M. Clauss: Herrscherkult im Römischen Reich

Titel
Kaiser und Gott. Herrscherkult im Römischen Reich


Autor(en)
Clauss, Manfred
Erschienen
Stuttgart 1999: K.G. Saur
Anzahl Seiten
597 S., 50 Abb.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido O. Kirner, Berlin

Das dickleibige Buch des Frankfurter Althistorikers Manfred Clauss dient der Darlegung einer kurzen These: "Der römische Kaiser ist bereits als Mensch Gottheit." (13) Die allgemeine Zielsetzung des Buches besteht darin, den Kaiser als lebenden Gott vor dem Hintergrund des antiken Religionsverständnisses ernst zu nehmen und folglich den Kaiserkult nicht auf eine politische Loyalitätsbekundung oder Unterwerfungsgeste zu verengen, sondern als zentralen Bestandteil antiker Frömmigkeit zu begreifen. Clauss legt den Schwerpunkt hierbei vor allem auf den lateinischen Westen des Römischen Reiches, da es für den griechisch-östlichen Teil bereits die hervorragende Darstellung von Price gibt.1

Die Gegner von Clauss sind im Umkehrschluß zu seiner Zielsetzung schnell ausgemacht. Dazu gehören zum einem jene Forscher, die aufgrund eines christlich verzerrten Weltbildes die Göttlichkeit des Kaisers nicht als zentralen Bestandteil der damals praktizierten Religion begreifen wollen, wobei ihm vor allem das Werk von Fishwick2 als Negativfolie dient. Ferner gilt es auch gegen die in der Forschung weit verbreitete Unterscheidung zwischen deus und divus anzugehen, da diese synonym verwendet würden (356f.), so wie auch der Unterscheidung zwischen göttlich und gottähnlich keine substantielle Bedeutung beizumessen sei. Hinsichtlich der zeitgenössischen Quellen erweisen sich schließlich einerseits die philosophischen Schriftsteller als Problem, für die erst die Tugend den Kaiser zum Gott mache, sowie andererseits jene senatorischen Geschichtsschreiber, die sich (ganz abgesehen von spöttischen oder zynischen Bemerkungen einiger Kaiser selbst) allzu kritisch gegenüber einer Vergöttlichung des Kaisers äußerten. Als intellektuelle Minderheit dürften ihre Äußerungen in Relation zu den anderen Quellen - zumal der Inschriften - nicht überbewertet werden. Außerdem könnten die nicht seltenen Zurückweisungen göttlicher Ehren durch die Kaiser durchweg als ritualisierte Bescheidenheitsgesten zu Anfang ihrer Regierungszeit gedeutet werden.

Man würde sich in all dem nur zu gerne auf die Seite von Clauss stellen, dessen Anliegen für sich genommen plausibel und überzeugend ist, wenn er in seinen folgenden Darlegungen über die Masse seiner Belege hinaus auch zu sozial- und kulturhistorischen Erklärungen gelangen würde. Denn es ist keine falsche Bescheidenheit, wenn gegen Ende des Buches (496, vgl. 354f.) noch einmal betont wird, es gehe "in dieser Studie nahezu ausschließlich um die Beschreibung der göttlichen [unter Ausblendung der menschlichen] Natur des Herrschers, des göttlichen Aspekts im Kaiser". Das Wort 'Beschreibung' steht hier unter methodischen Gesichtspunkten dann auch größtenteils für eine antiquarisch-positivistische Auflistung und Ordnung des Quellenmaterials, insofern zunächst in einem ersten Teil Prädikate bzw. Attribute der Göttlichkeit oder Gottähnlichkeit in einer Unzahl von Belegen den Kaisern von Augustus bis in die Spätantike in ihrer chronologischen Abfolge zugeordnet, sodann in einem zweiten Teil nochmals nach bestimmten semantischen und rituellen Ausdrucksformen des Kaiserkultes systematisiert werden. So liest sich das Buch in weiten Teilen wie eine hypertrophe Fußnote zu der besagten Absicht, den Kaiser in seiner Eigenschaft als Gott darzustellen, wenn auf sechshundert Seiten hierfür zwar fast alles an einschlägigem Material angeführt, doch kaum etwas über den engen Problembereich der Quellen hinaus erklärt wird.

