Cover
Titel
Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte


Autor(en)
Steinbacher, Sybille
Reihe
C.H. Beck Wissen
Erschienen
München 2004: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S., 1 Abb., 5 Karten und Pläne
Preis
€ 7,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hartmut Ziesing, Internationale Jugendbegegnungsstätte Auschwitz/Oświęcim

Sybille Steinbachers Band „Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte“ erscheint in der Reihe „C.H. Beck Wissen“ – im Bereich Geschichte neben Titeln wie „Das Zeitalter der Aufklärung“ und „Die Azteken“. Beim Rezensenten, der am Ort des Geschehens für Bildungsarbeit zu diesem Thema verantwortlich ist, löst dieses Faktum zunächst ein gewisses Unbehagen ob der fortschreitenden Historisierung des Themas Auschwitz aus. Könnte demnächst auch ein Band „Abiturwissen: Auschwitz“ erscheinen, der Schülern dann zur Vorbereitung auf ihre Abschlussprüfung dient? Dies soll keine Polemik sein – den Umstand der Historisierung verantworten weder die Autorin noch der Verlag. Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich Auschwitz und die Folgen aus dem (gegenwärtigen) zeitgeschichtlichen zunehmend in den (abgeschlossenen) historischen Kontext verschieben und somit auch Bücher wie das vorliegende erforderlich machen.

Im Rahmen der Vorgaben der Buchreihe (begrenzter Umfang und Verzicht auf einen wissenschaftlichen Fußnotenapparat) gelingt es Steinbacher, einen genauen und auf das Wesentliche beschränkten Überblick über die Geschichte der deutschen Besatzung in der Stadt Auschwitz sowie zum Konzentrations-, Arbeits- und Vernichtungslager zu geben. Zu Recht sieht sie Auschwitz als Brennpunkt der beiden ideologischen Leitgedanken des NS-Regimes: als Schauplatz des Massenmordes, vor allem an den europäischen Juden, und als Kristallisationspunkt der Siedlungs- und Germanisierungspolitik (S. 8). Die im Wesentlichen chronologische Darstellung der Lager- und Stadtgeschichte verbindet beide Ebenen konzeptionell und zeitlich.

Steinbacher referiert kurz die Geschichte der Stadt bis zum deutschen Überfall auf Polen (Kapitel I) und stellt im Kapitel IV die Pläne der Nationalsozialisten für die so genannte „Musterstadt“ Auschwitz vor. Dabei wird deutlich, dass Auschwitz nicht „weit ab“ war, nicht „dahinten in Polen“ lag, wie der Lagerkommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, in seinen autobiografischen Aufzeichnungen schrieb1 und wie es bis heute wahrgenommen wird. Auschwitz wurde nach dem Angriff auf Polen in das Deutsche Reich eingegliedert, und Steinbacher hebt hervor, dass das größte Vernichtungslager sich somit auf deutschem Boden befand (S. 18). Zutreffend beschreibt sie die Pläne und die beginnende Umsetzung für die „Germanisierung“ der Stadt. Lediglich im Abschnitt „Öffentlichkeit und Verbrechen“ (S. 59-63) fehlt gelegentlich die nötige Genauigkeit: So bezeichnet Steinbacher eine Silvesterfeier der deutschen Bewohner im Jahr 1943 als „rauschendes Fest“ und begründet damit, dass die private Lebenswelt der Reichsdeutschen unangetastet blieb (S. 60). Dies ist – auch durch die fehlenden Quellenangaben – etwas spekulativ, zumal „der süßliche Gestank verbrannten Fleisches“ aus den Krematorien „zu penetrant war, um nicht wahrgenommen zu werden“ (S. 62). Die Normalität des Lebens in Auschwitz außerhalb des Lagers war vermutlich keine tatsächliche Normalität. Allerdings kommt Steinbacher zu dem richtigen Schluss, dass man sich auch mit dem Wissen von der systematischen Tötung mit dem Massenmord arrangieren konnte.

Die Kapitel II und III sind dem Konzentrationslager Auschwitz bzw. den IG Farben und dem Arbeitslager Monowitz gewidmet. Steinbacher ordnet Auschwitz zunächst in das NS-Lagersystem ein und schreibt dann über die Häftlinge und die Lager-SS. Im III. Kapitel stellt sie die Entstehung der IG- Farben-Werke genau dar und beschreibt das Lager Monowitz mit dem dort herrschenden Prinzip der „Vernichtung durch Arbeit“. Beide Kapitel geben einen fundierten Überblick. Zu widersprechen ist der Verfasserin lediglich in der Einschätzung der SS: „Dass SS-Leute Massenmörder und liebende Familienväter gleichermaßen waren“, müsse „nicht verwundern“, so Steinbacher (S. 36). Dieser Umstand verwundert nicht nur, er verstört geradezu!

