Titel
Umkämpfte Bedeutungen - Naturkonzepte im Zeitalter der Technoscience.


Autor(en)
Weber, Jutta
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Campus Verlag
Anzahl Seiten
316 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Saupe, Universität Dortmund

Was begehren wir, wenn wir von Natur sprechen? Wie wird Natur in technowissenschaftlichen Verhältnissen angeeignet, konstruiert und umgestaltet und was bedeutet das für unser Naturverständnis? Welche Konsequenzen hat dies für eine angemessene Sichtweise auf Natur, Leben, Materialität?

Jutta Weber initiiert in ihrer Dissertation eine umfassende Reflexion widerstreitender Deutungen des aktuellen gesellschaftlichen Naturverhältnisses und der entsprechenden erkenntniskritischen Positionen. Worauf ihre Arbeit zielt, ist die „Suche nach einem ‚Anderswo’, einem Ort, der sich jenseits des Diskurses von Technikeuphorie und –nostalgie befindet“ (S. 229). Diese Suche gestaltet sich nicht trivial, liegen ihr doch eine Menge Stolpersteine im Weg. Ein Zurück zu alten humanistischen Sichtweisen von Natur erscheint nämlich kaum vermeidbar, angesichts immer wiederkehrender diskursiver Strategien der Denaturalisierung, Renaturalisierung und Entmaterialisierung. Weber fordert vehement, genau solche Rückfälle zu unterlaufen.

Die genannten Kategorien sind ihre Kritikwerkzeuge in der Auseinandersetzung mit den Diskursstrategien so berühmter Theoretiker wie Derrida, Luhmann und Bruno Latour. Sie hält diesen Autoren zunächst ihr konstruktivistisches Grundverständnis zugute, das den Realitäten der technowissenschaftlichen Naturverhältnisse durch ihre erkenntnistheoretische Strategie der Denaturalisierung tendenziell angemessen begegnen könne. Sie kritisiert jedoch, dass bei ihnen Natur in einen Bereich des „Außen“ verwiesen wird, der diese letztlich wieder als beliebig verfügbares Material darstellt - eine Implikation, wie sie dem kritisierten humanistischen Naturbegriff immanent war. Den Argumentationen der drei Theoretiker folgt Weber in erhellender Weise, verständlich wird ihre Kritik vor dem Hintergrund der Darstellung der verschiedenen Traditionsketten der Naturphilosophie bzw. –theorie im ersten Kapitel der Arbeit.

Im mittleren Teil folgt eine ausführliche Rezeption des Gegenstandes „Technoscience“. Die modernen Technowissenschaften, ein neuartiges Konglomerat aus Naturwissenschaft, Wirtschaft und Technik, bringen epochale Umwälzungen für alle Bereiche der sozialen und kulturellen Grundstrukturen unserer (westlichen) Gesellschaften hervor: Besonderes Augenmerk legt Weber in dieser Hinsicht auf die Konsequenzen, die diese Veränderungen für das aktuelle Konzept von Natur haben. Sie diagnostiziert eine durch die modernen hybriden Technologien hervorgebrachte qualitative Verschiebung von einer statischen, determinierenden hin zu einer dynamischen, überraschenden Idee von Natur: „Die Natur ist ein vielfältiges, multiples Subjekt, das sich permanent in Bewegung befindet, das unkontrollierbar ist, das emergente Sprünge macht, die völlig unvorhersehbar, wenn auch rekonstruierbar sind – und die man provozieren kann.“ (S. 238) Diese Idee einer konstruierten und konstruierenden Natur ist weder eine abstrakte noch idealistische. Dies belegt Weber anhand ihrer fundierten Analyse der neuesten Theorien und Praktiken in der Artificial Life- und der Robotik-Forschung, die in ihrer Arbeit als Repräsentanten technowissenschaftlichen Vorgehens vorgestellt werden. Damit betritt Weber ein Feld, das besonders in den feministischen Auseinandersetzungen mit aktuellen Naturbegriffen bisher wenig Beachtung fand. Eine Vernachlässigung der Auseinandersetzung mit diesen Technowissenschaften verpasst jedoch – so Weber - die entscheidenden gesellschaftlichen Entwicklungen und kann diese damit auch nur reduktionistisch kritisieren. Ein entsprechendes Eingehen auf sie müsse auch nicht zwangläufig wieder zu naturalistischen Verkürzungen und übertriebenen Überzeichnungen der Technowissenschaften führen, die viele KritikerInnen befürchten.

Weber gewinnt in ihrer Diskussion eine Vorstellung von Natur als einem „Agenten“, dessen Flexibilität sowohl wahrgenommen werden als auch in seiner „Eigensinnigkeit“ bestehen bleiben kann. Natur bleibt also durchaus zu (be-)greifen.

Diesem Konzept korrespondiert das erkenntniskritische Einklagen einer „situierten Ontologie“, die Weber gegen alle Formen antiessentialistischer Kritiken setzt. Zugrunde liegt dabei der Gedanke, dass ontologische Aussagen zwar nicht begründet, aber auch nicht vermieden werden können – bzw. sollten, damit den Mächten, die Ontologien setzen, insbesondere den Naturwissenschaften, nicht freier Raum gelassen wird. So reklamiert sie, dass die erkenntniskritische Figur von Natur als einer „Als-Ob-Kategorie“ aufrechterhalten werden solle, um die postmoderne ablehnende Haltung gegen Naturtheorie im allgemeinen und die Blindheit gegenüber den – durchaus ontologischen – Grundlagen der Umwälzungen in der Technoscience zu überwinden.

In dieser Hinsicht scheinen ihr besonders Konzepte feministischer Wissenschaftsforscherinnen wie Donna Haraway, Kathrin Hayles und Karen Barad vielversprechend. Beispielsweise ermögliche Haraways Verständnis der Technoscience als „Apparat der körperlichen Produktion“ und von „Natur“ als "Trickster" (eines eigenwilligen, unberechenbaren und sich permanent wandelnden Agenten), dem in der Postmoderne beliebten Mythos von einer de-facto-Entmaterialisierung der Körper, vom tendenziellen Verschwinden der Natur konstruktiv zu begegnen. Ein transdisziplinäres Wissenschaftsverständnis, das von den genannten Forscherinnen praktiziert und eingeklagt werde, ermögliche, die fächerübergreifenden Transferleistungen zu nutzen, „um traditionelle Kategorien, Formen der Wissensproduktion und Erkenntnis kritisch zu hinterfragen, zu rekonfigurieren und zu erweitern“ (S. 292). Insgesamt geht es Weber um eine radikale Offenlegung der eigenen Positionierung, ihrer erkenntnistheoretischen, ontologischen und politischen Optionen.

Jutta Weber hat mit ihrer Arbeit einen dringend notwendigen philosophischen wie gesellschaftspolitischen Beitrag geleistet, der sowohl Neuland in der aktuellen Auseinandersetzung um „Natur“ erschließt als auch Perspektiven in der – scheinbar festgefahrenen - erkenntnistheoretischen Debatte aufzeigt. Es handelt sich um eine gelungene und noch vielversprechende Zusammenführung erkenntniskritischer und technologischer Diskurse, die zu einer Weiterbearbeitung motiviert.

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