M. Jansen u.a.: Stalin's Loyal Executioner

Cover
Titel
Stalin's Loyal Executioner. People's Commissar Nikolai Ezhov, 1895-1940


Autor(en)
Jansen, Marc; Petrov, Nikita
Erschienen
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
$25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Weber, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Den Tätern des Stalinschen Terrors auf die Spur zu kommen, war lange ein wenig erfolgversprechendes Unterfangen. Bis auf den Diktator selbst, der stets die Neugier und die Phantasie ganzer Historikergenerationen anregen konnte, verlor sich das Schicksal der „Vollstrecker“ entweder in den Giftschränken der sowjetischen Archive oder war in hagiografischen Musterbiografien bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Dies wiederfuhr auch Nikolai Iwanowitsch Eschow, dem Handlanger des „Großen Terror“ von 1936-1938. Auf dem Höhepunkt seiner Macht von den üblichen Auswüchsen des Personenkults, den Eschow-Fabriken, Eschow-Städten, den poetischen Lobpreisungen und glorifizierenden Heldenbiografien umgeben, verschwand er nach 1938 aus dem offiziellen Gedächtnis, um, in der Entstalinisierung der 1950er-Jahre dämonisiert, den blutigen Säuberungen einen Namen - „Eschowschtschina“ - zu geben.

Gegen diese, zwischen den Extremen von Glorifizierung und Verteufelung oszillierenden Eschow-Mythen setzen die Historiker Marc Jansen, der an der Amsterdamer Universität Russische und Osteuropäische Geschichte lehrt, und Nikita V. Petrov, Publizist und engagierter Mitarbeiter im Moskauer Memorial-Forschungszentrum, die wohltuend nüchterne, auf bisher unzugänglichem Archivmaterial basierende Biografie eines Menschen, dessen skrupellose Gewaltorgie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit dem Leben bezahlten. Nikita Eschow, der aus einfachen, aber nicht proletarischen Verhältnissen stammende Sohn eines Eisenbahners und Bordellbesitzers war, dies stellen die Autoren klar, kein „geborener Massenmörder“. Damit setzen sie sich vorteilhaft von jenen „tiefenpsychologischen“ Ansätzen ab, die Gewalt stets mit zerrütteten Kindheiten erklären mögen. Dennoch vergessen sie nicht zu betonen, dass der 1895 in Litauen geborene Eschow einem sozialen Milieu entstammte, in dem Gewalt Wirklichkeiten und Hierarchien begründete. Er erfuhr sie durch seinen jüngeren Bruder Iwan, der kriminellen Straßengangs angehörte und dessen Prügel er ausgeliefert war. Eschow gehörte zu einer Generation, deren Alltag von Gewalt strukturiert worden ist: in der Kindheit, in einer durch den Ersten Weltkrieg geprägten Jugend und in den „Blutjahren“ der Revolution und des Bürgerkriegs. Trotz dieser Erfahrungen war der junge Eschow kein brutaler Fanatiker. Obwohl er die Elementarschule nicht länger als ein Jahr besuchte, galt er bei seinen Fabrikkollegen in Petrograd, wo er bis zum Militäreintritt in den Putilow-Werken arbeitete, als „belesen“ und als „Bücherfreund“, was freilich mehr über den allgemeinen Bildungszustand russischer Arbeiter aussagt, als über Eschows intellektuelle Kapazitäten. Aber noch in den 1920er-Jahren schien nichts auf Eschows Blutrausch hinzudeuten. Frühere Freunde und Parteigenossen, so zitieren Jansen/Petrov, beschrieben ihn als „taktvollen“, „aufmerksamen“, „hilfsbereiten“ und „wohlwollenden“ Gefährten.

Die Radikalität, mit der Jansen/Petrov zwischen dem jungen „menschlichen“ Eschow und dem späteren blutrünstigen Henker unterscheiden, kommt ihrer These vom „willigen Vollstrecker“ entgegen. Sie kann in der Darstellung des Buches durchaus überzeugen, wirkt in der harten Trennung zuweilen aber etwas überzogen. Nicht zufällig legen die Autoren den Zeitpunkt für Eschows „Charakterwechsel“ auf die frühen 1930er-Jahre, in denen sein Aufstieg in den inneren Machtzirkel Stalins begann. Ab 1930 nahm Eschow, der als lokaler Parteiorganisator bis dahin kaum beeindruckende Erfolge vorzuweisen hatte und der eher durch eine instabile Gesundheit, ständige Abwesenheit, Alkoholsucht und sexuelle Exzesse aufgefallen war, an den Sitzungen des Politbüros teil. 1933 wurde er Mitglied der Säuberungskommission beim Zentralkomitee. Ab 1934 kontrollierte er die Personal- und Sicherheitspolitik in der obersten Parteiführung. Nach der Ermordung des Leningrader Parteichefs Kirow im Dezember 1934, der Ouvertüre zum „Großen Terror“, begann, von Stalin aufmerksam gelenkt, Eschows Aufstieg im NKVD. Zunächst als Repräsentant des Zentralkomitees und nach dem Fall des zögerlichen Jagoda zum Chef der Geheimpolizei ernannt, wurde er zum gnadenlosen und nimmermüden Spürhund für die Verschwörungsszenarien und Feindimaginationen, die das zerstörerische Räderwerk des Stalinismus in Gang setzen und am Leben hielten. Seit den Parteisäuberungen 1935-1936, denen die Säuberungen in der Armee und der Terror gegenüber den nationalen Minderheiten folgten, genoss Eschow die zweifelhafte Reputation eines fanatischen, grausamen und brutalen Massenmörders, der es genoss, den Folterungen und Verhören früherer Freunde beizuwohnen, der stolz sein vom „Blut der Feinde“ besudeltes Hemd präsentierte und sich in einen Gewaltrausch steigerte, welcher sich 1937, auf dem Höhepunkt seiner Macht, gegen alle und schließlich ihn selbst richtete. Der Terror wurde beliebig, Feindkategorien verloren ihre sozialen, nationalen und ideologischen Grenzen, der Mord wurde zum Massenmord. Die maßlose Gewalt Eschows und seiner Clique prügelte das Land in einen Ausnahmezustand, vor dem es kein Entrinnen gab. Es war, so argumentieren die Autoren, letztendlich diese Maßlosigkeit, die seinen Fall begründete (S. 209). Im Januar 1938 kritisierte Stalin auf einem ZK-Plenum erstmals die Exzesse, die nicht nur zu überfüllten Gefängnissen geführt hatten, sondern die Macht der Partei unterminierten und das Land schlichtweg ausbluteten. Die Flucht zweier lokaler NKVD-Chefs und Gefolgsmänner Eschows im Juni 1938 bestärkten das Misstrauen Stalins, der seine Marionette ein halbes Jahr später fallen ließ. Im April 1939 wurde Nikita Eschow verhaftet und im Februar 1940 erschossen. Danach verschwand er aus dem Gedächtnis seiner Partei.

Die Autoren knüpfen das politische Schicksal Nikita Eschows eng an Stalin. In den zwischen 1937 und 1938 fast täglich stattfindenden Treffen wurde Eschows Gewalt, so Jansen/Petrov, „durchgehend von Stalin geleitet und kontrolliert“ (S. 207). Der Diktator prüfte die ihm vorgelegten Verhörprotokolle und Prozessakten, er entschied über Leben und Tod. Mit dieser Interpretation stärken die Autoren das Argument des russischen Stalinismusforschers Oleg W. Chlewnjuk, auf dessen Einschätzung, Eschow habe niemals über Stalins Kontrolle hinaus gewirkt, sie sich berufen. 1 Obwohl Eschow mehr Entscheidungsfreiheit als seine Vorgänger genoss, blieb er, wie der Buchtitel vorausschickt, „Stalins williger Vollstrecker“. Er war dem Diktator, dessen Instinkt für dienstbare Henker er seinen Aufstieg und Fall verdankte, „grenzenlos untergeordnet“ (S. 209). Es ist das Verdienst der Biografie mit dieser Argumentation keine Schuldfragen klären zu wollen. Jansen/Petrov haben dankenswerter Weise kein Interesse daran, Eschow als Befehlsempfänger zu entlasten und Stalin zum einsamen Monster zu stilisieren. Mit der engen Verbindung zum Diktator aber setzten sie Eschow in das Netzwerk stalinistischer Gewaltkultur. Seine Gewaltphantasien wären ohne Stalin und das von ihm kreierte Klima von Misstrauen, Argwohn, Feind- und Verschwörungsphantasien nicht auszuleben gewesen. Sein Leben verkörperte die Kultur des Stalinismus, deren Meister Stalin war. Nikita Eschow glaubte an die Richtigkeit seiner Machenschaften, er war, wie Jansen/Petrov ihre Argumentation begründen, kein Zyniker, sondern dem stalinistischen Glaubenssystem noch im eigenen Fall verhaftet (S. 202). In den nicht abgeschickten Briefen an Stalin zeigte er sich erschüttert darüber, plötzlich von früheren Gefolgsleuten ignoriert zu werden (S. 202). Erklären konnte er sich diese Abkehr nur mit jenen Feind- und Verschwörungsphantasien, die seine Welt erklärten. Nach seiner Verhaftung beteuerte er seine „größte Schuld, so wenige Feinde gesäubert“ zu haben: „Ich war von Volksfeinden umgeben, meinen Feinden“ (S. 188). Er konnte die Folter, der er früher mit Vergnügen beigewohnt hatte, am eigenen Körper nicht ertragen. Für die Lüge der Freilassung unterschrieb er die abenteuerlichsten Geständnisse. Er rief Stalin an und stellte sich als „Opfer der Umstände dar“. Er hoffte auf des Diktators Gnade, versprach ewige Liebe – „ich werde mit seinem Namen auf meinen Lippen sterben“ - und wollte sein Ende nicht wahrhaben (ebd.). Im Absturz reagierte Eschow wie viele, die er zuvor nach demselben Muster in den Tod geschickt hatte. Er stand weder über, noch außerhalb der stalinistischen Gewaltrituale.

Obwohl die Autoren diese Gewaltkultur nicht im „großen Entwurf“ zum Thema machen – sie bleiben bei der Beschreibung eines Lebens – gibt ihr Buch einen anregenden und detaillierten Einblick in ein Glaubens- und Bedeutungssystem, das Täter wie Nikita Eschow hervorbrachte und verschlang.

Anmerkung:
1 Chlewnjuk, Oleg W., Das Politbüro. Mechanismen der Macht in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, Hamburg 1998.

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