J. J. Whiteman: Reform, Revolution and French Global Policy

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Titel
Reform, Revolution and French Global Policy, 1787-91.


Autor(en)
Whiteman, Jeremy J.
Erschienen
Hampshire 2003: Ashgate
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
£ 40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für höhere Studien, Universität Leipzig

Unter den Erklärungen für den Ausbruch der Französischen Revolution in der Historiografie der letzten fünf Jahrzehnte lassen sich idealtypisch drei unterscheiden. Zunächst dominierte die so genannt klassische Erklärung, die sich, obgleich schon mit Antoine Barnaves Exposé von 1792 einsetzend, fallweise marxistisch oder jakobinisch etikettierte und das Modell eines Klassenschemas pflegte, in dem aufsteigendes Bürgertum und reaktionärer Adel miteinander konkurrierten, während bäuerliche und urbane Unterschichten differenziert unter den Folgen von einsetzendem Kapitalismus und feudal-aristokratischer Gegenbewegung litten und für einige Zeit eine eigenständige Rolle in der Revolution zu spielen vermochten. Diese Interpretation geriet seit den 1960er-Jahren zunehmend unter den Druck einer sich revisionistisch verstehenden Geschichtsschreibung, die anfänglich einige sozialgeschichtliche Grundannahmen des konkurrierenden Paradigmas angriff, danach aber eine kulturalistische Wende vollzog und die Revolution aus der Radikalisierung von Diskursen erklärte: die Akteure hätten in ideologischer Verblendung, die in unpragmatischem Glauben an die Postulate der Aufklärung wurzelte, ihr Stück bis zum Ruin der französischen Wirtschaft gespielt und mit Konsequenz den Abgrund der Terreur geöffnet, da sie nur in der permanenten Ausweitung der Gewalt ihr manichäisches Weltverständnis verwirklichen konnten, in dem es nur Revolutionäre und Feinde der Revolution gab. In den letzten Jahren hat sich in der Öffentlichkeit mehr und mehr durchgesetzt, diese Version für die adäquate zu halten. Allerdings hatte schon 1979 Theda Skocpol in einem groß angelegten Vergleich zwischen den Revolutionen in Frankreich 1789, Russland 1917 und China 1949 versucht, strukturalistische Deutungen wieder zu rehabilitieren und mit der Suche der jeweiligen Länder nach einer Lösung ihrer außenpolitischen Positionierungsprobleme zu begründen. Die Revolutionen seien ausgebrochen, weil die jeweiligen Ancien Régimes nicht mehr in der Lage waren, die Stellung ihrer Länder im globalen (politisch-militärischen und ökonomischen) Wettbewerb zu halten.

Als mit dem Stichwort der Globalisierung eine neue Herausforderung an die Historiografie auftauchte, Einzelphänomene in größere Zusammenhänge einzubetten, wurde Skocpols Ansatz, der zunächst Mitte der 1980er-Jahre von Lynn Hunt und William Sewell jr. unter dem Vorwurf des Determinismus und der Unterschätzung des ideologischen Moments in der Geschichte zurückgewiesen und marginalisiert wurde, erneut attraktiv. Bailey Stone versuchte sich 1994 an einer ersten Gesamtdarstellung der Französischen Revolution, die er aus der englisch-französischen Konkurrenz des 18. Jahrhunderts herleitete, und im Jahr 2002 ließ er eine überarbeitete Neuausgabe unter dem ambitionierten Titel einer Globalgeschichte der Revolution folgen. Der Grundgedanke ist simpel: die Revolutionäre hätten letztlich nicht nur einen zerrütteten Staatshaushalt, sondern auch das außenpolitische Erbe Choiseuls und Vergennes vorgefunden und letztlich nur einen begrenzten Spielraum für den angestrebten gesellschaftlichen Wandel gehabt, weil sie relativ schnell wieder in die Beachtung der internationalen Koordinaten gezwungen wurden.

Der Mangel des Buches von Stone, der eigentlich ein Experte für die Verwaltungsgeschichte des Absolutismus ist, liegt vor allem darin, dass er sich ausschließlich auf Sekundärliteratur gestützt hat und für seine Neuinterpretation den gang in die Archive scheute. So blieben Zweifel, inwieweit die vorgeschlagene Deutung auch mit den Denkhorizonten und Wahrnehmungsmustern der Akteure übereinstimmt. Hier setzt Whiteman mit seiner in Australien bei Peter McPhee verteidigten Dissertation an. Er prüft, inwieweit sich die Revolutionäre trotz der Differenzen in der politischen Kultur zum Ancien Régime mit dem Problem der globalen Konkurrenz auseinandersetzten. Er untersucht dafür drei Felder: erstens die Frage, welche Positionen zum Krieg und zu möglichen Allianzen in der Nationalversammlung eingenommen wurden, nachdem das französische Parlament zunächst ganz in der Folge der Aufklärung jedem Angriffskrieg eine Absage erteilt hatte; zweitens die Haltung zum Zusammenhang von Wirtschafts- und Machtpolitik sowie drittens die Behandlung der Kolonialfrage, die ebenso den Status der Überseebesitzungen wie das Problem der Sklaverei betraf.

