Cover
Titel
Freundschaft – Przyjaźń. Kamerablicke auf den Nachbarn. Filmkulturelle Beziehungen der DDR mit der VR Polen 1945–1990


Autor(en)
Heimann, Thomas
Reihe
Schriftenreihe der DEFA-Stiftung
Erschienen
Anzahl Seiten
373 S., 45 Fotos
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Magdalena Saryusz-Wolska, Fachbereich für Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz / Institut für Gegenwartskultur, Universität Łódź

Das Buch von Thomas Heimann präsentiert die Ergebnisse einer gründlichen Studie zu den filmkulturellen Kontakten zwischen der Deutschen Film AG (DEFA) und dem Kino der Volksrepublik (VR) Polen. Dabei handelt es sich um eine ausführliche Darstellung vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Auflösung der DEFA. Allein die Definition dieser Zäsuren zeigt, dass der Autor eine (ost-)deutsche Perspektive auf das Thema wählt. Dies lässt sich auch anhand der verwendeten Quellen erkennen. Obgleich Heimann eine Fülle von relevanten Dokumenten zitiert, von denen viele zum ersten Mal in der Forschungsliteratur genannt werden, sind es fast ausschließlich deutsche Archivmaterialien. Er beschäftigt sich zudem wesentlich intensiver mit polnischen Motiven in den DEFA-Filmen, als mit deutschen im polnischen Kino. Man muss also vorab sagen, dass „Freundschaft – Przyjaźń” nicht als Beziehungsgeschichte der Kinematografien beider Länder geschrieben worden ist, sondern als eine Rekonstruktion des ostdeutschen Blickes auf das östliche Nachbarland.

Heimanns Arbeit ist nach mehreren Prinzipien geordnet: nach den Themen der Filme, nach ihren Genres und nach Entstehungszeiten. Jedes Kapitel ist in zahlreiche Unterkapitel gegliedert, die wiederum in der Regel einem Werk oder einem Genre gewidmet sind. Diese Aufteilung eignet sich gut für die Lektüre einzelner Abschnitte, erschwert allerdings das Lesen des Buches von der Einführung bis zum Resümee. Da in „Freundschaft – Przyjaźń” auch keine konkrete These verfolgt wird, handelt es sich eher um ein durchaus informatives Nachschlagewerk mit Angaben zu den Inhalten, vielen Details über Produktionskontexte und einigen Interpretationsversuchen. Im Klappentext wird das Buch zu Recht als eine „komplexe Zusammenschau“ beworben. Zu seinen großen Vorteilen gehört die Spannbreite der behandelten Filme. Das Buch befasst sich nämlich nicht nur mit Kino- und Fernsehspielfilmen, sondern auch mit Dokumentar- und sogar Trickfilmen, die bisher in dieser Perspektive kaum bearbeitet wurden.

Nach einer knappen Einführung in die Spezifik der kulturellen Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der VR Polen legt Heimann ein Kapitel über das Thema der „Umsiedlung“ im DDR-Kino vor. Inwiefern die „Umsiedlung“ ein deutsch-polnisches Thema ist, müsste allerdings genauer erläutert werden. Die Filme behandeln nämlich in der Regel deutsch-deutsche Geschichten, in denen es darum geht, wie deutsche Bürger ihre einst deutsche Heimat verlassen und sich in einer neuen ostdeutschen Welt zurechtfinden mussten.1 Heimann betont sogar, dass „die Herkunft von Neuankömmlingen selten thematisiert werde“ (S. 48). Schwer nachvollziehbar ist auch die Entscheidung, das Thema der „Umsiedlung“ am Anfang des Buches zu behandeln, denn das Kapitel danach ist den Filmen über den Zweiten Weltkrieg gewidmet – chronologisch liegen die Handlungen also weiter in der Vergangenheit als jene über die Flucht und Vertreibung.

Trotz seiner etwas ungewöhnlichen Platzierung im Buch überzeugt das Kapitel zur Darstellung des Zweiten Weltkrieges vor allem durch die Gründlichkeit der Recherchen zu den Produktionskontexten. Besonders interessant ist die Geschichte des wenig bekannten Films „Der Aufenthalt“ (1982), über den sich Kulturfunktionäre an den Parteispitzen in der DDR und der VR Polen wegen einer Verhörszene stritten, in der ein deutscher Protagonist von einem polnischen Offizier in Armeeuniform vernommen wird. Die Polen machten sich Sorgen um die Darstellung ihres Landes und versuchten zunächst, die Dreharbeiten und dann den Verleih des Films zu erschweren. Die Fallstudie zu „Der Aufenthalt“ ist ein guter Ausgangspunkt für eine tiefgründige Analyse der Außen- und Kulturpolitiken der DDR und der VR Polen Anfang der 1980er-Jahre. Aus heutiger Sicht bietet sie einen besonders großen Erkenntnisgewinn, denn sie weist viele Parallelen zu den Haltungen der aktuellen polnischen Regierung auf, insbesondere zu den Sorgen um das Image des Landes, wenn die ausschließliche Opferrolle im Zweiten Weltkrieg infrage gestellt wird.

Als Nächstes folgt ein Kapitel über Gegenwartsbegegnungen zwischen polnischen und ostdeutschen Filmhelden. Auch in diesem Fall ergänzt Heimann das bereits vorhandene Wissen über den Inhalt und die Stilistik der Filme mit wichtigen Hintergrundinformationen, wie etwa in seiner Analyse des Klassikers „Die Schlüssel“ (1973), einer der bekanntesten DDR-polnischen Koproduktionen. Zwar endet die Geschichte eines deutschen Paares auf seiner Reise nach Krakau tragisch (die Frau stirbt bei einem Verkehrsunfall), doch schien sie politisch ungefährlich zu sein. Und dennoch hatte der Regisseur, Egon Günther, mit zahlreichen Vorbehalten sowohl von Seiten der DEFA als auch der polnischen Kulturfunktionäre zu kämpfen.

Der letzte Teil des Buches ist den DDR-polnischen Gemeinschaftsproduktionen gewidmet. Nachdem die ersten drei Kapitel die Darstellung einzelner Epochen und Themen behandelten, müssen die Besprechungen von zwölf sehr unterschiedlichen Filmen als eine Art Ergänzung betrachtet werden. Die Stärke dieses Ergänzungskapitels liegt vor allem darin, dass dort auch Vorhaben vorgestellt werden, die entweder gar nicht oder nicht als Koproduktionen realisiert wurden. „Die letzte Etappe“ (1948) von Wanda Jakubowska entstand zum Beispiel als eine rein polnische Produktion, obwohl es Pläne gab, über die Heimann berichtet, den Film in Zusammenarbeit mit der DEFA zu drehen.

Eine eindeutige Bewertung von „Freundschaft – Przyjaźń“ fällt nicht leicht. Die Archivrecherchen, die dem Buch zugrunde liegen, sind beeindruckend. Die Fülle an Informationen, Namen, Fakten und Daten, die den Leserinnen und Lesern geliefert werden, ist überwältigend. Durch die etwas sperrige Gliederung gehen allerdings einige wichtige Kontexte verloren. Dabei könnte das von Heimann vorgestellte Material strukturierte Antworten auf wichtige Fragen geben: Wer entschied darüber, dass bestimmte polnische Themen in die DEFA-Filme aufgenommen wurden und aus welchen Gründen? Wie veränderten sich diese Strukturen im Laufe der Zeit? Wieso sind einige Filme als Koproduktionen entstanden, andere wiederum lediglich in Zusammenarbeit mit polnischen Mitarbeitern? Welche Rolle spielten die einzelnen Berufsgruppen wie Regisseure, Schauspieler, Kameraleute, Cutter usw. für den filmkulturellen Austausch? Insbesondere die Bedeutung der eher unsichtbaren Personen wie Licht- und Tontechniker oder Kostümdesigner, ohne die jedoch kein Film entstehen kann, wird in der Forschung oft vernachlässigt. Darüber hinaus stellt sich während der Lektüre des Buches die Frage, ob sich die Zusammenarbeit der DEFA mit polnischen Filmunternehmen im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern unterschied oder ob sie in ähnlichen Bahnen verlief.2

Auch wenn einige der oben genannten Aspekte punktuell erwähnt werden, fehlt dem Buch ein breiterer theoretischer Rahmen, in dem die strukturellen Aspekte der Zusammenarbeit behandelt werden könnten. Erst am Ende von „Freundschaft – Przyjaźń” fällt eine wichtige Bemerkung: „Misstrauen blieb ein Strukturmerkmal und hatte auch die Binnenbeziehungen im »Ostblock« nachhaltig geprägt“ (S. 354). Diese knapp formulierte und kaum vertiefte Schlussfolgerung hätte durchaus wie ein roter Faden durch das Buch gezogen werden können. Denn neben den zahlreichen, etwas unstrukturiert präsentierten Filmbesprechungen liegt darin der eigentliche Wert von Heimanns Arbeit: Er liefert viele gut dokumentierte Einzelbeispiele dafür, wie gespalten die Kulturpolitik im „Ostblock“ war, und mit welchem Misstrauen die Entscheidungsträger in der DDR ihre angeblichen Partner in anderen sozialistischen Ländern betrachteten.

Anmerkungen:
1 Mehr zu diesem Thema schreibt Alina Laura Tiews, Fluchtpunkt Film. Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen durch den deutschen Nachkriegsfilm 1945-1990, Berlin 2017. Die ebenfalls sehr gut recherchierte Monografie von Tiews ist zeitgleich mit dem hier besprochenen Buch erschienen, sodass Heimann sie noch nicht berücksichtigen konnte.
2 Zu den filmkulturellen Kontakten zwischen der DEFA und dem tschechoslowakischen Filmunternehmen siehe u.a. die jüngsten Arbeiten von Pavel Skopal, The Pragmatic Alliance of DEFA and Barrandov: Cultural Transfer, Popular Cinema and Czechoslovak-East German Co-productions, 1957–85, in: Historical Journal of Film, Radio and Television 38/1 (2018), S. 133–146; The Czechoslovak-East German Co-production Tři oříšky pro Popelku/Drei Haselnüsse für Aschenbrödel/Three Wishes for Cinderella: A Transnational Tale, in: Dorota Ostrowska / Francesco Pitassio / Zsuzsanna Varga (Hrsg.), Popular Cinemas in Eastern Europe: Film Cultures and Histories, London 2017, S. 184–197.

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