M.J. Chodakiewicz: Occupation in Poland 1939-1947

Cover
Titel
Between Nazis and Soviets: A Case Study of Occupation. Politics in Poland, 1939-1947


Autor(en)
Chodakiewicz, Marek Jan
Erschienen
Lanham 2004: Lexington Books
Anzahl Seiten
497 S.
Preis
$ 95.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Roth, Münster

Die Bevölkerung des Kreises Janow-Lubelski, der südlich von Lublin liegt, er- und durchlebte in den Jahren 1939-1947 zwei Besatzungen verschiedener Art: die durch die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs und die sowjetische danach. In diesen Jahren waren die verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Kreises – Polen, Juden, Ukrainer, Deutsche – vielfältigen Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt. Krieg und deutsche Besatzung hatten ca. 27.000 Opfer gefordert, deutlich über zehn Prozent der Bevölkerung (1940: 225.340).

Von den rund 19.000 Juden (1942) überlebten nur 700 den Krieg. 1000 Juden starben 1939-1942 durch Krankheiten und Unterernährung in den von den deutschen Besatzungsbehörden geschaffenen Ghettos. 14.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden ins Vernichtungslager Belzec deportiert und dort in den Gaskammern ermordet, etliche wurden bei „Judenjagden“ ermordet, 1000 „an Ort und Stelle“ erschossen. Schließlich wurden 275-500 Juden in den Jahren 1939-1947 von Polen ermordet, von Banditen sowie der kommunistischen und nicht-kommunistischen Widerstandsbewegung.

Auch die polnische Mehrheitsbevölkerung litt unter massiven Verfolgungen, Deportationen und Morden. 10.000 Polen wurden in den ersten Jahren der deutschen Besatzung aus den eingegliederten Gebieten in den Kreis Janow-Lubelski deportiert, ebenso viele verbrachte man zwangsweise zur Arbeit ins Reich. 5.000 Personen wurden vor Ort in Arbeitslager gesperrt oder mussten bei anderen Projekten Zwangsarbeit für die Deutschen leisten. Nahezu 10.000 Polen fielen den deutschen Besatzern zum Opfer, gegen 100.000 Polen, vor allem Bauern, wurden Strafen verhängt, unter anderem wegen der Nichterfüllung der auferlegten Ablieferungskontingente für Getreide, Vieh, Milch usw.

Die ukrainische Minderheit, die vor Kriegsbeginn 1.000 Personen zählte, wuchs in den ersten Jahren der deutschen Besatzung an. Zogen sich einige mit den abziehenden Besatzern gegen Ende des Krieges nach Westen zurück, wurden die meisten, insgesamt 1.000, jedoch den „Repatriierungsmaßnahmen“ der sowjetischen Besatzer unterworfen und in ihr vermeintliches Mutterland, die Sowjetunion, deportiert. 1946 schließlich lebten nur noch 160 Ukrainer im Kreis Janow-Lubelski.

Eine nennenswerte deutsche Minderheit hat es im Kreis Janow-Lubelski vor dem Krieg nicht gegeben. Erst im Zuge des Aufbaus der deutschen Besatzungsverwaltung kamen zahlreiche Reichs- und Volksdeutsche in den Kreis. Chodakiewicz veranschlagt für 1942 eine Zahl von insgesamt 1575. Neben den Angehörigen von Zivilverwaltung, Wehrmacht, SS und Polizei gehörten hierzu Unternehmer samt ihrer Mitarbeiter sowie Bahnpersonal u.a. Zudem gab es die Gruppe der sogenannten Deutschstämmigen, die stark polonisiert waren und sich vor allem aus materiellen Gründen um eine Anerkennung als Volksdeutsche bemühten. Als ab 1941 immer deutlicher wurde, dass auch sie von den Ablieferungspflichten u.ä. nicht ausgenommen wurden, tendierten sie in der Mehrzahl ähnlich wie viele Polen zu passivem Widerstand, durch den die Maßnahmen der Besatzer unterlaufen werden sollten.

