J. Königer: Authentizität in der Filmbiografie

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Titel
Authentizität in der Filmbiografie. Zur Entwicklung eines rezipientenorientierten Authentizitätsbegriffs


Autor(en)
Königer, Judith
Reihe
Epistemata Literaturwissenschaft 825
Erschienen
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Björn Bergold, Institut für Geschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Authentizität gilt derzeit als ultimatives Gütesiegel: Ratgeberliteratur zur Karriereplanung, Tourismusmarketing und Museen kommen ohne die Rede vom Ideal des Authentischen ebenso wenig aus wie die History-TV-Events der letzten Jahre. Auch in der geschichtswissenschaftlichen Debatte erfährt das Konzept derzeit gesteigerte Aufmerksamkeit, die sich insbesondere in erinnerungskulturell und kulturhistorisch orientierten Forschungsprojekten und Publikationen niederschlägt. Demgegenüber steht jedoch auch Kritik am Begriff der Authentizität als bloßes „catchword“, dem es an konzeptioneller Klarheit und Schärfe mangele.1

Die Germanistin Judith Königer nähert sich diesem vielschichtigen Feld in ihrer Dissertation mit einem Blick auf das Medium Spielfilm. Dass dieser Gegenstand auch für die Geschichtswissenschaft lohnenswert ist, ergibt sich nicht nur aus der derzeitigen Konjunktur des Begriffs. Darüber hinaus stellen Spielfilme nach wie vor ein kommerziell äußerst erfolgreiches Medium zur Darstellung von Geschichte dar, das wie zuletzt „Unsere Mütter, unsere Väter“ (2013) gegenwärtige erinnerungskulturelle Diskurse nicht nur mitbestimmt, sondern etabliert und mitunter dominiert.

Königer widmet sich mit dem Gegenstand der Filmbiografie einer besonderen Form Geschichte erzählender Spielfilme und geht dabei der Fragestellung nach, „wie die Authentifizierung einer historischen Persönlichkeit in einer Filmbiografie zustande kommt“ (S. 11). Als „Biopics“ definiert sie fiktionale filmische Erzählungen, die das Leben einer historischen Persönlichkeit in den Mittelpunkt des Geschehens stellen. Diese Definition legt die Autorin weit aus, so dass recht unterschiedliche Produktionen wie „Walk the Line“ (2005), „A Beautiful Mind“ (2001), „Céleste“ (1981) und „Der Untergang“ (2004) zum Gegenstand werden. Die Filme variieren nicht nur deutlich in ihrer erzählerischen Fokussierung auf die Biografie einer historischen Persönlichkeit, sie entspringen zudem verschiedenen Jahrzehnten und unterscheiden sich nicht zuletzt auch hinsichtlich des Anspruchs, Geschichte zu erzählen. Nichtsdestotrotz lässt sich Königers Ansatz durchaus auch auf Geschichtsdarstellungen im Spielfilm übertragen, die nicht in erster Linie biografisch ausgerichtet sind.

Die gut 200 Seiten umfassende Dissertationsschrift ist in zwei Abschnitte unterteilt: Im ersten Teil (Kapitel 2 bis 6) wird ein theoretisches Konzept von Authentizität in der Filmbiografie entwickelt, das in einem zweiten, kürzeren Teil (Kapitel 7) analytisch auf drei ausgewählte Filme Anwendung findet. Die gelungen aufeinander aufbauende Komposition der theoretischen Kapitel führt dabei nach und nach theoretische Elemente ein, die den zunächst allgemein erläuterten Begriff der Authentizität auf das Filmgenre des Biopics fokussieren. Durch alle Kapitel zieht sich das Postulat, dass es sich bei „Authentizität in der Filmbiografie [um] eine Beobachterkonstruktion“ (S. 12) handle. Eine filmische Darstellung von Geschichte kann folglich nicht per se authentisch sein, sie wird durch ihre Zuschauerinnen und Zuschauer erst dazu gemacht. Königer folgt damit dem Stand der wissenschaftlichen Debatte, die das Konzept als „relationale Authentizität der Zuschreibung“ begreift und damit Vorstellungen des essentiell Authentischen überwunden hat.2

