S. Merkenich: Grüne Front gegen Weimar

Titel
Grüne Front gegen Weimar. Reichs-Landbund und agrarischer Lobbyismus 1918-1933


Autor(en)
Merkenich, Stephanie
Reihe
Beitraege zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 113
Erschienen
Duesseldorf 1998: Droste Verlag
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 50,10
Rezensiert für H-Soz-Kult von
René Schiller, Institut f. Geschichtswissenschaft, Ernst-Reuter-Platz 3, Tel 17/3, Technische Universität Berlin

Obwohl der Reichs-Landbund (RLB) bereits in einer Vielzahl von Studien behandelt worden ist und daher ueber die generellen Entwicklungslinien dieses maechtigen agrarischen Interessenverbandes in der Weimarer Republik vielfaeltige Kenntnisse vorliegen, fehlte bislang eine umfassende ausschliesslich diesem Thema gewidmete Monographie. Diese Luecke zu schliessen, tritt die erweiterte Duesseldorfer Dissertation von Stephanie Merkenich an. Als explizites Ziel der Arbeit wird eine 'integrative' oder 'sozialgeschichtlich erweiterte' Politikgeschichte benannt, in der 'der Handlungssphaere Politik ein eigener Stellenwert zugemessen wird'. Der vielschichtige Transformationsprozess von gesellschaftlichen Intentionen in politisches Handeln soll durch eine Synthese von verbandspolitischen, oekonomischen und sozio-strukturellen Elementen naeher untersucht werden.

Nach einem kurzen Abriss der historischen Genese agrarischer Interessenpolitik skizziert die Verfasserin zunaechst die Gruendungsgeschichte des RLB. Sie zeigt dabei, dass der Zusammenschluss des Bundes der Landwirte (BdL) mit dem weiten Spektrum der Land- und Bauernbuende, keine unproblematische Vereinnahmung letzterer darstellte. Die Unzufriedenheit mit der eng an die Konservativen angebundenen traditionellen - vor allem in Ostelbien maechtigen - Interessenvertretung war auch ein Ausdruck baeuerlichen Selbstbewusstseins, welches im Zusammenhang mit Organisationsschwaechen des BdL dazu fuehrte, dass letzterer mit der Dynamik der Landbuende nicht Schritt halten konnte. Deshalb war der RLB trotz personeller und organisationstechnischer Kontinuitaeten keine direkte Nachfolgeorganisation des BdL. Dies spiegelte sich besonders auch in der starken Position der Provinzal-Landbuende gegenueber der Zentrale wider. Diese strukturellen Veraenderungen innerhalb der Interessenvertretung fuehrten dazu, dass ein Teil der Fuehrungspositionen in den Kreisen und Provinzen nicht mehr von adligen Honoratioren, sondern von Bauern oder auch buergerlichen Grossgrundbesitzern uebernommen wurden. Die Demokratisierung des Aemterzugangs und die Pluralisierung innerhalb des Verbandes fuehrten zum Rueckzug von Teilen des Adels aus dem RLB, der bis in die Krisenjahre der Republik anhielt. Diese Tendenz spiegelte sich jedoch in der Fuehrung des RLB bzw. der ostelbischen Provinzalvorstaende nur begrenzt wider, da hier nach wie vor die Grossgrundbesitzer dominierten. Leider bleibt uns ein genauerer Einblick in die Gewichtsverteilungen unterhalb der Berliner Verbandszentrale, auf Grund einer expliziten Absage der Verfasserin an statistische Methoden zu Gunsten 'klassischer hermeneutischer Interpretation' verwehrt.

Der RLB war nicht nur als Interessenvertretung der Landwirte, sondern auch als umfangreicher Serviceleister attraktiv. Welches Gewicht dagegen die Programmatik und Ideologie des Verbandes fuer die Mitgliedschaft hatte, ist heute nur schwer zu ueberblicken und bei einer Konzentration auf das Handeln der Fuehrung kaum zu klaeren. Nicht nur die vorliegende Studie zeigt dabei, dass es innerhalb des RLB ein weitgespanntes Spektrum von ideologischen Versatzstuecken und Handlungsweisen gab. Bis zum Sieg des Hugenberg-Fluegels in der DNVP besassen gouvernementale Kraefte, die auf Regierungsbeteiligung draengten, weitgehend die Oberhand. Dagegen konnte sich die fundamentaloppositionelle Gruppe erst mit dem Fortschreiten der Agrarkrise durchsetzen. Diesem Wechselspiel der internen Interessenauseinandersetzung entsprach das Verhaeltnis zu den politischen Parteien. Waehrend lange Zeit regionale Praeferenzen zur DNVP oder zur DVP bestanden, war die Unterstuetzung der Christlich-Nationalen Bauernpartei durch Teile der RLB-Fuehrung am Ende der Weimarer Republik nur ein kurzes Intermezzo. Die landwirtschaftliche Entwicklung war fuer die Radikalisierung des 'Landvolkes' von entscheidender Bedeutung. Dabei kam es durch die Inflation zunaechst einmal zu einer weitgehenden Entschuldung. Gleichzeitig fuehrte die angespannte Situation auf dem Nahrungsmittelmarkt zu hohen Preisen. Mit dem Ende der 'Zwangswirtschaft' und der Oeffnung Deutschlands fuer auslaendische Produkte geriet die Landwirtschaft jedoch unter erheblichen Druck, der u. a. durch ein verfuenffachtes Steuervolumen sowie hoehere Loehne und Lohnnebenkosten noch verstaerkt wurde. Als dann gegen Ende der zwanziger Jahre die Weltmarktpreise einbrachen, fuehrte dies zu einer nicht nur in der Wahrnehmung der Landwirte bedrohlichen Situation.

