G. Cracco: Per una storia dei santuari cristiani d'Italia

Titel
Per una storia dei santuari cristiani d'Italia. approcci regionali


Autor(en)
Cracco, Giorgio
Erschienen
Bologna 2002: Il Mulino
Anzahl Seiten
Preis
ISBN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Papenheim, Philosophische Fakultät II, Universität Augsburg

Der hier zu besprechende Band enthält die Beiträge eines Kolloquiums, das sich 1999 in Trient den Sanktuarien Zentral- und Norditaliens widmete - ergänzt durch Artikel zum südlichen Italien. Die Heiligtümer des Mezzogiornios waren ihrerseits schon Thema eines Kongresses 1998 in Foggia gewesen. Beide Veranstaltungen wurden von italienischen Einrichtungen in Zusammenarbeit mit der Ecole française de Rome durchgeführt. Wenn auch das beteiligte Istituto storico italo-germanico in Trient den Brückenschlag nach Deutschland leisten soll, zeigt diese Veranstaltungsagenda einmal mehr, wie umtriebig im Vergleich zur deutschen „Auslandswissenschaft" die italienisch-französische Allianz bei der Erforschung frühneuzeitlicher Frömmigkeits- und Religionsgeschichte ist. In diesem Zusammenhang ist auch der vom Direktor der Ecole française de Rome, André Vauchez, herausgegebene Band „Lieux sacrés, lieux de culte, sanctuaires: approches terminologiques, méthodologiques, historiques et monographiques" Rom 2002 zu nennen.

Obwohl in den letzten Jahren auch in Deutschland vieles in Folge einer kulturwissenschaftlichen Wende im Bereich der Geschichte des Religiösen angegangen worden ist, wird dieses bisher in Italien nicht wahrgenommen. Auch der Direktor des Istituto storico italo-germanico, Giorgo Cracco, verweist in seinem Vorwort nur auf die einschlägige französische Forschung und lässt damit eine wichtige Vermittlungschance ungenutzt.

Der Band widmet sich in 22 Beiträgen dem Thema der Sanktuarien Italiens in seiner ganzen Breite und historischen Tiefe. Unterschiedlichste Aspekte werden verschieden tief beleuchtet: Die Kontinuitäten und Brüche zwischen paganer und christlichen Kultur, der Einfluss byzantinischer Bilderverehrung, die mittelalterliche Heiligenverehrung, die tridentinischen Reformen, der Marienkult des 19. Jahrhunderts und die zeitgenössische Heiligenverehrung sind die wichtigsten Etappen.

An dieser Aufzählung wird schon deutlich, wie vielgestaltig das Thema der Sankturarien in der italienischen Geschichte ist. Um es in einem Band vorzustellen, wäre eine Auswahl oder eine an strengen methodischen Vorgaben erfolgte Fragestellung erforderlich gewesen. Beides fehlt jedoch im konkreten Fall. Die Folge ist ein Panoptikum von Beiträgen, das jede durchgängige Linie vermissen lässt. Die einzelnen Beiträge verfolgen allesamt ihre eigene Logik. Dem Leser wird die Beantwortung übergreifender Fragestellungen vorenthalten. Um nur einige Beispiele zu nennen: Vergleiche zwischen Nord- und Süditalien hinsichtlich der Erfolge der Tridentischen Reformen oder der Romzentriertheit des Marienkults sind anhand der vorliegenden Aufsätze so gut wie gar nicht möglich.

Die regional unterschiedlich verlaufenden Funktionsverschiebungen bestehender Heiligtümer in Folge ihrer Einbindung in religiöse Praxis können auch nicht ansatzweise verfolgt werden. Solange jedoch die Einbettung der Geschichte der Sanktuarien in eine kulturwissenschaftlich abgesicherte Untersuchung der Frömmigkeitsformen nicht erfolgt, bleibt sie im historisch luftleeren Raum. Die Frage nach dem regional verschieden starken Einfluss der Aufklärung wird erst gar nicht gestellt. Der Leser steht ratlos vor dieser Textsammlung. Außerordentlich gelehrt ist der einleitende Beitrag von Giorgo Cracco - nur wäre er als separater Aufsatz erschienen, hätte er seinen literarischen Ort gefunden. Von einer Einleitung in die thematisch viel weiter reichenden folgenden Aufsätze kann ernstlich nicht die Rede sein.

