H. Belting u.a. (Hgg.): Quel corps?

Cover
Titel
Quel Corps?. Eine Frage der Repräsentation


Herausgeber
Belting, Hans; Kamper, Dietmar; Schulz, Martin
Erschienen
Paderborn 2002: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
510 S.
Preis
€ 48,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Naima Ghermani, Université de Picardie

Die Beziehungen und Spannungen zwischen Körper und Repräsentation wurden häufig problematisiert, aber nie zum zentralen Thema eines Buches gemacht. Es ist die Hauptqualität dieses Sammelbands, der dem Hans Belting entworfenen Konzept der Bildanthropologie verpflichtet ist, dem Verhältnis zwischen Bild und Körper nachzugehen – sowohl in der Kunstgeschichte, als auch in Literatur und Philosophie. Dabei geht es um die Repräsentation des Körpers und die Medien dieser Repräsentation, aber auch um die Medialität des Körper selbst. Der Komplexität dieser Fragestellung entspricht die Vielfältigkeit der Artikel, die auf die verschiedenen Medien eingehen, von der Malerei über die Photographie und Plakate bis zum Theater, von mittelalterlichen und frühen neuzeitlichen Grabfiguren bis hin zu "mentalen Repräsentationen". Der Reichtum der Ergebnisse ist eine Hypothek für die Einleitung aus der Feder von Martin Schulz. Er unterscheidet drei Bedeutungen des Begriffs der Repräsentation: als Vorstellung, wenn sie ein mentales Bild bezeichnet; als Darstellung in ihrem theologisch-christlichen Sinn; als juristischer Begriff der Stellvertretung. Diese drei Aspekte der Repräsentation ebenso wie die Konstellationen ‚Körper und Medium‘ und ‚Körper als Medium‘ werden anschließend in 30 Artikeln innerhalb von drei Blöcken behandelt – "Soziale Repräsentation des Körpers", "Körperbild und Gesellschaft" und "mentale Repräsentationen".

Hans Belting beginnt mit einem spannenden Artikel zu Porträts auf Gräbern. Dabei geht es besonders um Grabskulpturen (Gisants), die ebenso wie die Wachspuppen des Königs eine rechtliche Relevanz besitzen konnten. Solche Scheinkörper aus Wachs oder aus Stein übernahmen eine rechtliche und soziale Funktion, die sie von den anderen Bildern abhebt und die Kunsthistoriker von einer "Antirepräsentation" sprechen lässt, da die Darstellung eines Schädels oder Leichnams neben einem Porträt der Nachahmung des lebenden Körpers auf dem Grabmal widerspricht. In der gleichen Richtung untersucht Thomas Macho das Motiv des steinernen Gastmahls bzw. den Topos des lebenden Bildes oder der sprechenden Statue, das die Frage der Anwesenheit des Todes in Ikonen, Effigien und Reliquien hervorruft. Die Darstellung des Todes in effigies und im Grabmal behandelt auch der Artikel Ulrich Schulzes über den Escorial als Ort des königlichen Totenkults und als Bühne des politischen Körpers des Königs. Letzterer dürfte auch das Hauptthema des berühmten Werkes von Velasquez, Las Meninas, gewesen sein. Dieses Gemälde veranlasste auch Foucault zur Formulierung der ‚Episteme‘ der Frühen Neuzeit, die der Beitrag von Rudolf Sievers analysiert. Die Rolle von Bildern im Bildkult, als Erinnerungsobjekt oder als Medium der Kommunikation mit den Toten, zeigt also die Funktion der Bilder als Mittel der Interaktion. Darauf zielen auch die Artikel von Adrian Stähli über Bilder und ihre Bedeutung in der griechischen Antike (von eikones bis eidola) und von Dominic Oliarus über die Totenmaske im Mittelalter. Dabei geht es auch um ihre Beziehung zu Porträts auf Grabskulturen und um die Frage der Ähnlichkeit, die mit dem Aufkommen des Dogmas der Transsubstantiation in Verbindung gebracht wird. Damit steht erneut die christliche Theologie im Herzen der Problematik des Sammelbandes, jedenfalls für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit. Der Ursprung des Porträts und der Debatten um das Porträt ist die ‚Vera Icon‘, das ursprüngliche Bild (acheiropeiton) und seine Darstellung in der Malerei, die von Christiane Kruse untersucht wird.

Nach den Beiträgen zur Bildanthropologie wird der interdisziplinäre Teil des Buches bestritten durch Artikel aus der Philosophie, der Literaturwissenschaft und der Soziologie, verfasst von Dietmar Kamper, -Elisabeth von Samsonow, Christoph Wulf, Cornelia Klinger und Gunter Gebauer. Daneben stehen die Artikel von Carlo Ginzburg über die Genealogie des politischen Amerikanischen Plakats ("your country needs you"), die Überlegungen Valentin Groebners über die Bedeutung des "Scheins" und die Darstellung des Individuums in der Frühen Neuzeit sowie die Ausführungen Claudia Bentheins zur Darstellung des Undarstellbaren, etwa des Schweigens. Die Beiträge über die Rolle des Körpers in der Photographie (Boris Groys, Ursula Frohne) und in der zeitgenössischen Kunst (Hans Ulrich Reck) werden durch die Untersuchung ihrer Verbindungen mit den Kognitionswissenschaften und der Medizin von Detlev Linke zur Alzheimerkrankheit ergänzt. Die Bildanthropologie, so wie Belting sie skizziert und theorisiert hat, zeigt hier also verschiedene Aspekte, die das Konzept verbreitern oder in eine andere Richtung lenken.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension