G. Ball u.a. (Hrsg.): Schule und Bildung in Frauenhand

Cover
Titel
Schule und Bildung in Frauenhand. Anna Vorwerk und ihre Vorläuferinnen


Herausgeber
Ball, Gabriele; Jacobi, Juliane
Reihe
Wolfenbütteler Forschungen 14
Erschienen
Wiesbaden 2015: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Karin Manz, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich

Die im vorliegenden Sammelband veröffentlichten zwölf Aufsätze sind das Ergebnis eines Arbeitsgesprächs an der Herzog August Bibliothek (HAB), Wolfenbüttel, anlässlich der Wiedereröffnung des Anna-Vorwerk-Hauses. Die beiden Herausgeberinnen Gabriele Ball und Juliane Jacobi realisierten ein epochenübergreifendes, interdisziplinäres Arbeitsgespräch, an dem Forschende aus den Disziplinen Pädagogik, Geschichte, Theologie und Germanistik teilnahmen. Ziel der Veranstaltung war, unter dem programmatischen Titel „Schule und Bildung in Frauenhand“ verschiedene Aspekte des Verhältnisses von Frauen und schulischer Erziehung und Bildung zu beleuchten und weibliche pädagogische Handlungsspielräume seit der Frühen Neuzeit bis um 1900 zu ergründen. Der vorliegende Sammelband, in dem etwas vollmundig „erstmals nach weiblichen Schulstiftern gefragt wird“, möchte denn auch die Forschungslücke schließen, dass „in Deutschland bisher niemand systematisch“ dieser Frage nachgegangen sei (S. 15). Zwar eine Formalie, doch befremdend ist die Verwendung des Terminus‘ „weiblicher Stifter“, erlaubt doch die deutsche Sprache die Bezeichnung „Stifterin“ für Akteure weiblichen Geschlechts.

Der elegante Hardcover-Band vereinigt neun Beiträge zu Frauen der Bildungsgeschichte, zwei zu weiblichen Kollektiven sowie ein Überblickskapitel zur Schule in der Frühen Neuzeit. Neun Farbabbildungen und zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen sowie ein Personenregister ergänzen das aufwändig gestaltete Buch. Nach einem Vorwort der Herausgeberinnen sowie dem einleitenden Kapitel zur Person Anna Vorwerk, gruppieren sich die Beiträge in zwei Sektionen, übertitelt mit „Christliche Lehrerinnen und adelige Mäzeninnen“ sowie „Broterwerb und Mission“. Damit ist auch schon das Panoptikum an unterschiedlichen Beweggründen und Motivationen der beschriebenen Frauengestalten eröffnet, sich im Feld der Erziehung und Bildung zu betätigen.

Der erste Beitrag von Juliane Jacobi stellt Anna Vorwerk (1839–1900), die zentrale Figur und Namensgeberin des Sammelbandes ins Zentrum. Obwohl für die einzige Tochter aus großbürgerlichem Elternhaus keine Berufstätigkeit vorgesehen war, entwickelte sich Vorwerk zur erfolgreichen Bildungsunternehmerin. Das Todesjahr von Anna Vorwerk markiert das Ende der zeitlich bearbeiteten Periode des Buches.

Der erste Teil Christliche Lehrerinnen und adelige Mäzeninnen umfasst sieben Beiträge: Heide Wunders Kapitel „Schule halten in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung“ ist mit 31 Seiten der längste Beitrag, doch er ist jeden Satz wert. Die kompetente, sorgfältige Darstellung des frühneuzeitlichen Lehr- und Lernmarkts ist ein Highlight des vorliegenden Bandes. In knapper Übersicht werden die Optionen für Schulmeisterinnen im niederen Schulwesen des 16.–18. Jahrhunderts und in privaten Winkelschulen sowie in der Ausbildung höherer Töchter (häuslicher Unterricht, Pensionate) dargestellt. Die Frage nach der Möglichkeit, wann, wo und wie eine Frau in dieser Zeit unterrichten oder selbständig ein Lehr- und Lernangebot anbieten konnte und für wen, durchzieht diesen Beitrag systematisch. Dabei kommt die Beschulung von Jungen und Mädchen, aber auch die Arbeitssituation von Frauen und Männern je nach rechtlicher, ökonomischer und gesellschaftlicher Situation zur Sprache. Eine besondere Aufmerksamkeit wird den Arbeitsmöglichkeiten von Lehrerinnen je nach konfessioneller Ausrichtung einer Gegend gewidmet. Diese Ergebnisse relativieren das durch Karin Hausen aufgestellte Konzept der Geschlechtercharaktere in Bezug auf die Tätigkeiten weiblicher Lehrpersonen auf dem deutschsprachigen Lernmarkt unerwartet: „Die weltlichen katholischen Lehrerinnen standen in der Tradition der z.T. von Nonnen getragenen öffentlichen Mädchenbildung, im protestantischen Raum setzten Privatlehrerinnen die Tradition der konzessierten Winkelschullehrerinnen und der Haulehrerinnen fort.“ (S. 75)

Mit Magdalena Heymair (circa 1535–1586) stellt Cornelia Niekus Moore eine Frau vor, die eine Stelle als Hauslehrerin antrat, später mit ihrem Mann Wilhelm im oberpfälzischen Cham und in Regensburg eine deutsche Schule eröffnete und als Witwe wiederum als Hauslehrerin und Hofmeisterin arbeitete. Heymair gab als Autorin drei Werke heraus, die den konfessionell geprägten Unterricht an deutschen Schulen reflektierten. Frauen konnten also qua Beruf im frühneuzeitlichen Erziehungssystem in verschiedenen Funktionen partizipieren.

Die Beiträge von Gabriele Ball (über Anna Sophia von Schwarzburg-Rudolstadt [1584–1652]) und von Sigrid Westphal (über Herzogin Anna Sophia von Braunschweig-Wolfenbüttel [1598–1659]) sowie von Ulrike Witt (über Henriette Catharina von Gersdorff [1648–1726]) geben Einblick in das Mäzenatentum von adeligen Frauen im Witwenstand. Westphals Beitrag fasziniert, weil er auf die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen und die sich dadurch ergebenden Handlungsoptionen der Witwe fokussiert. Sie wird „als Landesherrin in den ihr zugewiesenen Ämtern [dargestellt], was sie zwangsläufig in Konflikt mit Herzog August bringen musste, der seinerseits die Zuständigkeit über das Schulwesen in allen Ämtern seines Herrschaftsterritoriums als Hoheitsrecht beanspruchte“ (S. 147). Witt hingegen berichtet über einen Misserfolg: Das von Freifrau von Gersdorff unterstützte Gynäceum in Halle als Erziehungsanstalt für Töchter höherer Stände scheiterte am pietistischen Erziehungsprogramm, das an den Bedürfnissen der Klientel und deren Vorstellung einer standesgemäßen Erziehung vorbeiging.

Zwei Kapitel gehen über den deutschen Sprachraum hinaus; die Verbindung ihrer Themen zum deutschsprachigen Untersuchungsraum erschließen sich nicht wirklich: Anne Conrad verfolgt unter dem Titel „Lehrerinnen oder Nonnen?“ die Frage, wie weltliche und geistliche Interessen innerhalb der katholischen Lehrorden der Ursulinen und Englischen Fräuleins miteinander verflochten waren und über welche pädagogisch-didaktischen Kompetenzen die als Lehrerinnen arbeitenden Nonnen verfügten. Juliane Jacobi stellt Madame de Maintenon (1635–1719) und ihre Schulgründung in Saint-Cyr vor.

Im zweiten Teil stehen vier Kapitel unter dem Titel Broterwerb und Mission: Wie eine Armenschule, die von einem überkonfessionell organisierten Frauenverein gegründet worden war, sich Mitte des 19. Jahrhunderts zur zweitgrößten höheren Mädchenschule Hamburgs, der Schule des Paulsenstifts, entwickelte, stellt Elke Kleinau vor. Es wird auf ein breites Netzwerk von Frauen aus dem gehobenen Kaufmannsstand verwiesen, das sich auf Ansehen und finanzielle Ressourcen stützen konnte, jedoch bei der Führung seines privaten Bildungsunternehmens zunehmend mit den staatlichen Normierungen zu kämpfen hatte.

Der Beitrag von Franziska Dösinger beleuchtet die katholische Fürsorge und Bildungsarbeit am Beispiel der Gemeinschaft der Schwestern der Christlichen Liebe und ihrer Gründerin, Pauline von Mallinckrodt (1817–1881). Deren karitatives Engagement äußerte sich vor allem in der Blindenarbeit. In der Folge des Kulturkampfes suchte die Kongregation neue Wirkungsstätten in Belgien sowie in Nord- und Südamerika.

Julia Hauser geht mit einem Artikel über Malita Karabat (1832–1903) und die Anfänge eines protestantischen Mädchenwaisenhauses im spätosmanischen Beirut über Mitteleuropa hinaus – im Rahmen des Sammelbandes steht dieser Beitrag aber etwas verloren neben den anderen und öffnet mit dem Thema der Mission nochmals ein ganz neues Feld.

Brigitte Augustin befasst sich mit Henriette Schrader-Breymann (1827–1899) und legt weitestgehend deren (hinlänglich bekannte) Biographie, das Lebenswerk und die durch Fröbel beeinflusste Pädagogik dar. Der schwierigen Beziehung zwischen Vorwerk und der Grande Dame der deutschen Frauenbildungsbewegung, zweier ganz unterschiedlich agierender Persönlichkeiten, ihrer gemeinsamen Zeit an den Wolfenbütteler Schlossanstalten und dem Bruch der beiden Frauen werden nur gerade zwei Seiten gewidmet. Die dabei gewählte sachliche, unparteiische Darstellung jedoch überzeugt.

Der Sammelband leistet mit dem Sichtbarmachen von zum Teil bislang wenig bekannten Schulstifterinnen aus vier Jahrhunderten einen wichtigen Beitrag zur Frauengeschichte. In vielen Artikeln dominiert jedoch die hagiographische Darstellung der vorgestellten Frauen, ihrer Biographie und institutionellen Affiliation. Die im Vorwort nur sehr knapp zusammengetragenen „Beobachtungspunkte“ (S. 15f.) zu religiösen Impulsen, konfessionellen Unterschieden, Herrschaftsansprüchen und -interessen, pragmatisch-wirtschaftlichen Aspekten sowie zur Unterstützung mächtiger und einflussreicher Männer wären meines Erachtens die eigentlich spannenden Elemente einer Stifterinnen- und Mäzeninnen-Geschichte. Gerade weil eben die Motivation für ein Engagement im Bereich der Erziehung und Bildung je nach Schicht und Status der einzelnen Schulstifterin so unterschiedlich war, wäre ein systematischer Fokus auf die sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge und Kontexte sowie ein stärkerer Vergleich zwischen den einzelnen Persönlichkeiten ein Gewinn für diesen Band gewesen: Ob man aus ökonomischer Notwendigkeit eine Bildungsinstitution gründete, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten und gleichzeitig die Legitimation als unverheiratete Frau zu erhalten oder ob man in Adelskreisen in barmherziger Mildtätigkeit als wohlhabende Sponsorin auftrat, setzt ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen für eine Schulstiftung. Damit verbunden sind Fragen der Macht bzw. der Abhängigkeit (von Männern). Doch nur einige Autorinnen nehmen diesen Ball auf und verfolgen einen explizit sozialgeschichtlichen Ansatz, der meines Erachtens zur Bearbeitung des vorliegenden Forschungsvorhabens besser geeignet gewesen wäre.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension