D. Brunner u.a. (Hgg.): Land - Zentrale - Besatzungsmacht

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Titel
Land - Zentrale - Besatzungsmacht. Landesverwaltung und Landesregierung in der Sowjetischen Besatzungszone


Herausgeber
Brunner, Detlev; Müller, Werner; Röpcke, Andreas
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 35,30
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lutz Prieß, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Das Historische Institut der Universität Rostock und das Landeshauptarchiv von Mecklenburg-Vorpommern arbeiten seit 1998 erfolg- und ertragreich an einem Kooperationsprojekt zur Erforschung und Dokumentation der Geschichte der Landesregierung und Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern 1945-1952.1 Zwei wissenschaftliche Tagungen, veranstaltet im Jahr 1999 in Schwerin und 2001 in Rostock, flankierten die bisherige Forschungs- und Editionsarbeit. Die Herausgeber wählten insgesamt zehn Beiträge beider Tagungen für die Publikation aus. Sie verweisen auf Publikationen von M. Schmeitzner und E. Scherstjanoi an anderer Stelle, deren Tagungsbeiträge (ohne nähere Begründung) nicht aufgenommen wurden (S. 11). Die hier veröffentlichten Beiträge sind drei thematischen Abschnitten zugeordnet: erstens, Landesverwaltung und Landesregierung unter sowjetischer Besatzung; zweitens, Zentralismus versus Föderalismus; drittens, Sowjetische Militäradministration: Funktion und Wirkung.

Die Autoren D. Brunner, D. van Melies, S. Lude und R. Bartusel widmen sich dem zentralen Untersuchungsgegenstand – die Landesverwaltung und Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern 1945-1949 - im Spannungsfeld von Landesinteressen, Besatzungswillen und Zentralisierungstendenzen. Brunner analysiert den Bruch und die Kontinuitäten des personellen und verwaltungsstrukturellen Neuanfangs der Landesverwaltung. Er arbeitet als prägend für die Nachkriegsentwicklung der Landesverwaltung/Landesregierung u. a. folgende Punkte heraus: die Parallelität von Tradition und Bruch bei Personal und Strukturen, den Auf- und Ausbau der Abteilung Innere Verwaltung zum eigentlichen Machtzentrum innerhalb der Landesverwaltung von Mecklenburg-Vorpommern seit dem Sommer 1945 (S. 25f.) und den treibenden Anteil der SED an der zunehmenden Entwicklung der Zentralisierung und Gleichschaltung von Länderkompetenzen in Abhängigkeit von zentralen Verordnungen und Vorgaben der DWK, später der DDR-Regierung (S. 42).

Der Auffassung von Brunner über den Parteieinfluss auf den Staatsapparat hält van Melies seine These entgegen: „In allen relevanten Bereichen wurde die Landespolitik von Mitarbeitern im Staatsapparat konzipiert, organisiert und verantwortet. Dies waren häufig Kommunisten. Sie handelten aber in den entscheidenden Fragen als Vertreter der staatlichen Autorität und nicht als Parteigenossen.“ (S. 55) Die Bedeutung der Landesparteiorganisationen von KPD/SED analysierend kommt van Melies zu dem Schluss, das die Führung der Landespartei „weitgehend“ bedeutungslos gewesen sei (S. 57) und es in Mecklenburg-Vorpommern „mindestens bis 1948 ganz beträchtliche landespolitische Spielräume gab“ (ebd.).

Wie schwierig es ist, die Hauptakteure der Landesverwaltung/Landespolitik ihrem Status nach als „Mitarbeiter des Staatsapparats“ oder „Parteigenossen“ einzuschätzen, macht die biografische Skizze von Lude über den Ministerpräsidenten Mecklenburgs Wilhelm Höcker deutlich (S. 96ff.). Sie zeichnet den Weg Höckers vom Sozialdemokraten zum „Aushängeschild des SED-Regimes“ (S. 83) nach. An diesem Beispiel wird wieder einmal sichtbar, dass es keine auf neuen Forschungen beruhenden umfassenden politischen Biografien der 1946 gewählten Ministerpräsidenten der SBZ gibt.

Ein Beispiel für die landespezifische Wahrnehmung von Landesinteressen gegen immer stärker werdende Zentralisierungstendenzen liefert Bartusek mit seiner Studie über den Umbau der Landesjustizverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern. Die Reorganisation des Rechtswesens stand seiner Auffassung nach weniger im Zeichen des Diktats der Besatzungsmacht und des Führungsanspruchs von KPD/SED, sondern war „trotz unterschiedlicher politischer Orientierungen“ massgeblich von der „beruflichen Identität“ der Hauptakteure geprägt (S. 92). In Mecklenburg-Vorpommern entwickelte sich über Parteigrenzen hinweg eine „selbstbewusste und homogene Justizverwaltung“ (S. 105), die sich 1948/49 den Zentralisierungsansprüchen der Zentralverwaltung in Berlin entgegenstellte. Die SED bewirkte erst zwischen 1949 und 1952 die Auswechslung der Führungskader im Landesjustizdienst (S. 106).

Der Beitrag von Wille über „Die Tätigkeit der Provinzialverwaltung/Landesregierung Sachsen-Anhalt im Spannungsfeld zwischen sowjetischer Besatzungsherrschaft, SED-Machtstreben und Eigenverantwortung“ (S. 107-134) erlaubt einen vergleichenden Blick auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der politischen Voraussetzungen und Entwicklungen in den einzelnen Ländern/Provinzen der SBZ. Faktenreich beschreibt Wille einerseits das herausragende politische Wirken von Dr. Erhard Hübener (ab August 1945 LDPD) an der Spitze der Provinzial-/Landesverwaltung und andererseits den praktizierten Führungsanspruch von Kommunisten und späteren Einheitssozialisten in der Landespolitik.

Im zweiten Abschnitt analysieren K. Nölting und A. Steiner mit unterschiedlichem Zugang das Thema „Zentralismus versus Föderalismus“. Der Föderalismus bildete für die sowjetischen Besatzer ebenso wie für die wichtigsten politischen Protagonisten in der SBZ „lediglich eine verwaltungstechnische Grundlage für weitere Reformen, die immer stärker in die zentralistische Richtung rückten“ (S. 135), so Nölting in ihrem verfassungstheoretisch basierten Beitrag. Am Beispiel von Grotewohls Wirken als Vorsitzender des Verfassungsausschusses des Deutschen Volksrates weist sie dessen Ablehnung einer föderalistischen deutschen Verfassung nach. Aber auch Jakob Kaiser bezeichnete sich selbst als „kein Mann des Föderalismus“2, wie sie zitiert und am Beispiel seiner „Brückenkonzeption“ nachweist (S. 145ff.).

Für den Prozess der Zentralisierung der Verwaltung in der SBZ ist die Machterweiterung der Deutschen Wirtschaftskommission geradezu beispielgebend. Wie Steiner nachweisen kann, resultierte der Prozess der Zentralisierung der Wirtschaftslenkung in der SBZ anfänglich zwar „vordergründig aus realwirtschaftlichen Zwängen“, wurde aber sehr schnell von der SED machtpolitisch instrumentalisiert (S. 170).

Der dritte Abschnitt widmet sich der Funktion und Wirkung der sowjetischen Militäradministration. Foitzik analysiert Aspekte der Tätigkeit der SMAD aus landeshistorischer Sicht. Dabei hebt er zu Recht hervor, dass aus rein pragmatischen Gründen in der ersten Phase der Besatzungszeit die Ingangsetzung der kommunalen und der Kreisebene im Vordergrund stand, bevor der „Frontalangriff“ gegen föderale Institutionen gerichtet wurde (S. 174). Foitzik weist darauf hin, dass die vielfach gebrochene Einwirkung der SMAD auf die Landesverwaltungen auf der Grundlage einer „verwirrende[n] Vielzahl von Quellensplittern“ analysiert werden muss, was jedoch nicht dazu führen sollte, diese zu benutzen, „um das eigene heuristische Vorurteil zu illustrieren“ (S. 186).

Mai (charakterisiert die Tätigkeit der SMA des Landes Mecklenburg-Vorpommern als eine kontrollierende und koordinierende Funktion bei der ökonomischen, sozialen, politischen und kulturpolitischen Umgestaltung der Länder der SBZ, die mit Anwendung stalinistischer Zwangsmethoden verbunden war (S. 187-200). Geßner präsentiert einen Überblick zur Überlieferung der Befehle der Sowjetischen Militäradministration des Landes Brandenburg (S. 201-213).

Der Rezensent zieht als positives Fazit, dass die Mehrzahl der Beiträge der o. g. Tagungen in der hier vorliegenden Publikation interessierten Lesern zugänglich und unterschiedliche methodologische und theoretische Herangehensweisen an die Analyse der Problematik der Wechselbeziehungen von „Land - Zentrale – Besatzungsmacht“ in der SBZ sichtbar gemacht werden. Der Wert dieser Publikation leidet aber darunter, dass dieser Sammelband den Forschungsstand vom September 1999 bzw. Juni 2001 reflektiert, wie die Herausgeber mehrfach in den Fussnoten hervorheben. Die Drucklegung bzw. Auslieferung des vorliegenden Bandes im Jahr 2003 wird zum Teil von umfassenden Einzelpublikationen einiger der hier vertretenen Autoren „überholt“. Im Rahmen des Editionsprojekts über die Landesregierung und Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern 1945-1952 liegt der von Brunner bearbeitete erste Band „Die ernannte Landesverwaltung, Mai 1945 bis Dezember 1946“3 vor. Geßner hat gemeinsam mit Sacharow ein überarbeitetes Inventar der offenen Befehle der SMA Brandenburg herausgegeben.4

Anmerkungen:
1 Vgl. die Projektvorstellung in: Der Archivar 52 (1999), H. 2, S. 142f.
2 Vgl. Kaiser, Jakob, Wir haben Brücke zu sein. Reden, Äußerungen und Aufsätze zur Deutschlandpolitik, hg. v. Christian Hacke, Köln 1988.
3 Brunner, Detlef (bearb. v.), Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern unter sowjetischer Besatzung 1945 bis 1949. Bd. 1: Die ernannte Landesverwaltung, Mai 1945 bis Dezember 1946 (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns 5) Bremen 2003.
4 Geßner, Klaus; Sacharow, Wladimir W. (bearb. v.), Inventar der offenen Befehle der Sowjetischen Militäradministration des Landes Brandenburg. Nach der Überlieferung im Staatsarchiv der Russischen Föderation (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 11), Frankfurt am Main 2002.

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