Ein kurzer Überblick zur Genese der „Endlösung der Judenfrage“ (Kapitel V) gelingt der Autorin gut, ebenso die Beschreibung des Aufbaus und der Rolle von Birkenau im Vernichtungsprozess (Kapitel VI). In der Darstellung der Funktion von Auschwitz-Birkenau als Vernichtungszentrum sowie auch im Kapitel VII über die Endphase bis zur Befreiung des Lagers sind alle wichtigen Fakten prägnant zusammengestellt.

Die abschließenden drei Kapitel beschäftigen sich mit der Nachkriegsgeschichte von Auschwitz. Kurz wird die Entwicklung von der Befreiung des Lagers und der Stadt bis zur Gedenkstätte skizziert. Nicht korrekt ist, dass das einstige Lager Monowitz Fabrikareal geblieben sei (S. 104). Das Lager befand sich außerhalb der damaligen IG-Farben-Werke auf dem Gebiet des früheren Dorfes Monowice. Nach 1945 kehrten die polnischen Bewohner wieder auf ihren Boden zurück, und an das Lager erinnert heute ein Gedenkstein, den die Einwohner des Ortes in privater Initiative aufgestellt haben. Ein weiteres Denkmal für die Opfer von Monowitz steht heute vor dem Gelände der Oświęcimer Chemiewerke.

Der Frage der Zahl der Opfer widmet Steinbacher einen ausführlicheren Abschnitt, wobei sie die Entwicklung und die Ergebnisse der historischen Forschung richtig darstellt. Die vielen anderen Konflikte rund um die Gedenkstätte benennt Steinbacher dagegen nicht. Dabei wäre eine Erläuterung der Nachkriegsgeschichte der Gedenkstätte und ein Hinweis beispielsweise auf den Streit um religiöse Symbole (wie das so genannte „Papstkreuz“ und das einstige Karmelitinnenkloster auf dem Gelände der Gedenkstätte) oder den Konflikt um einen so genannten „Supermarkt“ durchaus aufschlussreich.

Das Kapitel IX widmet Steinbacher der juristischen Aufarbeitung von Auschwitz. Hier weicht die Autorin erstmals von ihrem Prinzip ab, den konkreten Ort Auschwitz in das Zentrum zu stellen, da diese Prozesse alle nicht in Oświęcim stattfanden. Am Tatort wurde 1947 nur das Todesurteil gegen den einstigen Kommandanten Rudolf Höß vollstreckt, und im Rahmen der Frankfurter Auschwitz-Prozesse fuhr eine Gerichtsdelegation nach Oświęcim, um das Gelände in Augenschein zu nehmen. Die Bedeutung dieses Ortstermins über das eigentliche Gerichtsverfahren hinaus wie auch generell die öffentliche Wirkung des Verfahrens beschreibt Steinbacher überzeugend. Auf eine Reihe von Fehlern in der Darstellung der Frankfurter Prozesse hat Werner Renz in einer Rezension bereits hingewiesen.2

Unverständlich bleibt Steinbachers Entscheidung, das abschließende Kapitel allein der „Auschwitz-Lüge“ zu widmen. Die Wirkungsgeschichte von Auschwitz gerade in der Bundesrepublik Deutschland wird somit auf einen vergleichsweise marginalen (wenngleich nicht harmlosen) Aspekt beschränkt. Die Bedeutung von Auschwitz in politischen Debatten oder zum Beispiel für die Studentenbewegung wird gar nicht aufgegriffen. Ebenso wenig geht Steinbacher auf Fragen der literarischen, künstlerischen oder filmischen Auseinandersetzung mit Auschwitz ein. Unerwähnt bleibt auch die Rolle von Auschwitz im deutsch-polnischen Verständigungsprozess – die Arbeit von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ an diesem Ort hat seit den 1960er-Jahren einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Versöhnungsprozess zwischen beiden Ländern geleistet. Ein Kapitel über „Erziehung nach Auschwitz“ (Adorno) wäre ebenfalls erhellend gewesen.

Das Literaturverzeichnis ist ein guter Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit der Thematik. Schade ist nur, dass Steinbacher praktisch auf keine literarischen Werke ehemaliger Häftlinge hinweist, beispielsweise von Imre Kertész oder Ruth Klüger. In diesem Zusammenhang kann auch das Vorwort unter der Überschrift „Das war Auschwitz“ kritisiert werden: Anstelle der eher unpersönlichen Zusammenfassungen Steinbachers aus Häftlingsberichten wäre eine Passage etwa aus Tadeusz Borowskis „Bei uns in Auschwitz“ sehr viel aussagekräftiger gewesen – obgleich der Leser wohl immer noch nicht gewusst hätte, „was Auschwitz war“.

Trotz aller kritischen Anmerkungen: Steinbachers Buch ist eine gute, den Stand der Forschung widerspiegelnde Darstellung der Geschichte der Stadt und des Lagers Auschwitz. Ungeachtet der Kürze wird die Komplexität des Themas deutlich. Insbesondere für Leser, die einen ersten Überblick zu Auschwitz suchen, ist das Buch sehr zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Höß, Rudolf, Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen, hg. von Martin Broszat, München 1963 (zuerst 1958), S. 90f.
2 Vgl. <http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/07/5528.html>.

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