Titel
Theresienstadt. Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung


Autor(en)
Benz, Wolfgang
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
281 S.
Preis
24,95 €
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Vojtěch Blodig, Pamatník Terezín

Theresienstadt wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur zu einem Symbol der Verfolgung der politischen Gegner der Nazis, sondern vor allem zum Symbol des monströsen Unterfangens der sogenannten Endlösung der jüdischen Frage.1 Deutsche Juden waren die zweitgrößte Gruppe in dem im Herbst 1941 gegründeten Ghetto Theresienstadt. Die fundierteste Studie zum Ghetto im Allgemeinen und zum Schicksal der deutschen Juden im Besonderen ist immer noch das im Jahr 1955 erschienene Standardwerk von H.G. Adler, und das trotz vieler seither erschienener Fachpublikationen und Erinnerungsbücher, die zum Teil polemische Antworten auf Adler darstellten. Bis zum heutigen Tage fehlte indes sowohl im tschechischen als auch im internationalen Kontext eine zeitgenössische Gesamtdarstellung des Ghettos, was darin Ausdruck fand, das Adlers Werk 2006 auf Deutsch, 2012 auf Tschechisch und zuletzt 2016 auf Englisch neu aufgelegt wurde. Vor diesem Hintergrund ist die von Wolfgang Benz vorgelegte Studie ein dringend benötigter Beitrag zur Erweiterung des Wissens über die Geschichte des Ghettos Theresienstadt, die sich durch eigene Forschungsleistungen und akribischer Auswertung der vorhandenen Literatur und der Augenzeugenberichte auszeichnet. Weiterhin argumentiert Benz auf der Grundlage der seit den frühen 1990er-Jahren international geführten Diskussionen um den Charakter des Ghettos Theresienstadt, an denen Benz selbst (auf einer der ersten einer Reihe von internationalen Konferenzen) 1991 mit dem Vortrag „Theresienstadt in der Geschichte der deutschen Juden“ mit erheblicher Resonanz partizipierte. Benz vertiefte seine Forschungen in das Thema und nun liegt das Ergebnis seiner sorgfältigen und kompetenten Arbeit vor.

In der Einleitung setzt sich der Autor mit anhaltenden falschen Annahmen und Klischees über das Wesen des Ghettos Theresienstadt auseinander, und räumt gründlich mit diesen auf: der Verwechslung mit dem Polizeigefängnis in der nahe gelegenen Kleinen Festung, aber auch seine falsche Einordnung als ein Konzentrationslager. An dieser Stelle sei die Bemerkung erlaubt, dass in der derzeitigen tschechischen Geschichtsschreibung das Ghetto Theresienstadt als „Sammel- und Durchgangslager für Juden“ bezeichnet wird. Benz erinnert an die administrative Zuständigkeit von Eichmanns Referat im Reichssicherheitshauptamt für das Ghetto, woraus sich die administrative Zugehörigkeit Theresienstadts in den Komplex der „Endlösung“ ableitet; der Vorstellung vom Modellghetto, die das Leiden und das Sterben der Ghettobewohner, die Zwangsarbeit und die Deportation in die Vernichtungslager in den Hintergrund rücken ließ. Die Bemühungen, die Mythen und Legenden des Ghettos Theresienstadt freizulegen, durchziehen das gesamte Buch.

Kritisch äußert sich Benz zu einigen von Adlers Urteilen zum Ghetto, die indes öfters schwer von seinen aus der Zeit des Ghettos stammenden persönlichen Animositäten zu trennen sind. Dies ist ein wiederkehrendes Thema auch in späteren Teilen des Buches.

Benz bewertet objektiv die jüdischen Leiter des Ghettos (die sog. Judenältesten). Im Falle der Funktionäre der Häftlingsselbstverwaltung setzt sich Benz sorgsam mit Adlers Urteilen auseinander, und belegt dabei deren Bemühungen, die Auswirkungen des Lagers auf das Leben der Ghettohäftlinge zu mildern. So fällt beispielsweise die Bewertung des letzten Judenältesten, Benjamin Murmelstein, der oftmals im Ruch der Kollaboration mit den Nazis steht, besonders sachlich aus. Lediglich die falsch datierte Ermordung des zweiten Judenältesten, Paul Eppstein (statt dem 27.09. statt dem 07.09.1944) lässt sich in diesem Abschnitt monieren. Breiten Raum räumt Benz der Rolle prominenter Häftlinge ein, deren Ghettobiografien meist mit Legenden über das „Musterghetto“ verbunden sind. Dabei gelingt es dem Autor zu zeigen, dass die Schaffung privilegierter Gruppen Teil der mit dem Ghetto verbundenen Nazi-Propaganda war. In der höchsten Kategorie A befanden sich von der SS benannte Häftlinge, während die Kategorie B die Mitglieder der jüdischen Selbstverwaltung umfasste. Doch handelte es sich nur um zeitlich sehr begrenzte Privilegien, da praktisch alle Mitglieder beider Gruppen 1944 zusammen mit den nichtprivilegierten Insassen in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden. Während das Ghetto Theresienstadt nicht primär als Arbeitslager fungierte, profitierte die SS gleichwohl von der Arbeitskraft der Gefangenen, und zwar vor allem in Außenlagern wie in Wulkov bei Berlin, in dem Häftlinge Ausweichquartiere für das RSHA bauen mussten. Benz konzentriert sich hier vor allem auf die Geschichte der Transporte, die von Theresienstadt nach Auschwitz und das sogenannte Familienlager geführt wurden. Dabei unterläuft Benz ein kleinerer Fehler bei der Kalkulation der Opferzahlen des Massakers vom 08.03.1944 (nicht 70 Zwillingspaare haben diese Phase des Lagers überlebt, sondern etwa 60 Häftlinge, darunter lediglich einige wenige Zwillingspaare).

Viel Platz räumt Benz seiner kompetenten Darstellung der Theresienstädter Kultur ein. Dies ist verständlich, wird diese doch oft als Beweis für den privilegierten Status der Häftlinge bemüht. Neben der Vorstellung des Kulturlebens und seiner Protagonisten wird überdeutlich, dass die kulturelle Toleranz der SS ausschließlich propagandistischen Motiven geschuldet war. In den Passagen über das geistige Leben im Ghetto unterstreicht Benz den „ökumenischen“ Charakter des Zusammenlebens zwischen den christlichen und den das Judentum praktizierenden Insassen, das sich so gut wie nie in Glaubenskonflikten entlud.

Auch das Schicksal der jüngsten Gefangenen wird von Benz analysiert, wobei er sich zum Teil auf veraltete Zahlen beruft: 15.000 und nicht 10.000 jugendliche Häftlinge sollen das Ghetto durchlaufen haben, 8.000 Menschen dort gestorben sein, und 242 Individuen (statt 100) haben die Deportation in ein Vernichtungslager überlebt. Versiert ist der Abschnitt zum Besuch der Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, der von der SS zu einem Propagandafilm umgemünzt wurde.

Die Frage nach dem Erbe und der heutigen Bedeutung des Erbes des Theresienstädter Ghettos für die Erinnerungskultur schließt das Buch ab und geht dabei sowohl auf die Gedenkstätte als auch auf die Repräsentation der heutigen Gemeinde Terezín ein.

Benz Werk stellt einen äußerst bedeutenden Beitrag zur Geschichte des Theresienstädter Ghettos dar und sei nicht nur dem Fachpublikum, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit empfohlen, da es tiefe Einblicke in die jüngere europäische Geschichte gewährt.

Anmerkung:
1 Rezension aus dem Tschechischen übersetzt von Alexander Korb.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/