K. Wolf u.a. (Hrsg.): Papst Pius II. an Sultan Mehmet II.

Cover
Titel
Papst Pius II. an Sultan Mehmet II.. Die Übersetzung der 'Epistola ad Mahumetem' durch Michael Christan


Herausgeber
Wolf, Klaus; Göhler, Jonas
Reihe
Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie 59
Erschienen
Berlin 2016: de Gruyter
Anzahl Seiten
156 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yigit Topkaya, Departement Geschichte, Universität Basel

Enea Silvio Piccolomini (1405–1464) alias Papst Pius II. war nicht nur ein bedeutender Humanist, sondern auch ein wichtiger politischer Akteur. Nirgends kommt dies deutlicher zum Ausdruck als in seinen Türkenreden, in denen er seit der Eroberung Konstantinopels (1453) unablässig für einen Krieg gegen Sultan Mehmet II. warb. Dabei zeugt die literarische Resonanz seiner in der Tradition der Kreuzzugsrhetorik gehaltenen Reden von der wirkmächtigen Verflechtung und Symbiose zwischen humanistischer Gelehrsamkeit und zeitgenössischer Reichs- und Kirchenpolitik. Eneas Reden zählen zu den meistverbreiteten der Renaissance; darüber hinaus ist er „unter den italienischen Humanisten der meistübersetzte im deutschsprachigen Raum“1. Besonders intensiv rezipiert wurde sein Werk in süddeutschen Humanisten- und Druckerstädten – wichtige Schauplätze der Reformbewegungen seit der Konzilsbewegung. Aus dieser Region ist denn auch die vom Konstanzer Humanisten und Kaplan Michael Christan angefertigte Übersetzung der ‚Epistola ad Mahumetem‘ überliefert, einem der spannendsten und zugleich ambivalentesten Werke des Humanistenpapstes, das zwar erst posthum veröffentlicht wurde, aber nichtsdestotrotz zu den besonders stark rezipierten zählt. Inhaltlich steht der so genannte Brief an Sultan Mehmet II. quer zum sonstigen Türkenoeuvre von Pius: Denn im Unterschied zu seiner sonst dezidierten Haltung in der Türkenfrage wirbt Pius in der ‚Epistola‘ mit der literarischen Inszenierung eines Taufangebots an den Sultan für den Missionsgedanken und stellt sich somit in die Tradition der ‚conversio‘-Literatur. In der Forschung ist zwar Communis Opinio, dass der in Latein verfasste Brief eigentlich gar nicht an den Sultan, sondern an die Christenheit adressiert war. Trotzdem, oder umso mehr, gab und gibt der Inhalt Rätsel über die Motive des Papstes auf. Im Mittelpunkt der Diskussion steht insbesondere die Frage nach der Relevanz der ‚Epistola‘ für die nachkonziliare Papstpolitik und die Reformbestrebungen der Kurie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Dass die nun jüngst von Klaus Wolf und Jonas Göhler herausgegebene Erstedition von Christans frühneuhochdeutscher Übersetzung der ‚Epistola‘ in der Reihe „Veröffentlichungen des Grabmann-Instituts zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie“ erscheint, wird nicht zuletzt dem Umstand gerecht, dass der Brief von den Zeitgenossen als ein theologisch wichtiges Werk wahrgenommen wurde. So auch von Christan, der die ‚Epistola‘ als eine „Unterweisung im christlichen Glauben“ charakterisierte.2 Sowohl das Original als auch die Übersetzung stellen zudem wichtige Quellen für die Humanismus-Forschung dar. Wolf und Göhler zufolge soll die Edition denn auch vor dem Hintergrund des humanistischen Übersetzungsdiskurses der „Erforschung von Christans Übersetzungstechnik“ (S. 2) dienen. Dem entspricht die in Doppelspalte gehaltene Gegenüberstellung von Christans Übersetzung mit der lateinischen Vorlage aus der kritischen Edition von Reinhold Glei und Markus Köhler3, aus der auch die Kapitelnummerierung übernommen wurde, was beides zu begrüßen ist. Als Textzeuge dient Wolf und Göhler der Wiener Codex 12596 aus der Österreichischen Nationalbibliothek, der in digitalisierter Form online zugänglich ist.4

Gemäß den Angaben Christans im Prolog handelt es sich hier um eine zweite Übersetzung, da er zuvor von einem Augsburger Drucker um seine erste „translatz beroubt worden“ (S. 3) sei. Der Prolog wird von Wolf und Göhler zwar mitabgedruckt, ist aber in die Editions-Einleitung eingefügt, was wohl auf den darauffolgenden Kommentar der Herausgeber zurückzuführen ist, darstellerisch jedoch nicht ideal ist. Gerne hätte man zudem etwas mehr über das Schicksal der ersten Übersetzung erfahren bzw. darüber, ob der Frage nach der Existenz eines entsprechenden Augsburger Drucks nachgegangen wurde. Die Herausgeber begnügen sich diesbezüglich mit dem Hinweis, dass die Möglichkeit einer, horribile dictu, frei erfundenen Geschichte „grundsätzlich vorstellbar, angesichts der Gewährsmänner“ und dem Umstand, dass es sich bei Christan um einen gebildeten und finanziell abgesicherten Kaplan handelte, jedoch als „eher unwahrscheinlich“ zu betrachten sei (S. 4). Ausführlicher wird hingegen unter Verweis auf die Normalisierungen der Edition auf den Vokalismus der Handschrift eingegangen.

