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Titel
Antiamerikanismus. Wandlungen eines Feindbildes


Autor(en)
Schwaabe, Christian
Erschienen
Paderborn 2003: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrice G. Poutrus, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Ist es möglich, dass sich hinter der häufig geäußerten Kritik an der Politik der gegenwärtigen US-Regierung die Tendenz eines anti-westlichen und anti-demokratischen Weltbildes verbirgt? Und ist es möglich, dass der in den westlichen Demokratien eilig erhobene Vorwurf des Antiamerikanismus ins politische Spiel eingebracht wird, um sich einer Debatte über anti-liberale und anti-säkulare Tendenzen in der Bush-Administration zu entziehen? Dass es ohne weiteres möglich ist, beide Fragen mit Ja zu beantworten, gehört zu den Paradoxien der gegenwärtigen transatlantischen Beziehungen. Auch das in den öffentlichen Debatten immer wieder anzutreffende Defensivargument, dass zwischen „Amerikakritik“ und „Antiamerikanismus“ deutlich unterschieden werden müsse, hilft hier nicht viel weiter. Diese Unterscheidung kann zwar zur Abwehr des Antiamerikanismusverdachts dienen, aber die Grenze zwischen den beiden benannten Polen bleibt dabei im Unklaren. Die Lage ist also unübersichtlich, und das Thema Antiamerikanismus bleibt ein vermintes Feld im politischen Diskurs demokratischer Gesellschaften. Umso verdienstvoller ist es, dass sich der Münchner Politikwissenschaftler Christian Schwaabe in seinem jüngsten Buch um einen analytischen Orientierungspunkt bemüht.

Der Autor bewertet den Antiamerikanismus in Deutschland als politisches Feindbild, welches hierzulande eine lange und auch wechselhafte Tradition besitze. Er untersucht die in der deutschen Gesellschaft von der Reichseinigung bis in die Gegenwart verbreiteten Amerikabilder. Der Verzicht auf die Betrachtung des Amerikabildes vor der nationalstaatlichen Einheit ist aus ideengeschichtlicher Perspektive sicher zu bedauern. Da Schwaabe das durchaus ambivalente Verhältnis zu „Amerika“ – gemeint sind damit immer die USA – als wichtigen Bestandteil der nationalen Identitätsbildung in Deutschland ansieht, ist diese Beschränkung jedoch in sich plausibel. Gestützt auf eine umfangreiche Literatur macht der Autor für die Periode vor 1945 einen rechten und antiwestlichen Antiamerikanismus in Deutschland aus. Die durch die USA immer erfolgreicher vertretene Moderne wurde rundweg abgelehnt und auf einen Nenner gebracht; westlich-liberales „Händlertum“ und kultur-deutsches „Heldentum“ wurden als unvereinbar angesehen. Die von Schwaabe nachgezeichnete Entwicklungslinie führt von der Zivilisationskritik und den „Ideen von 1914“ im Kaiserreich über die „konservative Revolution“ in der Weimarer Republik bis hin zu den Vorstellungen von „Volksgemeinschaft“ im Nationalsozialismus. Zugleich charakterisiert Schwaabe den sich hier offenbarenden Antiamerikanismus als „Nebenprodukt der Modernekrise“ (S. 33). Dem ist nicht zu widersprechen, doch wäre die Gewichtung des Antiamerikanismus als Randphänomen wohl angemessen. Bei aller strukturellen Ähnlichkeit waren Franzosenhass, Antibolschewismus und der damit einhergehende rassistische Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft vor 1945 die dominierenden Feindbilder. Obwohl solche Differenzierungen angesichts der apokalyptischen Folgen in der deutschen und europäischen Geschichte unwesentlich erscheinen, offenbart sich hier ein Abgrenzungs- und damit auch ein Erklärungsproblem.

Laut Schwaabe änderte sich das Verhältnis der Deutschen zu den Vereinigten Staaten nach 1945 grundlegend. Verlauf und Ergebnis des Zweiten Weltkriegs haben alle rechts-nationalen oder auch rechts-radikalen Utopien eines antiwestlichen Gegenentwurfs für lange Zeit delegitimiert. Zugleich wurden die USA in politischer, militärischer und kultureller Hinsicht zu einer europäischen Macht – mit weit reichenden Konsequenzen für Europa insgesamt, aber ganz besonders für die Westdeutschen. Der zivile und zivilisierende Charakter der amerikanischen Besatzungsmacht, die alsbald entstehende gemeinsame Frontstellung gegen die kommunistische Bedrohung aus dem Osten und nicht zuletzt die langfristig wirkende Öffnung der Gesellschaft durch den einsetzenden Massenkonsum lassen die politische Westintegration der Bundesrepublik zur historischen Wende in der (west)deutschen Geschichte werden. Ohne die Hilfe, den Einfluss oder auch das Vorbild der amerikanischen Führungsmacht im Kalten Krieg wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Das alles schildert Schwaabe sehr eindrücklich.

Gerade vor diesem Hintergrund erscheint es aber unverhältnismäßig, dass der Autor die ab den 1960er-Jahren in der bundesdeutschen Öffentlichkeit anwachsende Kritik an der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik gleichermaßen als Wende bezeichnet – unverhältnismäßig auch deshalb, weil Schwaabe selbst diese Entwicklung durchaus in den Prozess der inneren Pluralisierung der Bundesrepublik einzuordnen weiß. Spätestens an diesem Punkt führt der ständig um Differenzierung bemühte Argumentationsstil ins unscharfe Debattieren. Denn wenn der Autor vorschlägt, Kritik an der Politik der US-Regierung von ihrer essenzialisierten Begründung zu unterscheiden, ist es nicht plausibel, vom nachweisbaren Antikapitalismus in der Studentenbewegung abzusehen, um so deren linken Antiamerikanismus zum Missverständnis einer amerikanisierten Generation zu erklären. Dabei verliert diese Kategorie ihre Erklärungskraft – auch weil völlig unklar bleibt, wie sich „alte, rechte“ Moderneverweigerung und „neuer, linker“ Antikapitalismus zueinander verhalten. Unabhängig davon besitzt die vorgeschlagene Methode keine hinreichende analytische Trennschärfe, denn Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus werden gleichermaßen aus ihrem vermeintlich natürlichen Wesen begründet. Darüber hinaus ist dieses Vorgehen auch für die öffentliche Auseinandersetzung gänzlich ungeeignet, denn so kann jede politische Kritik schnell in den Verdacht der Amerikafeindschaft geraten.

Das aber kann Schwaabe nicht unterstellt werden, denn er ist in seinem gut lesbaren Buch stets um Versachlichung bemüht. Sein Verdienst ist es, dem Leser eindringlich vorzuführen, dass es im antiamerikanischen Denken in Deutschland weniger um konkrete Politik oder Erscheinungen in Kultur und Gesellschaft der Vereinigten Staaten geht, sondern um eine ideologische Konstruktion, die der amerikanischen Gesellschaft unterstellt, sie habe genetische Defizite und exportiere diese. Im antiamerikanischen Weltbild erscheinen die USA als dunkle Seite der Moderne; so können sie zum Feindbild avancieren. Viele Fragen bleiben aber offen: Was zum Beispiel ist an der geschilderten Entwicklung deutschlandspezifisch? Der Verweis auf den „deutschen Sonderweg“ kann nicht überzeugen, weil es an expliziten Ländervergleichen fehlt. Zudem könnte nach der Interdependenz von europäischem Antiamerikanismus und religiös motiviertem Sendungsbewusstsein in den USA gefragt werden. Diese Leerstellen können indes zu keinem Vorwurf an den Autor werden, sondern markieren vielmehr ein Problem der bisherigen Forschung. Schwaabes Synthese stützt sich umfassend auf deren Erträge, nimmt so auch ihre Defizite mit auf und lässt damit implizit mögliche Felder künftiger Forschung erkennen.

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