Giorgio Cracco beschränkt seine Ausführungen fast vollständig auf die Marienheiligtümer und dabei deren Geschichte zum allergrößten Teil auf die Zeit von den tridentinischen Reformen bis zur Gegenwart – was allerdings im Titel seines Beitrags „Prospettive sui santuari. Dal secolo delle devozioni al secolo delle religioni“ auch angekündigt wird (wobei unklar bleibt, wo das „secolo delle religioni“ eigentlich liegt). Ihm gelingt es, den Marienkult überzeugend auf die allgemeine italienische und vor allem römische Kirchengeschichte zu beziehen. Der Disziplinierung der Kirche im Äußeren entsprach in der Reformzeit eine kritische Sichtung und zugleich Kanonisierung der sakralen Vergangenheit durch Bestandsübersichten in Form eines „Atlas Marianum“ des Jesuiten Wilhelm Gumppenberg und der „Acta Sanctorum“, ebenfalls von Jesuiten herausgegeben. Der Marienkult wurde durch die herausgehobene Rolle des päpstlichen Sanktuariums von Loreto seit dem ausgehenden 16. Jh. fest mit dem Papsttum verbunden. Maria wurde zu der Figur einer weltumspannenden „Ecclesia triumphans“ und war mit ihren Pilgerstätten in der ganzen Christenheit präsent. Seit dem 18. Jahrhundert wurde - ungeachtet aufklärerischer Kritiken - Maria hingegen zur Anwältin der Kleinen und Verfolgten auch gegen die weltlichen Potentaten. Der Marienkult war zugleich das volkspädagogische Mittel zur Volksfrömmigkeit. Aus den Marienwallfahrtsstätten als triumphales Netzwerk einer christlichen Ordnung wurden die Refugien der leidenden Masse.

Im 19. Jahrhundert wurde die Marienverehrung auch und gerade zum Element des Kults um den leidenden Papst. In seinem berühmten „Dizionario di eruzione„ fügte der Kammerherr von Papst Pius IX., Gaetano Moroni, als erster in ein kirchliches Nachschlagewerk den Artikel „Santuario" ein. Zugleich wurden die Sankturarien historisiert: die Wunder waren vollbracht, jetzt war die Zeit der Verehrung, die der Papst grosszügig durch Ablässe förderte. Der Marienkult geriet im 19. Jahrhundert erneut unter die kritische Kuratel der römischen Kirche. In der Neuauflage des Marienatlas von Gumppenberg durch Antonio Zanelli verband sich das Bild von der dem Volke und durch das Volk helfenden Maria mit der Maria als Helferin des römischen Pontifex.

Im Marienheiligtum in Lourdes kondensierte sich der Kult der Unbefleckten Empfängnis: Eine Marienerscheinung, die nicht nur die Seele, sondern auch den Leib heilt: eine alternative, kirchliche Medizin im Zeitalter des entstehenden positivistischen Körperdiskurses.

Die großen Marienwallfahrtsorte - trotz des auf Rom ausgerichteten Diskurses – verblieben im 19. und 20. Jahrhundert in einer Spannung zwischen universaler Kirche und nationaler Tradition. Wurde Lourdes zum Symbol der Auseinandersetzung zwischen französischer laizistischer und katholischer Kultur, so waren im Italien des Faschismus die italienischen Wallfahrtsorte kirchliche Stätten und zugleich Symbole der „italianità". Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Marienkult einen neuen Aufschwung. Mit dem II. Vatikanum wurden die Marienwallfahrtsorte symbolische Ziele des wandernden Volkes Gottes.

Von all diesen klugen Beobachtungen Giorgo Craccos, die allerdings nur ein Teil des Themas der italienischen Sanktuarien berühren, findet man im vorliegenden Band nichts wieder - muss man aber auch nicht- schließlich waren sie nicht Leitlinie der hier lose zusammengebundenen Beiträge. Die mangelhafte Konzeption des Bandes ist bedauerlich für die Autoren der einzelnen Beiträge, deren Forschungsergebnisse unverbunden und so nicht vermittelbar zwischen zwei Buchdeckel archiviert worden sind.

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