Johannes Dillinger (Hg.), Zauberer - Selbstmörder - Schatzsucher

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Titel
Zauberer - Selbstmörder - Schatzsucher. Magische Kultur und behördliche Kontrolle im frühneuzeitlichen Württemberg


Herausgeber
Dillinger, Johannes
Erschienen
Trier 2003: Kliomedia
Anzahl Seiten
303 S.
Preis
19,90 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Kästner, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

„Dieses Buch ist gedacht als Einstieg in die historische Magieforschung für Historiker und historisch Interessierte.“ (S. 7) Anhand von drei Beiträgen zu Themen der Zauberei, des Suizids und der Schatzgräberei im frühneuzeitlichen Herzogtum Württemberg möchte der vorliegende Band nicht nur eine Einführung in ein überaus spannendes Feld der Frühneuzeitforschung bieten, sondern darüber hinaus Deutungen und Interpretationen liefern, die über den regionalen Rahmen hinaus Gültigkeit besitzen können. Der Band gliedert sich in eine knappe Einführung, drei thematisch voneinander abgegrenzte Aufsätze und eine knappe Auswahlbibliografie. Es sei zu Beginn der Besprechung angemerkt, dass ein fehlendes Register und ein unzureichendes Inhaltsverzeichnis die Orientierung im Band erschweren. Gleichwohl zeichnen sich alle Aufsätze durch eine präzise und nachvollziehbare Gliederung aus.

In seiner Einführung (S. 7-25) beschreibt Johannes Dillinger die soziale und wirtschaftliche Situation Württembergs zwischen dem 17. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Fokussiert werden dabei die frühzeitige „Durchstaatlichung“ (S. 10) des Herzogtums sowie die konfessionelle Einheitlichkeit und Integration der Kirche in den Organisationsapparat des württembergischen Territorialstaates. Eine Beschreibung der agrarischen Zersplitterung und eine Darstellung des für den Band relevanten Justizwesens rundet die präzise und verständliche Einleitung ab. Die territoriale Situation wird durch eine Karte (S. 6) verdeutlicht.

Vor dem Hintergrund der Volkskulturforschung der 1970er und 80er-Jahre und der neueren kulturwissenschaftlich orientierten Hexenforschung definiert Angelika Bachmann im ersten Beitrag Zauberei „als ein von der Gesellschaft konstruiertes und getragenes Phänomen“ (S. 29). Folgerichtig lehnt sie daher auch einen Untersuchungsansatz ab, der seine Logik aus rationalistischen Erklärungsmodellen des 21. Jahrhunderts zieht. Drei Schlüsselfragen (S. 34f.) liefern für ihren wahrnehmungsgeschichtlichen Ansatz ein Raster. Bachmann fragt den Intentionen des gesamten Bandes folgend nach der Rolle von Zauberei im Alltagsleben und im Zusammenhang mit den Lebensbedingungen des frühneuzeitlichen Menschen nach der Wahrnehmung und schließlich nach der Kriminalisierung von Zauberei. Malefizakten der Stuttgarter Zentralbehörde (Oberrat) liefern hier wie im Beitrag von Karin Schmidt-Kohberg die Quellengrundlage. Anhand von dreizehn exemplarischen Fällen aus dem Zeitraum 1623 - 1752 geht sie den oben genannten Fragen in ihren sozialen Bedingungen nach. Den bislang in der Forschung hypostasierten Mentalitätswandel des 18. Jahrhunderts, der sich in einer Abkehr von magischen Elementen des Alltagslebens ausgedrückt haben soll, hinterfragt sie dabei kritisch. Indem sie die verschiedenen, stets ambivalent gebrauchten Kategorien von Zauber (Schadenszauber etc.) auf ihre sozialen Ursachen und Grundlagen zurückführt und dabei stets eine sinnvolle Verknüpfung zu strukturellen Gegebenheiten wie Kriegseinflüssen findet, gelingt es ihr, ein anschauliches Bild der frühneuzeitlichen Gesellschaft zu zeichnen. Diese bereitete mit ihrem fragilen agrarökonomischen System den Boden für magische Deutungen. Zauberei wurde nicht als Ereignis, sondern als Motivation für Ereignisse wahrgenommen, weshalb sie oft im Zusammenhang mit anderen Delikten auftauchte (S. 51). Im Folgenden rekonstruiert sie die Gemengelage weltlicher und kirchlicher Normen, Verfahren in der abweichenden Praxis und Spielräume der zuständigen Amtspersonen. Die Beschränkung ihres Untersuchungsbereiches auf das Dorf als sozialer Kontext mindert jedoch die Reichweite ihrer Erklärungen – auf die Kleinstädte des Herzogtums geht sie nicht ein. Der sorgfältig herausgearbeitete funktionale Charakter der Zauberei erklärt für Bachmann auch das „Warum“ der Zauberei als Erklärungsmuster. Als Aspekt der Lebensbewältigung (wie Britta Echle bereits 1999 zeigte 1) und als Erklärungsmodell, das Handlung und Motiv miteinander verklammerte, bot es hinreichende Überzeugungskraft. Dabei entschied die Dynamik der dörflichen Gesellschaft über die Kriminalisierung der Handlung (S. 93). Sozial integrierte Personen, wie die Schultheiße, konnten durchaus Magie anwenden, ohne Denunziation und strafrechtliche Verfolgung befürchten zu müssen (S. 75). Duldung, Anerkennung qua breitem gesellschaftlichen Konsens über die Wirkmächtigkeit von Magie sowie Nutzung und Kriminalisierung von Zauberei bilden die Eckpunkte eines überzeugenden Aufsatzes und eröffnen neben den aufgeworfenen Fragen und angebotenen Deutungen Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen.

Karin Schmidt-Kohberg geht in ihrem Beitrag dem komplexen Phänomen des Suizids und seiner Pönalisierung in der Frühen Neuzeit vorrangig unter der Frage nach den Motiven der Suizidenten nach. Neunzehn ausgewählte Fälle werden in Mikrostudien untersucht. Eingeleitet wird der Beitrag durch eine knappe Darstellung der Forschungslage, die leider neueste Studien 2 nicht mehr erfasst. Die Motive zur Selbsttötung will die Autorin vorrangig durch psychologische Erklärungsansätze (Abschnitt 3) freilegen. Dieses Vorhaben gelingt ihr jedoch keineswegs erfolgreich. Ihre Deutungen bleiben zu großen Teilen Spekulation (z.B. S. 127f.), und es bleibt die Frage, welche Relevanz die Erkenntnis besitzt, dass „eine nicht eindeutig zu diagnostizierende psychische Krankheit eine wichtige Rolle [bei der Selbsttötung] spielte“ (S. 136). Im vierten Abschnitt ihres Beitrages (S. 136-142) geht sie knapp den kirchlichen und weltlichen Normen zur Sanktionierung des Suizids in der Frühen Neuzeit nach. Vor allem Auseinandersetzungen um den Begräbnisort werden im Folgenden in den Blickpunkt der Ausführungen gerückt. Viele Gemeinden versuchten Begräbnisse von Suizidenten auf dem Gottesacker zu verhindern, um göttlichem Zorn zu entgehen und die „Ehre“ der übrigen Verstorbenen zu bewahren. Neben der Behandlung der Leichname von Suizidenten wird auch das Verhalten gegenüber Suizidgefährdeten und Überlebenden thematisiert. Der Versuch mit 19 Fällen (davon drei strittig) aus zwei Jahrhunderten ein Sozialprofil (Abschnitt 6) zu entwerfen, kann kaum überzeugen – zumal keine Repräsentativität angestrebt ist. Die Feststellung, dass Personen mit gehobenem Status leichter einen Suizid vertuschen konnten, bleibt wie in anderen Untersuchungen reine Spekulation. Die vagen Ergebnisse ihrer Analysen sind es wohl auch, die letztlich den Ausschlag für ihr überraschendes Fazit geben, der Umgang mit Suizidenten sei in den Prozess der Sozialdisziplinierung einzubetten. Leider übergeht sie hier ihre eigenen Ergebnisse. Diese hätten zum Beispiel auch die Frage nach der Bedeutung der „Durchstaatlichung“ der Verfahren im Prozess der Entkriminalisierung des Suizids zugelassen.

Bei aller Kritik führt der Beitrag von Schmidt-Kohberg jedoch auch vor Augen, dass ein mikrohistorisch orientierter Ansatz sinnvoll ist. Dieser müsste jedoch durch ein operationalisierbares Konzept von „Lebenswelt“ ergänzt werden, um die Vergleichbarkeit regionaler Untersuchungen zu gewährleisten. Nicht nur in diesem Band wurden die phänomenologischen Wurzeln des Begriffes als (historisierbarer) „Sinnhorizont“ von Subjekten übergangen. Von Historikern wird „Lebenswelt“ in der Regel mit kleinräumigen Vergesellschaftungsformen gleichgesetzt, wodurch die Grenze zum Alltags-Begriff verschwimmt.3 Ob der Begriff demnach „objektiv“ gegebene Welt meint, deren Strukturen analysiert und verglichen werden müssten, und/oder ob Lebenswelt „das Handeln in eben dieser Welt“ meint, bleibt offen.

