U. L. Lehner: The Catholic Enlightenment

Cover
Titel
The Catholic Enlightenment. The Forgotten History of a Global Movement


Autor(en)
Lehner, Ulrich L.
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
£ 19.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Bock, Katholisch-Theologische Fakultät, Eberhard Karls Universität Tübingen

Bei dem zu rezensierenden Buch des an der Marquette University lehrenden Kirchenhistorikers Ulrich L. Lehner handelt es sich um den vorläufigen Schlusspunkt einer Serie von Publikationen des Autors zu dem vom Buchtitel bezeichneten Thema.1 Zu Recht bezeichnet der Schutzumschlag des Buches den Autor als „leading scholar“ auf dem Forschungsfeld der Katholischen Aufklärung: „he knows more about it, and has done more to make it accessible, than anyone else“, so die hier wiedergegebene Stimme eines US-amerikanischen Kollegen.

Die Katholische Aufklärung auf breitem Raum zugänglich machen – so ließe sich das Kernanliegen der 272 Seiten starken, für den anglo-amerikanischen Markt geschriebenen Studie auf den Punkt bringen. Mit narrativen Textpassagen und profunden, dichten Quellenbeschreibungen möchte Lehner erkennbar einem größeren Publikum ohne spezielle religionshistorische Vorbildung die „vergessene Geschichte“ jener Reformkatholiken des 18. und 19. Jahrhunderts näherbringen, die wir heute als „aufgeklärt“ bezeichnen. Bei ihnen sieht Lehner viele Ideen der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere das Aggiornamento des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965), ja sogar einige Anliegen des aktuellen Papstes Franziskus vorweggenommen. Denn bereits aufgeklärte Katholiken verfolgten das Ziel der Aussöhnung von Religion und Moderne unter Einbezug gegenwärtiger Erkenntnis und zeitgenössischer sprachlicher Artikulationsfähigkeit (S. 7). Katholische Aufklärung gilt Lehner daher als eine heterogene, im besten Sinne dialogoffene Reformbewegung (S. 8), die sich einerseits von fanatischem Enthusiasmus, religiösem Aberglauben und blinden Vorurteilen abzugrenzen wusste (S. 9), andererseits jedoch nicht mit der katholischen Glaubenstradition brechen wollte, im Gegenteil: Explizit nahm zum Beispiel der spanische Benediktinermönch Benito Jerónimo Feijoo auf die Scholastik Bezug, wenn er für eine wahre wissenschaftliche Erkenntnis stritt (S. 38). Auch die Kirchenväter und Konzilien, allen voran das Tridentinum (1545–1563), bildeten für katholische Aufklärer wichtige Referenzpunkte.

Dabei versteht das Buch Aufklärung als Globalgeschichte (Kap. 1): In jedem der – neben Einleitung und Fazit – insgesamt sieben Kapitel wird eine transnationale Perspektive eingenommen, und Themen wie Toleranz (Kap. 2), Frauenrechte (Kap. 3), „Catholic Enlightenment in the Americas, China, and India“ (Kap. 4), Teufel und Dämonen (Kap. 5), Heilige und Sünder (Kap. 6) sowie Sklaverei (Kap. 7) werden aus Sicht verschiedener katholischer oder katholisch missionierter Länder beleuchtet. Ein gewaltiges Unterfangen, das in den meisten Fällen überzeugend gelingt. Inwieweit jedoch wirklich von einem konsequent globalen Blickwinkel Lehners gesprochen werden kann, wäre zu diskutieren, zumal der Autor zumeist einem wohl den Quellen geschuldeten Eurozentrismus nicht entweichen kann. Vor allem die romanischen Länder (Frankreich, Italien, Spanien) werden als Vergleichspunkte herangezogen. Dieses Argument ist aber weniger als Kritikpunkt denn als vorsichtige Anfrage zu verstehen, denn Lehners Studie fasziniert durch das profunde Wissen des Autors über eine aufgeklärte Gelehrtenkultur, das immer wieder aufscheint.

Die häufigen Brückenschläge zum 20. Jahrhundert sind aufgrund der andersartigen gesellschaftlichen Kontexte mutig, manche Begriffskonstellationen wirken ein ums andere Mal gewagt. Können etwa Alfons Maria von Liguori (1696–1787) und Benedikt Labre (1748–1783) in ihrer Armenfürsorge tatsächlich ähnliche Motive wie den Befreiungstheologen des 21. Jahrhunderts unterstellt werden (S. 179)?

