V. Rudich: Religious Dissent in the Roman Empire

Cover
Titel
Religious Dissent in the Roman Empire. Violence in Judaea at the Time of Nero


Autor(en)
Rudich, Vasily
Reihe
Routledge Monographs in Classical Studies
Erschienen
London 2015: Routledge
Anzahl Seiten
XXIV, 350 S.
Preis
$ 160,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sarah Walter, Friedrich-Meinecke-Institut / Exzellenzcluster Topoi, Freie Universität Berlin

Nachdem sich Vasily Rudich bereits in den 1990er-Jahren mit der „Regimekritik“ unter Nero beschäftigt hatte, legt er nun mit dem hier anzuzeigenden Buch eine Untersuchung vor, die die Peripherie des Imperium unter Nero betrachtet. Hinter dem Buchtitel verbirgt sich ein Thema, das an sich bereits intensiv bearbeitet wurde: der Jüdische Krieg von 66–70 bzw. 74 n.Chr.1 Doch hat Rudich ausdrücklich nicht den Anspruch, nur eine weitere Untersuchung zu diesem Konflikt vorzulegen, sondern es soll um „the violent form of religious dissent, the mentality behind it and its role in a particular historical upheaval“ (S. 3.) gehen. Die Fragestellung ist hochinteressant, da sie sich gegen die verbreitete Tendenz der Forschung stellt, Religiosität als Handlungsmotivation eher geringe Bedeutung beizumessen. Methodisch begibt sich Rudich damit jedoch auf dünnes Eis, wie er auch selbst zugeben muss (etwa S. 40), denn zur Klärung einer solchen Frage, die sich dem „religious mindset“ der aufständischen Gruppierungen während des Krieges widmet, bleibt neben Münzfunden, Papyri und archäologischen Hinweisen wieder einmal nur Flavius Josephus als Informant.

Das Buch ist in sieben Kapitel exklusive Einleitung und Fazit eingeteilt: In seiner Einleitung definiert Rudich zunächst den Begriff „dissidence“ als „a conflict of one’s personal ideals and the political realities of the time“ (S. 1). Religiöse Renegaten grenzten sich, so Rudich (S. 2), von politischen deutlich ab, da sie „no ability or desire to adjust their beliefs to reality, political or otherwise“ hätten. Da sie sich in einer exklusiven Beziehung zu einem Gott sähen, seien ihre Handlungen in ihren Augen kohärent mit dem Willen dieses Gottes – für Rudich die Quelle religiöser Gewalt. Im darauffolgenden Kapitel „The Vibrant Faith“ beleuchtet Rudich das Judentum während der Ära des Zweiten Tempels. In großer Ausführlichkeit beschreibt er die verschiedenen religiösen Strömungen in Judaea. Dabei führt er aus, dass das religiöse Leben in Judaea zu dieser Zeit zwar durch tiefe Auseinandersetzungen geprägt war, als potenziell gewalttätig könnten aber nur die Anhänger der „4. Philosophie“ bezeichnet werden. Damit folgt Rudich allerdings lediglich der Darstellung seiner Quelle Josephus (etwa ant. Iud. 18,6–10). Danach kommt er auf die Quellenproblematik zu sprechen und stellt Josephus als seine Hauptquelle vor, um anschließend auch die anderen literarischen Quellen wie etwa die rabbinische Literatur zu erörtern.

Im zweiten Kapitel „The Breaking Point“ schildert Rudich minutiös die Ereignisse, die zum Ausbruch des Aufstandes führten. Dabei verdeutlicht er, welche Handlungsspielräume die einzelnen Akteure gehabt hätten, aber nicht nutzten, so etwa der Statthalter von Syrien, Cestius Gallus, der während des Konfliktes zwischen Florus und den Juden den unbeliebten Prokurator hätte abziehen können, es aber nicht tat. Er habe so eine Chance vergeben, eine Eskalation in Judaea abzuwenden. Das dritte Kapitel („The Conquered Land“) beschreibt, wie Judaea unter römische Herrschaft gelangte. Rudich kommt zu dem Schluss, dass es für die jüdische Akzeptanz der römischen Herrschaft vor allem darauf angekommen sei, das Gefühl zu haben, selbstbestimmt zu sein. War die richtige Person vor Ort und agierte sie sensibel genug, um den Juden diese Illusion nicht zu nehmen, konnte die römische Herrschaft funktionieren. Indem man aber nach dem Tod Agrippas I. Judaea wieder unter direkte römische Herrschaft gestellt habe, sei diese Illusion zerstört worden, was zum Krieg geführt habe.

In seinem vierten Kapitel „The Fragile Balance“ beleuchtet Rudich die Demarkationslinien während des Aufstandes. Dabei geht er der Frage nach, ob es ab Beginn der Revolte überhaupt noch möglich oder gewünscht war, den Konflikt einzuhegen. Rudich meint, dass es gerade für die Priesterelite Jerusalems, die von Josephus als verhandlungswillig und grundsätzlich moderat dargestellt wird, „logically and politically implausible“ (S. 199) gewesen sei, diese Position einzunehmen, da eine moderate Haltung politischem Selbstmord gleichgekommen wäre. Am Ende habe das „erste Regime“ die Erwartungen seiner Anhänger aber doch nicht erfüllen können.

In den Kapiteln fünf („The Zealous Storm“) und sechs („The Dagger Men“) kommt Rudich zuerst zu einem noch immer umstrittenen Forschungsthema, den „Zeloten“. Konsequent widmet er sich zunächst der Frage, wer eigentlich die Zeloten waren und gegen welche anderen Gruppierungen sie abgegrenzt werden müssen. Rudich sieht sie nicht als eine eigene Partei, da ihnen eine Ideologie und ein Programm gefehlt hätten, trennt sie jedoch etwa von den Sikariern ab. Anschließend schildert er die Rolle der Zeloten während des Krieges und die inneren Konflikte der Gruppierung. In Kapitel sechs zu den Sikariern und deren Besonderheiten geht Rudich etwa auf deren dynastisch wirkendes Anführerprinzip und extrem radikale Gesinnung ein, die sie für ihn zu „religious dissenters par excellence“ (S. 253) werden lassen. Das dritte Teilkapitel, das sich ausschließlich der Beurteilung des Gemeinschaftssuizides von Masada widmet, ist ein gutes Beispiel für Rudichs Arbeitsweise. Hier versucht er, das „religious mindset“ der Aufständischen zu analysieren: Gleich zu Beginn gesteht Rudich erneut ein, dass Josephus eine nur mit Vorsicht zu benutzende Quelle für die Ereignisse sei. Da Josephus davon ausgehe, dass seine hellenistisch-römische Leserschaft eine genuin religiöse jüdische Denkweise nicht nachvollziehen könne, habe er vor allem in den Reden der Aufstandsführer griechische philosophische Argumente verwendet. Trotzdem meint Rudich bei Josephus Hinweise auf die religiösen Vorstellungen der Sikarier finden zu können. Dementsprechend gerät er in der Analyse der Reden in Probleme, da zwischen dem, was durch Augenzeugenberichte an Josephus herangetragen worden sein könnte, und der Art, wie er die Situation in den Reden gestaltet, kaum unterschieden werden kann.

Im siebten und letzten Kapitel „The Fateful Siege“ geht Rudich dann den Fragen nach, wie es zur Zerstörung des zweiten Tempels kam und wer dafür verantwortlich gemacht werden kann. Als erstes beschreibt Rudich die Unfähigkeit der belagerten Aufständischen, eine gemeinsame Front zu stellen. Bei der Frage, wer schließlich den Befehl gab, den Tempel zu zerstören, zieht Rudich auch die Darstellung des Sulpicius Severus in Betracht, Titus habe selbst den Befehl zur Zerstörung gegeben, um die Gefahr, die von den Juden ausging, durch die Zerstörung ihres Heiligtums endgültig zu unterbinden. In einer Schlussbetrachtung versucht Rudich, seine Ergebnisse auf den gegenwärtigen Terrorismus anzuwenden, was jedoch nicht vollends zu überzeugen vermag.

Eine Auffälligkeit an Rudichs Buch ist sein gleich zu Anfang annoncierter defensiver Stil. Da er sich als „newcomer to a very contested field“ sieht, zieht er die Konsequenz, „to fortify [...] against the charges of ignorance and incompetence coming from potential critics“ (S. xxiii). Das tut er mit Hilfe eines, selbst aus seiner Sicht, umfangreichen Anmerkungsapparates, in dem er die Forschung in extrem großer Breite aufnimmt – diese dafür jedoch kaum im Text auftauchen lässt. Kurios ist dabei, dass das gedruckte Buch ohne diese Anmerkungen und nur mit einer kurzen Bibliographie erschienen ist, während die Endnoten genauso wie die komplette Bibliographie auf der Website des Verlages separat heruntergeladen werden müssen. 2

Insgesamt liegt mit Rudichs neuestem Buch eine kenntnisreiche und umfassende Studie zum Jüdischen Krieg und seinen Akteuren vor. Letztlich vermisst man jedoch eine belastbare Definition des Themas, obwohl letztlich sogar zur Diskussion stehen kann, ob die jüdischen Sekten überhaupt ausschließlich als religiös motivierte Gruppierungen begriffen werden können oder ob für sie nicht eher charakteristisch war, dass Religion und Politik vermengt wurden.3 Auch die Hypothek, sich fast ausschließlich auf Josephus stützen zu müssen, kann Rudich kaum tilgen, sodass die ungelösten methodischen Probleme und die erschwerte Benutzbarkeit den Eindruck, den das Buch hinterlässt, schlussendlich trüben.

Anmerkungen:
1 In den letzten 15 Jahren etwa von Gottfried Mader, Josephus and the Politics of Historiography. Apologetic and Impression Management in the Bellum Judaicum, Leiden 2000; Andrea M. Berlin / J. Andrew Overman (Hrsg.), The First Jewish Revolt, London 2002; Mark Andrew Brighton, The Sicarii in Josephus’s Judean War: Rhetorical Analysis and Historical Observation, Leiden 2009; Sören Swoboda, Tod und Sterben im Krieg bei Josephus, Jena 2012. Vgl. auch verschiedene Aufsätze in den wichtigen Sammelbänden von Joseph Sievers / Gaia Lembi (Hrsg.), Josephus and Jewish History in Flavian Rome and Beyond, Leiden 2005 und Jack Pastor / Pina Stern / Menahem Mor (Hrsg.), Flavius Josephus, Leiden 2011.
2 Das Buch wird durch die Anmerkungen um 1217 Seiten (PDF, Zeilenabstand 1,5) plus 74 Seiten Bibliographie erweitert (vgl. <http://www.tandf.net/books/details/9780415161060/>; Stand: 01.10.2015). Die Rezensentin kapitulierte aus diesem Grund davor, alle Anmerkungen zu lesen.
3 So etwa bereits Joseph Spencer Kennard, Judas of Galilee and his Clan, in: Jewish Quarterly Review 36 (1946), S. 281–286, hier S. 282; Martin Hengel, Die Zeloten, Tübingen 1960, S. 147; Ernst Baltrusch, Die Juden und das Römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, Darmstadt 2002, S. 157.

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