J. Mokyr (ed.): The Oxford Encyclopedia of Economic History

Cover
Titel
The Oxford Encyclopedia of Economic History.


Autor(en)
Mokyr, Joel
Erschienen
Anzahl Seiten
1730 p.
Preis
$ 695.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vera Ziegeldorf, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Denis Diderot beschreibt in seinem Artikel „Encyclopédie“ deren Ziel: „Le but d'une encyclopédie est de rassembler les connaissances éparses sur la surface de la terre; [...], et de le [le système général] transmettre aux hommes qui viendront après nous; afin que les travaux des siècles passés n'aient pas été inutiles pour les siècles qui succèderont“.1 So bezeichnet man als eine Enzyklopädie den Versuch der vollständigen und strukturierten Darstellung des Wissens zu einem bestimmten Thema oder „des gesamten Wissens der Welt“. Die erste lateinische Spezialenzyklopädie, die im Gegensatz zur universellen Enzyklopädien nicht der Darstellung einer möglichst großen Anzahl von Wissensgebieten dienen, sondern das gesamte Wissen einer Disziplin unter dem Gesichtspunkt der Einheit und des sie durchdringenden obersten Lebensprinzips erschöpfend darzustellen versucht, verfasst vom römischen Staatsmann und Schriftsteller Marcus Porcius Cato (234 v. Chr.-149 v. Chr.), umfasste nur die Fachdisziplinen Landwirtschaft, Medizin, Rhetorik und Kriegswissenschaft, so dass schließlich die Ökonomie nicht berücksichtigt wurde. Erst Johann Georg Krünitz (1728-1796) legte die Oekonomische Encyklopädie vor. Krünitz, der über ein breit angelegtes Wissen, gute Sprachkenntnisse und nicht zuletzt großen Fleiß verfügte, konnte zu seinen Lebzeiten 72 Bände vollenden. Er starb, so will es die Überlieferung, angeblich ausgerechnet beim Abfassen des Artikels "Leiche". Sein Werk wurde von verschiedenen anderen Bearbeitern fortgeführt und schließlich 1858 mit Erscheinen des 242. Bandes abgeschlossen. Die Oeconomische Encyclopädie gilt heute noch als wichtige Quelle zu Wirtschaft und Technik in der Zeit zwischen Aufklärung und Industrialisierung.

Nach nunmehr 140 Jahren seit dem Abschluss "Oekonomischen Encyklopädie" von Krünitz machte sich der in Yale über industrielles Wachstum und Stagnation um 19. Jahrhundert promovierte Joel Mokyr zwar nicht an ein so umfassendes jedoch nicht weniger wichtiges Projekt für den Bereich der Wirtschaftsgeschichte: der Oxford Encyclopedia of Economic History. Fast ein Jahrzehnt haben die Editoren an dieser Ausgabe gearbeitet. Auf über 2700 Seiten werden die Beiträge präsentiert. Solche umfassende Darstellungen sind bisher rar. Sich des Stellenwertes aber auch der Dimension des Ansinnens und der Disziplin bewusst, denn immerhin verfolgt eine Spezialenzyklopädie im Gegensatz zum Fachlexikon den Anspruch der umfassenden und vollständigen Darstellung des Wissens der jeweiligen Disziplin, kann die Veröffentlichung natürlich nicht allumfassend sein: „Economic history covers nothing less than the entire material existence of the human past. […] Many areas in the field still lay largely uncovered, vast patches of terra incognita surrounding little islets of knowledge. Any synthetic and synoptic work, such as an encyclopedia, must confront this reality. […] Throughout, our approach has been eclectic, panoptic, and catholic.” (Bd. 1, xxii f.) Trotzdem büßt die Publikation nichts an ihrem Wert ein. Da die von Mokyr vorgelegten fünf Bände alle im Jahr 2003 veröffentlicht und entsprechend auch parallel bearbeitet wurden, wirken sie aus einem Guss und die Gesamtkonzeption, die im ersten Band dargestellt ist, konnte über alle Bände durchgehalten werden. Schon die Gliederung macht seinen interdisziplinären Ansatz deutlich, den er in der Einleitung erläutert: „Yet economic history is far more than a story of markets and prices; it is a story of economic interaction within families, within hierarchical structures and institutions large and small.“ (Bd. 1, xxii) So ist die Publikation denn auch mehr als eine alphabetische Aneinanderreihung und Erklärung von Begriffen und Ereignissen. Vielmehr gruppiert sich die Enzyklopädie um eine 11 gliedrige Systematik, die Länder und Regionen, Städte, Landwirtschaft, Produktionssysteme und Unternehmensgeschichte, Demographie, Institutionen Regierung und Märkte, Makroökonomische Geschichte, Geld und Banken, Arbeit, Rohstoffe und Umwelt sowie Biographien umfasst. Diese gliedern sich dann jeweils in sich noch einmal differenziert. Dabei variieren die Einträge von 500 Wörtern vor allem zu Regionen bis 8000 Wörter wie etwa zur Industrielle Revolution und Feudalismus. Umfangreichere Einträge beschäftigen sich vor allem mit makroökonomischen Fragen wie Verbrauch, Nationales Einkommen und wirtschaftliches Wachstum. Aber auch Aspekte von Geld, Banken und Finanzierungen werden beleuchtet. Über 100 Länder und Regionen abgedeckt sowie 36 Städte und 80 Industriezweige. Technologischer Wandel, Organisation, Märkte und Handel werden ebenso diskutiert. Daneben stehen biographische Beiträge zu Unternehmern, Arbeiterführern und Wirtschaftswissenschaftlern. Den interdisziplinären Ansatz zeigen vor allem die Artikel zu Kindheit, Umweltverschmutzung, Gesundheitswesen und Religion deutlich.

Die mehr als 875 Artikel, die sich mit nahezu allen Aspekten der Wirtschaftsgeschichte inklusive Begriffe, Theorien und Definitionen beschäftigen und die zeitlich sowohl von der Antike bis in das aktuelle Zeitgeschehen reichen, wenn auch der Schwerpunkt der Beiträge vor allem auf dem 17. bis 20. Jahrhundert liegt, wurden von über 800 Autoren vor allem aus Europa und Nordamerika aber auch Lateinamerika, Afrika und Asien verfasst und durch rund 850 Bildern und Darstellungen illustriert. Es ist das Verdienst des Herausgeberkollegiums, dass die Vielzahl der Autoren doch das Konzept der Enzyklopädie, was ihr zugrunde gelegt wurde, gemeinsam umsetzten oder zumindest letztlich die Beiträge in diese Struktur gebracht wurden. Ein fast zweihundert seitiger Index stellt die Bezüge unter den Beiträgen sicher und ermöglicht so das schnelle Auffinden der gesuchten Informationen. Ausgestattet mit einer Bibliographie zu jedem Eintrag ermöglicht die Publikation ein zielgenaues Weiterlesen. Innerhalb der Artikel wurde auf Querverweise verzichtet. Dafür wurde zum Teil am Ende einiger Artikel ein Verweis auf weitere Einträge aufgeführt.

Auch wenn der Verlag damit wirbt, dass kein anderes Werk so umfassend „covers economic history in all areas of the world, from prehistoric times to the present, in such depth”, so hat doch die Enzyklopädie ihren Schwerpunkt auf der „westlichen“ Welt, was sich allein an der Auswahl der Lemmata erkennen lässt. So muss auch der Herausgeber Joel Mokyr in seiner Einleitung einräumen: „To some extend it is inevitable that the economic history of the „West“ is over-represented. The bulk of modern research in the past decades has been on North America and Europe.” (Bd. 1, S. xxiii) „A balanced and fair approach to interpretation“, wie im Vorwort angekündigt, ist so nicht in jedem Fall gegeben. „In the end economic history is largely what economic historians do.“ (Bd. 1, xxv) Und auch thematisch ist die Enzyklopädie nicht ganz ausgewogen. Allein die Einträge, die sich mit der Geschichte der Landwirtschaft beschäftigen, umfassen insgesamt mehr als 200 Seiten. Die Autoren, ausgewählte Spezialisten in ihrem Bereich, scheinen auch an einigen Stellen ihr Thema etwas über zu betonen und den Blick für das Ganze z.T. in den Hintergrund geraten zu lassen. In einigen Beiträgen hätte man sich eine distanzierte Darstellung oder einen Hinweis auf Forschungskontroversen gewünscht. So blicken denn einige Autoren aus ihrer Perspektive auf die Dinge. Oder nutzen die Bibliographien zum Verweis auf eigene z.T. noch nicht erschienende Veröffentlichungen. Doch diese Petitessen schmälern nicht den Wert der Publikation. Durch den hohen Anspruch der Artikel bei gleichzeitig leicht verständlichen Beiträgen ist die Publikation sowohl für Studierende als auch für Wissenschaftler gleichwohl geeignet.

Die Tatsache, dass eine Enzyklopädie von ihrem eigenen Anspruch her strukturell und inhaltlich eigentlich nie abgeschlossen sein kann, ist eine Herausforderung an die neuen Medien. So findet sich im Anhang auch eine Liste mit Verweisen auf Internetseiten für weitere Informationen. Diese sind jedoch von z.T. eingeschränktem Wert, da einige der Seiten nicht gepflegt oder vom Netz genommen wurden. Zudem sind die URLs z.T. sehr unpraktikabel. Daher wählte Oxford University Press die Strategie der hybriden Publikation und die fünf Bände erschienen sowohl in gedruckter Form als auch als komfortable (kostenpflichtige) e-reference edition 2, die alle Einträge voll durchsuchbar mit einer Reihe von Suchoptionen im Web zur Verfügung stellt.

Anmerkungen:
1 in Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. deutsch: „Das Ziel einer Enzyklopädie ist es, die auf der Erdoberfläche verstreuten Kenntnisse zu sammeln [...] und es den nach uns kommenden Menschen zu überliefern, damit die Arbeit der vergangenen Jahrhunderte nicht nutzlos für die kommenden Jahrhunderte gewesen sei“.
2http://www.oxford-economichistory.com

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