Bei der Analyse der Ursachen fuer die krisenhafte Situation in der Landwirtschaft folgt die Verfasserin dann jedoch teilweise unkritisch Topoi, die aus der buergerlich-aufgeklaerten Adelskritik stammen und aus naheliegenden Gruenden innerhalb der sozialdemokratischen Argumentation uebernommen wurden. An die Stelle eines plausiblen multikausalen Erklaerungsansatzes, der neben exogenen Faktoren auch die Inflexibilitaet von Teilen der Landwirte in Rechnung stellt, treten in dieser Sicht nur schwach belegte Vorstellungen aus dem Bildersaal der 'Junkerkritik'. Dazu gehoert z.B. der Vorwurf der 'leichtfertigen' Kreditaufnahme mit dem Ziel des Luxuskonsums. Die Annahme, dass sich hunderttausend Landwirte aller Groessenordnungen in einer oekonomisch unsicheren Zeit 'leichtfertig' verschuldeten, laesst sich jedoch ebensowenig belegen wie der pauschale Vorwurf 'bornierter Halsstarrigkeit' ostelbischer Landwirte bei der Wirtschaftsplanung. Grosse Teile der Landwirtschaft waren innerhalb eines so kurzen Zeitraumes aufgrund restriktiver Bedingungen tatsaechlich nicht in der Lage einen radikalen Strukturwandel ohne die dafuer notwendigen finanziellen Mittel - die durch Inflation, Kreditmangel und erhoehte Ausgabenbelastung fehlten - vorzunehmen.

Wie nicht anders zu erwarten, muss in einer Arbeit ueber den RLB die Radikalisierung der laendlichen Bevoelkerung und ihrer Interessenvertretungen einen breiten Raum einnehmen. Dabei zeigt die Verfasserin, dass die Verbandsspitzen von den eruptiven Ausbruechen des Unwillens der Basis ueberrascht wurden und beim Versuch, die Kontrolle darueber zu erlangen, ebenfalls immer radikaler wurden. Als sich abzeichnete, dass die staatlichen Stuetzungsmassnahmen nicht ausreichten, um die einschneidenden Folgen der Agrarkrise abzufangen, wurde die bis dahin tonangebende gouvernementale Fuehrung des RLB zugunsten einer auf massive Staatsintervention und ein praesidiales Systems orientierenden Spitze ersetzt. Parallel zum Umschwung in der Verbandsspitze setzte sich der Verfall auch in der parteipolitischen Zersplitterung fort, die zu starker Verunsicherung der Basis und einem letztlich von den Nationalsozialisten ausgefuellten Machtvakuum fuehrte. Zeitgleich mit dem Rueckzug oder Austritt der gemaessigten Kraefte begann eine organisatorische Unterwanderung des RLB durch die NSDAP, deren agrarpolitischer Fuehrungsfunktionaer Darre vorrangig auf die ideologische und organisatorische Eroberung der unteren Verbandsstrukturen orientierte. Der Dynamik der neuen Bewegung, die sich nur sehr begrenzt auf die alten Fuehrungsgruppen des Verbandes stuetzte und die es verstand, in hohem Masse die baeuerlichen Mitglieder zu gewinnen, unterlagen die meisten Provinzialverbaende. Nur die baeuerlich dominierten Verbaende in Bayern (Franken) und Thueringen vermochten sich aufgrund regionaler Besonderheiten und sozialer Praeferenzen ihrer Fuehrungspersoenlichkeiten gegenueber der Infiltrationstaktik der NSDAP bei starken Verlusten zu behaupten. Einen anderen Weg ging der von Grossgrundbesitzern dominierte Verband in Pommern. Hier wurden die Nationalsozialisten durch geschickte Strategien lange Zeit zu Juniorpartnern degradiert und damit die Uebernahme des Provinzialverbandes verhindert. Nach der Eroberung der meisten Provinzen konnten die Nationalsozialisten die Fuehrung des RLB, die z. T. bereits in das Lager der Sieger gewechselt war, problemlos uebernehmen und umgestalten.

