfer" abgelöst (S. 25).

Doch ist die vorliegende Arbeit eben keine filmhistorische Fleißarbeit, sondern der Versuch provokante Thesen an der Schnittstelle von Geschichte, Sport und Filmästhetik zu lancieren.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch