Acta Borussica Neue Folge, Bd. 7 und Bd. 10

Titel
Acta Borussica Neue Folge. Bd. 7: 18.01.1879 - 19.03.1890; Bd. 10: 14.07. - 11.11.1918


Herausgeber
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Reihe
1. Reihe: Die Protokolle des Preussischen Staatsministeriums1817-1934/38
Anzahl Seiten
552 S. und 495 S.
Preis
je € 101,24
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rene Schiller, Institut für Geschichtswissenschaften 'Projekt Elitenwandel', Technische Universitaet Berlin

Nach Vorarbeiten, die auf Grund des grossangelegten Vorhabens fast ein Jahrzehnt in Anspruch genommen haben, legt die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften nun die ersten Regestenbände zur Mikrofichepublikation der Protokolle des Preussischen Staatsministeriums vor. Die Veröffentlichung der Sitzungsmitschriften schliesst bewusst an eines der ambitioniertesten Editionsprojekte im deutschsprachigen Raum an, indem es die Acta Borussica (AB) fortsetzt.

Die AB, deren erster Band 1892 erschien, hoben sich bereits damals in ihrem Anspruch und ihrem geplanten Umfang von vorherigen Editionen zur preussischen Geschichte ab. Ganz wesentlich von Gustav (v.) Schmoller (1838-1917) geprägt, sollten sich die Acta neben der Organisation der Staatsbehörden auch speziellen Themen widmen. Mit Ausnahme einiger Spezialbände, die bis 1806 oder noch weiter ausgriffen (Münzwesen bis 1872) blieben die AB jedoch ein im wesentlichen auf die Frühe Neuzeit begrenztes Unternehmen. Daher war es logisch und wünschenswert, daß die neue Folge sich dem 'langen 19. Jahrhundert' und der Zeit der Weimarer Republik widmet. Bei der Fülle des für diesen Zeitraum vorhandenen Materials kam der Auswahl der zu bearbeitenden Quellen bzw. der zu untersuchenden Institution ein außerordentlicher Stellenwert zu.

Die Herausgeber wählten die Sitzungen des Staatsministerium, in denen nach 1817 die wesentlichen politischen Entscheidungen in Preussen fielen, als wichtigste und gut überlieferte Quelle aus. Dem ursprünglich kollegial organisierten Staatsministerium gehörten vor allem die in ihrem Fachbereich eigenverantwortlichen Minister an. Seit 1848 stand der Ministerpräsident, der nach der Reichsgründung in den meisten Fällen auch Kanzler des Deutschen Reiches war, dem Gremium vor. Bis 1918 war das Staatsministerium ausschließlich dem Monarchen gegenüber verantwortlich. In der Weimarer Republik wurde es dann zum obersten Exekutivorgan. Der gewählte Ministerpräsident und die Fachminister waren nun jedoch dem Landtag gegenüber verantwortlich. Die Entmachtung der preussischen Regierung ab 1932 und die Gleichschaltung der einzelnen Bundesstaaten durch die Nationalsozialisten, bedeuteten das Ende des Staatsministeriums.

Die Arbeit des Gremiums richtete sich vorrangig auf innenpolitische und verwaltungsrelevante Fragen. Die Aussen- und Militärpolitik nahmen dagegen nur geringen Raum ein, da hier die Entscheidungen beim Auswärtigen Amt und dem Militärkabinett lagen. Je nach Zeitabschnitt standen die unterschiedlichsten Aufgaben und Konfliktfelder auf der Tagesordnung des Staatsministeriums. Alle wesentlichen innenpolitischen Entscheidungen von der Durchführung der Agrarreformen über die Stände- und Verfassungsfrage bis hin zum Heeres- und Verfassungskonflikt finden sich in den Protokollen ausführlich dokumentiert wieder. Nach der Gründung des Deutschen Reiches spielte das Verhältnis zwischen diesem und Preussen ebenso eine wichtige Rolle, wie die Stellung zur Sozialdemokratie oder die Finanz- und Steuerpolitik. In der Weimarer Republik gehörten dann die Demokratisierung und Verwaltungsreformen zu den zentralen Themen.

Aufgrund der fundamentalen Bedeutung des Staatsministeriums ist die Entscheidung, die sehr umfangreich überlieferten Protokolle dieser Institution als Brennspiegel preussischer Geschichte zwischen 1817 und 1933 zu benutzen, gut begründet. Dennoch bleibt natürlich - das schon von Otto Hintze angemerkte - Problem bestehen, daß sich in den Protokollen vorrangig die Sicht der obersten Staatsbehörden widerspiegelt. Das bedeutet, daß sich nur die Themen und Personalien in den Protokollen finden lassen, die bis zum Staatsministerium gelangten. Da das Gremium "keineswegs alle politisch-exekutiven Handlungen der preussischen Ministerien" bearbeitete (Spenkuch, Bd. 7, S. 1), muss davon ausgegangen werden, daß sich nicht jedes Themenfeld der aktuellen Forschung in den Sitzungsberichten wiederfindet. Eine Durchsicht der behandelten Probleme zeigt jedoch, daß dieser Ministerrat ein sehr weites Spektrum von politischen, ökonomischen und kulturellen Fragen behandelt hat. Damit bieten die Protokolle einerseits einen guten Überblick über die preussische Innenpolitik und andererseits gestatten sie einen gezielten Einstieg in das oft umfangreiche Quellenmaterial.

Die Protokolle des Staatsministeriums umfassen rund 110.000 Seiten, die auf Mikrofiches publiziert werden. Darin eingeschlossen sind auch die Sitzungen des Conseils/Kronrates, an denen der Monarch teilnahm. Zur Erschliessung wurde das "Instrument des Kondensats" entwickelt. Das bedeutet, daß zu den einzelnen Sitzungen des Gremiums neben den formalen Daten (Termin, Teilnehmerkreis), nur die Kernaussagen, "in einer quellennahen Sprache" wiedergegeben werden. Lediglich zentrale Passagen und herausragende Beschlüsse erscheinen wortgetreu. Damit wurde es ermöglicht, den Inhalt der häufig sehr umfangreichen Protokolle auf rund je einer Druckseite zu dokumentieren. Den genauen Wortlaut der Beratungsmitschriften kann der Leser auf Mikrofiche einsehen.

Die Sitzungsregesten werden durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat ergänzt, dessen Schwerpunkt auf dem Nachweis der Sachakten zu den jeweils behandelten Fragen liegt. Darüber hinaus werden häufig weiterführende Literaturangaben gegeben, für die jedoch kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Damit ist es möglich, von der jeweiligen Sitzung des Staatsministeriums ausgehend, sowohl weitere archivalische oder gedruckte Quellen aufzufinden und einen ersten Zugang zu bereits publizierten Studien und Aufsätzen zu erhalten.

Den chronologisch sortierten Sitzungsregesten sind mehrere Register beigegeben, welche einen schnellen Zugriff auf die Protokolle ermöglichen. Die Register erschliessen dabei nicht nur den Text der Regesten, sondern den gesamten Inhalt der Sitzungsmitschriften. Neben dem feinmaschigen Sachregister und dem Ortsregister ist besonders auf das Personenregister hinzuweisen. Dieses enthält neben den Lebensdaten auch weiterführende Angaben zur Beruflaufbahn sowie zu Ämtern und Nebenfunktionen der meisten Sitzungsteilnehmer.

Den einzelnen Regestenbänden ist eine rund dreissigseitige Einleitung beigegeben, die von dem jeweiligen Bearbeiter verfasst wurde. Diese folgt bei den beiden vorliegenden Bänden einem ähnlichen Schema. Den ersten Punkt bildet ein Überblick über die Beratungsthemen des bearbeiteten Zeitabschnitts. Auf diese Weise werden die Schwerpunkte der preussischen Innenpolitik abrissartig vorgestellt. Anschliessend wird der Platz des Staatsministeriums im innenpolitischen Machtgefüge und - in den hier zu besprechenden Bänden - im Spannungsfeld zwischen Preussen und dem Reich kurz problematisiert. Außerdem wird die innere Struktur und Zusammensetzung des Gremiums, die Rolle seiner Vorsitzenden und der Einfluss des Monarchen überblicksartig aufgezeigt. Abschliessend werden dann die Eigenarten und Spezifika der Quelle aufgeführt. Die Einleitungen der Regestenbände verstehen sich ausdrücklich als Vorarbeiten für einen geplanten sachthematischen Band 1 der neuen Folge der AB. Dieser soll neben Dokumenten auch eine Geschichte des Staatsministeriums enthalten. Gegenwärtig sind zur Erschliessung der Mikrofiches zwölf Regestenbände angekündigt, von denen die Hälfte bis Ende 2000 erscheinen soll.

Die Publikation der Protokolle des Preussischen Staatsministeriums wird der Erforschung der Geschichte Preussens, des Deutschen Reiches und der Weimarer Republik starken Auftrieb geben, da sie sowohl den schnellen Zugang zu einer Vielzahl von Themen als auch zu den dazugehörigen Akten des obersten Entscheidungsgremiums ermöglicht. Auch wenn das anschliessende Studium der Sachakten der einzelnen Ministerien oft unumgänglich sein wird, ist die Edition mit Sicherheit geeignet, viele der zentralen Entscheidungsmomente preussischer Politik sichtbar zu machen. Die Verbindung von Mikrofichepublikation, Regesten und tiefgestaffelten Registern stellt eine zeitgemässe Editionsform dar, die es ermöglicht, einen umfangreichen und aussagekräftigen Quellenfundus ortsungebunden und gut aufbereitet zur Verfügung zu stellen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension