S. Epperlein: Bäuerliches Leben im Mittelalter

Cover
Titel
Bäuerliches Leben im Mittelalter. Schriftquellen und Bildzeugnisse


Autor(en)
Epperlein, Siegfried
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VII, 358 S., 104 s/w Abb.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Krieb, Historisches Institut - Mittelalterliche Geschichte, Justus-Liebig-Universität Giessen

Die Forschung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt dem Thema „Bauern im Mittelalter“ in einer Vielzahl von Spezialstudien, aber auch in großen Überblicksdarstellungen zugewandt.1 Die Publikation der letzten Quellensammlung zu diesem Thema – die von Günther Franz herausgegebenen „Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter“ - liegt jedoch bereits 37 Jahre zurück und ist zudem beim Verlag vergriffen. Das von Siegfried Epperlein nun vorgelegte Quellenwerk zum bäuerlichen Leben im Mittelalter soll diese Lücke schließen. Das Buch ist als eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme aller Quellengattungen, die Aufschluss über die bäuerliche Lebenswelt des Mittelalters zu geben vermögen, angelegt, um einen möglichst wirklichkeitsnahen und informativen Zugang zur Geschichte der Landbevölkerung zu ermöglichen. Noch stärker als schon Günther Franz hat Siegfried Epperlein literarische Quellen wie Texte der mittelhochdeutschen Dichtung, Fabeln, Sprüche, Schwänke und Lieder in die Sammlung aufgenommen. Da diese Dokumente jedoch in der Regel nicht die Sicht der Bauern selber widerspiegeln, wird besonderer Wert auf Bußbücher und Benediktionen gelegt, die zumindest einen mittelbaren Zugang zur bäuerlichen Vorstellungswelt ermöglichten. Neben den Schriftzeugnissen zieht Epperlein auch Bilder als historische Quelle heran, die Bereiche bäuerlichen Lebens und Arbeitens erschließen, die in Urkunden, Chroniken oder literarischen Texten nicht beleuchtet werden. Zu bedauern ist hingegen, dass die Abbildungen, die durchweg eine hohe Qualität und angemessene Größe aufweisen, lediglich in schwarzweiß gedruckt sind.

Die Quellensammlung gliedert sich in drei Teile, deren erster und umfangreichster der bäuerlichen Arbeit gewidmet ist. Der zweite Teil behandelt den Alltag im Bauernhaus, der dritte schließlich die Bewertung des Bauern im Weltbild des Mittelalters. Die einzelnen Kapitel werden jeweils durch eine sachkundige Einführung eröffnet, in die der Ertrag einer Jahrzehnte langen Beschäftigung mit dem Thema eingeflossen ist.2 Es schließen sich ausgewählte Quellenpassagen in deutscher Übersetzung an, denen knappe quellenkundliche Bemerkungen und einige interpretierende Sätze nachgestellt sind. Die durch das Interesse an der Alltagsgeschichte geleitete Auswahl der Quellen ergibt ein ausgesprochen differenziertes Bild bäuerlichen Arbeitens im Mittelalter. Der Leser kann anhand der Quellen die landwirtschaftlichen Arbeiten im Jahreslauf vom Pflügen und Säen bis zum Einbringen der Ernte nachvollziehen. Doch werden auch die entscheidenden Veränderungen in der mittelalterlichen Landwirtschaft wie die Einführung der Dreifelderwirtschaft, die Ablösung des Hakenpfluges durch den eine effektiver Bodenbearbeitung ermöglichenden Beetpflug und der hochmittelalterliche Landesausbau durch Rodung und Entwässerung eingehend dokumentiert.

Kritisch angemerkt werden muss an dieser Stelle, dass einige Quellenbeispiele in den Zusammenhang bäuerlichen Lebens eingeordnet werden, obwohl die Texte dies nicht unbedingt rechtfertigen. So kritisierte Erzbischof Agobard von Lyon im 9. Jahrhundert, dass der Glaube, Menschen könnten Wettererscheinungen wie Regen, Hagel, Blitz und Donner willkürlich herbeiführen, fast überall verbreitet sei, nicht allein in der Landbevölkerung. Auch die zitierten Passagen aus Annalen des 12. Jahrhunderts zum ungewöhnlich strengen und langen Winter 1150/51, der eine Hungersnot auslöste, können die spezifisch bäuerlichen Erfahrungen nicht wirklich erhellen. Als Ursache der Naturkatastrophe benennen die Annalisten nämlich eine ungünstige Konstellation der Sterne, wobei vor allem der Saturn für die große Kälte verantwortlich gemacht wird. Diese Erklärung dürfte jedoch eher ein Reflex antiken Bildungsguts in der klösterlichen Gelehrsamkeit als bäuerlicher Vorstellungen sein.

Der quellenkundliche Kommentar und die Einordnung in den historischen Kontext fällt zumeist etwas sehr knapp aus, vor allem wenn man berücksichtigt, dass das Buch an ein über den Kreis der Fachleute hinausgehendes Publikum gerichtet ist. So erscheint zumindest fraglich, was der Leser mit dem Hinweis anfangen soll, dass die „sogenannte Peterschronik [...] in einer auf dem Petersberg zu Erfurt gelegenen geistlichen Niederlassung“ entstand. Gerne hätte man auch erfahren, was man sich unter einem „geweihten Barchschwein, Votivschwein genannt“ aus den Bestimmungen über den Schweinediebstahl im Pactus Legis Salicae vorzustellen hat.

Die durchgehend nach thematischen Kriterien erfolgte Anordnung der Quellenauszüge - die Texte und Bilder sind auch innerhalb der einzelnen Kapitel nicht chronologisch geordnet - führt dazu, dass die großen Veränderungen der bäuerlichen Lebenswelt, die im Verlauf des Mittelalters zu beobachten sind, verschwimmen. So folgt etwa im Kapitel über „Fehden, Kriegsdienste und Schutz der bäuerlichen Wirtschaft“ auf ein Fastnachtsspiel des 15. Jahrhunderts völlig unvermittelt ein Bericht über die Gründe der Verweigerung der Heerfolge durch die Bauern aus einem Kapitular Karls des Großen von 811. Eine weitere Unschärfe des Bildes entsteht durch die weitgehend fehlende regionale Differenzierung.

Vor allem im zweiten Teil des Buches, das sich mit dem Alltagsleben der Bauern beschäftigt, berücksichtigt Epperlein die spezifischen Merkmale und Aussagemöglichkeiten der verschiedenen Quellengattungen nicht in ausreichendem Maße. Bilder und Texte werden in der Regel als getreue Abbilder einer vergangenen Wirklichkeit präsentiert, die keiner weiteren Interpretation bedürfen. Besonders bei fiktionalen Texten der mittelhochdeutschen Literatur ist eine realistische Interpretation, die eine Analyse literarischer Verfahren unterlässt, jedoch höchst problematisch. So zitiert Epperlein auf über neun Seiten die Darstellung einer Bauernhochzeit aus dem didaktischen Epos „Der Ring“ des Konstanzer Juristen Heinrich Wittenwiler. Zwar erwähnt er den parodistischen und satirischen Charakter des Textes, stellt ihn dem Leser aber dennoch als „wirklichkeitsnahe“ Schilderung eines bäuerlichen Hochzeitsessens vor, die einen „ungemein lebensvollen Eindruck davon vermittelt, wie es auf einer Bauernhochzeit zugehen konnte“ (S. 211). Diese Einschätzung wird dem Charakter des Werkes jedoch in keiner Weise gerecht. Wittenwiler bemüht sich in seinem „Ring“ gerade nicht um die realistische Darstellung bäuerlichen Lebens. Vielmehr dient die Figur des Bauern als negatives Beispiel für die Vermittlung einer Lehre. Bereits im Prolog weist der Autor darauf hin, dass „seine Bauern uneigentlich zu verstehen sind: Jeder ist ein Bauer, der unrecht lept“.3 Aus der zitierten Passage lässt sich daher weit mehr über die Vorstellungswelt der Einwohner von Konstanz um 1400 erfahren als über das Leben der bäuerlichen Bevölkerung.

Der dritte Teil des Buches, in dem das Bild des Bauern im Mittelalter thematisiert wird, enthält eine ausgesprochen umsichtige Auswahl der zentralen Texte zur mittelalterlichen Ständelehre und zeigt deutlich das Nebeneinander von Bauernschelte und Bauernlob in der mittelalterlichen Literatur auf. Zudem gelingt es Epperlein in diesem Abschnitt besser, die Quellen durch die Einbettung in den historischen Kontext zum Sprechen zu bringen. Hier erst löst er den in der Einleitung formulierten Anspruch ein, die anregenden Arbeiten der Historiker aus dem Umkreis der Zeitschrift „Annales“, deren Fundierung in den Quellen nicht immer zu erkennen sei, „in der auf uns gekommenen Überlieferung [zu] verorten und verankern“ (S. 5).

Insgesamt ist Epperlein ein quellengesättigter Zugang zur Geschichte der bäuerlichen Bevölkerung im Mittelalter für einen breiteren Leserkreis gelungen. Um den eigenen Anspruch auf einen „wirklichkeitsnahen Zugang“ (S. 5) in allen Teilen des als kulturgeschichtliches Quellenwerk angelegten Buches einzulösen, hätte jedoch vor allem in den ersten beiden Abschnitten zur bäuerlichen Arbeit und zum Alltagsleben eine differenzierte quellenkritische Einordnung und ein Mehr an Interpretation à la Bloch, Duby oder Le Goff Not getan.

Anmerkungen:
1 Rösener, Werner, Bauern im Mittelalter, München, 4. Aufl. 1991; Ders., Die Bauern in der europäischen Geschichte, München 1993.
2 Epperlein, Siegfried, Bauernbedrückung und Bauernwiderstand im hohen Mittelalter, Berlin 1960; Ders., Herrschaft und Volk im karolingischen Imperium, Berlin 1969; Ders., Der Bauer im Bild des Mittelalters, Leipzig 1975.
3 Cramer, Thomas, Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter, München 1990, S. 262-265.

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