Zumindest implizit verhandelt die Untersuchung das Phänomen der Katholischen Aufklärung dann doch als einen Elitendiskurs. Sozialgeschichtliche Einblicke bekommt das Lesepublikum höchstens indirekt, über die Eindrücke und Beobachtungen katholischer Intellektueller (z.B. Lodovico Antonio Muratori). Die tatsächliche pastorale Praxis „von unten“, nicht nur theoretische Entwürfe von Visionären und Vordenkern der Zeit, wird bei Lehner nachrangig verhandelt. Anstelle der Analyse der pastoralen Impulse jener klugen Köpfe – wie vermittelte man etwa der gemeinen Bevölkerung eine „defense of women’s rights“ (S. 102)? – hat für ihn die exemplarische Vermessung zeitgenössischer intellektueller Profile Priorität. Gleichzeitig schreibt der Autor Genese und Verlauf der Katholischen Aufklärung nicht als eine reine Erfolgsgeschichte. Bereits in der Einleitung verspricht das Buch, nicht zu glorifizieren und auch auf die „dark sides“ der Reformbewegung aufmerksam zu machen (S. 13) – und gelangt zu einer differenzierten Beurteilung etwa der Sklavenfrage: Viele katholische Aufklärer wie der portugiesische Priester Ribeiro Rocha konnten Mitte des 18. Jahrhunderts ihre moralische Ablehnung der Sklaverei sehr gut theologisch begründen, verhielten sich aber eher passiv, wenn es um konkrete Hilfeleistungen ging (S. 205).

In seinem Fazit erklärt Lehner das Ende, ja wörtlich „den Tod“ (S. 206) der Katholischen Aufklärung mit dem Wiedererstarken des ultramontanen, papstzentrierten Katholizismus zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Napoleon habe 1801 durch den Frieden von Lunéville bzw. die Säkularisation die bisherigen kirchenpolitischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt: Durch den herrschafts- und vermögensrechtlichen „Kahlschlag“ auf diözesaner Ebene „one could only look to Rome for guidance because […] papal authority remained intact“ (S. 216).

Der Autor entscheidet sich also für eine Betonung des Bruches und nicht möglicher Kontinuitäten, wie sie jüngst Andreas Holzem herausgestellt hat.2 Denn auch wenn wir im 19. Jahrhundert selbstverständlich einen stark ausgeprägten ultramontanen, romtreuen Katholizismus beobachten können, bestehen andere vormodern ausgeprägte katholische Identitäten nach wie vor weiter. Folgt man dem Alternativkonzept Holzems, wird freilich der Begriff der Konfessionalisierung sehr weit gefasst und gilt in unterschiedlichen Nuancen und Schattierungen von 1550 bis 1850. Die Katholische Aufklärung wäre dann eine Form der Konfessionalisierung, in der spezifische Bedürfnisse des damaligen Katholizismus bedient wurden.3 Ein solches Zeichnen einer langen Linie hat unübersehbar ihren Preis: Entscheidet man sich für das Kontinuitätsmodell, müssen offensichtliche Differenzen wie die Definition von Aufklärung als „Anti-Barock“ (Peter Hersche)4 und die Transformation der katholischen Frömmigkeitskultur vom – bildlich gesprochen – barocken Bildstock zur jansenistischen Bibellektüre zu bloßen Oberflächenprozessen erklärt werden. Hier wurde religiöses Wissen lediglich anders arrangiert, was sich aber über 300 Jahre fortsetzte, war das stete Ringen um religiös konstituierte Gruppenformierung.

Ulrich L. Lehner ist mit seiner jüngsten Studie eine weitere Erhellung des immer noch dunklen Forschungsfeldes der Katholischen Aufklärung gelungen, die vor einigen Jahrzehnten noch als reine „Illusion“ klassifiziert wurde.5 Insbesondere durch seinen steten transnationalen Blickwinkel vermag es der Autor, auf die vielfältige Gestalt dieses Zeitalters aufmerksam zu machen. Die Agenda, die „The Catholic Enlightenment“ verfolgt, ist hingegen eine kirchenpolitische: Die Vorwegnahme des im 20. Jahrhunderts so stark betonten Dialogs zwischen Religion und Gegenwart durch aufgeklärte Katholiken des 18. und 19. Jahrhunderts nachzuzeichnen und daraus mögliche Modernisierungspfade für das Heute abzuleiten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ulrich L. Lehner / Michael Printy (Hrsg.), A Companion to the Catholic Enlightenment in Europe, Leiden 2010; Ulrich L. Lehner, Enlightened Monks. The German Benedictines, 1740–1803, Oxford 2011; Ders. / Jeffrey Burson (Hrsg.), Enlightenment and Catholicism in Europe. A Transnational History, Notre Dame (IN) 2014.
2 Vgl. Andreas Holzem, Christentum in Deutschland 1550–1850. Konfessionalisierung – Aufklärung – Pluralisierung, Bd. 1, Paderborn 2015, S. 12–32.
3 Vgl. Günther Wassilowsky, Rezension von: Andreas Holzem: Christentum in Deutschland 1550–1850. Konfessionalisierung – Aufklärung – Pluralisierung, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 4, URL: http://www.sehepunkte.de/2016/04/26620.html (15.04.2016).
4 Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Bd. 2, Freiburg im Breisgau 2006, S. 960.
5 Harm Klueting, „Der Genius der Zeit hat sie unbrauchbar gemacht.“ Zum Thema Katholische Aufklärung – Oder: Aufklärung und Katholizismus im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Eine Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Katholische Aufklärung – Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993, S. 1–35, hier: S. 9.

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