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Titel
Franz Joseph I.. Kaiser von Österreich und König von Ungarn, 1830–1916. Eine Biographie


Autor(en)
Vocelka, Michaela; Vocelka, Karl
Erschienen
München 2015: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
458 S.
Preis
€ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Leitner, Graz

Nicht viele Herrschende verkörperten den Typus des Monarchen einer vermeintlich „guten alten Zeit“ so prägend, wie Kaiser Franz Joseph I., der schon zu Lebzeiten zum Symbol der Donaumonarchie geworden war und dessen Image bis in unsere Gegenwart zu reichen vermag – man denke nur an die vielen Denkmäler oder an die zahlreichen Verfilmungen, welche diese Epoche beschwören. Dabei sah man nach dem Zerfall der Donaumonarchie insbesondere im Ausland Franz Joseph I. überaus kritisch, erst in den 1930er-Jahren sollte sich dieses Bild zumindest in Österreich teilweise ins Positive wenden. Nach den Schrecknissen, die der Zweite Weltkrieg nach sich gezogen hatte, verfiel man schließlich größtenteils der sehnsuchtsvoll verklärten Erinnerung einer Zeit vor 1918. Michaela und Karl Vocelka – die Autorin ist Leiterin, Archivarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Simon Wiesenthal-Archivs, der Verfasser war langjähriger Vorstand des Instituts für Geschichte und Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien – stellen mit ihrer Biographie des vorletzten Kaisers der Donaumonarchie in erster Linie seine Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Diese ist jedoch nur gemeinsam mit den Rahmenbedingungen seiner Existenz, seiner Herrschaft und Politik sowie der Tradition der Dynastie seines Hauses zu verstehen. Grundsätzlich ist die Biographie chronologisch aufgebaut: um einer „thick description“ (S. 14) für ein chronologisches Grundgerüst, das an geeigneten Stellen Kontextualisierungen wie strukturelle Themen ermöglicht, gerecht zu werden, haben sich Michaela und Karl Vocelka für diese Vorgangsweise entschieden.

Im Revolutionsjahr 1848 bestieg Franz Joseph I. erst achtzehnjährig den Thron des Habsburgerreiches. Im Hintergrund dieser Entwicklung standen neben den Ereignissen der Revolution und der Notwendigkeit, auf diese zu reagieren, auch die Aktivitäten seiner Mutter, Erzherzogin Sophie, die entscheidend im Hintergrund handelte. Sie erwirkte den Rücktritt Kaiser Ferdinands I., Franz Josephs wenig kompetenten, kinderlosen und an Epilepsie leidenden Onkels sowie den Thronverzicht Franz Karls, Ihres Gemahls und eigentlichen Thronfolgers. Nach der Niederwerfung der Revolution wurde der junge Kaiser in allen Ländern der Monarchie begrüßt und nahm unter dem Ministerpräsidenten Felix von Schwarzenberg politisch den Weg hin zum Absolutismus, von dem auch seine Mutter zutiefst überzeugt war und für die jede Art einer Mitbestimmung des Volkes vollkommen undenkbar war. Somit war auch Franz Joseph von ihr und seinen Erziehern von früher Kindheit an zum „Kaiser von Gottes Gnaden“ erzogen worden. Als weitere Säule der Macht sollte sich die katholische Kirche erweisen, war doch der Wiener Kardinal Othmar von Rauscher Franz Josephs ehemaliger Lehrer und enger Vertrauter. Diese Jahre des Absolutismus, von keinerlei Zugeständnissen an die Idee der Volkssouveränität und der Verfassungsmäßigkeit der Herrschaft berührt, stellten für Franz Joseph so etwas wie das Ideal eines autoritären Herrschaftssystems dar.

Im Jahr 1854 heiratete Franz Joseph Elisabeth von Bayern, Tochter des bayerischen Herzogs Max und seiner Frau Maria Ludovika, der Schwester von Erzherzogin Sophie. Von Anfang an schien die Ehe mehr oder weniger ambivalent zu verlaufen; drei Kinder, Sophie, Gisela und Rudolf wurden geboren. Der Verlauf einer Reise nach Ungarn endete unvorhersehbar und tragisch mit dem Tod der kleinen Erzherzogin Sophie.

Finstere Schatten warfen die verlorenen Schlachten im Zuge der italienischen Einigung auf die Politik Franz Josephs: Die Schlacht bei Magenta ging ebenso verloren wie jene von Solferino, fast alle italienische Territorien fielen an den neu entstehenden italienischen Nationalstaat, was endgültig mit dem Friedensvertrag 1866 festgelegt wurde. Innenpolitisch näherte sich die Ära des Absolutismus ihrem Ende. Mit dem sogenannten Oktoberdiplom und der Konstruktion des Februarpatents gelangten erstmals liberalere staatsrechtliche Ideen zur Anwendung und bildeten, auch wenn sie nur kurze Zeit in Kraft waren, in vielen Punkten die Basis für die Verfassung der westlichen Reichshälfte von 1867, der sogenannten Dezemberverfassung.

