J. Köck: Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder

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Titel
"Die Geschichte hat immer Recht":. Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder


Autor(en)
Köck, Julian
Erschienen
Frankfurt am Main 2015: Campus Verlag
Anzahl Seiten
505 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Willi Oberkrome, Wissenschaftsgeschichte/Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Historisches Seminar, Universität Freiburg

Wenn man bereit ist, sich auf die Prämissen der Berner Dissertation einzulassen, fällt ihr fast beiläufig vorgetragenes Ergebnis weithin plausibel aus: Die Heterogenität und „Vielschichtigkeit“ der völkischen Bewegung wurde sogar auf dem Höhepunkt ihrer Produktivität und Wirksamkeit zwischen 1900 und 1925 von der Diffusion, der Gebrochenheit, der Willkür und der Gegensätzlichkeit ihrer historisch-weltbildlichen Festlegungen unverkennbar reflektiert.

Dieser Befund fußt auf Julian Köcks Bereitschaft zur hermeneutischen Durchdringung und Typisierung der so gut wie ausnahmslos absurden, abstrusen und aberwitzigen historiographischen Konstruktionen transrationaler völkischer Provenienz. Das Resultat bleibt insofern erstaunlich, als der Verfasser einem auf Uwe Puschners zahlreiche Vorarbeiten hin orientierten und, wie eingeräumt wird, „engen“, geradezu entschlossen verknappten Begriff des völkischen ‚Lagers‘ bzw. der Völkischen zuneigt. Dazu zählen die Autoren und die Stammleser so auflagenschwacher Periodika wie ‚Hammer‘, ‚Heimdall‘, ‚Deutschvölkische Hochschulblätter‘, ‚Deutschbund-Blätter‘ und einige weitere Publikationen einer volkstumsverschworenen Selbstvergewisserung. Hinzugezählt wird aber auch der Alldeutsche Verband, obgleich die ihm angehörenden oder nahestehenden professionellen Historiker wie Georg von Below und Dietrich Schäfer den puristisch volkstumszentrierten Geschichtsrevisionisten nicht bloß die kalte Schulter, sondern gelegentlich auch die ‚rote Karte‘ zeigten. Das war symptomatisch, denn die – mit der ihrerseits relativierbaren Ausnahme Ludwig Schemanns und des universitären Solitärs Max Wundt – lediglich mäßig akademisch geschulten, nach disziplinären Maßgaben sachlich dilettierenden und methodisch delirierenden Beiträger der eigenen Milieupresse wurden vom wissenschaftlichen Establishment ebenso auf Distanz gehalten wie von der Mehrheit rechter, auch rechtsextremer Kulturschaffender. Zwar konnten diese Grenzziehungen selten und punktuell durchlöchert werden, aber fluide oder insgesamt durchlässig wurden sie erst mit den Wahlerfolgen der von Köck nicht ganz einleuchtend teils als Exekutoren, teils als Widersacher älterer ethnozentrischer Anliegen identifizierten Nationalsozialisten. Somit blieb die Anzahl der genuin völkischen Geschichtsdeuter im Untersuchungszeitraum äußerst begrenzt. Dennoch erlangte der sektiererische Zirkel völkisch assoziierender Historiographen kaum einen inhaltlichen, geschweige denn einen ‚dogmatischen‘ Konsens. Gewiss, eine hypertrophe Wertschätzung des Deutschtums/Germanentums, welches gern in den Zusammenhang antiker Hochkulturen gerückt wurde, und seiner heroisierten Repräsentanten bildete eine Gemeinsamkeit, wenngleich man über die Bedeutung Meister Eckarts, Luthers, Goethes und besonders Karls des Großen enragiert zu hadern vermochte. Ferner bestand im Hinblick auf eine kompromisslose und oft blindwütig offengelegte Ablehnung des Judentums in Vergangenheit und Gegenwart generelles Einvernehmen. Ansonsten herrschten in zahlreichen Aspekten Gegensätze vor, so auch in Bezug auf den allseits virulenten, nach Köck gruppenkohäsiv codierten, Rassismus. Manche Beteiligte betrachteten die ganz allgemein in jähem Aufschwung befindlichen hierarchisierenden Rassenlehren als Zauberschlüssel zur intellektuellen Erfassung der Zeitläufte, andere gaben zu bedenken, dass sich eine ungeprüfte Adaption von Rassekategorien wegen ihrer ‚naturgesetzlich-deterministischen‘ Grundannahmen als ein „trojanisches Pferd des Materialismus“ (S. 239) entpuppen könnte.