Freilich gibt es eine Einleitung, welche in die wichtigsten Charakteristika der antiken Religion kurz einführt. Mit etwas umständlich anmutenden Ausführungen wird erläutert, was anderswo mit Begriffen wie Anthropomorphismus, Polytheismus, Funktiongötter, Gemeinschaftscharakter, Orthopraxie (statt Orthodoxie) und Ritualismus präzise definiert ist. Man kann sich zudem des Eindrucks der Tautologie nicht erwehren, wenn die Göttlichkeit der Kaiser einfach damit erklärt wird, daß ihnen göttliche Ehren zuteil wurden. Auch wenn es richtig ist, daß Gesellschaftsleben, Religion und Politik im Herrscherkult untrennbar miteinander verschränkt sind, so muß dies ja nicht bedeuten, daß sich nicht Erkenntnis- und Deutungsgewinne erzielen ließen, wenn diese Bereiche analytisch zunächst voneinander getrennt betrachtet würden, um dem Leser dann ihren Zusammenhang überhaupt erst verdeutlichen zu können. Hierzu hätte es dann wohl auch eines religions- und herrschaftssoziologischen sowie symboltheoretischen Instrumentariums bedurft, wobei gerade das Buch von Price als Vorbild hätte dienen können.

Zentral für die Studie ist der Begriff der 'Gottheit'. Clauss definiert ihn knapp: Eine "Gottheit ist, wer einen Kult erhält" (23), d.h. eine Weihinschrift, einen Altar, heiligen Hain, Tempel, Priester oder ein Opfer; Gottheit ist auch, wer mit anderen Gottheiten zusammen verehrt wird oder einfach Gott (deus) bzw. Staatsgott (divus) genannt wird. (36) Eine Gottheit zeichnete sich nun dadurch aus, daß sie auf "Macht oder Mächte verwiesen, die außerhalb der eigenen Kontrolle lagen." (Wer oder was ist gemeint?) Ferner wird erklärt: "Der Umgang mit solchen Gottheiten entsprach im Prinzip dem normalen zwischenmenschlichen Miteinander" (Wie ist das dann mit der Kontrolle?). Dann heißt es wiederum, die Gottheiten zeichneten sich durch die Beherrschung der Naturmächte oder durch höhere Schönheit, Reinheit, Heiligkeit, Kraft oder Wundermacht aus und der Römer meinte die Wirkkräfte (numina) überall spüren zu können (Sind dies Dinge des normalen zwischenmenschlichen Miteinanders?). Außerdem schrieb man ihnen Schutzfunktionen für die Welt und das menschliche Leben zu. (19f.)

Wichtig ist nun aber die Tatsache, daß auch lebende Personen als Gottheiten verehrt wurden. Wesentlich ist diesbezüglich die herausragende Macht bzw. Wirkmacht. Man ahnt bereits, daß unter diesen Voraussetzungen kaum Personen eine größere innerweltliche Disposition für eine Verehrung als Gott aufweisen konnten, als die Kaiser selbst. Die Kaiser wurden dabei auf zweierlei Weise zu Göttern, zum einen zu Lebzeiten, indem sie als solche mit Beginn ihrer Herrschaft verehrt wurden, zum anderen aber auch über ihren Tod hinaus, falls sie mittels Senatsbeschluß oder Volksgesetz zum Staatsgott divinisiert sowie durch einen Magistraten (zumeist durch einen der nachfolgenden Kaiser selbst) konsekriert worden waren. Die römischen Kaiser waren zwar sterbliche Menschen, zugleich aber auch lebende, anwesende und sichtbare Götter, die nach ihrem Tod unsterblich wurden.