Als Hauptursachen fuer die Eroberung des laendlichen agrarkonservativen Milieus durch den Nationalsozialismus kristallisieren sich erneut die politische Schwaeche und die nationalistische Anfaelligkeit des protestantischen Konservatismus, die Politisierung der baeuerlichen Bevoelkerung durch die Agrarkrise und das taktische Geschick der NSDAP heraus.

Der Arbeit liegen eine Vielzahl von Archivbestaenden, vor allem das RLB-Verwaltungsarchiv und das Pressearchiv sowie verschiedene persoenliche Nachlaesse, darunter der heute der zeitgeschichtlichen Forschung nicht mehr zugaengliche Bestand der Familie v. Arnim in Potsdam zu Grunde. Die Studie bestaetigt auch auf dieser Grundlage die bekannten Entwicklungen und Urteile. Sie zeigt, dass die 'laendlichen Massen' sowohl nach dem Weltkrieg bei der Bildung der Bauernbuende als auch am Ende der Weimarer Republik, die Fuehrungsschichten erst des BdL, dann des RLB aktionistisch ueberrollten und die Versuche, diese Bewegung zu kontrollieren oder zu pazifieren, nur begrenzt Erfolg hatten. Als fuer die deutsche Geschichte besonders problematisch erwies sich das bereits von anderen Studien (Pyta) festgestellte Problem, dass die partizipatorischen Tendenzen der laendlichen Bevoelkerung nicht durch ein staatsbuergerliches Bewusstsein domestiziert wurden.

In ihren Aussagen ueber die Rolle und das politisches Gewicht der Grossgrundbesitzer folgt die Verfasserin neueren Forschungsergebnissen, wie etwa der Arbeit von R. Pomp zum brandenburgischen Adel, in denen die aelteren Generalanklagen ebenso wie Generalamnestien vermieden und durch eine differenziertere Analyse einzelner Gruppen und Personen abgeloest werden. Neue Erkenntnisse ueber die Rolle der 'konservativen' agrarischen Eliten werden nur auf diesem Wege zu gewinnen sein. Auch wenn die Vertreter eines gouvernementalen Kurses im RLB kaum ein positives Verhaeltnis zur Republik aufbauten, bewegten sie sich doch weitgehend auf dem Boden der Verfassung, um die bestmoeglichen Konditionen fuer ihre Klientel zu erreichen. Den Uebergang zur NSDAP vollzog eine in ihrem Umfang bislang immer noch unbekannte Anzahl der Vertreter dieser Gruppe nicht mit. Einem Buendnis mit der nationalsozialistischen 'Bewegung' verschloss sich dagegen wahrscheinlich nur der kleinere Teil. Hier sind allerdings noch tiefergehende Untersuchungen, die sich nicht auf den kleinen Fuehrungskreis beschraenken, notwendig. Auch sieht es gegenwaertig so aus, als ob ein in seiner Groesse bislang ebenfalls unbekannter Kreis von grossgrundbesitzenden Adligen, den auf Massenfuehrerschaft bedachten NS-Aktivisten innerhalb des eigenen Standes eher ablehnend gegenueberstand. Eine differenzierende Beantwortung der Frage, wie 'der Adel' sich dem Nationalsozialismus gegenueber verhielt, steht jedoch immer noch aus. Eine bedeutende Rolle im Prozess der 'Machtuebergabe' an die Nationalsozialisten spielten dagegen, die im Zuge der Orientierung auf Hugenberg die Fuehrung im RLB uebernehmenden, nationalkonservativen Gegner des 'Systems von Weimar', die vor allem vom Grossgrundbesitz gestellt wurden. Ihre Unterstuetzung der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, die auf einer Fehleinschaetzung der politischen Lage beruhte, fuehrte mit zur Zerstoerung der Republik. Eine der Vorbedingungen dafuer war allerdings auch die Zersplitterung der parteipolitischen Praeferenzen der gouvernementalen Vertreter in der RLB-Fuehrung.

Die Arbeit von Stephanie Merkenich stellt uns eine umfangreiche verbandsgeschichtliche Studie zum RLB zur Verfuegung. Die Zielsetzung einer integrativen Politikgeschichte wird jedoch nur teilweise erfuellt. Neben den angemerkten Maengeln der agrargeschichtlichen Dimension bleiben die Protagonisten in der RLB-Fuehrung weitgehend schemenhafte Gestalten. Die Voraussetzungen ihres Handelns, ihre Einbindung in verschiedene soziale Umfelder, ihre regionalen Praegungen und vieles mehr, das sich wahrscheinlich nur ueber einen staerkeren biographischen Zugriff erschlossen haette, werden kaum deutlich. Eine schematische Eingliederung in Grossgruppen wie Junker oder Bauern, reicht zur Erklaerung politischen Handelns nicht aus. Erst die weitere Differenzierung dieser Megazuordnungen und ihre analytische Zerlegung in kleinere Einheiten bis hin zu Personen wird den Blick auf die Handlungsebene ermoeglichen.

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