SSSR i germanskij vopros 1941-1949 [Die UdSSR und die deutsche Frage]

Titel
SSSR i germanskij vopros 1941-1949 [Die UdSSR und die deutsche Frage 1941-1949], Bd. 3: 6. Oktober 1946-15. Juni 1948. Dokumente iz Archiva vnešnej politiki Rossijskoj Federacii [Dokumente aus dem Archiv der Russischen Föderation für Außenpolitik], bearbeitet von Georgij Pavlovic Kynin und Jochen Laufer


Herausgeber
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam; Historisch-Dokumentarisches Department des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten Russlands
Erschienen
Anzahl Seiten
853 S.
Preis
Rubel 95,00
ISBN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Der vorliegende dritte Band schließt die russischsprachige Dokumentensammlung über die sowjetische Deutschland-Politik in der Kriegs- und frühen Nachkriegszeit ab, die ursprünglich bis zur Gründung der DDR im Oktober 1949 fortgeführt werden sollte. Die Akten stammen allein aus dem Archiv des Moskauer Außenministeriums - einer Behörde, die im Unterschied zu ihren Pendants in westlichen Ländern keine Entscheidungs-, sondern nur Vorbereitungs- und Ausführungsfunktionen besaß, weil die politische Richtung an der Spitze des Parteiapparats festgelegt wurde. Offiziell wurden die Beschlüsse vom Zentralkomitee der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) getroffen, als dessen Exekutivorgan das Politbüro fungierte. Dieses Gremium trat jedoch kaum einmal zusammen. Zwar wurden die Vorlagen an das ZK gerichtet, und die Beschlüsse figurierten als dessen Willensäußerungen, aber faktisch entschied allein Stalin, der sich in vielen Fällen mit ad hoc zusammengerufenen, wechselnden Mitarbeitern beriet.

In wichtigen Fragen der Außenpolitik erfolgte meist ein Vorgespräch, an dem mit Außen- und Sicherheitsfragen befasste Mitglieder des Politbüros, leitende Funktionäre des Ministeriums und manchmal auch im Ausland vor Ort agierende Führungskader teilnahmen. Danach hatte die zuständige Abteilung des Außenministeriums Vorlagen zu erarbeiten, wobei es seitens des zuständigen Ministerstellvertreters häufig zu Nach- und Rückfragen bei Stalin kam. Aufgrund der so erstellten Vorlage entschied Stalin anschließend, und das Ministerium hatte dann für die Durchführung des Beschlusses zu sorgen und darüber Bericht zu erstatten. Von diesen zentralen Entscheidungsvorgängen hat sich in den Dokumenten, die das russische Außenministerium zur Einsicht und Veröffentlichung freigab, kaum etwas niedergeschlagen.

Der Leser des Bandes muss sich daher in aller Regel mit Entwürfen und mit Vorgängen auf der ausführenden Ebene zufrieden geben, die freilich auf indirekte Weise Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Entscheidungen des obersten Führers zulassen. Im vorliegenden Fall handelt es sich dabei zum einen um Ausarbeitungen der 3. Europäischen Abteilung und zum anderen um die Besatzungspolitik in der sowjetischen Zone Deutschlands und um das Verhalten gegenüber den westlichen Okkupationspartnern, das sich in der Zeitspanne des Bandes von nicht gelingender Kooperation zu offen herausfordernder Feindschaft veränderte.

Direkten Einblick in die Entscheidungen Stalins gewähren die Protokolle zweier Gespräche mit der SED-Führung (Ulbricht, Pieck und Grotewohl), von denen eines - das vom 26. März 1948 - bereits vollständig an anderer Stelle (in Heft 2/2002 der Zeitschrift "Istoriceskij archiv") sowie in Auszügen auch schon in deutscher Übersetzung (in einem Aufsatz von Vladimir Volkov, der zuerst in Heft 1/2001 der "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" und dann nochmals 2003 im Buch "Stalin wollte ein anderes Europa" des Verlags edition ost) erschienen ist.

Das russische Außenministerium, das bis 1946 noch offiziell "Volkskommissariat für auswärtige Angelegenheiten" hieß, erhielt bei Kriegsende für die Deutschland-Politik insofern besondere Bedeutung, als ihm mit der Sowjetischen Militär-Administration in Deutschland (SMAD) ein wesentlicher Teil der Besatzungsbehörden zugeordnet wurde. Ihm unterstand vor allem der Politische Berater des Obersten Chefs der SMAD, der unter anderem die Tätigkeit der sowjetischen Verwaltung in der Sowjetzone mit der Deutschland-Politik des Kreml zu koordinieren und daher der Parteiführung über das Ministerium Bericht zu erstatten und Vorschläge zu unterbreiten hatte. Die Unterstellung der anderen Teile der SMAD hatte mehr formalen als realen Charakter, weil diese mit verschiedenen Moskauer Oberbehörden eng verbunden waren. So erhielt der Oberste Chef, der zugleich die Besatzungstruppen befehligte, seine Weisungen vom Verteidigungsministerium, und die Informationsabteilung bzw. Informationsverwaltung, deren Leiter Oberst Tjul'panov die Politik und das Parteienwesen in der Sowjetzone bestimmte, war an den ZK-Apparat angebunden.

Auch wenn das Außenministerium, von der wichtigen Scharnierfunktion abgesehen, nur begrenzt Einfluss auf die Tätigkeit der SMAD nehmen konnte, erhielt es doch laufend Informationen darüber. Auch über das Vorgehen der anderen sowjetischen Organe, der Sicherheitsdienste und der Reparationskommission, wurde es in gewissem Umfang unterrichtet. Über den letzteren Bereich findet sich freilich in der vorliegenden Dokumentensammlung recht wenig, hingegen vieles zur Entwicklung der Lage in der SBZ, zum dortigen Vorgehen der sowjetischen Militärverwaltung und zur Interaktion mit den westlichen Besatzungspartnern. Der Leser erhält daher manchen Einblick in die Einschätzungen, Empfehlungen und Maßnahmen der ausführenden Akteure vor Ort, aber relativ wenig Kenntnis von der Politik der Moskauer Zentrale, vor allem der Parteibehörden und Stalin-Mitarbeiter und - mit Ausnahme der beiden genannten Stalin-Gespräche - von den Überlegungen und Entscheidungen des obersten Führers selbst.

Wichtig ist ferner ein Blick darauf, wie die Dokumentensammlung zu Stande gekommen ist. Nicht nur hing die Auswahl der Aktenstücke allein von der Bereitschaft der Archivverwaltung des russischen Außenministeriums ab, die Veröffentlichung zu genehmigen. Es bestand kein Zugang zu Findmitteln und mithin kein Überblick über Art und Umfang der vorhandenen Bestände, aus denen eine Auswahl nach wissenschaftlichen Kriterien hätte getroffen werden können. Diese Beschränkungen waren unvermeidlich, nachdem sich in Moskau wieder Vorstellungen von der Notwendigkeit eines auch für die Vergangenheit geltenden weitreichenden Geheimnisschutzes durchgesetzt hatten. Es wäre aber für die Transparenz und Einschätzbarkeit der Edition wichtig gewesen, diesen Tatbestand in der Publikation klar zum Ausdruck zu bringen.

Das ist darum nicht geschehen, weil alle Teile des Buches, vor allem auch die Erläuterungen und Kommentare, auf Konsens beruhen und damit dem Veto der russischen Seite unterliegen, die ihre Gepflogenheiten nicht öffentlich macht. Wer die Dokumente der vorliegenden Sammlung liest, sollte sich dieser Entstehungsbedingungen bewusst sein.

Die Veröffentlichung aller drei Dokumentenbände in deutscher Übersetzung durch den Verlag Duncker & Humblot ist in Vorbereitung.

Kommentare

Von Laufer, Jochen29.10.2003

Der von Gerhard Wettig erhobene Einwand, daß Findhilfsmittel des Archivs für Außenpolitik der Russischen Föderation (AVP RF) für den deutschen Bearbeiter der Edition „Die UdSSR und die deutsche Frage“ nicht einsehbar waren, ist richtig, beinhaltet aber dennoch nur die halbe Wahrheit. Die volle Wahrheit, die Herrn Wettig als Gutachter aller drei Bände dieser Ausgabe, der seit Anfang der 90er Jahre in Kontakt zu den Bearbeitern steht, bekannt sein sollte, ist folgende:

In allen drei Bänden der Edition wird in der Einleitung festgestellt, daß sich die Auswahl auf die Gesamtheit der deklassifizierten, Deutschland und den Editionszeitraum betreffenden Akteneinheiten des AVP RF stützt. Dieser Feststellung liegt ein Gesamtverzeichnis aller Deutschland und den Editionszeitraum betreffenden Akteneinheiten des AVP RF zugrunde. Diese Übersicht bot die Möglichkeit, jeden einzelnen dort aufgeführten Aktenband (sofern er deklassifiziert war) durchzusehen. Auf dieser Grundlage wurden, nach streng wissenschaftlichen Kriterien, die in der Einleitung ebenfalls dargelegt sind, durch den deutschen Bearbeiter Vorschläge für die Auswahl unterbreitet. In diesem Auswahlverfahren, verhielten sich sowohl Georgij Kynin wie auch die Leitung des AVP RF außerordentlich kooperativ! Nur in Hinblick auf den begrenzten Umfang der Edition wurde von russischer Seite der Ausschluß einzelner Dokumente vorgeschlagen – anders konnte es auch nicht sein, denn es handelte sich ja um deklassifizierte Materialien.

Und noch eine Feststellung ist in diesem Zusammenhang zu bedenken: Der russische Bearbeiter, Georgij Kynin, der mit mehreren Unterbrechungen seit mehr als dreißig Jahren im AVP RF arbeitet (u.a. als stellvertretender Chef der Historisch-Dokumentarischen Verwaltung), ist einer der besten Kenner der Deutschlandquellen in diesem Archiv. Kynin besitzt sowohl das Recht, sämtliche Findhilfsmittel dieses Archivs zu nutzen, als auch die Legitimation, alle nicht deklassifizierten Materialien dieses Archivs einzusehen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Bearbeitern ermöglichte nicht nur die Erstellung des erwähnten Verzeichnisses, sondern auch die partielle Deklassifizierung besonders interessanter Dokumente und die Einbeziehung weiterhin klassifizierter Materialien in die Kommentierung. Bedauerlicherweise geht Gerhard Wettig weder auf diese Tatsache ein, noch auf den Inhalt der Edition.

Jochen Laufer


Von Wettig, Gerhard29.10.2003

Bemerkungen zur Stellungnahme von Jochen Laufer

In meiner Rezension war ich bestrebt, den Lesern des Dokumentenbandes unter Absehung von einzelnen Editionsmängeln deutlich zu machen, welche Informationen auf Grund der abgedruckten Aktenstücke zu erwarten sind. Dabei habe ich mich auf die Unterrichtungen gestützt, die ich von Herrn Laufer im Verlauf der von ihm erwähnten Zusammenarbeit und auch aus anderen, in gleichem Sinne berichtenden Quellen erhalten habe. Die entscheidende Crux, die alle kennen, die in russischen Archiven arbeiten, ist der Tatbestand, dass viele Schlüsseldokumente der Stalin-Zeit, vor allem solche der Führungsebene, nach wie vor unter Verschluss gehalten werden. Insofern gehen Herrn Laufers Einwände am Kern des Problems vorbei, auf das ich aufmerksam gemacht habe. An dem restriktiven Freigabeverhalten konnte auch Herr Kynin, den ich sehr schätze und dessen Verdienste ich voll anerkenne, nichts ändern.

Gerhard Wettig


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