T. Bauer: Blockpartei und Agrarrevolution von oben

Cover
Titel
Blockpartei und Agrarrevolution von oben. Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands 1948-1963


Autor(en)
Bauer, Theresia
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte 64
Erschienen
München 2003: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
639 S.
Preis
€ 84,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Kuntsche, Uelitz

Das Buch stellt die gekürzte und überarbeitete Fassung einer 1999 an der Fakultät für Geschichts- und Kulturwissenschaften der Universität München verteidigten Dissertation dar. Theresia Bauer untersucht die Geschichte der DBD von ihrer Gründung 1948 bis 1963 – bis zur Verdrängung der DBD-Politiker aus der staatlichen Leitung von Land- und Forstwirtschaft. Die Analyse folgt drei Sichtachsen: innere Parteientwicklung, Stellung im DDR-Herrschaftssystem und agrarpolitisches Wirken. Der Blick ruht vornehmlich auf der zentralen und bezirklichen Leitungsebene, dringt teilweise aber auch bis zur Kreisebene vor.

Die Analyse von Gründungsgeschichte, Stellung im Parteiengefüge und Einordnung in den Machtapparat in den Anfangsjahren beansprucht fast die Hälfte der Darstellung. Wie schon der Buchtitel signalisiert, handelt es sich bei der DBD - wie schon lange vermutet, aber erst nach 1990 dokumentarisch nachweisbar - um eine von oben initiierte Parteigründung: „Verantwortlich für die künstlich herbeigeführte Gründung war allein die SMAD, die die zunächst unwillige SED für diese Aufgabe in die Pflicht nahm.“ (S. 533) Bauer rekonstruiert die Entstehungsgeschichte auf der Basis der seit 1990 umfassend zugänglichen Quellenfonds der SED und der DBD in allen Einzelheiten. Die Personaldossiers im Archiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und Erinnerungen in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv ermöglichen eine biografische Analyse der Führungskräfte. Fazit: Alle Führungskader „hatten ihre politische Zuverlässigkeit im Sinne der SMA und SED durch eine Tätigkeit in den Genossenschaften, der VdgB, als Bürgermeister oder als hauptamtliche Funktionäre der SED bereits vor 1948 bewiesen und brachten fast durchgängig ein besonderes Interesse für die Landwirtschaft und davon abgeleitet für eine Bauernpartei als Interessenvertretung [sic!] der ländlichen Bevölkerung mit“ (S. 110f.). Samt und sonders hatten die Spitzenfunktionäre und Landesvorsitzenden vorweg der SED angehört. Beinahe beiläufig bemerkt Bauer, dass die ältere Führungsriege trotz aller politischen Nähe zur SED doch auf die Eigenständigkeit der DBD bedacht war“ (S. 294). Bis Ende 1952 mit ihrem eigenen Aufbau beschäftigt und nur ad hoc agierend, entwickelte sich die DBD „zusehends in Richtung einer programmatisch festgelegten, organisierten und kadergestützten Transmissionspartei“ (S. 183). Obwohl erst im neuen Programm 1957 auch expressis verbis auf den Aufbau des Sozialismus festgelegt, ließ sich die DBD ab Ende 1952 einbeziehen in die Kampagnen der SED zur LPG-Gründung (wobei Kreisvorstände zu Komplizen nötigender Agitation in den Dörfern wurden), engagierte sich im Zeichen des „Neuen Kurses“ nach dem 17. Juni für die Stabilisierung des LPG-Sektors und hatte schließlich Anteil am Endlauf der erzwungenen Vollkollektivierung im Winter 1960. Eine Durchdringung und umfassende Kontrolle aller Leitungsebenen wurde ab 1958 zur Realität – im kombinierten Einsatz von Staatssicherheit und Wirken des SED-Organs „Befreundete Organisationen“. Der VI. Parteitag im Mai 1960 markiert dann eine Zäsur. Hier „unterwarf sich die DBD in ihrer Tätigkeit ganz der ‚Führung der SED’“ (S. 472): Eine Arbeitsgruppe der genannten SED-Stelle erstellte die Grundsatzdokumente des Parteitags. Dennoch: „Das Verhältnis der Bauernpartei zur SED war stärker von Reibungen geprägt und von mehr Konfliktlinien durchzogen als bislang bekannt.“ (S. 550)

Trotz der einleitend gemachten Einschränkung, dass das Agieren der DBD im Dorf und die Reaktion der Parteibasis nicht Gegenstand der Untersuchung ist, bietet das Buch für alle Zeitschichten mannigfachen Einblick in das Denken und Handeln von Mitgliedern der Parteibasis. Die Parteibasis kommt vor allem dann ins Bild, wenn sie Bezugspunkt des Agierens der Führung ist. Wo spärliche Quellenzeugnisse Ausgangspunkt einer generalisierenden Wertung werden, wie etwa bei den tiefen gesellschaftlichen Erschütterungen Mitte Juni 1953, werden weitere Recherchen erforderlich sein. Insgesamt aber gilt, dass die Aussagen zur DBD-Basis in dieser politikgeschichtlich angelegten Monografie wertvolle Bausteine für eine Alltags-, Mental- und Sozialgeschichte der ländlichen Gesellschaft im Transformationsprozess sind.

Die Darstellung der Wirkungsgeschichte führt Bauer in Fortführung von Überlegungen von Bernhard Wernet-Tietz1 immer wieder zu der zentralen Frage, ob und in welchen Aspekten und Begrenzungen das Handeln der DBD als Interessenvertretung der Bauern zu werten ist. Grundsätzlich betont sie, dass es sich nicht um eine genuine Interessenpolitik gehandelt hat: „Was so aussah, war immer eine von den Herrschaftsinstanzen, der SED oder sowjetischen Stellen, abgeleitete und auf ihre Herrschaft bezogene Variable.“ (S. 546) Blickrichtung ist durchgängig das Interesse einzelbäuerlichen Wirtschaftens, wobei kaum nach sozioökonomisch bedingten Modifikationen gefragt wird. Merkwürdigerweise folgt Bauer auch dem Trend, stets Großbauer in Anführungszeichen zu setzen, statt in Abgrenzung von der diffamierenden und exzessiven SED-Terminologie dörfliche Realitäten ins Auge zu fassen. Mit Blick auf Einzelbauern stellt Bauer wertend fest: „Bäuerliche Interessen brachte die DBD mit einigem Erfolg nur dann ins Spiel, wenn es darum ging, Reibungswiderstände zwischen dem agrarpolitischen Kurs der SED und den realen Verhältnissen zu mindern und zu stabilisieren“ (S. 417). So sieht sie die DBD als „Stoßdämpfer“ (S. 552). Andererseits erwähnt sie mehrfach eine Interessenspaltung in der bäuerlichen Mitgliedschaft als Folge fortschreitender LPG-Bildung und verweist schließlich sogar auf „von der Kollektivierung begeisterte Mitglieder“ (S. 548). Bis zum Frühjahr 1953 war „ein Fünftel aller LPG auf Initiative von DBD-Mitgliedern“ (S. 539) entstanden. Im März 1959 gehörten 41 Prozent der bäuerlichen Mitglieder einer LPG an (Tabelle 24, S. 586). Wäre dies nicht bei der Frage nach der Interessenvertretung zu berücksichtigen gewesen? Dieser Aspekt führt direkt zur Frage nach der Rolle der DBD im Transformationsprozess. In den Schlussbemerkungen urteilt Bauer, dass „die elastische und dauerhaft konfliktentschärfende Funktion der DBD in der Gewichtung mindestens ebenso hoch zu veranschlagen [ist] wie ihr Beitrag zur Transformationspolitik“ (S. 552). Ist der erste Aspekt gleichsam der rote Faden der Analyse, so bleibt der zweite unterbelichtet. Dieser Aspekt ist hingegen konzeptionelle Leitlinie der beschreibenden Darstellung von Hans Reichelt.2

Das umfangreiche Literaturverzeichnis weist fast alle agrargeschichtlich relevanten Titel bis 1998 aus. Allerdings fallen Unausgewogenheiten in Bewertung und Bezugnahme auf. Mit Argwohn scheint Bauer auf Titel aus DDR-Zeiten bzw. aus der Feder von Forschern mit einer DDR-Biografie zu schauen, und zuweilen vermeint man Scheu zu verspüren, sich auf solche Titel zu beziehen. Richtig ist: Was vor 1989 in Ost und West geschrieben wurde, muss nachgeprüft werden, weil vorher die Herrschaftsarchive nicht oder nur ganz beschränkt zugänglich waren. Das gilt auch für die vier im Auftrage des DBD-Parteivorstands entstandenen Dissertationen (von Bauer als Diplomarbeitern verkannt).

Das Buch erschließt eine vielgestaltige archivalische Quellenbasis. Mehrfach lässt uns Bauer direkt teilhaben am Erkenntnisprozess. Mit den Augen des Archivars schauend, halte ich das methodische Vorgehen bei der Rekonstruktion der historischen Tatsachen und besonders die diffizile quellenkritische Aufbereitung des Faktenmaterials für beispielgebend. Es ist aber zu fragen: Warum wird auf die Befragung von Zeitzeugen verzichtet? Die genannte Darstellung von Reichelt offenbart z.B. viele Spuren einer personengebundenen Tradition.

Die Überarbeitung hat eine übersichtlichere, aber dennoch infolge der erdrückenden Detailfülle schwer fassbare Redaktion hergestellt. Bisweilen überrascht Bauer mit Wertungen, so etwa, wenn sie mit Blick auf den Untergang der DBD im Vereinigungsprozess 1990 ihr Buch wie folgt ausklingen lässt: „Für dieses künstliche Gebilde gab es keinen Grund, weiterhin zu bestehen.“ (S. 557) Ein solches Urteil für eine Partei mit 40-jähriger Geschichte, die im Herbst 1989 immerhin 120.000 Mitglieder zählte, von denen sich die Mehrzahl noch Mitte 1990 mit dieser Partei identifizierte? Ein solches Urteil, obwohl Theresia Bauer die Geschichte dieser Partei und ihr Wirken in den Dörfern und Agrarbetrieben für die letzten 25 Jahre gar nicht zum Gegenstand analytischer Untersuchungen macht?

Hier ist nicht der Platz, die z.T. exkursartig breiten Ausführungen zur SED-Agrarpolitik zu bewerten. Trotz aller Einschränkungen: Hier liegt eine methodisch saubere, von großer Professionalität zeugende, quellenmäßig ungemein breit fundierte Geschichtsanalyse und -darstellung vor. Sie darf als Grundstein für eine umfassende Geschichte der DBD gelten, verlangt aber vor allem eine Ergänzung hinsichtlich Einstellung, Verhalten und Wirken der Parteibasis. Es ist sehr zu wünschen, dass die Pionierarbeit von dieser Qualität eine Fortsetzung findet.

Anmerkungen:
1 Wernet-Tietz, Bernhard, Bauernverband und Bauernpartei in der DDR. Die VdgB und die DBD 1945-1952, Köln 1984.
2 Reichelt, Hans, Blockflöte, oder was? Zur Geschichte der DBD 1948 bis 1990, Berlin 1997.

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