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Titel
Der Auftritt. Deutschlands Rückkehr auf die Weltbühne


Autor(en)
Schöllgen, Gregor
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lappenküper, Historisches Seminar, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Dass Gregor Schöllgen zu den besten Kennern der bundesdeutschen Außenpolitik zählt, steht außer Frage. Ebenso unbezweifelbar ist die Tatsache, dass der in Erlangen lehrende und in Berlin Anwärter des Auswärtigen Dienstes ausbildende Historiker sich mit der Rolle des wissenschaftlichen Analytikers und Chronisten nicht begnügt. Vier Jahre nach der Veröffentlichung seiner Studie über die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland "von den Anfängen bis zur Gegenwart"1 legt er nun einen Folgeband über die Phase vom Fall der Mauer 1989 bis zum vorläufigen Abschluss der Irak-Krise 2003 vor, der auf Widerspruch stoßen wird. Denn Deutschland, so lautet die programmatische Botschaft des Essays, sei auf die Weltbühne zurückgekehrt.

Dank der Wiedervereinigung des Jahres 1990 ist die Bundesrepublik laut Schöllgen nicht mehr nur eine im Windschatten des Ost-West-Konflikts prosperierende Wirtschaftsmacht, sondern ein "Nationalstaat wie andere auch, mit dem Potential einer europäischen Großmacht" (S. 12). Die Verinnerlichung der seit Jahrzehnten erfolgten Zähmung durch die europäische Integration und der daraus resultierende Verzicht auf politische, wirtschaftliche und militärische Souveränität führten indes dazu, dass die Bundesrepublik auf die "Wiederkehr der Geschichte" im Zuge des Golf-Krieges 1991 mit einer "Verweigerung" reagierte (S. 53) und die erwartete öffentliche Solidarisierung mit den Alliierten zunächst verwehrte. Nur langsam begann sich in der classe politique ein breiter Konsens darüber zu bilden, dass die Deutschen dem neu gewonnenen Gewicht auf dem internationalen Parkett Rechnung tragen müssten. Am Ende dieses Bewusstseinsprozesses stand 1996 die Entscheidung, Bundeswehreinheiten zur militärischen Sicherung des Friedensprozesses auf den Balkan zu entsenden. Nachdem sich die Bundesrepublik im Frühjahr 1999 anläßlich des Serbien-Feldzuges der NATO erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder an einem Kampfeinsatz beteiligt hatte, wurde sie innerhalb kürzester Zeit nach den USA "weltweit der größte Truppensteller bei Friedensmissionen im Ausland" (S. 89).

Um die Jahreswende 2002/03 tat sich im transatlantischen Verbund jedoch "ein Riss von bislang nicht gekannter Breite und Tiefe" auf (S. 99). Indem Bundeskanzler Gerhard Schröder der deutschen Außenpolitik im August 2002 einen "deutschen Weg" verordnete, wagte er es, Deutschland aus seiner Abhängigkeit von den USA herauszulösen; einer Abhängigkeit, die seit dem Ersten Weltkrieg geradezu als "Existenzbedingung der Macht in der Mitte Europas" (S. 104) gegolten und der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg Sicherheit und Wohlstand gebracht hatte. Mit dem einen Monat später verkündeten Postulat, die existenziellen Fragen der Bundesrepublik würden "in Berlin entschieden und nirgendwo anders" (S. 129), läutete Schröder eine neue Ära in der deutschen Außenpolitik ein. Für Schöllgen war das alles nicht das Ergebnis eines Masterplans, vielmehr das Produkt von Einzelentscheidungen und Zufällen. Letztlich verantwortlich zeichnete zum einen der "hegemoniale Kurs der amerikanischen Weltmacht" (S. 72), der für die rot-grüne Koalition in Berlin durch die Verkündung der so genannten "Bush-Doktrin" immer unerträglicher wurde, zum anderen die von Wahlkampfmotiven bestimmte offene Absage der Bundesregierung an die "auf Kriegskurs steuernde amerikanische Irak-Politik" (S. 99).

Schöllgen rühmt Schröders Bruch mit der Vergangenheit als Heldentat, bemüht sich aber augenfällig um die Herleitung einer sozialdemokratischen Kontinuitätslinie: Erstmals habe ein Bundeskanzler öffentlich ausgesprochen, "was sämtliche Vorgänger gedacht, niemals aber zu sagen gewagt hatten" (S. 129). Gleichwohl stehe Schröder in der Tradition Willy Brandts und Helmut Schmidts, die nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt ebenfalls wiederholt angemahnt hätten, den Amerikanern als selbstbewusster Partner gegenüberzutreten. Die von Schöllgen behauptete "bedingungslose Gefolgschaft gegenüber der Vormacht des westlichen Bündnisses" (S. 134) hat es freilich weder während der Regierungszeiten Brandts und Schmidts noch während jener der übrigen Bundeskanzler – abgesehen von Ludwig Erhard – gegeben. Allein, Adenauer und Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl trugen ihre Konflikte mit den amerikanischen Präsidenten meist nicht offen, sondern hinter den Kulissen aus, und trieben die Gegenmachtbildung nicht auf die Spitze.

Wie sehr sich bei Schöllgen wissenschaftliche Analyse mit politischer Ambition verquickt, verdeutlicht sein Schlusskapitel über die angebliche deutsche Selbstfindung in der Irak-Krise. Zwar gibt er offen zu, dass Schröders Ankündigung einer Nichtbeteiligung an einem Krieg vor der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates "das Seine dazu bei[getragen habe], den Druck auf den Irak zu vermindern, Saddam Hussein in seiner Hinhaltetaktik zu bestärken und die Krise in die Länge zu ziehen" (S. 29). Entscheidend ist für Schöllgen aber die Welle deutscher und europäischer Sympathie, die den "wohl radikalste[n] Bruch bundesrepublikanischer Außenpolitik mit ihrer eigenen Tradition" getragen habe (S. 141). Dass Polen und Tschechien, Ungarn und Spanien, Italien und Großbritannien sich fest an die Seite der USA stellten, wird ebenso stillschweigend übergangen wie Berlins freiwillige Abgabe der "Führung der antiamerikanischen Koalition" (S. 148) an Paris aus Sorge um die eigene Isolation. Schöllgen stilisiert Schröder zum visionären Staatsmann, der "die deutschen Interessen in Europa stärker zu Geltung" gebracht und der "hemdsärmelige[n] Brachialdiplomatie" der Regierung Bush (S. 161) die Stirn geboten habe. Schließlich vollbrachte der Kanzler in seinen Augen eine Leistung, an der selbst die Reichskanzler Bismarck und Bülow mit ihren Kontinentalligaplänen gescheitert waren: Deutschland fand einen Platz "an der Seite der Großmächte des alten Kontinents, vor allem an der seines wichtigsten Partners Frankreich" (S. 150), ja fand zu sich selbst.

Hatte Schöllgen die Frage, ob Schröders Verweigerung der Gefolgschaft zu den USA eine richtige, zukunftsweisende Entscheidung gewesen sei, im Vorwort noch offengelassen, lässt seine Antwort im Epilog nichts an Eindeutigkeit zu wünschen übrig. Wenngleich er sich davor hütet, einer Beendigung der "über Jahrzehnte alles in allem bewährte[n] Zusammenarbeit" (S.162) das Wort zu reden, macht er keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass das transatlantische Zeitalter zu Ende gehe. Eine Fortsetzung der Kooperation mit den USA könne es für Deutschland nur als gleichwertige Partner „auf gleicher Augenhöhe“ geben, wie Schöllgen Schröder zustimmend zitiert. "Respektlose Bevormundungsversuche, unverhohlene Drohungen gar, sind in einer Gemeinschaft souveräner Staaten nicht akzeptabel." (S. 162) Notwendig sei freilich die Ergänzung der wirtschaftlichen Integration Europas durch neue Sicherheits- und Verteidigungsstrukturen – eine Aufgabe, an der die Bundesrepublik "wie kaum ein zweites Mitglied" der Europäischen Union federführend mitwirken könne (S. 167).

"Wenn Außenpolitik [...] die Fähigkeit ist, mit den verfügbaren Mitteln die bestehenden Rahmenbedingungen zu nutzen und nach Möglichkeit Einfluss auf deren noch so bescheidene Umgestaltung zu nehmen, dann kann die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland seit ihren Anfängen eine beachtliche Bilanz vorweisen", lautete das wohlbegründete Fazit der Studie Schöllgens von 1999.2 Nach der Lektüre seines jüngsten Essays möchte man ihn an das selbst erwähnte Wort des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg vom Sommer 1912 erinnern: Deutschland werde nicht geliebt, denn es sei "zu stark, zu sehr Parvenü und überhaupt zu eklig" (S. 15). Schon deshalb kann es sich die Macht in der Mitte Europas nicht leisten, die Partnerschaft zur westlichen Supermacht aufzukündigen und ihre europäischen Partner mit nationalem Auftrumpfen zu düpieren.

Anmerkungen:
1 Schöllgen, Gregor, Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.
2 Ebd., S. 230.

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