T. Osborne: Dynasty and Diplomacy

Cover
Titel
Dynasty and Diplomacy in the Court of Savoy. Political Culture and the Thirty Years' War


Autor(en)
Osborne, Toby
Reihe
Cambridge Studies in Italian History and Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
$65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink, Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Philipps-Universität Marburg

Die Geschichte des Herzogtums Savoyen-Piemont bzw. des Königreichs Sardinien in der Frühen Neuzeit ist schon seit längerem nicht mehr allein die Domäne französischer und italienischer Landes- bzw. Regionalhistoriker. Angloamerikanische, deutsche und Schweizer Frühneuzeit-Historiker haben in den letzten Jahren Studien zu zentralen Aspekten savoyischer Geschichte im europäischen Rahmen vorgelegt, deren Themenspektrum von der Politischen bis zur Kunst- und Kulturgeschichte reicht.1

Ausgehend von der Biografie des Diplomaten Abate Alessandro Cesare Scaglia (1592-1641) gewährt Osborne in der vorliegenden Studie Einblick nicht nur in die Außenpolitik des Herzogtums Savoyen in den 1620er Jahren, sondern auch in Grundprobleme der internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit. Am Beispiel des Abate zeigt der Autor, wie sich die dynastischen Ambitionen des Hauses Savoyen und das Familieninteresse der Scaglia deckten. Scaglia war der zweite Sohn von Filiberto Gherardo Scaglia, Graf von Verrua (1564-1619), des engsten Vertrauten und "ersten Ministers" Herzogs Karl Emanuel I. von Savoyen (1580-1630). Obwohl sich die Scaglia di Verrua erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an den von Herzog Emanuel Philibert (1553-1580) von Chambéry nach Turin verlegten Hof begeben hatten, folgte seitdem ein beinahe unaufhaltsamer Aufstieg der Familie am herzoglichen Hof, der in der Vertrauensstellung Filiberto Scaglias gipfelte. Seine zwei Söhne profitierten vom Einfluss ihres Vaters, der sie Seite an Seite mit den Söhnen des Herzogs erziehen ließ. Mit Letzteren teilten sie wahrscheinlich auch den Lehrer, der kein geringerer als der einflussreiche katholische Staatstheoretiker Giovanni Botero war. Es ist gut möglich, dass Scaglia von den Konzeptionen des Theoretikers der katholischen Staatsräson entscheidend geprägt wurde (vgl. S. 69f., 225ff.).

Übernahm der ältere Bruder Augusto Manfredo Scaglia (1587-1637) nach dem Tode des Vaters dessen Position bei Hofe, wurde der jüngere Sohn zur kirchlichen Laufbahn bestimmt. Nach vergeblichen Versuchen, das Kardinalspurpur zu erlangen, schlug Alessandro die Laufbahn eines Gesandten ein, um so, gemäß der Familientradition, der Dynastie der Savoyer zu dienen und über diesen Dienst das Ansehen der Familie am Hofe zu mehren sowie ihre hervorragende Stellung innerhalb des savoyisch-piemontesischen Adels zu sichern. Nach Lehrjahren an der Kurie (1613-1623) folgten zwischen 1624 und 1631 mit längeren Aufenthalten verbundene Missionen nach Paris, London und Madrid. Seit 1631 lebte Scaglia im Exil in Brüssel, wo er 1641 starb.

Osborne gelingt es, einen repräsentativen Einblick in die Funktionsweise von Außenpolitik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu geben. Scaglias Erfolg als Diplomat beruhte vor allem darauf, dass er auch als Gesandter Patronage- und Klientelbeziehungen aufbauen konnte, die dem System ähnelten, das die Stellung und den Einfluss seiner Familie am Turiner Hof absicherte. Überall, wo er längere Zeit residierte - ob in Rom, Paris oder Brüssel -, schuf er ein dichtes Netzwerk informeller Kontakte und "Freundschaften". Die Herausarbeitung dieser "kulturellen Netzwerke" als Grundlage und Voraussetzung für das Funktionieren frühneuzeitlicher Diplomatie ist ein wesentliches Verdienst der Studie Osbornes: "Scaglia placed himself in a system of court culture and politics that crossed not only international boundaries but, in the case of the Caroline court, the boundary of confessions" (S. 275, siehe bes. S. 74-87). Als Patron förderte Scaglia besonders Künstler, er vermittelte italienische Autoren (A. Tassoni) in savoyische Dienste und trat als größter privater Auftraggeber Van Dycks in Erscheinung.2 Natürlich stand er auch in engem Kontakt mit dem Künstler-Diplomaten Peter Paul Rubens.

Auf persönlicher Wertschätzung und Freundschaft beruhte sein Kontakt zum Herzog von Buckingham, dem Favoriten und leitenden Minister Karls I. von England. Gemeinsam mit ihm wollte Scaglia eine "Achse" London-Turin begründen: Dies war der Versuch, eine eigenständige Position zweier Mittelmächte unabhängig von den Großmächten Habsburg und Bourbon zu etablieren. Dank seiner hervorragenden Beziehungen zu Buckingham wurde Scaglia als Ansprechpartner für Richelieu und Olivares gleichermaßen bedeutend und konnte eine zeitlang als Vermittler zwischen ihnen und London auftreten. Als Gegenleistung erwartete der Abate die Unterstützung savoyischer Ambitionen in Italien.

Galt Scaglia in Paris, nicht zuletzt aufgrund der dort vom Bruder geknüpften Beziehungen in den ersten Jahren seines Aufenthaltes, als frankophil, so änderte sich diese Haltung, nachdem sich Richelieu, ohne seinen savoyischen Verbündeten zu informieren, 1626 mit Spanien über eine Regelung des Veltlinkonflikts geeinigt hatte. Seitdem arbeitete Scaglia gegen Richelieu und betrieb die Wende Savoyens zu Spanien.

Die Jahre 1626 bis 1628 stellen den Höhepunkt der Karriere des Abate dar, in denen er ohne allzu enge Anbindung und Rücksprache mit Herzog Karl Emanuel I. seine Interpretation der savoyischen Staatsinteressen umzusetzen suchte. Den Wendepunkt bildet das Jahr 1628, als nach dem Ausbruch des Mantuanischen Erbfolgekrieges Savoyen mit Hilfe Spaniens versuchte, seine Ansprüche auf das Erbe der Gonzaga durchzusetzen. Noch im selben Jahr brach jedoch durch die Ermordung Buckinghams (am 28. September) der tragende Pfeiler des außenpolitischen Systems des Abate weg.

Scaglias Scheitern, sichtbar geworden in der französisch-savoyischen Allianz seit 1631, zeigt daher auch die Grenzen der Eigenständigkeit frühneuzeitlicher Diplomaten auf. In dem Augenblick, in dem Scaglia sich nicht bereit erklärte, der Richtungsentscheidung des Herzogs zu folgen, verlor er dessen Schutz und Gunst, das zwischen ihnen bestehende Herr-Klient-Verhältnis zerbrach. Dies blieb im Kreis der europäischen Gesandten nicht unbemerkt, wie Osborne anhand einer Äußerung des Brüsseler Nuntius nachweisen kann (S. 195). Scaglias Netzwerk von Kontakten und Freundschaften und das darauf gründende Informationspotential ging für Savoyen verloren. Er selbst wechselte den Patron und trat in spanische Dienste. Olivares bediente sich seiner als Informanten. Scaglia galt in Brüssel, dem Zentrum europäischer Geheimdiplomatie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als "spy-master" (S. 209). Spanische Gelder sowie der weitere Bezug der Einkünfte aus seinen piemontesischen Pfründen ermöglichten Scaglia eine repräsentative Lebensführung in seinem freiwilligen Exil in Brüssel. Der Kontakt nach Turin brach nie völlig ab, bedingt auch dadurch, dass sein Bruder engster Vertrauter des Herzogs Viktor Amadeus I. (1630-1637) war.

Wie sehr Scaglia schon 1630/1631, in der Endphase des Mantuanischen Erbfolgekrieges, aus dem intimen Kreis der Macht am Turiner Hof ausgeschieden war, zeigt die Tatsache, dass er keinerlei Kenntnis von den savoyisch-französischen Geheimverhandlungen hatte, die zur Abtretung der Festung Pinerolo an Frankreich führten. Osborne stellt diese Konsequenz des Krieges weitgehend aus der Sicht Scaglias dar und übersieht dabei, dass Frankreich die Festung, Richelieus "Einfallstor" nach Italien, bereits 1631, parallel zum Frieden von Cherasco erworben hatte. Nach Osborne erfolgt der Schwenk an die Seite Frankreichs erst 1632 mit der offiziellen Abtretung Pinerolos. Dieser Vertrag gehört jedoch, wie zahlreiche andere Manöver, zur von Richelieu und Viktor Amadeus I. inszenierten "Komödie" um Pinerolo, die dazu diente, die Öffentlichkeit und vor allem die Spanier irrezuführen. 3

Diese Ungenauigkeit in der Darstellung der Endphase des Mantuanischen Erbfolgekrieges bleibt jedoch die einzige Schwäche in Osbornes Studie, die auf einem beeindruckenden Fundament aus Quellen Turiner, Brüsseler, Pariser, spanischer sowie britischer Provenienz aufbaut. Sie zeigt darüber hinaus, welches Potential in den so genannten "diplomatischen Quellen" (vgl. z.B. S. 78) steckt, legt man das weit verbreitete Vorurteil ab, aus ihnen könnten nur die "Haupt- und Staatsaktionen" rekonstruiert werden. Osbornes Buch ist daher nicht nur die Biografie eines savoyischen Politikers, sondern ein Beitrag zur europäischen Dimension des Dreißigjährigen Krieges, der neue Perspektiven der Erforschung frühneuzeitlicher Diplomatie eröffnet.

Anmerkungen:
1 In England ist vor allem Robert Oresko (Institute of Historical Research, London) Initiator der Erforschung savoyischer Geschichte. Erstmals versuchte Geoffrey Symcox 1983 die Aufmerksamkeit der englischsprachigen Historiker auf Savoyen zu lenken (Symcox, Geoffrey, Victor Amadeus II. Absolutism in the Savoyard State 1675-1730, London 1983). Von den zahlreichen Studien Oreskos sei hier nur genannt: Oresko, Robert, The House of Savoy in Search for a Royal Crown in the Seventeenth Century, in: ders.; Gibbs, Graham C.; Scott, Hamish M. (Hgg.), Royal and Republican Sovereignty in Early Modern History. Essays in Memory of Ragnhild Hatton, Cambridge 1997, S. 272-350. Zuletzt erschienen: Pollak, Martha D., Turin 1564-1680. Urban Design, Military Culture and the Creation of the Absolutist Capital, London 1991; Storrs, Christopher, War, Diplomacy and the Rise of Savoy 1690-1720, Cambridge 1999; Oberli, Matthias, Magnificentia Principis. Das Mäzenatentum des Prinzen und Kardinals Maurizio von Savoyen (1593-1657), Weimar 1999; Externbrink, Sven, Le Coeur du monde. Frankreich und die norditalienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Richelieus 1624-1635, Münster 1999; Mörschel, Tobias, Buona Amicitia? Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002.
2 Über die Darstellung des Diplomaten Scaglia in den Bildern Van Dycks siehe die ausführlichen Erörterungen Osbornes, S. 213-232.
3 Ausführlich dargestellt bei: Externbrink, Sven, Le Cœur du monde (wie Anm. 1), S. 154-189.

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