Die Reaktionen auf die Politik der Besatzer stehen im Mittelpunkt des Buches. In jeweils drei Kapiteln untersucht Chodakiewicz das Verhalten der überwiegend polnischen Elite, der polnischen Mehrheitsbevölkerung sowie der Minderheiten (Deutsche, Ukrainer, Juden) den beiden Okkupationsmächten und ihrer Politik gegenüber. Der erste Teil der Untersuchung ist auf die deutschen Besatzer bezogen, der zweite Teil auf die sowjetischen, bzw. kommunistischen Machthaber. Verbunden werden sie durch ein Kapitel über die Haltung der polnischen Widerstandsbewegung während des gesamten Untersuchungszeitraums. Der Fokus von Chodakiewicz’ Studie liegt auf Reaktionen und Verhaltensweisen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und auf deren Beziehungen untereinander. Die konkrete Politik der Besatzungsmächte gerät dabei in der Analyse bisweilen in den Hintergrund und bleibt wegen der Vielzahl von Akteuren und Zuständigkeiten teilweise unklar. Immer wiederkehrende undifferenzierte Formulierungen wie „the Nazis“ oder – in geringerem Maße – „the Communists“ lassen die jeweils agierenden Täter zurücktreten, wo doch gerade eine derartige Mikrostudie zur Klärung der Zuständigkeiten, Handlungsspielräume und Taten der Besatzer einiges hätte beitragen können.1 Mit seinem Ansatz betritt Chodakiewicz in zweierlei Hinsicht Neuland: Zum einen durch die konsequente Fokussierung auf die Bevölkerungsreaktionen, zum anderen durch die vergleichende Untersuchung deutscher und sowjetischer Besatzungspolitik in einer Mikrostudie.2

Die Haltung der jeweiligen Bevölkerungsgruppe zu den Besatzern wurde im wesentlichen durch die Terrorpolitik ihr gegenüber bestimmt, so dass sich die konkreten Verhaltensweisen zwar voneinander unterschieden, sich aber, so Chodakiewicz, alle in den Mustern Widerstand, Anpassung und Kollaboration bewegten. Im Zentrum seiner Überlegung steht die Anpassung als Bindeglied zwischen den beiden Extremen Widerstand und Kollaboration. Letztere versteht er im politischen Sinne als die Zusammenarbeit mit den Besatzern, die einem Verrat an der Bevölkerung glichen. In sozialer Hinsicht spricht er von einer Kollaboration als Einverständnis mit den Besatzern zum Zwecke der Selbstbereicherung auf Kosten der restlichen Bevölkerung im Ganzen oder auch nur zum Teil. Dies Verhaltensmuster traf beispielsweise ukrainische Mitglieder der Schutzmannschaften, Teile der polnischen Polizei und Zuträger der Gestapo und des NKWD zu.3 Zum Widerstand rechnet der Autor im weitesten Sinne jede Aktion, die den Zielen der deutschen oder sowjetischen Besatzern zuwiderlief. Im engeren Sinne beschränkt er Wiederstand auf den bewaffneten Kampf gegen die fremden Machthaber, vor allem also auf die nicht-kommunistischen Widerstandskämpfer und den polnischen Untergrundstaat. Das verbreitetste Verhaltensmuster war die Anpassung, aus der sowohl Kollaboration als auch Widerstand entstehen konnte. Chodakiewicz erklärt Anpassung als den Versuch, einen modus vivendi mit den Besatzungsmächten zu finden, ohne viel von dem Vorkriegsleben abzuweichen.

Das Verhalten der nichtjüdischen polnischen Mehrheit den Juden gegenüber ist spätestens seit Erscheinen von Jan Tomasz Gross’ „Nachbarn“ (poln. 2000, dt. 2001) Gegenstand erbitterter Kontroversen und mittlerweile auch wissenschaftlicher Untersuchungen geworden, sich zumeist aber auf die Region um Jedwabne im Nordosten Polens beschränkten, also auf jene Gebiete, die nach zwei Jahren sowjetischer Besatzung erst im Sommer 1941 unter deutsche Herrschaft kamen.4 Chodakiewicz geht in seiner Studie auch auf das polnisch-jüdische Verhältnis im Kreis Janow-Lubelski ein. In der Vorkriegszeit und zu Beginn der Besatzung seien die Beziehungen untereinander in Ordnung gewesen, hätten sich aber ab Sommer 1941 zum Schlechteren verändert. Dies führt er auf eine Reihe von Uraschen zurüeck: die Übernahme jüdischen Eigentums durch Polen; die Einführung der Todesstrafe für Polen, die Juden halfen; materielle Anreize für den Verrat von Juden; eine verstärkte antisemitische Propaganda. Schließlich spielte wie in den Pogromen in der Region von Jedwabne die Überzeugung vieler Polen eine Rolle, die Juden hätten in den 1939-1941 sowjetisch besetzten Gebieten mit den Sowjets kollaboriert. Im Gegensatz zu Gross und vielen anderen jedoch sieht Chodakiewicz nicht im Antisemitismus die vorrangige Triebfeder dafür, dass Polen an der Ausbeutung von Juden partizipierten, diese drangsalierten oder gar ermordeten. In der Zeit der deutschen Besatzung spricht er von spontanen Reaktionen auf von den Nationalsozialisten geschaffene aktuelle Ereignisse und Bedingungen. Auch unter sowjetischer Besatzung sei der Antisemitismus sekundär wirksam gewesen, obgleich das Vorurteil einer Kollaboration der Juden mit den kommunistischen Machthabern stets virulent blieb. Die 75 bis 150 Juden beispielsweise, die von Kommunisten während der deutschen Besatzung getötet worden sind, seien überwiegend nicht auf Grund der Tatsache verfolgt worden, dass sie Juden waren, sondern vielmehr im Zuge von Säuberungen innerhalb der kommunistischen Widerstandsbewegung.5