Der Kampf um die Rückeroberung der verlorenen italienischen Regionen scheiterte 1866 bei Custozza, noch tiefreichender wirkte der verlorene Kampf gegen Preußen um die Vormachtstellung in Deutschland, der 1866 in Königgrätz ausgetragen wurde. Positiver hingegen entwickelte sich die Versöhnung mit Ungarn, die 1867 mit dem Ausgleich endete und in der Franz Joseph im Sinn einer Personalunion als Regent der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie zu verstehen ist. Mit dem Ausgleich war allerdings eine nicht unkomplizierte Konstruktion entstanden, die alle zehn Jahre neu auszuverhandeln war. Als einen Höhepunkt seines Herrscherlebens erlebte Franz Joseph die Krönung zum ungarischen König nach altem Ritus 1867, verbunden mit einem glanzvollen Fest. Die Hinrichtung seines Bruders, Kaiser Maximilian von Mexiko, die elf Tage nach der Krönung Franz Josephs erfolgte, verdunkelte allerdings die Festfreude.

Aufgrund seiner zahlreichen politischen und militärischen Niederlagen und dem Grundsatz, dass sich in Ungarn die politischen Prämissen ändern müssten, wurde für Franz Joseph die Konstitution unumgänglich; beginnend mit der Dezemberverfassung 1867 drückte sich die neue Position auch in der liberalen Regierung des Fürsten Auersperg aus. Das Nationalitätenproblem in der Doppelmonarchie verschärfte sich hingegen, da sich die slawischen Ethnien der Donaumonarchie den Ungarn gegenüber diskriminiert fühlten, zudem griff in der westlichen Reichshälfte unter den Deutschsprachigen ein nicht zu unterschätzender Deutschnationalismus um sich, der in der deutschen Einigung und einem Anschluss an das neu entstandene Deutsche Reich die einzige politische Option sah.

In wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht hatte sich Wien, das Zentrum der Donaumonarchie, in dem sich die Bevölkerungszahl während der letzten Jahrzehnte fast verdoppelt hatte, recht beachtlich entwickelt. Als Ausdruck dafür kann die Weltausstellung 1873 mit ihrer großen Demonstration technisch-wirtschaftlicher Leistungen angesehen werden. Den wenig erfreulichen Hintergrund dazu bildeten jedoch ausufernde Spekulationen an der Wiener Börse, die noch im gleichen Jahr im Börsenkrach enden sollten.

Die letzten Jahrzehnte seiner langen Regierungszeit prägten unser heutiges Bild des Kaisers als gütige Vaterfigur am stärksten, es inkludiert jedoch sexuelle Seitensprüngen und die jahrzehntelange Beziehung mit der Schauspielerin Katharina Schratt. Private Schicksalsschläge sollten Franz Joseph nicht erspart bleiben. In erster Linie möge hier nur auf den Suizid des von allen Staatsgeschäften ferngehaltenen Sohnes und Thronfolgers Erzherzog Rudolf, der zuvor seine Geliebte Mary Vetsera ermordet hatte, verwiesen werden sowie auf Entfremdung und Distanzierung in seiner Ehe mit Elisabeth, die sich nach Rudolfs Tod 1889 noch intensivieren sollten. Nach 1878 lehnte sich Österreich-Ungarn in außenpolitischer Hinsicht zunehmend an das 1871 gegründete Deutsche Reich an; 1908 wurden Bosnien und die Herzegowina formal annektiert (seit dem Berliner Kongress 1878 von Österreich besetzt und verwaltet). Innenpolitisch von größter Bedeutung war 1907 die Abschaffung des Kurienwahlrechts und die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer – in bemerkenswerter Weise vom Kaiser selbst zur Durchführung gebracht.

Aus der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie in Sarajevo 1914 folgte für Franz Joseph letztlich die Kriegserklärung an Serbien und in weiterer Folge der Weg in die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. Franz Joseph starb Anfang November 1916. Der Regent, dem nach eigener Aussage nichts erspart blieb, musste den Zerfall des multisprachlichen, multiethnischen und multikulturellen Reiches nicht mehr erleben.

Michaela und Karl Vocelka haben mit ihrer Biographie ein bemerkenswertes Werk vorgelegt. Wohl überflüssig zu betonen ist, dass die neuesten Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft berücksichtigt sind. Durch ihre Intention, die Person Franz Josephs in den Mittelpunkt zu rücken, ist Michaela und Karl Vocelka ein beeindruckendes Portrait gelungen, sie zeichnen einen Menschen voll Ambivalenzen, Eigenheiten und Vorurteilen, aber auch mit positiven Seiten. Diese Publikation ist nicht zuletzt deshalb auch hervorragend zur Darstellung einer prägnanten Epoche Österreich-Ungarns, die bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs reicht, geeignet, weil sie die Persönlichkeit des Regenten einbettet in die sozio-ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Prämissen nicht allein der Donaumonarchie, sondern Europas. Facta loquuntur!

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