Titel
A Dangerous Mind. Carl Schmitt in Post-War European Thought


Autor(en)
Müller, Jan-Werner
Erschienen
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhard Mehring, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin

Von einer „Schule“ Carl Schmitts wurde früh schon gesprochen. In den 20er-Jahren faszinierte Schmitt junge Gelehrte. 1933 übernahm er wichtige Hebel der Besetzungspolitik und half seinen Schülern bei ihrer Karriere.1 Ernst Jünger schrieb Schmitt am 7. September 1940 schon: „Ihre ehemaligen Schüler sind eine wahre Landplage.“2 Nach 1945 sprach man in der bundesdeutschen Rechtswissenschaft selbstverständlich von einer „Schule“ Carl Schmitts: so Erich Kaufmann3 in einem offenen Brief an Forsthoff. Dass man Schmitt aber nicht nur als Juristen wahrnahm, sondern auch über die Politikwissenschaft und politische Publizistik hinaus einen „Einfluss“ in diverse Geisteswissenschaften annahm, ist ein neueres Phänomen. Dessen Anfänge datieren auf die Kontroverse um die Wirkung Schmitts auf Habermas Mitte der 80er-Jahre, die aber auf ältere Frontlager zurückging. Nach Schmitts Tod 1985 weitete sich die Diskussion exponentiell aus. Schmitt wurde zum Repräsentanten und Stichwortgeber deutscher „Geistesgeschichte“ aufgebaut. Die Frage nach seiner „Aktualität“ wollte man historisch von der Wirkungsgeschichte her beantworten.

Unstrittig waren und sind bedeutende Repräsentanten der bundesdeutschen Rechts- und Geisteswissenschaften von Schmitt tief greifend geprägt. Mit der Öffnung des Nachlasses hat Dirk van Laak4 dieses Phänomen breit erschlossen und damit – bis hin zu einer freundlichen Besprechung durch Habermas, die dieser auch in seine Sammlung über die „Berliner Republik“ aufnahm5 – viel Zustimmung gefunden. Van Laaks Pionierwerk konnte jedoch nur ein Anfang sein. So enthielt sich seine historische Studie der fachlichen Gewichtung der einzelnen Rezeptionen. Die intellektuelle Möglichkeit einer Rezeption von Schmitts „Positionen und Begriffen“ auf dem Boden der Bundesrepublik diskutierte van Laak kaum. Dabei bietet die Schmitt-Rezeption durchaus Chancen, zu einem Brennglas der Bundesrepublik zu werden. Auch Schmitts Wirkungsgeschichte kann – mit aller Vorsicht – für eine Intellektualgeschichte der Bundesrepublik stehen. Nur trägt sie dann Züge einer Gegengeschichte, nicht die Züge einer Gründungsgeschichte, wie sie vor einigen Jahren für die Frankfurter Schule kritisch dargestellt wurden.6 Für eine Wirkungsgeschichte Schmitts ist der Schulbegriff allerdings präzise und vorsichtig zu fassen. Direkte Schüler im akademischen Sinne konnten die jüngeren Autoren, die Schmitt rezipierten und seine Nähe suchten, nach 1945 nicht mehr sein. Statt einer Schulgeschichte scheint nach 1945 nur eine weitere Rezeptionsgeschichte möglich, will man eine besondere Signifikanz für die Bundesrepublik erörtern.

Jan-Werner Müller geht einen solchen Weg der Ausweitung der Diskussion um Schmitts Einfluss. Er beginnt dabei mit einem kurzen und wenig originellen Überblick über Schmitts Wirken bis 1945 als „A German Public Lawyer in the Twentieth Century“. Dann geht er im materialen zweiten Hauptteil das zweite Leben Schmitts und seiner Wirkungen nach 1945 unter dem Titel „The Afterlife: The Uses and Abuses of Antiliberalism“ durch. Die Liste der behandelten Autoren ist wenig überraschend. Die meisten kommen schon bei van Laak und anderen vor. Müller bemüht sich aber einerseits um eine sachlich eingehendere Darstellung der inhaltlichen Anknüpfungen, andererseits um einen weiten, internationalen Fokus auf „Schmitt’s Globalization“ und auch um essayistische Erklärung des Phänomens. Sein überzeugender Ausgangsgedanke ist es, dass Schmitt als „thinker of the transition“ (S. 245) politischer Formen nicht zugleich der Diagnostiker ihrer Vollendung sein konnte. Theorieintern gesprochen konnte Schmitt nur „die Frage eines neuen Nomos der Erde“7 nach dem Ende der klassischen Epoche souveräner Staatlichkeit stellen und diese Frage selbst nicht mehr beantworten. Er bedurfte gewissermaßen seiner Wirkung, um sein Werk zu vollenden. Die Wirkungsgeschichte gehört zum Werk, will man es voll erfassen. Müller schreibt dazu: „However, the problems and peculiar perspectives on politics identified by Schmitt transcended his own times and his own political prescriptions. Schmitt’s pupils and adversarial successors took on these problems.“ (S. 246) Er bezeichnet seine Studie auch als „exercise in separation: what distinguishes legitimate critiques of liberalism from varieties of antiliberalism which are ultimately driven by an non-negotiable antimodernism?“ (S. 6) Dieser kritische Anspruch freilich überfordert Müllers Studie, die sachlich wenig mehr als Wirkungsgeschichte bietet und nicht von einem überlegenen theoretischen Standpunkt aus geschrieben ist. So richtig und wichtig die Ausblicke in die internationale Rezeption (Frankreich, Spanien, Italien, USA) sind, ist doch die Wirkungsgeschichte dabei weitgehend auf die bundesdeutsche Rezeption beschränkt.

Nach dem Überblick über Schmitts Wirken bis 1945 beginnt Müller mit Schmitts frühen Selbstverteidigungen. Er konstatiert ein relatives Desinteresse Schmitts an der Bundesrepublik als Staat (S. 64) und geht dann zu den ersten Nachkriegsrezeptionen über. Er skizziert die Technokratiedebatte bei Forsthoff und Lübbe und erörtert dann Aron, Kojève und die „Visions of Global Order“. Dieses Thema findet Müller auch bei den Historikern Koselleck und Kesting, bei Sombart und Schnur wieder und nennt Schmitt mit Ernst Nolte „the political theorist of the age of European and global civil war“ (S. 115). Damit geht Müller zur Schule Joachim Ritters über und präsentiert Böckenförde und Marquard, Lübbe und Spaemann als Autoren der Wirkungsgeschichte Schmitts. Hier zeigt sich die Gefahr, Einflüsse zu überschätzen. Marquard und Spaemann haben gewiss einige Schriften und Gedanken Schmitts aufgenommen; dennoch aber ist es gewagt, ihnen in einer Wirkungsgeschichte Schmitts breiten Raum zu geben. Schmitts „Politische Theologie“ trennen Welten von der „Transzendentalbelletristik“ Marquards einerseits und dem Katholizismus Spaemanns andererseits.

Müller blickt dann auf die Rezeption von Schmitts „autoritärem“ Staatdenken in Spanien (Eugenio d’Ors) und Deutschland für Frankreich (Mohler). Danach erörtert er Schmitts „Theorie des Partisanen“ und deren Rezeption bei „left-wing partisans“ und „right-wing partisans“ (Maschke). Müller rekonstrutiert die Debatte zwischen Schmitt und Blumenberg um die „Legitimität der Neuzeit“ sowie Lübbes limitative Verteidigung von „Zivilreligion“. Er entdeckt Schmitts Liberalismuskritik in der Neuen Linken bei Agnoli und in Italien (Mario Tronti) wieder und konstatiert auch bei den Liberalen ein Umdenken mit Schmitt unter dem Eindruck terroristischer Radikalisierung der Linken in den 70ern (Preuß, Böckenförde). Müller endet mit einem Ausblick auf „The Death (and Strange Rebirth) of Carl Schmitt“ in den neueren Diskussionen nach Schmitts Tod. Die Pole der Rezeption und theoretischen Beisetzung markiert er dabei mit Luhmann einerseits und „Schmitt’s Theologization“ durch Heinrich Meier andererseits. Eine politische Wiedergeburt macht er in der europäischen und der amerikanischen Neuen Rechten aus.

Der kurze Schlussteil „Schmitt’s Globalization: Drawing the Lines“ fasst die Gesichtspunkte locker zusammen und schließt: „Schmitt’s ultimate challenge to philosophical liberals will perhaps be this: can a ‚post-heroic’ age create new, supranational identities without enmity or even some form of homogeneity? [...] Is a political logic beyond sovereignty conceivable?“ (S. 242f.) Solche großen Fragen wecken ebenso wie die Einflussforschung einige Zweifel. Welchen Begriff von Philosophie legt man an, wenn man Schmitt als Herausforderung für Philosophen diskutiert? Was bleibt von ihm auch, wenn man den politischen Denker vom Rechtsdenker abstrahiert und die juristischen Analysen nicht als Challenge des Werkes nimmt? Müller schreibt: „It was Schmitt as a political thinker, rather than as a legal thinker who proved attractive. His legal theory as such, while of great influence, is in fact often impressionistic and illogical.“ (S. 8) Das ist nicht weiter begründet und hätte Schmitt auch nicht gefallen. Die Trennung des politischen Denkers vom Rechtstheoretiker mag zwar eine Bedingung internationaler Rezeption sein, widerspricht aber elementaren Einsichten und Zielen Schmitts. Müller zeigt zwar, dass einige Entwicklungen nach 1945 mit Schmitt bedacht wurden; er lässt sich aber auf die Feinmechanik der Rezeption kaum ein. Der Antiliberalismus allein ist kaum das verbindende Grundmotiv, das von Schmitt stammte. Mit Schmitt wäre nicht zu fragen, ob die erörterten Nachkriegsdenker „gefährliche“ Antiliberale waren, sondern ob die politischen Formen der Nachkriegszeit sinnvoll noch liberal genannt werden können. Das erforderte eine einlässigere juristische Analyse. Ein klarer politischer Blick auf die Nachkriegszeit, von dem her der Sachgehalt der Rezeption seinen Ort erhielte, fehlt Müller aber. So plakativ wie der politische Faden des Antiliberalismus ist auch der Titel: Warum war Schmitt „gefährlich“? Was besagt es, einen Denker so zu nennen? Der Titel wirkt wie eine Konzession an einen akademischen Leserkreis, der ein Faible für große Narrationen qua Namedropping hat.

Jan-Werner Müller ist deutscher Herkunft, lebt und lehrt aber in England und den USA und richtet sich mit seinem Buch mehr an die amerikanische Diskussion. Der deutschen sagt er wenig Neues. Die intensive angelsächsische Diskussion aber informiert er über die europäische Geschichte der Transformation von Schmitts Denken. Der Antiliberalismus scheint ein Thema zu sein, das die USA heute besonders angehen. Sie haben einen Nachholbedarf in Liberalismuskritik und stehen politisch selbst vor der Frage, die Müller an die Schmitt-Rezeption richtet: Wo zieht man die Grenze zwischen legitimer Liberalismuskritik und politisch kaum vertretbarem Antimodernismus? Trotz des hohen Niveaus der amerikanischen Schmitt-Forschung, von dem sich Rezensent auf einem von Müller 1999 in New York veranstalteten Kongress überzeugen konnte, scheint die Diskussionslage in den USA etwas anders als in Deutschland zu liegen. Wir wollen es genauer wissen und neue archivalische Details erfahren. Müller aber bringt den USA eine europäische Tradition von Liberalismuskritik sachlich näher und wirbt für deren akademisches Niveau.

Anmerkungen:
1 Dazu Nachweise bei Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. III, München 1999.
2 Ernst Jünger-Carl Schmitt. Briefe 1930-1983, hrsg. v. Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999, S. 101.
3 Kaufmann, Erich, Carl Schmitt und seine Schule. Offener Brief an Ernst Forsthoff (1958), in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. III, Göttingen 1960, S. 373-377.
4 Laak, Dirk van, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993.
5 Habermas, Jürgen, Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der Bundesrepublik, in: Ders., Die Normalität einer Berliner Republik, Frankfurt 1995, S. 112-122.
6 Dazu vgl. Albrecht, Clemens, Günter Behrmann, Harald Homann, Friedrich H. Tenbruck, Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt 1999.
7 So heißt der Schlussteil von Carl Schmitt, Der Nomos der Erde, Köln 1950.

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