Die thematische Reichweite und die intentionale Abgründigkeit der kontrastierenden, jeweils in selbstgewählten Fehlfarben schillernden völkischen Geschichtsimaginationen erschließt sich in stupender Eindeutigkeit durch eine vom Autor vorgenommene Detailuntersuchung von konkreten Urhebern der in Frage kommenden Volkstumsnarrative. Aus dem knappen Dutzend prominenter, zu unterschiedlichen Graden auf Gobineau, Chamberlain, Lagarde und Langbehn fixierter Ideen- und Stichwortgebern des Genres wählt Köck sechs spezifisch richtungsweisende Repräsentanten aus. Neben dem alldeutschen Präsidialen Heinrich Claß, dessen Deutsche Geschichte zu den Topsellern der Völkischen avancierte, wird zunächst Theodor Fritsch privilegiert berücksichtigt. Seine ‚Überlegungen‘ zur Herkunft der Juden aus den Reihen kriminell-devianter Ägypter und ähnlich ‚Minderwertiger‘ oder zur Bedeutung des ‚Ariers‘ Jesus als Symbolfigur eines antiken Antisemitismus veranschaulichen demnach den grundsätzlich ‚dualistischen‘, also Freund-Feind-dezisionistischen Ansatz der völkischen Historiographie. Der rheinische Pädagoge Heinrich Wolf wurde ihm mit seiner Abhandlung über den Niedergang des alten Judentums vollauf gerecht. Für Wolf vollzog sich der Abgesang auf ein ursprünglich veritables alttestamentarisches Kulturvolk durch den Sieg der sinisteren ‚Priester‘ über die lauteren-gottnahen ‚Propheten‘. Im Zeichen des folgenden talmudischen Triumphes, der alternative Auslegungen bei dem eugenischen ‚Zucht und Optimierungsideen‘ zuneigenden Willibald Hentschel fand, entstanden dann die essentiellen ‚Bedrohungen‘ aller stabilen menschlichen Ordnung: der Universalismus, die Plutokratie und die Demokratie. An solche Deklarationen einer bibel- und altertumsfesten ‚Kompetenz‘ knüpfte Wundt ebenso eigenwillig an wie Schemann. Der ehemalige Universitätsbibliothekar bewies auch ansonsten Originalität. Ihm war zwar an einer völkischen Ehrenrettung des ‚Sachsenschlächters‘ Karl gelegen, die üblichen Heroen der vermeintlich echten deutschen Geschichtserfassung fanden in seinem Werk jedoch keine Gnade. Weder der Urvater autoritärer Ordnungskonzepte, Platon, noch die ebenfalls für die deutsche Geschichte vielfach in Anspruch genommenen Lichtgestalten der Renaissance waren demnach geschichtsmächtig, und nicht einmal Luther fand Eingang ins Schemannsche Pantheon der Helden wahrhaft deutscher Art und ‚artgerechten‘ Herkommens.

Die Wittenberger Deutschtumsikone erwies sich, durch Schemanns Brille gesehen, als dem Alten Testament gegenüber zu nachsichtig. Für diverse völkische Puristen bedeutete dies einen kaum reversiblen Sündenfall, denn die ‚Entjudung‘ der biblischen Botschaft stand bei ihnen spätestens nach den darauf zielenden Vorstößen des antisemitischen Literaturkritikers Adolf Bartels 1917 an der Spitze der vergangenheitspolitischen Tagesordnung. Der vorderhand frappierende Umstand, dass Köck die potentielle Seriosität bzw. tendenzielle „Denkbarkeit“ dieser Erwägungen mit Hinweisen auf analoge Vorstellungen nicht etwa Gerhard Kittels oder Erich Seebergs, sondern auf die Mercionreflexionen des nationalprotestantisch weitaus weniger belasteten Adolf von Harnack unterstreicht, ist alles andere als ein Zufall. Er entspricht einer systematischen Argumentationsstrategie der Dissertation, die ihre Akteure – bei aller expliziten Kritik – viel zu ernst nimmt.

Abseits der auch für Köck einem reflexionsabgekehrten Okkultismus hoffnungslos hingegebenen Ariosophen treten die Produzenten völkischer Geschichtsmodelle nämlich als relativ diskutable Teilhaber einer – wie auch immer – bürgerlichen Kultur und ihrer durchsetzungsfähigen Weltanschauungen in Erscheinung. Köck unternimmt daher einen Anlauf nach dem anderen, um die historiographische „Mythomaschinerie“ (Friedemann Schmoll) der Völkischen mit den Weihen – wenigstens begrenzter – geistesgeschichtlicher Respektabilität auszustatten. Zu diesem Zweck rückt er ihre Hervorbringungen in einen bisweilen skurril anmutenden Kontext mit anerkannten wissenschaftlichen Strömungen, akademischen Denkstilen und gelehrten Akteuren im Feld der öffentlichen Meinungsbildung. Er bemüht den deutschen Idealismus und die ‚kleindeutsche Schule‘. Er zählt die seltenen thematisch relevanten Rezensionen in der Historischen Zeitschrift auf. Die Beobachtung, dass Werner Conze noch in dem Rasse-Artikel zu den Geschichtlichen Grundbegriffen affirmativ auf Schemanns Theorien abgestellt hat (S. 117, 384), wird mehrfach betont. Schließlich findet auch die Aufklärung im Kontext der völkischen Geschichtshypothetik eine offenbar tragende oder stützende Funktion. Köck verortet den „völkischen Freiheitsbegriff“ ausdrücklich „in Tradition der deutschen Freiheitsvorstellung, wie sie vor allem Kant formuliert hat“, womit eine freiwillige, vernunftdiktierte Unterordnung unter die Erfordernisse des Gemeinwohls und unter die Verantwortlichkeit ihrer herausragenden Persönlichkeiten gemeint ist (S. 53). Dass die völkische Freiheitsbeschwörung eher dem NS-Führerprinzip als dem Kategorischen Imperativ entspricht, scheint dem Verfasser im Furor kühner Thesenbildung entgangen zu sein.

Entsprechende Blindstellen, die nicht minder den Ersten Weltkrieg mit seinem antizivilisatorischen Phrasenfundus sowie die Radikalisierung und gewaltbereite Aktivierung vieler Völkischer nach 1918 betreffen, machen es nicht ganz einfach, Köck nicht misszuverstehen. Diese Anstrengung findet ihre womöglich ultimative Herausforderung in einem Appell an „die Forschung“, zukünftig nicht mehr die „randständigen“ Obskuranten innerhalb der völkischen Bewegung, sondern ihren „bildungsbürgerlichen Kern“ zu analysieren (S. 422). Da „die Forschung“ seit mehr als dreißig Jahren der Wirkung eines von der Obskurantenkohorte Köcks so gut wie unabhängigen Ethnozentrismus auf deutsche politische Stile und Dispositionen, dem völkisch grundierten ‚Grenz- und Volkstumskampf‘ nach 1918, ferner ganz dezidiert der zunehmenden Ethnoradikalität des Wissenschaftssystems, der Kulturlandschaft, der Konfessionen und Kirchen, darüber hinaus auch mächtigen ‚volks- und bodenfixierten‘ Interessengruppen im wirtschaftlich-sozialen Raum usw. akribisch und kritisch nachgeht, darüber rege veröffentlicht und engagiert diskutiert, hinterlässt diese Aufforderung in erster Linie Ratlosigkeit.

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