Chodakiewicz stützt seine Untersuchung auf eine breite Quellen- und Literaturgrundlage, konnte allerdings Geheimdienstunterlagen der sowjetischen Machthaber nicht einsehen. Die Fülle des Materials findet aber leider häufig keinen Eingang in die Erzählung. Sie bleibt in den sehr umfangreichen Anmerkungen „versteckt“, so dass die Darstellung recht kompakt, bisweilen abstrakt, ist. Mehr Lust am Erzählen und Ausbreiten der Quellen wäre sicher wünschenswert gewesen. Die Studie umfasst einen Anhang von fast 100 Seiten mit Statistiken und Tabellen zu den verschiedensten Aspekten des Untersuchungsgegenstandes, die in ihrer überbordenden Fülle zum Teil zum Selbstläufer geworden zu sein scheinen.

Anmerkungen:
1 Zur deutschen Besatzungspolitik und den Tätern im Distrikt Lublin vgl. Pohl, Dieter, Von der „Judenpolitik“ zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939-1944, Frankfurt/ Main 1993. Musial, Bogdan, Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944, Wiesbaden 1999. Vgl. hierzu die Rezension von Andrea Löw für H-Soz-u-Kult (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=497).
2 Jan Tomasz Gross hat sich in seiner Studie über die polnische Gesellschaft unter der deutschen Besatzung im wesentlichen auf die polnische Mehrheitsbevölkerung beschränkt. Vgl. Gross, Jan Tomasz, Polish Society unter German Occupation. The Generalgouvernement, 1939-1944, Princeton 1979.
3 Zur Kollaboration im deutsch besetzten Polen zuletzt: Friedrich, Klaus-Peter, Zusammenarbeit und Mittäterschaft in Polen 1939-1945, in: Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 19 (2003), S. 113-150.
4 Zur Kontroverse vgl. Henning, Ruth (Hg.), Die „Jedwabne-Debatte“ in polnischen Zeitungen und Zeitschriften. Transodra 23, Dezember 2001. Das Institut für nationales Gedenken (IPN) brachte 2002 ein zweibändiges Werk mit Studien und Dokumenten heraus: Machcewicz, Paweł; Krzysztof Persak (Hgg.), Wokół Jedwabnego, 2 Bände, Warschau 2002. Eine schmale Auswahl daraus ist auf deutsch erschienen: Dmitrow Edmund u.a., Der Beginn der Vernichtung. Zum Mord an den Juden in Jedwabne und Umgebung im Sommer 1941. Neue Forschungsergebnisse polnischer Historiker, Osnabrück 2004. Vgl. auch Sauerland, Karol, Polen und Juden. Jedwabne und die Folgen, Berlin 2004. Sauerland referiert im wesentlichen die Forschungsergebnisse des IPN. Zu Aspekten des polnisch-jüdischen Verhältnisses in Warschau zuletzt: Engelking, Barbara, „szanowny panie gistapo”. Donosy do władz niemieckich w Warszawie i okolicach w latach 1940-1941, Warszawa 2003 [„Sehr geehrter Herr Gestapo”. Denunziationen an die deutschen Behörden in Warschau und Umgebung]. Grabowski, Jan, "Ja tego Żyda znam!" Szantażowanie Żydów w Warszawie, 1939-1943, Warszawa 2004 [„Ich kenne diesen Juden!” Erpressung von Juden in Warschau].
5 Zum polnisch-jüdischen Verhältnis nach dem Krieg vgl. Chodakiewicz, Marek Jan, After the Holocaust. Polish-Jewish Conflict in the Wake of World War II, Boulder 2003.

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