Titel
Huguenot Heartland. Montauban and Southern French Calvinism during the Wars of Religion


Autor(en)
Conner, Philip
Reihe
St. Andrews Studies in Reformation History
Erschienen
Hampshire 2002: Ashgate
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
£47.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Middell, Friedrich-Schiller-Universität Jena, SFB 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800"

Man darf sich fragen, warum die Zeit der Religionskriege des 16. Jahrhunderts, eines der am häufigsten bearbeiteten und am besten erforschten Themen der französischen Geschichte, immer noch und immer wieder von neuem das Interesse der Forscher auf sich zieht. Woher bezieht sie ihre – seit je auch vor Schriftstellern und Künstlern nicht haltmachende – Faszination? Wahrscheinlich ist die Antwort für Historiker recht banal: Sie gibt die Möglichkeit, den Gegenstand in immer kleineren räumlichen Einheiten zu studieren, und so gehen den nachrückenden Forschern die Themen nicht aus. Während bis in die achtziger Jahre hinein größere Territorien, Regionen oder die alten Provinzen den Forschungsrahmen absteckten, bilden seitdem Städte – und je nach Thema, siehe Französische Revolution, Dörfer – den bevorzugten Fokus. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Forschungsergebnisse über die Provinzen können durch die Untersuchung der jeweiligen Provinzstädte überprüft und untermauert, auch verfeinert, zum Teil widerlegt werden. In jedem Falle erhält man eine hohe Wissensdichte und ein recht differenziertes Bild einer Region, einer Provinz, einer Landschaft – je nach dem Bezugsrahmen, den naturgemäß auch die Untersuchung des Protestantismus in den Städten braucht. Die Autoren solcher Lokalstudien stehen dabei oft vor einem Dilemma: Entweder sie vollziehen vorhandene Einsichten an ihrem unerschlossenen Material nach, oder sie versuchen, auf bedingt repräsentativer Basis größere Erklärungen auszuformen.

Das Buch über Montauban besteht aus neun Kapiteln, einer umfangreichen Auswahlbibliographie (30 S.) und einem knappen Register. Jedes Kapitel beginnt mit einer mehr oder weniger überzeugenden Polemik gegen bisherige Forschung und ihre Defizite und einer vorsichtigen Formulierung der eigenen Absicht. Dieser methodische Aufbau verrät die Qualifizierungsschrift, und in der Tat ist das Buch von Philip Conner, wie der Bibliographie zu entnehmen ist, aus einer PhD-Dissertation an der University of St Andrews im 2000 hervorgegangen, in deren überarbeitete Fassung neben Montauban nun auch der südfranzösische Kalvinismus im Allgemeinen Eingang gefunden hat.

Im einleitenden Kap. 1 (The French Midi: a world apart) beschreibt der Autor nicht so sehr die Eigentümlichkeit des romanischen Midi im klassischen Gegensatz zu Nordfrankreich, sondern ordnet Montauban in die südfranzösische Städtelandschaft ein. Diese Einleitung rekapituliert die vorliegenden Studien über Kalvinismus, Reformation, Konfessionalisierung in den französischen Provinzen und Städten, unter denen Montauban bisher noch die geringste Aufmerksamkeit gefunden hat, was nicht zuletzt, im eklatanten Gegensatz etwa zu Nîmes oder Toulouse, der Lückenhaftigkeit und dem fragmentarischen Charakter der überlieferten Quellen geschuldet ist. Weder gibt es Konsistorialprotokolle (abgesehen von 1595–1598) noch Register der städtischen Ratsversammlungen bis 1581. Eine Fallstudie über die kalvinistische Reformation ist so für Montauban ebensowenig möglich wie eine Darstellung des Alltagslebens einer protestantischen Haupt-Stadt. Conners wichtigste Quellenbasis sind Notariatsakten, die in Studien über die hugenottische Kirche sonst eher eine Nebenrolle spielen und hier einmal mehr den Reichtum ihrer Möglichkeiten zeigen.