Daraus resultiert die Doppelnatur der Kaiser. Von einer zu strikten Trennung zwischen Menschlich und Göttlich aus der christlichen Tradition müsse man sich eben verabschieden, da zwischen dem Kaiser und einem Gott keine unüberwindliche Schranke existierte und sich der Übergang als fließend gestaltete. Was dann zu dieser, für das antike Religionsverständnis wesentlichen Tatsache ausgeführt wird (30f.), wirkt in seiner Beschreibung etwas unbeholfen, außer man weiß schon vorher, was gemeint ist. Ungereimtheiten werden aber schlicht damit erklärt, daß diese eben zur damaligen Zeit bestanden und sich diese Art der Religion eben nicht als kohärentes System begreifen lasse. Hier stellt sich die Frage, ob die analytischen Teile der Darstellung dem Dargestellten diesbezüglich entsprechen müssen.

Für die Darstellung werden nun die wenigen erhaltenen und daher auch ausführlicher interpretierten Schriften der Panegyrik in Stellung gebracht, dagegen die kritischen Äußerungen anderweitiger literarischer Quellen, zumal der senatorischen Geschichtsschreibung als elitäres Außenseitertum unter einer wahren Flut epigraphischer Belege begraben. Aufgelockert wird das Ganze, wenn zudem Münzen, Bilder und Büsten auf ihren symbolischen Gehalt hin untersucht werden, soweit sie der Göttlichkeit der Kaiser Ausdruck verleihen.

Im ersten chronologischen Teil werden nun auf beinahe zweihundert Seiten (41-215) unzählige Nachweise angeführt, wo die Kaiser als göttlich, gottgleich, gottähnlich oder eben als Gott bzw. Staatsgott bezeichnet werden. Eine zusammenfassende Periodisierung bestimmter Phasen der Vermehrung, Steigerung und Perpetuierung göttlicher Attribute für die Kaiser wäre zumindest am Schluß dieses Teils kein Schaden gewesen. Gleiches gilt für die Versuche, die Legitimität der kaiserlichen Herrschaft durch die Ausweitung der Ahnenreihe real-familiärer oder fiktiver göttlicher Ahnen an Staatsgöttern zu untermauern. Jedoch sind diese chronologischen Aspekte unverständlicherweise in den systematischen Teil eingeflochten worden (237ff., 360ff.). Wer es insgesamt durch den chronologischen Teil geschafft hat, verspürt eine Last, bei welcher ihm der karikierende Satz des Satirikers Iuvenal in bezug auf Kaiser Domitian in den Sinn kommen könnte (125), daß nämlich nach der allgemeinen Vorstellung, die Staatsgötter würden zu Sternen, dieser die Zahl der Sterne derart vermehrt habe, daß das Gewicht für Atlas erheblich schwerer geworden sei.

Um so mehr erhofft man sich also vom systematischen zweiten Teil des Buches. Dieser wird sich zweifelsohne in Zukunft (zusammen mit den Anhängen) als außerordentlich nützlich erweisen, da er auch als Nachschlagewerk gebraucht werden kann. In klarer Gliederung werden hier die göttlichen Schutzfunktionen und Wirkkräfte, sodann die speziellen Ehren und die den Kaisern zugesprochenen göttlichen Eigenschaften, ferner die Art ihrer bildlichen Verehrung sowie schließlich die für sie abgehaltenen Opferrituale und Kultfeiern (einschließlich des hierfür spezialisierten Personals) detailliert dargestellt.

Das spannendste Kapitel des Buches, welches sich auch deutlich von den anderen Teilen abhebt, behandelt die Stellung des Christentums zum Kaiserkult und umgekehrt (420-465). Prägnant verdeutlicht Clauss noch einmal (das bereits seit Gibbon bestehende) Postulat, die Entwicklung der christlichen Religion nicht zu sehr vom Eindruck der Historiographie einiger Kirchenväter und von den Martyrerakten abhängig zu machen. Hier gelingt Clauss eine überzeugende Argumentation, daß die scharfe Trennung zwischen Christen- und Heidentum mehr den theoretischen Wünschen einiger radikaler Kirchenväter als den realhistorischen Verhältnissen entsprach, da beides durchaus pragmatisch nebeneinander bestehen konnte.

Äußerst interessant ist Clauss' Abriß zu christlichen Begriffsumdeutungen (448ff.), wobei man "problemlos an längst etablierten Termini festhalten, gerade dadurch ein zumindest äußerliches Miteinander fördern [konnte], und doch wandelte sich allmählich die hinter den Begriffen stehende Wirklichkeit." (455) So wurde z.B. die in der materiellen Kultur verewigte divinitas von einem religiösen zu einem ästhetischen Kriterium und vormals bestehende Substantive erfuhren eine Adjektivierung (divus - divinus). Demnach vollzog sich also erst hier die sinnhafte Unterscheidung zwischen Gott und göttlich bzw. gottähnlich. Mit spürbarem Engagement schildert Clauss den verwickelten und pluralistischen Prozeß der Entstehung einer neuen Religion, "die mit ihren 'christlichen' Anfängen unter anderem noch den Namen gemeinsam hatte, in der aber immer stärker heidnische Elemente aufgingen." (464) Besonders die kurze Skizze des sich nur langsam verändernden Kaiserkultes vom 4. bis ins 6. Jh. gehört zu den anregendsten Passagen des Buches.

Sieht man einmal von den Ausführungen zum Verhältnis zwischen Christentum und Heidentum ab, so ist das Buch zum einen antiquarisch im positiven Sinn, da jeder, der sich mit dem Thema beschäftigen will, auf eine gute Zusammenstellung der Quellen zurückgreifen kann. Auch für Mediaevisten bieten sich hier fruchtbare Möglichkeiten für einen Rekurs.3 Zum anderen ist das Buch antiquarisch in einem negativen Sinn, weil mit der These von den römischen Kaisern als lebende Götter viele Fragen eigentlich erst anfangen und der Erklärung harren. Wie verhält es sich z.B. über die allgemeine Legitimationsfunktion hinaus mit der politischen und sozialkulturellen Relevanz der Vergöttlichung, zumal in Krisenzeiten bei konkurrierenden Herrschaftsansprüchen oder militärischen Niederlagen? Generell stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit der Funktion des Kaisers als Gott. Die reine Faktizität und Quantität der Quellenbelege vermögen die Qualität historischer Erklärungen und ihre methodische Problematisierung nicht zu ersetzen. Zum Schluß noch eine Marginalie: Wieso fehlt eigentlich ein Literaturverzeichnis, wenn doch an acht Sorten von Registern und einem Abbildungsverzeichnis nicht gespart wurde?

Anmerkungen:
1 S. R. F. Price (1984): Rituals and Power. The Roman Imperial Cult in Asia Minor, Cambridge.
2 D. Fishwick (1987-1992): The Imperial Cult in the Latin West. Studies in the Ruler Cult in the Western Provinces of the Roman Empire, 2 Bde. in 4, Leiden u.a.
3 Ich denke hier z.B. an die Frage des Gottesgnadentums der Herrscher, vgl. bei Clauss S. 354f. Clauss macht selbst (S. 115) auf zwei Standardwerke der Mittelalterforschung aufmerksam: Marc Bloch (1998, franz. Orig. 1924): Die wundertätigen Könige, München; P. E. Schramm (1937): Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Weimar. Desweiteren ließe sich die Frage aufwerfen, ob sich bei der Doppelnatur der Kaiser nicht bereits die Trennung der Unsterblichkeit des Amtes von der sterblichen Person aufzeigen ließe, etwa als eine Art Vorläufer der mittelalterlichen Lehre von den zwei Körpern des Königs, vgl. E. H. Kantorowicz (1990): Die zwei Körper des Königs ("The King's Two Bodies"). Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München.

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