T. Power u.a. (Hrsg.): Suetonius the Biographer

Cover
Titel
Suetonius the Biographer. Studies in Roman Lives


Herausgeber
Power, Tristan; Gibson, Roy K.
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 338 S.
Preis
£ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jack W. G. Schropp, Zentrum für Alte Kulturen, Universität Innsbruck

Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis einer im Jahr 2008 an der Universität Manchester durchgeführten Konferenz zu dem vor allem für seine Biographien bekannten lateinischen Autor Gaius Suetonius Tranquillus. Nach dem im Jahr 2009 erschienenen Tagungsband „Présence du Suétone“1 bietet er nun eine weitere Sammlung von Aufsätzen, die zum einen mit der alten Forschung brechen und zum anderen einen Perspektivenwechsel im Verständnis des literarisch oft unterschätzten Autors eröffnen will (S. V u. 18). Diese im Vorwort der Herausgeber Roy Gibson und Tristan Power sowie in der Einführung Powers erhobenen Ansprüche sind beinahe schon symptomatisch für die Suetonforschung: Bereits Wolf Steidle hat mit seiner 1951 veröffentlichten Monographie „Sueton und die antike Biographie“ den Versuch unternommen, das Bild Suetons von dessen Verkrustungen freizulegen.2 Damit stieß er gleichermaßen auf Zustimmung wie Ablehnung und befruchtete dementsprechend eine Reihe von nachfolgenden Arbeiten darin, Sueton als einen selbständigen Autor wahrzunehmen, der sich nicht auf die Rolle des Informationslieferanten reduzieren lässt (vgl. S. 35f.).

Diese Vorgehensweise stellt sich aber für die Suetonforschung als ein zweischneidiges Schwert heraus, denn indem versucht wird, Sueton mehr Geltung als Autor beizumessen, wird er gleichzeitig in ein „literarisches Vakuum“ gesetzt: Hand in Hand mit der Betonung seiner herausragenden Leistung als Biograph und Gelehrter geht die Abschottung seiner Person von den zeitgenössischen Einflüssen. Wieder den Fokus auf Sueton selbst zu richten, ist wichtig und trägt sicherlich dazu bei, ihn unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten, sollte aber im Gegenzug nicht dazu führen, ihn als rein antiquarischen Zeitgenossen zu begreifen. Gerade wegen der Vehemenz, jede taciteische und (gegebenenfalls) plutarchische Einwirkung auf Schärfste abzulehnen3, versäumt man einerseits der akribischen Arbeitsweise Suetons gerecht zu werden und blendet andererseits die Wirkung des literarischen Umfeldes auf den Autor großzügig aus – beides wird im Band auf ein Minimum reduziert (vgl. S. 211–217). Sueton stand zu diesen beiden Zeitgenossen mit Sicherheit in keinem direkten Abhängigkeitsverhältnis. Er fühlte sich aber durch diese Autoren in seinem eignen Schaffen beflügelt, da Tacitus und Plutarch neue Wege eröffneten, die auch er einschlug; in deren Nachfolge formte er seine Schriften zu etwas Eigenem, das für sich selbst stehen konnte, ohne dass Sueton dabei ins literarische Abseits geraten wäre – unter anderem dadurch wurde Sueton zum „innovative writer“ (S. 15).

Die auf die Einführung folgenden dreizehn Beiträge illustrieren durchaus die vielseitige und innovative Arbeitsweise Suetons. Auf drei größere Themenfelder verteilt, werden im ersten Teil die formalen Aspekte der suetonischen Darstellung behandelt. So setzt sich Donna W. Hurley in „Suetonius’ Rubric Sandwich“ mit der generischen Struktur der Viten auseinander, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf die divisiones als Gliederungsmittel zwischen narratio und der für Sueton typischen Strukturierung der Informationen nach Rubriken legt (vgl. auch S. 4f. u. 8–14). Die diviso im Divus Augustus ist für sie in dieser Hinsicht idealtypisch, und das durchweg positive Bild des Kaisers sei der moralische Referenzpunkt für die anderen Biographien (S. 25, 32 u. 37; vgl. noch S. 112, Anm. 5 u. 130, Anm. 2). Darum hält sie es auch für nicht unwahrscheinlich, dass Sueton den Divus Augustus vor dem Divus Iulius schrieb (S. 26). In „Suetonius the Ventriloquist“ untersucht Cynthia Damon die Zitate in oratio recta hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Biographien als ironische Pointe, durch die nochmals die Tugend bzw. das Laster der Kaiser überspitzt zum Vorschein kommen soll. In diesem Sinne sei Sueton „Bauchredner“ und die Kaiser seine „Puppen“, welche er zum Sprechen bringe, wenn er es für die Erzählung für angebracht halte. Einer der interessantesten Beiträge des Buches ist sicherlich Powers Aufsatz „The Endings of Suetonius’ Caesars“, in dem er demonstriert, wie die Schlussszenen der Viten zum einen mit ihren jeweiligen Eröffnungen und zum anderen mit den Finalen der anderen Kaiserbiographien verbunden sind. Diese werkinternen Bezüge – insbesondere jene zwischen dem akephalen Divus Iulius und der Domitian-Vita (S. 70 u. 74f.) – zeigen zudem, so Power, dass Sueton die De vita Caesarum als Ringkomposition vielleicht nicht geplant, aber auf jeden Fall als solche beendet hat.

Im zweiten Teil des Buches mit dem Untertitel „Reading the Lives“ werden zuerst vier der fünf längsten Lebensbeschreibungen der De vita Caesarum besprochen: John Henderson geht in „Was Suetonius’ Julius a Caesar?“ der Frage nach, inwieweit der Divus Iulius Teil der Biographiensammlung ist. Die Fragestellung überrascht; zwar ist Hendersons Ansatz interessant, über „a plethora of Latin passages“ (S. 81, Anm. 3) aus den De vita Caesarum die Zugehörigkeit des Divus Iulius herauszufinden, das Ergebnis der Untersuchung ist aber bekannt (vgl. S. 16, Anm. 48): Gerade der Vergleich mit Plutarchs vorher entstandenen und mit Augustus beginnenden Kaiserviten zeigt, dass Sueton in Caesar eher einen Vorläufer der Kaiser als einen rein in republikanischen Strukturen funktionierenden Charakter sah.4 Caesar steht an der Schwelle zum Prinzipat, daher fällt es Henderson auch schwer, eine definitive Antwort auf die von ihm gestellte Frage zu geben: „So, was he a Caesar? Of course he is not, but was he? Of course not […]“ (S. 108; vgl. S. 132, Anm. 10). Sueton war sich der historischen Situation durchaus bewusst, und Henderson streicht auch heraus, dass dieser im Divus Iulius eine „word-world of his own“ konzipierte, die sich nicht für die späteren Kaiser replizieren ließ; dann aber mit dem Urteil, „[a]s protatic Caesar, Iul. is aborted“ (S. 109), zu schließen, scheint überzogen.

Die Beiträge von Rebecca Langlands „Exemplary Influences and Augustus’ Pernicious Moral Legacy“ und Erik Gunderson „E.g. Augustus: exemplum in the Augustus and Tiberius“ widmen sich in erster Linie dem Divus Augustus. Langlands liest zwischen den Zeilen und argumentiert, dass das im Divus Augustus vorzufindende positive Bild des Kaisers eine Fassade sei, hinter der sich „a man betrayed by fate, unable to achieve his aspirations, disappointed in his attempts to shape the future“ verstecke (S. 123). Gunderson hingegen stellt dem Divus Augustus die Tiberius-Vita gegenüber, um zu veranschaulichen, wie die exempla des Augustus in ihrer Vorbildlichkeit konträr zu denen des Tiberius wahrgenommen wurden. In ihrem zweiten Beitrag „Rhetorics of Assassination: Ironic Reversal and the Emperor Gaius“ geht Hurley auf die zwei Versionen der Ermordung Caligulas ein (Calig. 58,2–3). Abgeschlossen wird dieser zweite Teil des Buches durch W. Jeffrey Tatums „Another Look at Suetonius' Titus“ und Jean-Michel Hulls’ „The Mirror in the Text: Privacy, Performance, and the Power of Suetonius' Domitian“.

Der letzte Teil des Bandes thematisiert die biographischen Grenzgänge Suetons, die „Biographical Thresholds“. Roy Gibson vergleicht in „Suetonius and the viri illustres of Pliny the Younger“ die in den Plinius-Briefen zitierten Literaten mit jenen in Suetons De viris illustribus. Dabei kommt er zum Ergebnis, dass Sueton in den De viris illustribus ein nach oben offeneres, Plinius in den epistulae ein restriktiveres Karrieremodell beschreibt. Ursache hierfür sieht er weniger in den literarischen Gattungen (der Brief als Momentaufnahme, die Biographie als Langzeitblick) als in der jeweiligen sozialen Position: Sueton ist Protegé, Plinius Patron (S. 225). Im Anschluss an Gibson setzt sich Power in „Suetonius’ Famous Courtesans“ mit der verlorenen und bisher wenig beachteten Schrift Suetons Perì episḗmōn pornôn auseinander. Dahinter vermutet er aber nicht ein biographisches Werk über Prostituierte, sondern eine Abhandlung in Form von Kommentaren zu berühmten Geliebten aus der lateinischen Poesie, er schlägt demzufolge den lateinischen Titel De feminis famosis vor. Ebenso wenig Aufmerksamkeit wurde bisher der nur in einem Werkkatalog in der Suda erwähnten Schrift zu den römischen Spektakeln und Wettbewerben (Perì tôn parà Rōmaíois theōriôn kaì agṓnōn) geschenkt; mit diesem antiquarischen Werk Suetons befasst sich T. P. Wiseman in „Suetonius and the Origin of Pantomime“. Der Band schließt mit Jamie Woods rezeptionsgeschichtlich angelegten Beitrag „Suetonius and the De vita Caesarum in the Carolingian Empire“. Woods zeigt auf, dass die Entstehung der Vita Karoli Einharts nicht nur auf den Fund eines Manuskripts der Schrift De vita Caesarum in Fulda zurückzuführen ist, sondern auch durch ein seit dem 9. Jahrhundert wachsendes Interesses an Sueton innerhalb der karolingischen Intelligenzija begünstigt wurde.

Dass seit den Arbeiten von Andrew Wallace-Hadrill und Barry Baldwin, beide 1983 publiziert5, in der englischsprachigen Fachwelt kein „first book-lenght work“ (S. V) zu Sueton mehr erschienen ist, braucht spätestens mit diesem Band nicht mehr beklagt zu werden; vor allem wenn man bedenkt, dass Sueton nie vollkommen aus dem Fokus der Forschung verschwunden war. Darum verdient gemacht haben sich in den letzten Jahren vor allem Donna W. Hurley, David Wardle, Josiah Osgood und insbesondere Tristan Power. Letzterem, der auch die treibende Kraft hinter der Realisierung dieses Buches war, ist es ebenfalls zuzuschreiben, dass Sueton gegenwärtig auf so vielfältige Weise Aufmerksamkeit erfährt (vgl. S. 316). Ihm, Roy Gibson und den restlichen Mitwirkenden kann nur für dieses inhaltlich und formal gelungene Buch gedankt werden, das zweifellos seinen Weg in die Bibliotheken und seinen Platz in jeder zukünftigen Arbeit zu Sueton finden wird.

Anmerkungen:
1 Rémy Poignault (Hrsg.), Présence de Suétone. Actes du colloque tenu à Clermont-Ferrand (25–27 novembre 2004), à Michel Dubuisson in memoriam, Clermont-Ferrand 2009. Siehe dazu die Rezension von Tristan J. Power, Papers on Suetonius, in: Classical Review 61 (2011), S. 485–487.
2 Wolf Steidle, Sueton und die antike Biographie, München 1951.
3 Z.B. S. 12–14, 164, 232. Der Großteil der Forschung hält eine Kenntnis der taciteischen Werke durch Sueton für äußerst wahrscheinlich, vgl. z.B. Dennis Pausch, Biographie und Bildungskultur: Personendarstellungen bei Plinius dem Jüngeren, Gellius und Sueton, Berlin 2004, S. 272, Anm. 218. Jüngst dagegen: Tristan Power, Suetonius’ Tacitus, in: Journal of Roman Studies 104 (2014), S. 205–225. Im Fall Plutarchs hat sich in den letzten Jahren die Meinung erhärtet, dass Sueton nicht durch den griechischen Philosophen beeinflusst wurde: Pausch, Biographie, S. 237–252; Power, Tacitus, S. 218, Anm. 70; zur gegenläufigen Sichtweise (prominentester Vertreter ist Barry Baldwin) siehe im Buch S. 4, Anm. 12 u. 232, Anm. 5 (vgl. aber auch Pausch, Biographie, S. 247, Anm. 90).
4 Christopher Pelling, Plutarch. Caesar, Oxford 2011, S. 5.
5 Andrew Wallace-Hadrill, Suetonius. The Scholar and his Caesars, London 1983; Barry Baldwin, Suetonius, Amsterdam 1983.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension