Cover
Titel
Frust und Freude. Die zwei Gesichter der Gesellschaft für Sport und Technik


Herausgeber
Berger, Ulrich
Erschienen
Schkeuditz 2002: GNN Verlag Schkeuditz
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 13,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Schultze, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Anlässlich des 50. Jahrestages der Gründung der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), am 7. August 1952, entstand der vorliegende Sammelband zur Geschichte und Entwicklung dieser Organisation. Der Anspruch dieses Buches ist es, sich ausführlicher und differenzierter als bisher erschienene Publikationen der Thematik zu widmen. Im Vorwort stellt der Herausgeber Ulrich Berger, der von 1969 bis 1990 Chefredakteur des wehrsportlichen Jugendmagazins der GST “Sport und Technik” war, fest, dass “die meisten nach der Wiedervereinigung geschriebenen Beiträge über diese Organisation, auch von Autoren aus der DDR, bestenfalls einseitig (sind), meist aber fehlerhaft, wenn nicht gar verleumderisch. Einerseits werden wichtige Seiten der Arbeit der GST verschwiegen, andererseits ordnet man ihr Aufgaben zu, die sie nicht zu erfüllen hatte.” (S. 7)

Zu bemerken bleibt allerdings, dass es sich bei den Autoren durchweg um in die Materie direkt eingebundene Personen handelt. Sie berichten aus erster Hand und fügen ihren jeweiligen Darstellungen kaum Verweise auf die (aktuelle) Sekundärliteratur bzw. auf andere Quellen an. Dementsprechend fällt das Literaturverzeichnis mit einer knappen Seite auch etwas dürftig aus (S. 218).

Elf Autoren, darunter viele, die in leitenden Funktionen dieser Organisation tätig oder eng mit ihr verbunden waren, stellen in ihren Beiträgen vor allem die achtziger Jahre dar. Denn zu jener Zeit erfuhr die GST ihre prägnanteste Ausprägung als Organisation zur Vorbereitung der (männlichen) Jugend auf den Wehrdienst. Mit anderen Worten erfüllte sie hier den eigentlichen Zweck ihrer Gründung am konsequentesten, und der militärische Charakterzug der Organisation wurde für jeden offenbar. Daher muss Ulrich Berger zu Beginn der Einleitung konstatieren, dass die GST den Charakter einer Massensportorganisation tatsächlich nur im Bereich der Wehrsportarten hatte (S. 9).

Werner Eltze gibt im ersten Beitrag (“Hauptziel: Vorbereitung auf den Wehrdienst”, S. 17-24) einen Überblick über Entstehung, Geschichte und Wesen der GST. Der Autor beschreibt in groben Zügen, wie sich die GST seit ihrer Gründung 1952 entwickelte. Ausgehend vom Beschluss des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend (FDJ), vom 26. Juli 1950, über die Bildung von Interessengemeinschaften in den Grundeinheiten der Jugendorganisation, in denen viele der nach 1945 verbotenen Sportarten wieder ausgeübt werden konnten, beschreibt Eltze den Start der GST, die, verteidigungspolitischen Zwängen folgend, im August 1952 gegründet wurde. Der Aufbau der GST orientierte sich weitgehend an der sowjetischen Bruderorganisation Dobrovolnoe obscestvo sodeistvija armii, aviacii i floty SSSR (DOSAAF – Freiwillige Gesellschaft zur Förderung von Armee, Luftstreitkräften und Flotte der UdSSR). Obwohl der GST, im Gegensatz zur DOSAAF, das Prinzip das Freiwilligkeit voranstellte, war sie im Grunde eine Kopie sowjetischer Verhältnisse (S. 19).

Interessante Einblicke in das direkte Gründungsgeschehen liefert der Beitrag von Kurt Möller („,Alles ohne Geschrei, aber beharrlich’. Die Schaffung der GST“, S. 25-38). Bei seinem Quellenstudium wurde dem Autor bald klar, „es handelte sich bei der Schaffung der GST um eine politische Zweckentscheidung der sowjetischen Parteiführung unter Stalin, die von der SED-Führung unter Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht umgesetzt wurde” (S. 25) – eine nicht überraschende Erkenntnis, hatte doch Stalin in dem von ihm beherrschten Ostblock gerade zu dieser Zeit damit begonnen, dessen Länder wieder militärisch zu stärken. Dies war, auch für den Autor, eine logische Maßnahme, da der Kalte Krieg auf einen Höhepunkt zusteuerte. Man denke nur an die so genannten Stalin-Noten.

Zu den aus der politischen Situation abgeleiteten praktischen Maßnahmen Stalins gehörte auch die Schaffung von ostdeutschen Streitkräften. Auf einer Besprechung Stalins mit Pieck vom April 1952 hob Stalin hervor: “Alles ohne Geschrei, aber beharrlich” (S. 27). Der Autor vermittelt im Folgenden einen chronologischen Abriss der Geschehnisse vom März/April bis zur Gründung der GST im August 1952, der in der Forderung Stalins nach vormilitärischer Ausbildung seinen Ursprung hat. Die Chronologie wird im Verlauf des Beitrages bis zum ersten Kongress der GST (14. bis 16. September) 1956 fortgesetzt.

Im folgenden Beitrag “Keine Schule der Nation” von Werner Hübner (S. 39-46) wird die GST aus der Sicht des ZK der SED dargestellt. Auffällig hierbei ist, dass die Führung der SED dieser Organisation eine zwar kontinuierliche, meist aber wenig intensive Aufmerksamkeit schenkte, weil andere Sorgen im Vordergrund standen. "Um einem der Wirklichkeit nicht entsprechenden Eindruck entgegenzuwirken: Weder die sozialistische Wehrerziehung, noch die GST spielten in der Partei – außerhalb der damit befaßten Gremien – eine herausragende Rolle” (S. 40).

Werner Eltze beschreibt besonders die Geschichte der GST in den achtziger Jahren („Der gesellschaftliche Auftrag und seine Konsequenzen”, S. 47-58). Der Autor, der 1979 als aktiver NVA Oberst mit der Funktion des “Stellvertreters des Vorsitzenden des Zentralvorstandes der Gesellschaft für Sport und Technik für Agitation und Propaganda” betraut wurde, beschreibt den politischen Hauptinhalt und das ideologische Hauptziel als die Vermittlung des Sinns des Soldatseins im Sozialismus (S. 51).

In den achtziger Jahren zeigte die Organisation erste Ansätze zu einer Reform, worauf in den meisten Beiträgen des Sammelbandes hingewiesen wird. Erste Veränderungen, wenn auch vorerst nur führungstechnisch, gab es in der GST schon 1982 mit dem Tod von Generalleutnant Teller und der Einsetzung von Vizeadmiral Kutzschebach als neuen Vorsitzenden des Zentralvorstandes der GST. Nicht zu vergessen ist allerdings auch, dass in der GST die Traditionspflege eine wichtige Rolle spielte. In den achtziger Jahren löste sich die Organisation von einer engen marxistisch-leninistischen Traditionspflege, fasste den Traditionsbegriff weiter und bezog schließlich auch den Widerstand militärischer und bürgerlicher Kreise gegen Faschismus und Krieg in ihre Traditionspflege ein. Hierbei, wie in allen Bereichen ihrer Arbeit, war die GST weitgehend abhängig von der Mitarbeit vieler ehrenamtlicher Funktionäre.

Welche Vorteile u.a. gerade dies für die NVA hatte, beispielsweise in der vormilitärischen Kraftfahrausbildung, da dort Fahrlehrer kaum mehr notwendig waren, zeigen Rolf Pitschel („Mit Vorkenntnissen zum Wehrdienst”, S. 59-70) sowie auch teilweise das Interview mit Heinz-Günther Wittek, 1981-89 stellvertretender Chef des Komitees der Armeesportvereinigung „Vorwärts“ (ASV), über den Wehrsport (S. 71-76). Weiteren Aufschluss über dieses Thema gibt Lothar Herold am Beispiel der Kfz-Schule der GST in Ballenstedt/Harz (“Fahrlehrer nach Maß”, S. 110-114).

Mit dem Beitrag von Günter Poller ( “Millionenhaushalt für Motorräder, Flugzeuge und Gewehre”, S. 89-96) und dem Zahlenmaterial aus dem Anhang des Buches lassen sich Konturen der materiellen und finanziellen Ausstattung der GST erkennen. Die staatliche Förderung der Organisation machte 1989 mit 229 Millionen Mark gegenüber dem Haushalt der NVA gerade einmal 1,78 Prozent aus.

Eberhard Köllner, das Kosmonautendouble Sigmund Jähns und der bekannte Buchautor Hartmut Buch schreiben über das Fliegen und Fallschirmspringen und deren schwierige Bedingungen in der GST (S. 77-88). Den Abschluss dieser interessanten Publikation bildet der Beitrag von Karl-August Puls über die Arbeit eines stellvertretenden Vorsitzenden in einem Bezirksvorstand der GST (“Mit umfangreichen Rechten und Pflichten”, S. 115-120).

Damit liegt eine gelungene Darstellung der Geschichte der GST von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende vor, die sicherlich eine freundliche Aufnahme und breite Resonanz finden und zum besseren historischen Verständnis dieser Organisation beitragen wird. Mitunter erscheint es im Hinblick auf den oben genannten Anspruch des Sammelbandes so, als ob seine Beiträger mit der Darstellung von hinlänglich Bekanntem das Rad neu erfinden wollten. Besondere Würdigung verdient der umfangreiche Dokumentenanhang, der sich über mehr als 90 Seiten erstreckt und äußerst interessantes Zahlenmaterial und aufschlussreiche Quellen enthält. Ein Autorenverzeichnis sowie ein Sach- und Personenregister runden das Bild des Sammelbandes ab.

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