Kapitel II (Power, prestige and Protestantism in Montauban) ist das umfangreichste des Buches. Der Autor stellt die Anfänge der Reformation bis 1561 dar, als die kalvinistische Dominanz in Montauban erreicht war, und referiert knapp die einschlägige Literatur. Anschließend erörtert er die politischen Bedingungen, unter denen dieser Erfolg möglich und 70 Jahre lang auch dauerhaft war, anhand der Herrschaftsstruktur der Stadt. Die städtische Herrschaft wurde von drei Körperschaften getragen, von den Konsuln als den eigentlichen Herren der Stadt, den Statthaltern und Räten des königlichen Gerichtshofs des Quercy und vom Konsistorium. Eine Prosopographie der politischen und kirchlichen Eliten aufgrund der Notariatsakten ist der wichtigste eigenständige Beitrag der gesamten Arbeit. Die enge Verquickung von Konsulat und Konsistorium zeigt das Ergebnis, daß 62 Prozent der identifizierten 210 Kirchenältesten auch im Konsulat vertreten waren. Familiale Netzwerke durchzogen alle Körperschaften. Der auf diese Weise höchst effektive Informationsfluß und die gemeinsamen Herrschaftsabsichten werden im dritten Kapitel (The shaping of a ‚godly’ society) sichtbar, in dem eine konfessionalisierte Ordnung als genuin städtische Erfahrung beschrieben wird. Etwas relativiert sich diese Sicht im Kap. 4 (Montauban as a ‚mother’ church), in dem Conner gegen die bisher vorherrschende Sicht der Reformation als allein städtisches Phänomen die Selbstdefinition der protestantischen Kirche von Montauban in ihren Beziehungen zu Nachbarstädten und zum dörflichen Umland untersucht und der Frage nachgeht, ob die Stadt eine Verantwortung bei der Reformierung und der Unterstützung der zerstreuten Reste der Calvinisten jenseits der Stadtmauern verspürte. Im Ergebnis erscheint Montauban als ein Zentrum, eine „Mutterkirche“, die in einem Radius von 30-40 km den Protestanten Schutz und Unterstützung bot.

Im Kap. 5 (Myth and reality: the ‚United Provinces’ of the Midi) hält er der, wie er meint, orthodoxen und unkritisch akzeptierten Auffassung eines hugenottischen „Staats im Staate“ vor allem zwei Argumente entgegen: In den Nachbarprovinzen Guyenne und Languedoc herrschte ein sehr begrenztes Gemeinschaftsbewußtsein, was aber eine wesentliche Bedingung für Staatsbildung gewesen wäre, und die Gemengelage konfessioneller und administrativer Zugehörigkeiten behinderte eine engere Zusammenarbeit beider Provinzen. Er polemisiert besonders gegen Janine Garrisson, die das von Jean Delumeau (1965) vorgebrachte Konzept der „Provinces Unies“ in verschiedenen Arbeiten ausgeführt hat: Für Conner ist dies ein Beispiel für die implizite Emotionalität, mit der die Geschichte des französischen Protestantismus in Teilen der französischen (protestantischen) Forschung behandelt wird – dem Konzept der „Vereinten Provinzen“ mangele es an der Beweiskraft quellengestützter Lokalstudien, es erweise sich als Erfindung der Geschichtswissenschaft, als „historiographical fabrication“ (141) und „a nonsense“. Immerhin hat aber die französische Monarchie eine solche Gefahr verspürt, hat den Protestantismus im Midi aufs Blut bekämpft, bis Ludwig XIV. ihm mit der Aufhebung des Edikts von Nantes ein Ende bereitete. Dagegen untersucht der Autor im Kap. 6 (The politics of association in southern France) so gut es die Quellen gestatten die protestantische Bündnispolitik in Südfrankreich, der gewiß die Überzeugung zugrunde lag, daß koordiniertes Handeln die Grundlage für hugenottische Stärke war. Aber eine mögliche Zusammenarbeit, die ohnehin über die kurzfristigen, „normalen“ Angelegenheiten der hugenottischen Bewegung kaum hinausging, fand ihre Grenzen in den vorherrschenden Interessen und im Autonomiestreben der einzelnen Städte.

Die Untersuchung der Bündnispolitik Heinrichs von Navarra (Kap. 7: Henry of Navarre and the Huguenot enclave of Montauban) zeigt dagegen, wie der Gouverneur der Provinz Guyenne nach seiner Flucht vom Hof 1576 die Beziehungen zu den Städten seiner Provinz aufbaute (seine Mutter Jeanne d’Albret war noch daran gescheitert) und die Macht der Städte dazu benutzte, seinen Einfluß in der Region auszudehnen und zu stabilisieren. Zu diesem Zwecke galt es auch das Vertrauen des protestantischen alten Adels zurückzugewinnen. Militärische Erfolge und geschickte Politik trugen dazu bei. Schließlich sollte der Midi die stärkste protestantische Machtbasis während seines Königtums sein.

Im Kap. 8 (Montauban and the world of International Calvinism) fragt Conner nach dem Selbstverständnis der südfranzösischen Gemeinden als Teil des internationalen Kalvinismus und sucht hier besonders nach Momenten der Loslösung Montaubans. Auf der Grundlage von elf Bücherverzeichnissen in Montauban und Nîmes identifizierte er 177 religiöse Werke, die sich in privaten Haushalten befanden. Drei Viertel der religiösen Bücher, die zwischen 1550 und 1570 nach Montauban und Nîmes gelangten, stammten aus Genf, Calvin war mit einem Fünftel davon der „single best-selling author“ (202). Dagegen wurden nur sieben Bücher in südfranzösischen Druckereien gedruckt. Der gute Zugang zur aktuellen kalvinistischen Literatur verband die südfranzösischen Protestanten mit der internationalen Gemeinschaft, das gute Funktionieren des internationalen Buchmarktes verhinderte dagegen ein frühzeitiges Aufblühen lokaler Druckereien; im hugenottischen heartland gab es bis zum letzten Drittel des 16. Jh.s keine Druckereien (Montauban 1577, Nimes 1578, Montpellier 1595, Castres 1605). Die Einbindung in den einschlägigen Buchmarkt scheint die These von der Ablösung der Stadt zu relativieren. Doch im selben Kapitel nimmt Conner als Beleg für die Separation Montaubans von der kalvinistischen Internationale die Beziehung zu Genf in Augenschein, die dafür symptomatisch sei, wie ein knapper Vergleich mit Montpellier zeigen soll (210 ff.). Das Selbstbewußtsein Montaubans zeige sich beispielsweise in einer geringen Zahl der Appelle an Genf, wie Genf generell eine schwächere Beziehung zu den südwestfranzösischen Gemeinden hatte, da es die Aufmerksamkeit stärker auf die unterstützungsbedürftigeren nordfranzösischen Gemeinden richtete. Doch die Unabhängigkeitsthese wird beinahe überstrapaziert, und häufige Wiederholung dient dem Anliegen nicht.

Am wichtigsten sind für den Autor die Mittel und Wege, die zur Lebenskraft des Protestantismus im südwestlichen Frankreich führten. Genf spielte zwar eine wichtige Rolle, entscheidend waren aber lokale Initiativen für die Stärke der Reformation. Die Gründe sind für Conner vornehmlich politischer Natur: die städtische Autonomie, die sich seit dem Mittelalter mit der Erlangung und Befestigung zahlreicher Privilegien und Sonderrechte herausgebildet hatte. Zudem erzeugte die drückende Nähe von Toulouse, der 50 Kilometer entfernten katholischen Bastion der Region, ein Gefühl der Isolation, des Abgeschnittenseins von der protestantischen Welt und prägte auf diese Weise die Mentalität der Montalbanais: Die Bedrohung von außen mußte durch Stärke und innere Sicherheit kompensiert werden (218 f.) So war das politische Erbe Montaubans im ausgehenden 16. Jahrhundert stark geformt durch den unvermeidlichen Konflikt zwischen der auf Schutz und Ausbau der eigenen politischen Privilegien bedachten Stadt und dem allmächtigen Parlament von Toulouse, das sich in die Belange der umliegenden Städte permanent einmischen wollte. Die konfessionelle Spaltung erweiterte den Konflikt und stellte ihn auf eine neue Ebene.

Die kurze „Hoffnung“, daß Frankreich ein protestantisches Königreich werden könne, endete mit dem Bürgerkrieg („Religionskriege“). Die gescheiterten Träume der Kalvinisten mußten eine Quelle der Frustration werden. Während in den nordfranzösischen Städten der Kalvinismus schwächer wurde und, zumal nach der Bartholomäusnacht, zu einer machtlosen (nicht unbedingt bedeutungslosen) Minderheit herabsank, verliefen die Ereignisse für die Hugenottengemeinschaft im Süden bekanntermaßen anders. Noch vor dem Ausbruch des ersten Krieges (1562) hatten die Protestanten viele Städte unter ihre Kontrolle gebracht. In Montauban stellten sie fortan 70 Jahre lang die Mehrheitsbevölkerung, die protestantischen Eliten beherrschten die städtischen und königlichen Ämter. In diesem Umfeld konnten die Reformierten ihren Rückhalt stärken und eine besondere (kulturelle) Identität entwickeln (217), die aber anscheinend in erster Linie Kontrapunkt zur alles umfassenden katholischen Welt war. Was für die ganze Region Béarn unmöglich war, glückte in der Kleinstadt Montauban unter dem hohen Grad sozialer Kontrolle durch die städtischen Magistrate. Nicht ganz klar wird, inwiefern sich diese besondere kulturelle Identität – über den flotten Gebrauch dieses Begriffs soll hier nicht gestritten werden – vom konfessionellen Selbstbild abhebt, das den Reformierten allseits eigen ist.

Es müßte deutlich geworden sein, daß dem Autor daran gelegen ist, die Unabhängigkeit, die innere Geschlossenheit der Kirche von Montauban zu zeigen. Es geht ihm um die autochthonen lokalen Wurzeln der Reformation in Südwestfrankreich und besonders in Montauban, um die Eigenständigkeit des gewählten städtischen Beispiels innerhalb der kalvinistischen Internationale. Angesichts der starken Betonung der Unterschiede entgeht der Autor nur knapp der Gefahr, die Gemeinsamkeiten zu übersehen. Bei all dem ist Conners Buch eine besonders angesichts der Quellenmisere gut gelungene Studie über die Reformation in Montauban und eine gute Zusammenfassung der französischen und anglo-amerikanischen Forschungsliteratur über den südfranzösischen Protestantismus im 16. Jahrhundert.

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