Königer entwickelt auf Basis bild-, film- und fiktionstheoretischer Aspekte vier „Faktoren“ bzw. „Bausteine“ eines Authentizitätsbegriffs – Glaubwürdigkeit, Relevanz, Kontingenz, Wahrscheinlichkeit –, die zum Abschluss der theoretischen Überlegungen in ein Modell der Filmkommunikation integriert werden. „Glaubwürdigkeit“ sieht sie dabei als ersten Faktor des Authentizitäts-Begriffs und als „Dreh- und Angelpunkt einer gelungenen authentischen Darstellung“ (S. 35) an. Insbesondere in seinem Verhältnis zum Begriff der Authentizität bleibt das Element der „Glaubwürdigkeit“ etwas unscharf: Königer beschreibt es einerseits als Faktor oder Ursache, „in deren Folge Authentizität“ (S. 43) entstehe, andererseits verwendet sie beide Begriffe synonym (z.B. S. 45, 193).

Daran schließt sich die Frage an, in welchem Verhältnis die drei weiteren „Faktoren“ zur „Glaubwürdigkeit“ stehen und ob diese tatsächlich als Auslöser oder Ursache für Authentizitäts-Zuschreibungen in der Filmbiografie zu verstehen sind. Im Hinblick auf die "Wahrscheinlichkeit“, die "entscheidend dazu bei[trage], ob Dargestelltes glaubwürdig“ (S. 117) sei, stellt sich die Frage, ob es sich bei beiden Faktoren tatsächlich um gleichrangige Elemente eines Authentizitäts-Konzepts handeln kann, oder ob die Wahrscheinlichkeit des Dargestellten nicht eher ein Faktor für dessen Glaubwürdigkeit ist.

Mit „Kontingenz“ wird ferner ein Merkmal nicht nur des Biopics, sondern jeglicher Erzählung von Geschichte eingeführt, ein Umstand, der in der Historiografie nicht erst seit dem „linguistic turn“ wohlbekannt ist. Doch wie sorgt dieses Wesensmerkmal dafür, dass Zuschauerinnen und Zuschauer einen biografischen Film für authentisch halten? Auch das damit in enger Verbindung stehende Merkmal der „Relevanz“ jener biografischen Ereignisse, die „für die gewünschte Aussage- und Wirkungsabsicht“ (S. 78) einer Filmbiografie ausgewählt werden, bleibt in Königers Argumentation eher auf der Ebene des Films bzw. seiner Produktion. Ihre Bedeutung für den Wahrnehmungsprozess und die Authentifizierung der filmbiografischen Geschichte durch die Rezipienten scheint nur vereinzelt auf, etwa wenn es heißt: In Spielfilmen erzählte „Anekdoten und Narrative erfüllen hierbei eine wichtige Funktion, denn sie garantieren Wiedererkennung und konsolidieren so die glaubwürdige Darstellung.“ (S. 78). Insgesamt bleiben die Faktoren dieses vierteiligen Authentizitäts-Modells in ihrer Relation zueinander etwas unscharf, hier hätten – auch mit Blick auf den disparaten Forschungsstand zum Begriff – zusammenführende Überlegungen zu mehr systematischer Klarheit geführt.

Die Frage nach der Zuschreibung von Authentizität und damit die im Titel der Arbeit fokussierte Rezipientenorientierung wird von Königer in Kapitel 6 aufgegriffen und entwickelt. Hier überführt sie die theoretischen Überlegungen zum Authentizitäts-Begriff in ein kognitionspsychologisches Prozessmodell der Filmkommunikation. Sie weist überzeugend überholte Verständnisse einer linearen Medienwirkung zurück, vielmehr geht sie von einem zwischen Film und Rezipienten geschlossenen „Medienpakt“ (S. 128) aus: „Die authentische Lesart eines Biopics wird angestoßen beziehungsweise unterbunden durch entsprechende Signale des Films“ (S. 144). Unter Rekurs auf Peter Ohlers Prozessmodell der Filmwahrnehmung3 verbindet sie schlüssig den medialen Input, den eine Filmbiografie liefert, mit den Wissensbeständen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Gleichwohl geraten mit dieser Fokussierung auf die Kognition – wie Königer selbst einräumt – sowohl die Perspektive auf die lebensweltliche Dimension medialen Handelns, der sich etwa die Cultural Studies widmen, als auch die Frage nach den emotionalen Aspekten der Medien-Authentifizierung in den Hintergrund.

Den Abschluss der Arbeit bilden die Analysen der drei Filme „Pollock“ (2000), „La Vie en Rose“ (2007) und „Céleste“ (1981). Hier folgt Königer der Frage, „wie das jeweilige Biopic Effekte von Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit erzeugt“ (S. 147), und nimmt damit explizit die Medienseite der Filmkommunikation in den Blick. Aus filmwissenschaftlicher Perspektive erscheint dieses Vorgehen plausibel, angesichts Königers theoretischer Akzentuierung eines rezipientenorientierten Authentizitätsbegriffs überrascht dieser Fokus auf das Medium Filmbiografie jedoch. Man hätte hier eher einen empirischen Blick auf individuelle Rezeptionsprozesse erwartet, um die Authentifizierung biografischer Erzählungen im Spielfilm durch die Zuschauerinnen und Zuschauer als Teil der Medienaneignung nachzuvollziehen.

Eine zentrale These in der Auseinandersetzung mit den analysierten Spielfilmen präsentiert Königer im „Narrativ der Devianz“ (S. 161), das die Persönlichkeit im Zentrum der Filmbiografie als gebrochenen Helden porträtiere und somit Authentizitätseffekte erzeuge (S. 153). Weiterhin nennt sie etwa den Rekurs auf „bekannte Biographeme und Anekdoten“ (S. 174) der Hauptfiguren als wesentlichen Faktor für die Glaubwürdigkeit ihrer filmischen Inszenierung. Die Filmanalysen sind insgesamt durchaus anregend, wenngleich das zuvor entwickelte theoretische Konzept von Authentizität sich darin nur bedingt widerspiegelt.

Die Arbeit kann auch für andere mediale Repräsentationen von Geschichte und die ihnen zugeschriebene Authentizität theoretische Anregungen geben. Vor allem deren konsequente Verortung in der Medienrezeptionstheorie stellt einen Gewinn des Buches dar. Ohne einen empirischen Blick auf die Zuschauer und auf Prozesse der Authentifizierung auch in anderen erinnerungskulturellen Medien (der sich aus der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff beinahe zwangsweise aufdrängt) fehlen der Debatte um die Authentizität historischer Repräsentationen jedoch ganz wesentliche Elemente zum Verständnis dieses sehr komplexen Phänomens.

Anmerkungen:
1 Susanne Knaller / Harro Müller, Einleitung. Authentizität und kein Ende, in: dies. (Hrsg.), Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs, München 2006, S. 7–16, hier S. 7.
2 Antonius Weixler, Authentisches erzählen – authentisches Erzählen. Über Authentizität als Zuschreibungsphänomen und Pakt, in: ders. (Hrsg.), Authentisches Erzählen. Produktion, Narration, Rezeption (Narratologia. Contributions to Narrative Theory 33), Berlin 2012, S. 1–32, hier S. 8.
3 Vgl. Peter Ohler / Gerhild Nieding, Kognitive Filmpsychologie zwischen 1990 und 2000, in: Jan Sellmer / Hans J. Wulff (Hrsg.), Film und Psychologie – nach der kognitiven Phase?, Marburg 2002, S. 9–40, hier S. 12.

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