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Titel
Stehen oder Fallen. Österreichische Politik im Ersten Weltkrieg


Autor(en)
Höbelt, Lothar
Erschienen
Anzahl Seiten
323 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele-Maria Schorn-Stein, Rüsselsheim

Lothar Höbelt, Historiker und außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien, stellt sich in seinem neuesten Werk „Stehen oder Fallen? Österreichische Politik im Ersten Weltkrieg“ der durchaus komplexen Aufgabe, die innere wie äußere Politik Österreichs-Ungarns während des Ersten Weltkrieges zu rekonstruieren. Bereits in mehreren seiner früheren Arbeiten hat sich der Autor intensiv mit der Geschichte der Habsburger Monarchie auseinandergesetzt.1 Der Titel des vorliegenden Werks „Stehen oder Fallen“ – nach einem Zitat des damaligen österreichischen Außenministers Graf Czernin – umreißt im Grunde bereits die Fragestellung der Studie.2 Der Autor betont, dass die Geschichte dieses Vielvölkerstaates in den vergangenen Jahren zwar intensiv und aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht worden ist, aber bislang noch niemand den Versuch unternommen habe, Österreichs innen- wie außenpolitische Rolle während des Ersten Weltkrieges eingehender zu beleuchten.

Auf den Auslöser des Ersten Weltkriegs, das tödliche Attentat auf Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajewo, geht der Autor nicht ein, grundlegendes Wissen darüber setzt er als gegeben voraus. Ebenso wenig thematisiert er eingehender die Komplexität der politischen Struktur Alt-Österreichs, würde doch eine solche Darstellung allein schon Hunderte von Seiten füllen (S. 8). Vielmehr verfolgt Höbelt die deklarierte Absicht, zwei oftmals dominante Ansichten zu korrigieren: Die Perspektive eines ohnedies zum Untergang verurteilten Reiches wird der Habsburgermonarchie vor und während des Krieges ebenso wenig gerecht, wie das Zerrbild eines willenlosen Vasallen des wilhelminischen Deutschland (S. 8).

Auf 274 Textseiten, an die sich ein umfassender Anmerkungsteil und ein fundiertes Quellen- und Literaturverzeichnis anschließen, werden in fünf Kapiteln die einzelnen Etappen österreichischer Innen- und Außenpolitik im Zeitraum von Herbst 1914 bis Herbst 1918 geschildert. Wähnte sich Österreich zu Anfang des Krieges im „Niedergang“, Höbelt spricht von einer „Baisse”, so schien es sich im weiteren Verlauf der kriegerischen Handlungen als militärische Macht durchaus zu behaupten: was sich allerdings in letzter Konsequenz als Irrtum erweisen sollte (S. 11 bis S. 34). Einer der fatalsten Fehler, dies wird mehrfach betont, war die Vorstellung, dass dieser Krieg nur von kurzer Dauer sein werde (S. 35).

Der Autor geht auch auf drei der Hauptakteure ein, mit denen das Schicksal Österreichs verbunden war: Der ungarische Ministerpräsident Graf Istvan Tisza, der Außenminister (ab Dezember 1916) Graf Ottokar Czernin und der österreichische Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh, der am 21. Oktober 1916 einem Attentat zum Opfer fiel. Sein Mörder war Friedrich Adler, der Sohn des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Viktor Adler (S. 123). Bei den militärischen Ereignissen geht Höbelt auf die entscheidenden Schlachten und Offensiven ein, wie etwa die „Brussilow-Offensive“ hin zu „Ober-Ost“, an denen Österreich zwar beteiligt war, aber eher eine Nebenrolle gespielt hat (S. 98).

Viel Raum widmet der Autor dem engen Zusammenhang von innenpolitischen und außenpolitischen Maßnahmen, die sich geradezu ergänzten. So geht er beispielsweise auf die Idee der „austro-polnischen Lösung“ ein, bei der Polen eine gewisses Maß an Autonomie garantiert werden sollte, aber unter dem Schutz das heißt der Kontrolle Österreichs. Die Diskussion darüber zog sich ohne ein greifbares Ergebnis bis in den Oktober 1918, die Meinungen der Parteien dazu gingen weit auseinander.

Den Anfang vom Ende der Habsburgermonarchie bildete die sogenannte „Sixtus-Affäre“, benannt nach dem Schwager Kaiser Karls, Sixtus von Bourbon-Parma. Diese Affäre nahm ihren Anfang bereits im Winter 1916, als die beiden Schwager des Kaisers über den belgischen Hof Kontakt mit dem französischen Präsidenten Poincaré aufnahmen, um die Verhandlungen über einen Separatfrieden Österreich-Ungarns mit der Entente in Gang zu bringen (S.153). Informationen über diese geheimen Verhandlungen gelangten an die Öffentlichkeit. Mit dieser Affäre, die das Bild des Kaisers mehr geprägt hat als vielleicht alles andere in seiner gesamten Regierungszeit und die zur Abkehr der (Deutsch-)Österreicher von der Monarchie wohl einiges beigetragen haben mag, wurden die Westmächte endgültig aller Illusionen über die Möglichkeit eines Sonderfriedens mit Österreichs beraubt (S. 238).

Nach Ansicht des Autors – Epilog (S. 262 bis S. 274) – war mit dem militärischen Zusammenbruch auch das staatliche Ende der Habsburgermonarchie besiegelt; als Folge wuchs im verbleibenden „Restösterreich“ der Wunsch nach einem Anschluss an Deutschland.

Die Jahre 1914 bis 1918 waren in der Habsburgermonarchie geprägt von persönlichen Machenschaften, Verschwörungen, Affären und Intrigen, die den innen- wie außenpolitischen Kurs Österreichs mit beeinflussten und auch das Vorhaben einer Reichsreform scheitern ließen. Von diesem Vorhaben blieben nur die für ein Scheitern der Reform vorgesehenen Notverordnungsparagrafen übrig, wie etwa der Paragraf 14, den eineinhalb Jahrzehnte später Kanzler Engelbert Dollfuss zu Ausschaltung des Parlaments instrumentalisierte (S. 193). Trotz aller außenpolitischen Bemühungen, sich als selbstständiger politischer Akteur zu präsentieren und allenfalls einen Sonderfrieden auszuhandeln, mussten die politischen Eliten Österreich-Ungarns schlussendlich zur Kenntnis nehmen, dass ihr Staat – und hier sei noch einmal auf den Titel des Werks Bezug genommen – „fallen“ würde.

Lothar Höbelt füllt mit seiner gelungenen Darstellung über die Rolle Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg eine Lücke in der historischen Literatur. Der abschließenden Folgerung des Autors, dass sich mit dem Ersten Weltkrieg als der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts das Verhältnis der Europäer zum Krieg grundlegend gewandelt habe (S. 271) werden wohl die meisten Leser zustimmen.

Anmerkungen:
1 Lothar Höbelt, Die Habsburger. Aufstieg und Glanz einer europäischen Dynastie, Stuttgart 2009; Lothar Höbelt / Thomas G. Otte (Hrsg.), A Living Anachronism? European Diplomacy and the Habsburg Monarchy. Festschrift für Francis Roy Bridge zum 70. Geburtstag, Wien 2010.
2 Siehe dazu das Vorwort, S. 7–9.

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