Cover
Titel
Returning Memories. Former Prisoners of War in Divided and Reunited Germany


Autor(en)
Wienand, Christiane
Reihe
German History in Context
Erschienen
Rochester 2015: Camden House
Anzahl Seiten
XV, 346 S.
Preis
£ 60.00 / $ 90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hilger, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg

Rund elf Millionen deutsche Soldaten gerieten im Zweiten Weltkrieg in alliierte Kriegsgefangenschaft. Etwa zehn Millionen von ihnen überlebten die Gefangenschaft und kehrten in das geteilte Deutschland zurück. Individuelle Lebensverläufe und Erinnerungen waren in Ost- und Westdeutschland untrennbar verbunden mit den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, kollektiven Einstellungen sowie der „Aufarbeitung“ von NS- und Kriegsvergangenheit. Die Integration der Heimkehrer in die Nachkriegsgesellschaften und neu entstehenden Ordnungen war eine sozial- und gesellschaftspolitische Herausforderung. Ihr Schicksal als Kriegsgefangene konnte Vorbehalte gegenüber den Siegermächten zerstreuen oder festigen. Ihre Geschichte wurde zu einem Bestandteil der vorherrschenden Erinnerungskultur sowie der neuen Identitätsbildung mit ihren spezifischen Perspektiven und Deutungen von Vergangenheit. Genau diese wichtige Dimension bildet den zentralen Untersuchungsgegenstand von Christiane Wienands Studie. Ihr geht es darum, anhand von Erinnerungsberichten und Interviews, politischen Archivalien, Unterlagen relevanter Vereinigungen sowie auf der Basis der Auswertung von zeitgenössischen Presse- und Filmmaterialien für die Zeit von der Mitte der 1950er-Jahre bis heute die Ansprüche, Veränderungen, Wechselwirkungen und Widersprüche von individuellen, gruppenbezogenen und nationalen Erinnerungswelten zu beschreiben.

In dem langgestreckten Untersuchungszeitraum zeigten sich wichtige Zäsuren: Für die Bundesrepublik änderte sich in den 1960er-Jahren der Bezugsrahmen des Erinnerungshaushalts, als eine breite und selbstkritische Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit und ihren Verbrechen in Gang kam. In der DDR, wo das Gesamtbild von Krieg und NS-Herrschaft bis 1989 viel statischer ausfiel, verschoben sich immerhin Gewichtungen, als mit Honeckers Amtsantritt der Stellenwert der deutschen Emigration bis 1945 für staatstragende Geschichten von Widerstand und wahren Patrioten abnahm. Die Wiedervereinigung 1990 führte schließlich zu einer gewissen Vereinheitlichung der Narrative. Eigene Akzentuierungen in Ost und West blieben jedoch erhalten. Die Beschreibung dieser jüngeren Neuformierungen, die nicht zuletzt im Kassenschlager „Das Wunder von Bern“ (Film von 2003 bzw. Musical von 2014) sichtbar und wirksam wurden, zählt eindeutig zu den Stärken des Buches.

Wienand nimmt zu Recht Heimkehrer aus westlicher und östlicher Gefangenschaft gleichermaßen in den Blick. Dabei zeigt sich zwar erneut der hohe Stellenwert der Gefangenschaft Deutscher in der UdSSR für die gesamten Diskurse. Auf der anderen Seite erweist sich jedoch, dass einzelne Argumentationsmuster, die beispielsweise auf Willkür von Siegern abheben, nicht zwangsläufig nur einem antikommunistischen Grundnarrativ entnommen sein müssen. Auch die Rede von „Vernichtungslagern“ für deutsche Kriegsgefangene war keineswegs auf Kreise von Heimkehrer aus sowjetischem oder jugoslawischem Gewahrsam beschränkt. Derlei Deutungen fanden jedoch in der Regel keine pauschale Anerkennung – weder unter der Gesamtgruppe der Heimkehrer noch in der breiteren Öffentlichkeit. Insgesamt zeichnet die Arbeit entsprechend differenziert die Vielschichtigkeiten und kontinuierlichen Aushandlungsprozesse von Erinnerungen nach. Offengelegt wird ein weites Spektrum von Schattierungen, Übergängen und Diskrepanzen zwischen verschiedenen Erinnerungsebenen und -phasen.

Dies gelingt der Autorin, indem sie vier Perspektiven eröffnet: Sichtweisen in Massenmedien, in der politischen Sphäre, dazu Beschreibungen individueller Heimkehrer sowie, als „Erinnerungsprojekte“, Ansichten einzelner öffentlicher oder privater Zusammenschlüsse von Heimkehrern (S. 175). In den Darstellungen von Heimkehrern in Massenmedien lassen sich die Großgruppen von Tätern, Opfern und Helden unterscheiden. Neben bezeichnenden, politisch motivierten Unterschieden zwischen Ost und West im Kalten Krieg kamen in solchen Darstellungen auch reine Marktmechanismen zum Tragen, wenn etwa in westdeutschen Titeln familiäre Tragödien nach der Heimkehr publikumswirksam hervorgehoben und damit gegebenenfalls überbetont wurden. Den dominierenden Gesamtperspektiven entsprach, dass nur in der Bundesrepublik der Opferstatus von Heimkehrern auch politisch verhandelt wurde. Nur im Westen konnten sie auf Entschädigungszahlungen für Jahre in Gefangenschaft hoffen. Selbst hier griffen die Zahlungen jedoch erst für diejenigen Gefangenen, die nach Dezember 1946 entlassen worden waren. Ostdeutsche Heimkehrer erhielten eher im Zeichen der Auseinandersetzung mit der SED-Herrschaft seit 2008 abgestufte Kompensationen. Für beide Regelungen erwies sich der Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutschlands (VdH) als engagierter Lobbyist. Im Westdeutschland der 1960er- und 1970er-Jahre gelang es ihm hingegen nicht, weitere materielle Forderungen durchzusetzen, da sich seine Argumentationslinien zu sehr von den neuen Erinnerungsdiskursen und von den politischen Mehrheitsverhältnissen entfernt hatten.

Individuelle Erinnerungen lassen sich mit einigen Abstrichen oft, aber keineswegs immer mit den öffentlichen Gesamtaufnahmen in Einklang bringen. Dies wird im dritten Kapitel der Studie deutlich, das persönliche Konstruktionen der Vergangenheit untersucht. In der DDR konnten sich Heimkehrer mit ihrer Wandlungsliteratur öffentlich zu Wort melden (S. 138). Hier schilderten sie systemkonform ihre persönliche Entwicklung von Mitläufern – nicht von Tätern – zu staatstragenden Bürgern der sozialistischen DDR. Doch auch Heimkehrer in die Bundesrepublik verwiesen in ihren Erinnerungen auf einschneidende Transformationsprozesse. Es finden sich Beschreibungen der Gefangenschaft als religiöses Erweckungserlebnis. Weitaus häufiger sind Selbstdarstellungen, wonach man den Erfahrungen und Überlegungen der Gefangenschaft eine demokratische Gesinnung verdankte – und damit auch eine anti-totalitäre Grundeinstellung. Derartige Interpretationen korrespondierten wiederum partiell mit Bemühungen kollektiver Akteure: Zu nennen sind die Kirchen, aber auch der meinungsstarke VdH und weitere Organisationen. Sie wollten über passende Wertungen zugleich immer die eigene Stellung in Westdeutschland stärken, ohne dass ihnen die Vereinnahmung und damit Einebnung der vielfachen persönlichen Akzentuierungen gelang.

Insgesamt legt Wienand eine breit aufgefächerte und in weiten Teilen gut lesbare Beschreibung dieser Erinnerungslandschaft vor. Gewisse Redundanzen sind, wie die Autorin in der Einleitung vorwarnt, bei der facettenreichen Untersuchung tatsächlich kaum zu vermeiden. Wiederholungen von Sachverhalten oder Schlagzeilen innerhalb weniger Abschnitte oder Seiten unterschätzen allerdings den Leser. Daneben rennt Wienand mit der Feststellung, dass Kriegsgefangenschaft und Heimkehr nach 1945 keine Tabuthemen darstellten, in der Forschung sicherlich offene Türen ein, ungeachtet einiger anderslautender Wortmeldungen von Heimkehrern oder Lobbyisten. Dass sich der Blick auf diese Vergangenheiten in der DDR anders entwickelte als in der Bundesrepublik, ist wenig überraschend, stellten solche Erinnerungen doch besonders relevante Felder der politischen Systemkonkurrenz und des innerdeutschen Kampfs um Legitimität und Identitätsstiftung dar. Es wäre für die Gesamtstruktur des Bandes wohl besser gewesen, diese maßgeblichen Voreinstellungen für Medien, Gesetzgebung und Heimkehrerberichte gleich zu Beginn ausführlicher zu präsentieren.

Bei der Lektüre stellt sich auch die Frage, inwieweit zwei Berichtsserien über Gefangenschaft und Heimkehr, die der Springer-Verlag Ende der 1970er-Jahre veröffentlichte, als vergangenheitspolitische Antwort auf die TV-Serie „Holocaust“ sowie auf das öffentliche Echo von Majdanek-Prozess und Hans Filbingers kriegsrichterlicher Tätigkeit angelegt waren – früher als von Wienand aufgegriffen. Hier ist die Auseinandersetzung erst in späteren Teilen des Buches etwas problematisch, weil die Springer-Produkte vorher mehr oder weniger unkommentiert in die Diskussion unterschiedlicher öffentlicher Deutungen der Heimkehrer Eingang finden.

Schließlich wäre zu debattieren, ob man in der Analyse der Erinnerungsgeschichte dieses Themengebiets, das die historische Forschung mit signifikantem Auf und Ab über Jahrzehnte hinweg beschäftigt hat, den wissenschaftlichen Beitrag zu öffentlichen und privaten Geschichtsbildern so weitgehend ausblenden kann. Gemeint ist damit, dass etwa diverse Periodisierungen sowie Typisierungen der öffentlichen Bilder und auch der privaten Ebene, die Wienand vornimmt, in der Forschung durchaus schon länger diskutiert werden. Dies geschieht einmal bei der Reflexion historischer Kontexte unter dem Signum von Geschichtsbildern und Geschichtspolitik. Zum anderen stützten sich viele Arbeiten, entweder notgedrungen oder als Beitrag zur Alltagsgeschichte, „Geschichte von unten“ usw. frühzeitig auch auf Erinnerungen von Heimkehrern und öffentliche Zuschreibungen. Die entsprechende Auswahl und Quellenkritik war ebenfalls bemerkenswerten Wandlungen unterworfen.1 Deshalb hätte man sich unter methodischen Gesichtspunkten gewünscht, dass Christiane Wienand eigene Funde aus neueren Interviews oder weiteren Archiven mit den umfangreichen, quasi traditionellen Beständen kombiniert hätte. Angesichts dieser Defizite kann der Band trotz der erwähnten Stärken nur teilweise überzeugen.

Anmerkung:
1 Vgl. die unterschiedlichen Zugänge etwa bei Erich Maschke (Hrsg.), Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges, 15 Bde. und 2 Beihefte, Bielefeld 1962–1974, sowie Albrecht Lehmann, Gefangenschaft und Heimkehr. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, München 1986. Zu Maschke vgl. demnächst Barbara Schneider, Erich Maschke. Im Beziehungsgeflecht von Politik und Geschichtswissenschaft, Göttingen 2016. Für unterschiedliche „Erinnerungsgeschichten“ zum Antifaschismus sind die wechselhaften Bewertungen von Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und Bund Deutscher Offiziere aussagekräftig; vgl. Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere, Frankfurt am Main 1995.