Wolf und Göhler legen zurecht den Akzent auf die übersetzungsgeschichtliche Bedeutung des vorliegenden Textes. Zumal Christan zum Kreis um Niklas von Wyle zählte, dem Herausgeber der ‚Epistolae familiares‘ (1478), die nebst Briefen auch die berühmten Türkenreden Eneas enthalten. Von Wyle widmete sich zudem der literarischen Übersetzung; seine ‚Translationen‘ von 1478 widmeten sich „fast ausnahmslos“ den Werken italienischer Renaissance-Autoren (vor allem Poggio Bracciolini, Aeneas Silvius5) und entstanden fast zeitgleich mit Christans Übersetzung der ‚Epistola‘. So gesehen scheint die Behauptung der Herausgeber plausibel, der Hinweis Christans, die lateinische Vorlage „wort ze wort“ übersetzt zu haben, zeige an, dass er „mit dem übersetzungstheoretischen Diskurs der Zeit“ vertraut gewesen sei (S. 9). Eine spezifischere Einordnung dieses Dokumentes vor dem Hintergrund der Reformbewegungen gegen Ende des 15. Jahrhunderts und im Hinblick auf die Studia Humanitatis vorzunehmen, bleibt aber eingehenderen sprach- und diskursgeschichtlichen Untersuchung vorbehalten.

Dabei ermöglicht gerade Christans Übersetzung in das Frühneuhochdeutsche eine Differenzierung humanistischer Übersetzungskonzepte, gerät hier doch die Bedeutung und Rolle sprachlicher Übertragungen aus einer ‚klassischen‘ Sprachen in die ‚Volkssprache‘ in den Blick: Diese richteten sich im Unterschied zu Übersetzungen vom Griechischen ins Lateinische nicht nur an ein anderes Publikum, sondern mussten sich mithin gegen den Vorwurf eines „act of profanation“6 wehren. Schon allein deswegen lässt sich die Übersetzung Christans nicht auf den „didaktische(n) Zweck“ (S. 9) reduzieren. Zieht man zusätzlich in Betracht, dass in Zeiten einer intensiven Frömmigkeitsbewegung das Bedürfnis nach theologischer Unterweisung jederzeit auch in einen politischen Konflikt münden konnte – wie im Falle des Streits um die Türkenablässe –, so birgt Christans „translatz“ für die Forschung das Potential einer mikrogeschichtlichen Feinjustierung und Differenzierung der politischen Verschränkung von Kirchenreform und Türkendiskurs. Das Verhältnis der Papstkirche zur Kirchengemeinschaft und zum Gläubigen als Dreh- und Angelpunkt des Ekklesiologie-Diskurses im 15. Jahrhunderts kommt in der ‚Epistola‘ in der Taufszene prominent zur Sprache. Vor dem Hintergrund des Glaubensstreits wird die Heilsnotwendigkeit der Taufe ausdrücklich hervorgehoben und für die Legitimation politischer Herrschaft als unabdingbar dargelegt. Für die Rezeption der ‚Epistola‘ war die Verknüpfung von Heilsgewissheit und Herrschaft und des damit korrelierenden Anspruchs päpstlicher Suprematie zentral.

Die Edition von Wolf und Göhler mit ihrer „synoptische(n) Anordnung von lateinischer Quelle und frühneuhochdeutscher Übersetzung“ (S. 9) bietet deshalb einen wichtigen übersetzungsgeschichtlichen Zugang zur Papstpolitik im ausgehenden 15. Jahrhundert und ihrer zeitgenössischen Wahrnehmung.

Anmerkungen:
1 Paul Weinig, Aeneam sucipite, Pium recipite. Aeneas Silvius Piccolomini. Studien zur Rezeption eines humanistischen Schrifstellers im Deutschland des 15. Jahrhunderts, Wiesbaden 1998, S. 72.
2 Franz Josef Worstbrock, Christan, Michael, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1, Berlin 1978, Sp. 1209f., hier Sp. 1210.
3 Reinhold Glei / Markus Köhler (Hrsg.), Pius II. Papa Epistola ad Mahumetem. Einleitung, kritische Edition, Übersetzung, Trier 2001.
4 Vgl. <http://data.onb.ac.at/rec/AL00157942> (01.08.2016).
5 So Ulrike Bodemann, „Niklas von Wyle“, in: Neue Deutsche Biographie 19 (1998), S. 259.
6 Theo Hermans, Concepts and theories of translation in the European Renaissance, in: Übersetzung. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung, hrsg. von Harald Kittel u.a., Bd. 2, Berlin 2007, S. 1420–1428, hier S. 1423.

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