Whiteman kommt anhand einer gründlichen Auswertung der vorliegenden Quellen zu den Parlamentsdiskussionen zu dem Ergebnis, dass lediglich eine kleine Minderheit der Constituants für eine völlig neue Politik eintrat, die aufklärerische Rationalität zur alleinigen Grundlage haben sollte. Eine Mehrheit trat dagegen mit Pragmatismus (und einem für Neulinge im großen politischen Geschäft durchaus beträchtlichen Maß an Sinn für die Notwendigkeiten der Außenpolitik) für Kontinuität zur Vorgängerregierung ein. Allerdings war deren Erbe alles andere als einfach zu verwalten. Vergennes hatte eine Doppelstrategie zum Umgang mit dem überlegenen England ersonnen, die zugleich Eindämmung und Annäherung sein sollte. Whiteman kann zeigen, wie diese schon vor 1789 unrealistische, weil im Klima des Misstrauens, das zwischen den Großmächten herrschte, nicht zu vermittelnde Position letztlich auch für die Konstituante nur einen Aufschub des nächsten Kriegsaktes bedeutete. Eine Allianz mit England kam nicht zustande, weil sie für Frankreich zu vorteilhaft gewesen wäre, als dass die Briten an ihre Dauerhaftigkeit geglaubt hätten. Eine offensive Kriegsführung war für die Franzosen gleichermaßen ausgeschlossen, denn die Kasse war leer und im Lande herrschte alles andere als Geschlossenheit und Ordnung.

Im Feld der Wirtschaftspolitik machten die Revolutionäre ihre Hausaufgaben, indem sie das Territorium zu einer großen Freihandelszone nationalisierten, aber zugleich an der Strategie der Schutzzölle für die einheimischen Produkte festhielten, die hinter dieser Barriere gegen den technologischen Vorsprung der Briten gesichert blieben. Die Begründungen dafür blieben machtpolitisch.

Ganz ähnlich sah es für die Bewahrung des Kolonialstatus aus. Unruhen auf den Antilleninseln wurden niedergeschlagen, die Selbstständigkeitsgelüste der Pflanzer gezügelt und der Besitz in der Karibik gegen den englischen Appetit gesichert. Der Lobbyismus des Club Massiac, in dem die Planzeraristokratie zusammenkam, übertraf in der ersten Revolutionsphase bei weitem den Erfolg der Société des Amis des Noirs. Erst unter den Schlägen der mächtigen Sklavenaufstände sollte sich die Republik 1794 eines Besseren besinnen.

Die Verfassungsgebende Versammlung erlebte in der Außenpolitik nur die Verlängerung des Dilemmas, das sich schon Ludwig XVI. 1787 eingestehen musste, als er in der Krise der Niederlande nicht in der Lage war, die Frankreich verbundene Patriotenpartei gegen den preußischen Einmarsch (und die englischen Subsidien) zu schützen. Erfolgreicher als der Monarch, der sich am Widerstand der Privilegierten in den Notabelnversammlungen aufrieb, ging die Konstituante dagegen energischer an die Überwindung der Krise – für Whiteman genau jener Beweis, den er in Fortsetzung des Arguments von Skocpol und Stone gesucht hatte. Er bleibt allerdings auf die Jahre bis zur ersten Verfassung 1791 beschränkt. Man ahnt also schon das Gegenargument aus Richtung des kulturalistischen Revisionismus: nach der Krise von Varennes und spätestens mit dem Prozess gegen den König 1792 habe die ideologisch motivierte Radikalisierung der Jakobiner alle Kontinuitäten hinweggespült. Man darf gespannt sein, wie die neuen globalhistorischen Interpreten der Französischen Revolution damit umgehen werden. Für den Moment bleibt einfach nur zu begrüßen, dass Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte wieder auf die Bühne zurückkehren, nachdem Anfang der 1990er-Jahre schon der Abgesang auf die auslaufende Konjunktur dieser Richtung angestimmt wurde. Vielleicht ist aber Globalgeschichte auch mehr als nur die Story vom wirtschaftlichen und machtpolitischen Aufstieg und Niedergang der großen Mächte. Dann bliebe für eine Globalgeschichte der Revolution von 1789 ihr Bezug auf die Nachbarrevolutionen in den USA, auf Haiti, in Spanien, in Südamerika usw. usf. zu beachten und die gesamte Phase zwischen 1776 und 1815 stünde nicht nur unter dem Signum der Mächterivalität, sondern der Herausbildung verschiedener Modernen. Es lohnt sich wieder, die Revolutionsgeschichte aus jenem Antiquariat zu befreien, in das manche sie ironischerweise gerade nach den Revolutionen von 1989/91 verwiesen haben.

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