Im abschließenden Beitrag des Bandes begibt sich Johannes Dillinger auf die Spuren frühneuzeitlicher Schatzsuche. „Die Schatzgräberei, die weder im Mittelalter noch im 19. Jahrhundert eine signifikante Rolle spielte, war ein typisches Produkt [... der] gesellschaftlich-ökonomischen Übergangszeit“ des 17. und 18. Jahrhunderts (S. 275). Anhand von sechsundzwanzig gut dokumentierten Fällen zeichnet er sowohl die Kriminalisierung der mit Mitteln der Magie betriebenen Schatzsuche nach, als auch die Akzeptanz und „staatliche“ Überwachung sonstiger Schatzgräberaktivitäten. Er beschreibt Verwirrungen innerhalb des Behördenapparates des Herzogtums Württemberg, die sich ergaben, weil zentrale Institutionen bemüht waren, ihre Beteiligung an Schatzgräberunternehmen zu verheimlichen. Insofern ging hier mit der behördlichen Kontrolle eine Nutzung des Phänomens durch die Landesherrschaft einher. Nachdem der Autor die zeitgenössische juristische Diskussion zur Schatzgräberei nachgezeichnet hat, bemüht sich Dillinger um eine Erörterung der Schatzmagie, von magischen Elementen bei der Suche nach Schätzen und zur Rolle von Totengeistern als Schatzwächtern und zu erlösenden armen Seelen (S. 231ff.).

Im Folgenden (S. 241-271) beschreibt er ausführlich Schatzgräberprozesse und die Bildung von Schatzgräbergesellschaften. Hierbei legt Dillinger ein besonderes Augenmerk auf die Rolle und das Verhalten territorialstaatlicher Behörden und Amtspersonen, wie zum Beispiel die des herrschaftlichen Weilheimer Amtmannes Johann Jacob Frisäus, der sich um 1770 in Weilheim einer Geistersekte anschloss (S. 263ff.). Am Beispiel dieser Geistersekte verdeutlicht Dillinger auch den Status der „Führer“ von Schatzsucheunternehmen. Zumeist durch die Assoziation mit magischen Gaben erwählt, oblag ihnen die Vermittlung zur Geisterwelt. Dies aber sei, so Dillinger, die Grundkondition eines priesterlichen Amtes (S. 270), die er in siebzehn von sechsundzwanzig Fällen nachweisen konnte. Nach einer Betrachtung des Zusammenhangs von Magie und Frömmigkeitsritualen bietet der Autor abschließend eine Deutung des Gesamtphänomens. In Anlehnung an Fosters „image of limited good“ (S. 272-277) interpretiert er Schatzgräberei als typisches Phänomen der frühneuzeitlichen (protoindustriellen) Agrargesellschaft, die ein Interesse an individuellem Wohlstand im gegebenen sozialen und mentalen Rahmen zu artikulieren vermochte, einer Gesellschaft, die materielle Zugewinne als Zuwachs von außerhalb erklären musste. Daher, so Dillinger, traten oft vagante Personen als Träger des dazu nötigen magischen Wissens in Erscheinung.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der vorliegende Band in die historische Magieforschung einführt und als Arbeitsbuch genutzt werden sollte. Er bietet keine vorgefertigten Begriffsdefinitionen im Stile historischer Handwörterbücher. Vielmehr erschließt sich dem Leser in den beschreibenden Mikrostudien die Welt der Magie in der Frühen Neuzeit in ihrer sozialen Komplexität. Die Auswahlbibliografie (S. 300-303) ist allerdings für eine Einführung zu knapp gehalten. Auch wenn der Rezensent nicht allen Deutungen der einzelnen Beiträge beipflichten konnte, wurde alles in allem der Anspruch, überregionale Interpretationsansätze anzubieten, erfüllt. Und so ist diesem Band eine breite Leserschaft zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Echle Britta, Magisches Denken in Krisensituationen, in: Lehmann, Hartmut; Trepp, Anne-Charlott (Hgg.), Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999, S. 189-201.
2 Z. B. Bähr, Andreas, Der Richter im Ich. Die Semantik der Selbsttötung in der Aufklärung, Göttingen 2002; Watt, Jeffrey Rodgers, Choosing Death. Suicide and Calvinism in early modern Geneva, Kirksville 2001; Koslofsky, Craig, Suicide and the secularization of the body in early modern Saxony, in: Continuity and Change 16 (2001), S. S. 45-70.
3 Diese Kritik bereits bei Bergmann, Werner, Lebenswelt, Lebenswelt des Alltags oder Alltagswelt? Ein grundbegriffliches Problem „alltagstheoretischer“ Ansätze, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 33 (1981), S. 50-72.

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