H. Trischler u.a. (Hgg.): Geschichte des Deutschen Museums

Cover
Titel
Geschichte des Deutschen Museums. Akteure, Artefakte, Ausstellungen


Herausgeber
Trischler, Helmuth; Füßl, Wilhelm
Erschienen
München 2003: Prestel Verlag
Anzahl Seiten
456 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Rauschenberger, Frankfurt am Main

Eine Monografie zur Geschichte des Deutschen Museums war lange ein Desiderat. Nun nach jahrelanger Vorarbeit ist sie zum 100. Geburtstag des Museums im Jahr 2003 erschienen. Dabei nahmen sich die Herausgeber vor, keine Festschrift im Sinne einer bloßen Erfolgsgeschichte des Deutschen Museums zu erstellen. Es sollte eine kritische Arbeit werden, die einen „reflektierende(n) Beitrag zur Selbstvergewisserung der eigenen Institution in ihrem historischen Gewordensein im 20. Jahrhundert“ (S. 7) leistet, eine Arbeit, die das „wandelnde Verhältnis von institutioneller Autonomie und gesellschaftlicher Prägung“ (S. 8) behandelt, ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Deutschen Museums also. Zu diesem Zweck wurde der Band geteilt: Der erste Teil folgt der Zeitachse und schildert die Umstände des Museums von seiner Entstehung bis heute. Der zweite Teil verläuft quer zur Zeitachse und analysiert anhand von Einzelthemen besondere Aufgaben und Schwierigkeiten einer speziellen Disziplin in dem jeweiligen zeitlichen Umfeld. Soweit der Plan.

Wie in anderen Sammelbänden divergiert auch in diesem Band die Qualität der Beiträge sehr. In seinem vorgeschalteten Einleitungskapitel schlägt Wolf Peter Feldhammer eine Brücke von den Aufgaben der Anfangsjahre des Deutschen Museums bis zur aktuellen Situation, die er als Orientierungslosigkeit diagnostiziert. Gelang es um die Jahrhundertwende ohne Mühe, das Publikum für die unprätentiöse neue Institution zu begeistern, geht es heute darum, Sammlungsschwerpunkte zu setzen, Kontexte und Interpretationen anzubieten und neue Ausstellungsformen zu entwickeln.

Die beiden folgenden Beiträge von Wolfhard Weber und Wilhelm Füßl befassen sich mit der Vorgeschichte des Deutschen Museums bzw. mit dessen Gründung und Aufbau. Sie erläutern historisch bedingte konzeptionelle Aspekte, die beim Aufbau eines Technikmuseums mit nationalem Anspruch zum Tragen kamen. Auch die zeitgenössische öffentliche Haltung zur Technik spielt in diesen Beiträgen eine Rolle und gibt den Autoren Hinweise zur Interpretation des Erfolgs des Museums. So ist es beispielsweise überraschend und lehrreich zugleich, dass Technikmuseen mühsam um Akzeptanz ringen und ihre Ansprüche gegenüber den historischen und Kulturmuseen erst durchsetzen mussten. Weiß man das, wundert es weniger, dass sie sich in ausstellungstechnischen Fragen diesen beiden dominierenden Museumstypen anglichen und kulturhistorische Ensembles schufen, die den Zeitgeschmack trafen. Die Rückbeziehungen auf gesellschaftliche Prozesse entspricht der Aufgabenstellung des Sammelbandes und ist sehr hilfreich für das Verständnis der Entwicklung der Technikgeschichte.

Schon im nächsten Beitrag jedoch wird das Museum aus der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung herausgelöst. Für den Historiker befremdlich ist die eigenwillige Periodisierung, die Eve Duffy vornimmt. Ihr Beitrag heißt „Im Spannungsfeld von Selbststeuerung und Fremdbestimmung 1925 – 1944“ und suggeriert, dass das Deutsche Museum im Jahr 1933 keine Zäsur zu erleiden hatte. Immerhin hatte der sehr prägende Gründungsvater Oskar von Miller sich 1933 aus dem Museumsbetrieb zurückgezogen, weil er mit den nationalsozialistischen Machthabern in Konflikt zu geraten drohte. Zwar mag es in der Würdigung richtig sein, dass Millers Nachfolger Hugo Bruckmann sich wenig in die inneren Angelegenheiten des Museums einmischte. Dennoch bleibt unbestritten, dass in der Person Bruckmanns ein Nazi die Leitung des Museums übernahm, der eine Ausstellung wie „Der ewige Jude“ 1937 in den Räumen des Museums tolerierte und der den ambitionierten Mitarbeiter Fritz Todt einstellte, der im Sinne der rassischen Ideologie auf die Erforschung und Ausstellung „deutscher Technik“ drang. Die integre Persönlichkeit Millers und vieler seiner Mitarbeiter soll nicht in Frage gestellt werden, aber Fragestellungen derart, inwieweit sich die Interessen des Museums mit denen der kriegsvorbereitenden Parteistellen trafen, müssen erlaubt sein, wenn man sich mit der Geschichte des einzigen prominenten deutschen Technikmuseums beschäftigt. Die Förderung bestimmter kriegsrelevanter Techniken hätte auch in dem Aufsatz zum Ersten Weltkriegs bereits eine Rolle spielen müssen. Ein kritischer Beitrag zur Faszination durch Kriegstechnik am Beispiel der U 1 etwa hätte eine solche Lücke schließen können.

In weiten Strecken liest sich daher dieser erste Teil des Buches, der die interne Sicht auf die baulichen, administrativen, finanziellen und inhaltlichen Umstände des Deutschen Museums bieten soll, als unkritische Erfolgsgeschichte, wie sie die Herausgeber gerade nicht produzieren wollten.1

Detailbesessenheit und zu große Nähe zum Gegenstand spricht aus dem Beitrag von Otto Mayr, der sich mit der Wiederaufbauphase zwischen 1945 und 1969 befasst. Zu lernen ist hier, dass das Deutsche Museum nach seiner Zerstörung nur unter Schwierigkeiten wieder aufgebaut werden konnte – eine nach den Umständen der Zeit triviale Feststellung. Zu lernen ist nichts über Entnazifizierungsverfahren der Mitarbeiter; das Festhalten an den alten Museumskonzeptionen wird nicht mit der allgemeinen Abwehr der Deutschen in Verbindung gebracht, erinnerungspolitisch die Verantwortung für die NS-Zeit zu übernehmen. Auch ein Technikmuseum hätte hier Akzente setzen können, hat es aber nicht. Stattdessen listet Mayr die Abfolge der Vorstandsvorsitzenden auf und nennt die verschiedenen Bauabschnitte des Wiederaufbaus.

Auch der Text von Eva A. Mayring zur Konsolidierungsphase zwischen 1970 und 2000 trägt diese Merkmale. Sie schreibt keine Problemgeschichte des Deutschen Museums, keine Geschichte der veränderten Erwartungshaltung an ein solches Museum innerhalb von dreißig Jahren. Der Beitrag ist eine Chronologie der Ereignisse ohne Rückschlüsse auf die Kulturgeschichte der Zeit. Etwa die Frage, warum Militär- und Kampfflugzeuge sowie die ganze Flugwerft sich in den 1980er-Jahren zu einem Publikumsmagneten (S. 204) entwickelten, könnte man sich hier gestellt haben. Museumsdidaktisch wäre aus einer solchen Analyse einiges zu lernen.

Der zweite Teil geht thematisch in die Tiefe. Jobst Broelmann widmet sich der Abteilung Schifffahrt und Meereskunde, Elisabeth Vaupel beschäftigt sich mit der Chemieabteilung und Klaus Freymann schreibt über ein Kernstück des Museums: die Bergbauabteilung. Zu begrüßen ist bei diesen Artikeln, dass sie sich stärker mit konzeptionellen Fragen beschäftigen, die ja immer Publikumsreaktionen und -erwartungen berücksichtigen müssen und daher eine Reflexion der historischen Bedingungen sind. Bedauernswert wiederum ist, dass sie dies ausführlich nur für die Entstehungsphase des Museums tun. So interessant dies ist, so wenig ist grundsätzlich als Impuls für die Gegenwart daraus zu lernen. So sind die beiden letztgenannten Abteilungen im Kern unverändert bis heute so geblieben, wie sie waren. Das mag für den Bergbau durch den großen Erlebnischarakter der Abteilung gerechtfertigt sein, der heute wie vor hundert Jahren die Besucher quasi authentisch in die Stollen schickt. Jedoch sind hier und ganz sicher in der anfänglich stark kritisierten und ausstellungstechnisch schwer umsetzbaren chemischen Abteilung neue Erkenntnisse hinzugewonnen worden, die Chemie und Bergbau unter ganz anderen Aspekten beleuchten könnten. Wenn man aus vielen Gründen Ausstellungen nicht alle zehn Jahre auf den neuesten Stand bringen kann, so sollte es jedoch nicht daran hindern, Wunschziele und ausstellungsdidaktische Überlegungen zu formulieren. Susanne Köstering kam für die Naturkundemuseen zu der Beobachtung, sie konstruierten „dauerhaft Gemeintes: eine stabile Identität einer Gesellschaft, selbst wenn – oder gerade weil – diese sich im beschleunigten Wandel befand“.2 Möglicherweise ist diese Beobachtung auf die Technikmuseen zu übertragen, gerade weil sie nicht im Fokus gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen zu stehen scheinen.

Der Gemeinschaftsartikel von Wilhelm Füßl, Helmut Hilz und Helmuth Trischler schildert das Deutsche Museum als Schnittstelle zwischen Forschung, Geschichte, Sammlung und Ausstellung. Deutlich wird daraus, dass die Etablierung als Forschungseinrichtung viele Kräfte des Museums gebunden hat und heute noch bindet. In puncto Ausstellungswesen wird im Wesentlichen jedoch über neue Ausstellungstechniken nachgedacht, weniger über deren Inhalte und gesamtgesellschaftliche Bezüge. Gleichwohl wird in der Wahl der Sonderausstellungen deutlich, dass es hierzu Überlegungen gibt.3

„Das Museum als öffentlicher Raum“ reflektiert museumspädagogische Überlegungen seit der Gründung bis heute. Die Autoren (Jürgen Teichmann, Annette Noschka-Roos, Traudel Weber) beschäftigen sich darin mit der Frage, ob der Erlebnischarakter des Museums einem engeren Bildungsauftrag im Wege steht. Dieser Artikel ist bei aller Kenntnis vergangener Konzepte erfreulich gegenwartsorientiert und selbstkritisch und lässt hoffen, dass das Deutsche Museum bald wieder zu den innovativen Einrichtungen gehört, wie es das in seiner Anfangsphase einmal gewesen ist. Bernard S. Finn bescheinigt im letzten Beitrag des Bandes dem Deutschen Museum einen spürbaren Einfluss auf die internationale Museenlandschaft in dessen kreativer Zeit zwischen 1925 und 1939. In der Nachkriegszeit habe es geradezu „den Anschluss an die dynamische internationale Entwicklung“ (S. 402) verpasst.

Neben den im Bande gesammelten, bisher noch unveröffentlichten Details zur Geschichte des Deutschen Museums hätte man sich allerdings einen stärker selbstkritischen Bezug zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung gewünscht.

Anmerkungen:
1 Ähnlich schonend im Urteil über die NS-Zeit verfährt übrigens auch Dienel, Hans-Luidger, Das deutsche Museum und seine Geschichte, München 1998. Darin wählt er ebenfalls die Periodisierung 1925-1945 und schildert das Museum als konservativen Hort der Eliten aus Wissenschaft und Technik, die der NS-Ideologie getrotzt hätten, S. 60.
2 Köstering, Susanne, Natur zum Anschauen. Das Naturkundemuseum des deutschen Kaiserreichs 1871-1914, Köln 2003, S. 280.
3 So im Beitrag von Eva A. Mayring, in dem sie beispielsweise die Ausstellung „Eisbrechen“ als Auseinandersetzung mit der Polarforschung im Kalten Krieg nennt, aber auch die „Zwischen Himmel und Hölle“ als problembewusste Darstellung von Forschung und Technik, S. 206.

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