Titel
Ländlicher Kredit. Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889–1914)


Autor(en)
Schlütz, Frauke
Reihe
Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. 25
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
471 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Stark, Hamburg

Die Genossenschaftsbanken sind ein Erfolgsmodell, neben den öffentlich rechtlichen Instituten und den Privatbanken bilden sie die dritte Säule des deutschen Bankwesens. Wie gelang es den (ländlichen) Kreditgenossenschaften aber dauerhaft ökonomisch erfolgreich zu sein? Welche formalen und informellen Regelungssysteme entwickelten sie hierbei? Frauke Schlütz stellt diese bislang von der wirtschaftshistorischen Forschung zur Herausbildung und Entwicklung der deutschen Kreditgenossenschaften ausgeblendeten Fragen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung zum Thema „Ländlicher Kredit“. Einen Schlüssel zum Erfolg der ländlichen Kreditgenossenschaften sieht Schlütz in deren unternehmensspezifischen Regeln der Beschaffung, Verarbeitung und Kontrolle von Informationen.

Die Arbeit ist in zehn Abschnitte gegliedert. In der Einleitung (I) gibt die Autorin zunächst Auskunft über ihre Erkenntnis leitenden Fragen, bietet einen breiten Überblick zum Forschungsstand, stellt die Quellenlage dar und entwickelt auf dieser Basis ihr Analysekonzept. In Kapitel II werden umfassend die natürlichen, sozialen, religiösen, wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ihres Untersuchungsraumes dargestellt. Kapitel III schildert die Situation auf dem ländlichen Kreditmarkt vor der Gründung der ersten Kreditgenossenschaften. In Kapitel IV wird ein quantitativer Überblick zur allgemeinen Verbreitung der ländlichen Kreditgenossenschaften bis auf die Reichsebene gegeben, um anschließend auf die regionalen Genossenschaftsverbände und endlich auf die Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften im Untersuchungsraum einzugehen. Kapitel V widmet sich den Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorganen, Kapitel VI fragt unter Verweis auf das Formularwesen und die Revision nach der Effizienz der Geschäftstätigkeit der Kreditgenossenschaften. In Kapitel VII werden die Geschäftsentwicklung sowie die Entwicklung der Mitgliederzahlen und die Berufsstruktur der Genossenschaften unter die Lupe genommen. Im Rahmen von Kapitel VIII zur Geschäftstätigkeit werden anhand von diversen Fallbeispielen das Aktivgeschäft (Kreditvergabe), das Passivgeschäft (zum Beispiel Spareinlagen), sowie die Zusammenarbeit mit den genossenschaftlichen Zentralkassen untersucht, als auch akribisch die tatsächlichen Verwaltungskosten der ländlichen Kreditgenossenschaften aufgeschlüsselt. Das Kapitel IX untersucht die Konkurrenzsituation der Genossenschaftsbanken mit anderen Banken, insbesondere den Sparkassen auf Basis des Spar- und Kreditgeschäfts. Ein Fazit (X) findet sich zum Schluss der materialreichen Studie.

Als theoretische Grundlagen der Untersuchung wurden Ansätze der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ) herangezogen. Hier erwies sich gerade die Verwendung des Prinzipal-Agent-Ansatzes, mit dem die Folgen von asymmetrischer Informationsverteilung und die Gestaltungsmöglichkeiten von Beziehungen zwischen Vertragspartnern in der ländlichen Kreditvergabe untersucht werden, als durchaus fruchtbar. Schlütz arbeitet heraus, das hauptsächlich zwei Faktoren für die konkrete Ausgestaltung des Prinzipal-Agent-Verhältnisses innerhalb der Kreditgenossenschaften von größter Bedeutung gewesen sind. Sie nennt hierbei erstens das Verhältnis des Geschäftsführers zum Vorstand und zweitens die Größe des Geschäftsbezirks der ländlichen Kreditgenossenschaft. Mit dem Transaktionskostenansatz erklärt sie die Entstehung von ländlichen Kreditgenossenschaften. Eine stringentere Verzahnung ihres Theorieabschnittes mit den empirischen Kapiteln wäre aber insgesamt wünschenswert gewesen. So stehen ihre theoretischen Ausführungen zur Transaktionskostenökonomie etwas unverbunden dar. Hier hätte sich vielleicht eine Zusammenführung mit ihrer Analyse der Verwaltungskosten in Kapitel VII gelohnt, womit Transaktionskosten zumindest teilweise berechenbar werden würden.

Das Untersuchungsdesign der Arbeit ist das einer vergleichenden regionalen Fallstudie. Der geografische Fokus scheint angemessen, da die ländliche Genossenschaftsbewegung ihren Ursprung in der Rheinprovinz hatte und sich hier auch im Vergleich mit allen anderen preußischen Provinzen schnell die größte Anzahl von ländlichen Genossenschaften entwickelte. Die schlicht desaströs zu nennende Quellenlage gerade im Bereich der Primärquellen der ländlichen Kreditgenossenschaften machte eine Beschränkung des Untersuchungsraumes notwendig. Den „weiten“ Referenzrahmen stellen dabei als Korrektiv zu dieser geografischen Fokussierung die übrigen rund tausend ländlichen Kreditgenossenschaften in der restlichen Rheinprovinz dar, deren durchschnittliche Entwicklung auf Basis der verfügbaren Jahresberichte und Zeitschriften der entsprechenden Genossenschaftsverbände erkundet werden konnten. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes im Jahr 1889 und endet klassisch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, da das durch ihn induzierte Erlahmen der ländlichen Kreditvergabe eine quasi natürliche Zäsur darstellte. Es werden die Entwicklungen der ländlichen Kreditgenossenschaften der drei oberbergischen Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth analysiert. Die Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur der drei ausgewählten Kreise war relativ heterogen.

Welche Rolle spielten nun die Kreditgenossenschaften bei der Kreditversorgung der ländlichen Bevölkerung? Zunächst weist Schlütz im Anschluss an Knut Borchardt1 wiederholt darauf hin, dass es im 19. Jahrhundert keinen Kapitalmangel gab. Es existierten aber im ländlichen Raum bis Anfang der 1850er-Jahre keine geeigneten institutionellen Finanzintermediäre, die das Angebot an Kapital mit der Nachfrage hätten zusammenbringen können. Wer auf dem Land Geld leihen wollte, war auf die Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft oder etwaige Wucherer angewiesen, wobei Letztere im Oberbergischen keine bedeutende Rolle spielten. Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes bestanden in den untersuchten Kreisen bereits verschiedene Möglichkeiten der Nutzung von Finanzintermediären, wie zum Beispiel Sparkassen und Volksbanken in der Tradition von städtischen Kreditgenossenschaften nach Schulze-Delitzsch. Deren Angebote waren aber noch nicht im ausreichenden Maße auf die Belange der ländlichen Bevölkerung und ihren landwirtschaftlich geprägten Produktionszyklus abgestimmt, so waren etwa die angebotenen Kreditlaufzeiten mit zumeist drei Monaten viel zu kurz und die Zinssätze zu hoch.

In diese Lücken stießen die neugegründeten, mehr oder minder an den Prinzipien von Raiffeisen orientierten Kreditgenossenschaften. Ihr Geschäftsmodell war auf die Bedürfnisse des ländlichen Raumes und der Landwirtschaft zugeschnitten. Kleine Geschäftsbezirke und Face-to-face-Beziehungen sollten den Geschäftsbetrieb und die Überwachung der Kreditnehmer vereinfachen und ihre Kreditnehmer mit günstigen Krediten versorgen. Die Kreditgenossenschaften firmierten dabei als eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftung, jedes Mitglied haftete mit seinem Vermögen. Oftmals wurden die örtlichen Lehrer als Geschäftsführer (Rendanten) eingesetzt, da diese über die notwendige Bildung verfügten, um die Kassenführung zu übernehmen, aber eben in der Regel auch sehr gut über die Familienverhältnisse informiert waren. Aus ähnlichen Gründen waren auch oft Gastwirte als Geschäftsführer oder im Vorstand der Kreditgenossenschaften anzutreffen. In beiden Fällen bestand aber auch die Möglichkeit, dass der Geschäftsführer seinen Informationsvorsprung opportunistisch ausnutzte. Die Leitung der Genossenschaft lag beim Vorstand. Zusätzlich wurde mit den Genossenschaftsgesetzen von 1889 verbindlich ein Aufsichtsrat als internes Kontrollgremium eingerichtet. Zur externen Kontrolle wurde in dem Gesetz zudem eine mindestens alle zwei Jahre durchzuführende Revision der Geschäfte durch den jeweiligen Genossenschaftsverband festgeschrieben. Die Revisionen hatten aber nur empfehlenden Charakter.

Träger der Expansion der Kreditgenossenschaften im Oberbergischen Raum waren die beiden rheinischen Genossenschaftsverbände in Kempten (später Köln) und Bonn, sowie der in Neuwied ansässige Raiffeisen-Verband, die dabei durchaus strategisch vorgingen. Der Kölner Verband war dabei stärker an den Prinzipien von Raiffeisen ausgerichtet, die primär eine Förderung der Genossenschaftsmitglieder vorsahen. Die Kreditgenossenschaften des Bonner Verbandes waren dagegen seit ihrer Gründung stärker ökonomisch ausgerichtet. Im Gegensatz zum Kölner Verband bauten sie ihre Geschäftsbezirke weit über die Grenzen einer Gemeinde oder eines Pfarrbezirks aus. Dadurch entstanden zusätzliche Koordinations- und Überwachungsprobleme, die durch das Einsetzen von lokalen Agenten oder Vertrauensmännern kompensiert werden sollten. Die Expansion der Kreditgenossenschaften im Untersuchungsraum erfolgte unregelmäßig, aber dem landwirtschaftlichen Produktionszyklus angepasst. Vor 1889 entstanden nur vereinzelt ländliche Kreditgenossenschaften, zwischen 1890 und 1900 erfolgten die Gründungen des Kölner Verbandes, insbesondere im katholischen Wipperfürth. Nach der Jahrhundertwende wurden in einer weiteren Welle bis 1914 die meisten Kreditgenossenschaften des Untersuchungsraums gegründet, doch schon im Jahre 1905 waren sich die Genossenschaftsverbände, die Landwirtschaftskammer und der Rheinische Bauernverein einig, dass das gesamte Rheinland mit einem genossenschaftlichen „Netz“ überzogen sei (S. 152f.).

Auch wenn es die Quellenlage der vorliegenden Untersuchung nur in wenigen Ausnahmefällen zuließ, zu zeigen, ob die ländlichen Kreditgenossenschaften dem wichtigen Ziel der Mitgliederförderung tatsächlich nachkamen, stellt ihre bemerkenswerte geografische Expansion eigentlich schon eine Erfolgsgeschichte für sich dar. Sie lässt aber auch vermuten, dass die ländlichen Kreditgenossenschaften als Finanzintermediäre durchaus erfolgreich waren und, wie Schlütz zusammenfassend feststellt, „die von ihnen erwarteten Transformationsleistungen in hinreichendem Maße“ (S. 433) erbrachten. Frauke Schlütz schließt mit ihrer bewundernswert materialreichen Studie eine Forschungslücke im Bereich der formalen und informellen Organisationsstrukturen ländlicher Kreditgenossenschaften. Gerade im Bereich ihrer Fragestellung sind Prinzipal-Agent-Konstellationen eine erfolgsversprechende Analysekategorie.

Anmerkung:
1 Knut Borchardt, Zur Frage des Kapitalmangels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 173 (1961), S. 402–421.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension