Cover
Titel
England in Europa. Studien zur britischen Geschichte und zur politischen Ideengeschichte der Neuzeit


Autor(en)
Kluxen, Kurt
Reihe
Historische Forschungen 77
Erschienen
Anzahl Seiten
386 S.
Preis
€ 62,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rita Gerlach, Großbritannien-Zentrum, Humboldt-Universität zu Berlin

Am 16. April 2003 verstarb im Alter von fast 92 Jahren der deutsche Historiker Kurt Kluxen. 1911 geboren, habilitierte sich der Geschichtswissenschaftler, Philosoph und Germanist Kluxen 1954 an der Universität Köln und wurde 1963 ordentlicher Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. Einem breiteren Publikum bekannt wurde er vor allem durch seine „Geschichte Englands“ 1, aber auch durch zahlreiche weitere Veröffentlichungen, auch nach seiner Emeritierung 1979.

Der nun erschienene Sammelband enthält 21 kleine Schriften, die eine „repräsentative Auswahl [...] aus seinem Gesamtoeuvre“ (S. 5) darstellen und wie auch der Buchtitel, Kluxens lebenslanges Leitmotiv, das Interesse an der britischen Geschichte, aber immer im kontinentalen Bezugsrahmen, abbilden sollen.

Der Herausgeber Frank-Lothar Kroll hofft, dass die „Sammlung Bausteine zu einer grenzüberschreitenden gesamteuropäischen Geschichtsbetrachtung zu liefern vermag“ (S. 6), und der Leser/die Leserin erwartet also neue Einblicke oder stimulierende Denkanstöße über „England in Europa“. Ob sich diese Hoffnungen und Erwartungen erfüllen, möchte ich in Frage stellen.

Der Bogen Kluxenschen Schaffens ist nicht chronologisch, sondern thematisch gespannt: Die politische Ideengeschichte beginnt mit zwei Aufsätzen zu Machiavelli und dem Machiavellismus bzw. dem Begriff der necessitá und somit Kluxens eigenen Anfängen (Dissertation 2). Erst der dritte Beitrag beschäftigt sich mit Thomas Morus und seiner Utopia und ist damit auf England bezogen - liefert allerdings keine überraschenden Einsichten. Nach einem Aufsatz über „Politik und Heilsgeschehen bei Bossuet“ folgt eine Analyse von John Lockes politischer Theorie. Ein gesamteuropäischer Überblick „Zur Balanceidee im 18. Jahrhundert“ und ein Aufsatz über „Französische Revolution und industrielle Klassengesellschaft“ sollen wohl den ideengeschichtlichen Teil abrunden und den Bogen zu Kontinentaleuropa schlagen.

Die Entwicklung und Problematik des modernen Parlamentarismus ist die zentrale Fragestellung, die Kluxen von seiner zum Erscheinungszeitpunkt zukunftsweisenden Habilitationsschrift 3 bis weit nach seiner Emeritierung beschäftigte. Als Einführung in den zweiten Teil wird hier die schon zweimal erschienene „Herkunft der Lehre von der Gewaltenteilung“ abgedruckt. Offensichtlich „repräsentativ“, da auch schon zwei mal anderweitig publiziert, sind auch „Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des englischen Parlamentarismus“. Weiterhin hat Kroll aus Kluxens Schaffen zu seinem Kernthema die beiden Aufsätze „Die Umformung des parlamentarischen Regierungssystems beim Übergang zur Massendemokratie“ und „Britischer und deutscher Parlamentarismus im Zeitalter der industriellen Massengesellschaft“ ausgewählt.

Zum dritten Thema, der Geschichte Englands, dem Gebiet, in dem Kluxen wohl die größte Bekanntheit erlangte, findet sich ein weites Spektrum: von „Staatskirche und Nonkonformismus“, über „Die Glorreiche Revolution von 1688/98“, den „Ancient-Modern-Streit“, „Die Idee der legalen Opposition“ und „Die Auswirkungen der englischen Aufklärung“ bis hin zum englischen „Adel im 18. Jahrhundert“.

Teil Vier versammelt „Geistige und politische Formkräfte des 19. Jahrhunderts“, die nach „Religion und Nationalstaat“ vor allem „Prinz Albert [als] Wegbereiter moderner Kultur- und Sozialpolitik“ in den Vordergrund stellen und im letzten Beitrag des „England“-Bandes „Soziale und wirtschaftliche Faktoren in Reichsgründung und Reichsgeschichte“ umfassen.

Zusammengelesen ergeben die Einzelaufsätze eine Tour de Force durch Kluxens Forschungs- und Publikationslandschaft, durch die – allerdings nicht besonders englandspezifische – Ideengeschichte von Machiavelli bis Prinz Albert. Trotz des vielversprechenden Titels und der Absicht des Herausgebers ist kein innerer Zusammenhang, keine (Ein)Ordnung der Einzelbeiträge, keine gemeinsame Idee vorhanden. Es stellt sich nur die Frage, warum der Verlag ein solches Buch publiziert hat.

Der Herausgeber Frank-Lothar Kroll, der auch schon für die Kluxen-Festschrift zum 85. Geburtstag verantwortlich zeichnete 4, hat zwar eine ordentliche Sammlung vorgelegt und auch leserfreundlich die Erstveröffentlichungen nachgewiesen. Aber das Buch ist von einem solch weiten Themenspektrum und einer so langen zeitlichen Produktionsphase (von 1950 – 1993) charakterisiert, dass es schon einer ausführlicheren Kommentierung bedurft hätte, um die Textauswahl zu erläutern. Sicher, es soll eine „repräsentative Auswahl aus dem Gesamtoeuvre“ sein, aber gerade in diesem Falle sollte man sich nicht mit einer zweiseitigen Einleitung und ansonsten dem Aneinanderreihen von schon andernorts veröffentlichten Aufsätzen aus der Affäre ziehen.

Der Band hätte Gelegenheit gegeben, zu erläutern, warum so viele Beiträge am Titel-Thema vorbeigingen, d.h. erwartete „England“-Bezüge kaum vorhanden oder nur indirekt und durch Eigenwissen zu erschließen sind. Warum sind in einer „England“-Publikation so detaillierte und spezielle Beiträge über Machiavelli oder Bossuet oder die Französische Revolution enthalten? Wie kommt der thematische Eklektizismus zustande? Was soll durch die Anordnung und Abfolge der Aufsätze erreicht werden? Der Nachvollzug der durchlaufenen Entwicklung würde durch eine chronologische Ordnung der thematisch gruppierten Beiträge erleichtert und interessanter werden – dies ist nicht geschehen und es wird auch nicht kommentiert. Aber bei genauer Lektüre ergeben sich auch aus der kommentarlosen Nebeneinanderstellung von Aufsätzen, die zu verschiedenen Zeiten zum gleichen Thema erschienen waren, aufschlussreiche Erkenntnisse über die Weiterentwicklung des Forschers Kluxen. Manchmal gibt es auch ‘Aha-Effekte’ der besonderen Art: zahlreiche Doppelungen einmal formulierter Gedanken (z.B. zu Locke mehrfach zwischen S. 97 und S. 166f.) bis hin zu wortwörtlichen, nicht ausgewiesenen Eigenzitaten (z.B. S. 196 und S. 224).

Interessanter aber wären Ausführungen gewesen, die den Lesern Bedeutung und Wirkung des Kluxenschen Schaffens erläuterten. Welche Debatten oder gar Paradigmenwechsel hat Kluxen seinerzeit angestoßen? Wie lassen sich die ausgewählten Forschungsergebnisse in neue Forschungsfelder, -methoden und -paradigmen einordnen? Dies hätte durch Kommentare oder Koreferate von Fachkollegen erfolgen können und Nachwuchs-Historikern die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Aufschlussreicher für die Weiterentwicklung der Disziplin wären Konfrontationen mit neuen oder eventuell sogar umstrittenen Sichtweisen allemal.

Anscheinend ist diese eigentliche Arbeit aber nicht angestrebt worden und es ist statt eines Beitrags zu einer lebendigen Diskussion eine konservative und konventionelle Feier- und Gedenkschrift herausgekommen. Einmal mehr scheint hier die akademische Konvention gepflegt zu werden, verdienten Forschern zu runden oder halbrunden Geburtstagen solche Sammlungen zu widmen. Leider in diesem Fall auch noch recht lieblos wie eine schnell abgehandelte Pflichtübung: nach dem kurz geratenen, floskelhaften Vorwort folgen die einzelnen ausgewählten Aufsätze - nicht einmal überarbeitet, sondern bis hin zu Tippfehlern (z.B. S. 234) unredigiert und unkommentiert aus den Erstpublikationen übernommen.

Da das angestrebte Ziel, neue Bausteine zu grenzüberschreitender Betrachtung zu liefern, nicht erreicht wurde und es auch nicht das Ziel gewesen war, unveröffentlichte oder schwer zugängliche Beiträge zu versammeln, bleibt für mich der Nutzen der Publikation unklar. Als reine Demonstration der Spannbreite und intellektuellen Brillanz des Schaffens einer der Kapazitäten traditioneller deutscher Geschichtsschreibung, als Jubiläums-, Fest- oder eben Gedenkschrift ist der Sammelband gelungen – aber hat Kurt Kluxen es noch nötig, in dieser Form gefeiert zu werden? Warum wird statt eines solchen Prestige-Projekts nicht lieber die Publikation einer neuen, vielleicht bahnbrechenden Forschungsarbeit finanziert?

Anmerkungen:
1 Kluxen, Kurt, Geschichte Englands. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1968.
2 Kluxen, Kurt, Politik und menschliche Existenz bei Machiavelli. Dargestellt am Begriff der Necessitá, Stuttgart 1967.
3 Kluxen, Kurt, Das Problem der politischen Opposition. Entwicklung und Wesen des englischen Zweiparteiensystems im 18. Jahrhundert, Freiburg 1956.
4 Kroll, Frank-Lothar (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte: Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn 1996.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension