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Titel
Vernacular Theology. Dominican Sermons and Audience in Late Medieval Italy


Autor(en)
Corbari, Eliana
Reihe
Trends in Medieval Philology 22
Erschienen
Berlin 2013: de Gruyter
Anzahl Seiten
XIV, 248 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Schütz, Graduiertenschule für Geisteswissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen

Die historisch arbeitenden Wissenschaften haben bereits seit längerem die Predigt als zentrales Kommunikationsmittel des Mittelalters entdeckt. In nicht wenigen geschichtswissenschaftlichen, mittellatinistischen, germanistischen oder auch anglistischen Arbeiten wird die bisherige Vernachlässigung dieses Mediums beklagt und ein Paradigmenwechsel ausgerufen.

In diese Forschungsrichtung ordnet sich auch Eliana Corbari mit ihrem hier zu rezensierenden Buch "Vernacular Theology. Dominican sermons and audience in late medieval Italy" ein. Sie schließt sich dem Trend der Predigtforschung an und präsentiert von dieser Grundlage aus ihre eigene Forschung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die volkssprachliche Predigt der Dominikaner im spätmittelalterlichen Italien zu untersuchen. Corbari begründet diese Fokussierung ihrer Studie damit, dass mit der Konzentration auf die vernakularen Texte die Vermittlung von Glaubensvorstellungen durch die Kleriker an Laien erforscht werden könne. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den geschlechtergeschichtlichen Aspekten der Predigtgeschichte: Welche Rolle spielten Frauen als Rezipientinnen der Predigt und Vermittlerinnen des darin präsentierten Wissens.

Die Einleitung kann das Anliegen der Studie klar vermitteln. Corbari gliedert ihre Studien in vier Hauptkapitel. Im ersten Kapitel stellt sie die untersuchten Predigttexte und deren Autoren vor: Ihre Quellen sind die Predigtreihen von Jacobus de Voragine und Giordano da Pisa sowie Jacopo Passavantis Lo specchio della vera penitenzia – und genau diese Wahl ist angesichts des Buchtitels und der Einleitung dann doch überraschend, da es sich hier nicht um eine Predigtsammlung, sondern um einen volkssprachlichen Beichtspiegel handelt. Darauf wird zurückzukommen sein, weil diese Quelle im Zentrum ihrer Argumentation steht und daher Grundlage ihrer Ergebnisse ist. Von den beiden erstgenannten Autoren untersucht Corbari ausschließlich die Fastenpredigten, da sie von der Hypothese ausgeht, dass in der Fastenzeit die Glaubenskommunikation intensiviert wurde und damit eine größere Verbreitung der theologischen Inhalte erreicht werden konnte. Für die Aufnahme der lateinischen Predigten des Jacobus de Voragine hat sie eine gute Begründung: Diese Modellpredigten waren zwar in der Wissenschaftssprache verfasst, dienten aber unzähligen Dominikanern und anderen Predigern als Vorlage für ihre eigenen Predigten in der Volkssprache.

In der weiteren Untersuchung (Kapitel zwei) beschreibt Corbari ausführlich die Handschriften und beschäftigt sich mit der Rezeption der lateinischen Modellpredigten des Jacobus de Voragine durch die späteren, volkssprachlichen Texte der beiden anderen Predigerbrüder. Weiterhin rückt sie die Inhalte der Texte in den Fokus (Kapitel drei), um die konkrete Gestaltung der Theologie in der Volkssprache nachzuzeichnen. Im vierten und letzten Hauptkapitel wirft sie einen Blick auf die mögliche Rezipientenseite und analysiert anhand der Vita der Villana de' Botti, inwiefern die dominikanischen Predigten Einfluss auf die Religiosität ihrer Zuhörerinnen hatten. Dabei ist sie vor allem an der Gestaltung weiblicher Frömmigkeitspraxis interessiert und an der Mitgestaltung weiblicher Akteure an der volkssprachlichen Theologie. In der knappen Zusammenfassung werden ihre Thesen prägnant auf den Punkt gebracht. Ergänzt wird die Arbeit durch einen umfangreichen Anhang, in dem eine Übersicht über die Themata der untersuchten Predigten, Übersetzungen ausgewählter Predigten und umfangreiche Handschriftenbeschreibungen geboten werden. Den Abschluss bildet eine Grafik, in der die quantitative Verteilung lateinischer und volkssprachlicher Predigten in ihrer Quellenauswahl dargestellt wird. Corbari zeigt damit zum wiederholten Male, dass sie eine große Menge an Handschriften gesichtet, gelesen, verglichen und beschrieben hat.

Bereits im zweiten Kapitel wendet Corbari viel Mühe für die Beschreibung der untersuchten Handschriften auf und führt an einigen Fallbeispielen ihre Thesen vor. Wesentliches Ergebnis ihrer paläographischen und kodikologischen Studien ist, dass die lateinischen Predigthandschriften fast ausschließlich Männerklöstern zugeordnet werden können, die volkssprachlichen Texte aber überwiegend im Besitz von Frauenhänden waren. Darüber hinaus kann sie eine rege Abschreibtätigkeit auch von weiblichen Religiosen nachweisen, was als Beleg für deren aktive Vermittlerrolle von Glaubenswissen dienen kann (S. 104f.).

Anschließend widmet sich Corbari der Textanalyse, in deren Zentrum das Werk Passavantis steht. Bei dem Text Lo Specchio de la vera penitenzia handelt es sich aber, wie bereits erwähnt, nicht um eine Predigtsammlung, sondern um einen Traktat, der sich sowohl an Kleriker, die nicht des Lateinischen kundig waren, als auch an Laien richtet (S. 32). Aus diesem Traktat lässt sich aber nicht die Predigttätigkeit des Dominikaners rekonstruieren, wie Mulchahey betont.1 Der Specchio wurde zwar vom Autor für eine laikale Zielgruppe überarbeitet, um so die private Meditation zu befördern, bediente sich dazu aber eines Gattungswechsels, der sich in sprachlichen und formalen Unterschieden äußert. Als Predigtsammlung konnte dieser Traktat nicht mehr dienen und wurde auch zu diesem Zweck nicht weiter genutzt. Obwohl Corbari umfangreich dafür argumentiert, Passavantis Specchio als Teil der dominikanischen Predigttradition und gleichermaßen wichtigen Vertreter der volkssprachlichen Theologie zu betrachten, können ihre Hauptargumente nicht überzeugen. Sie führt an, dass 1. dieser Traktat auf den Fastenpredigten des Autors beruhe und 2. die Grenzen zwischen den Gattungen fließend, eine strikte Unterscheidung und scharfe Abgrenzung nicht hilfreich seien (S. 30f.). Zwar fokussieren Fastenpredigten im Allgemeinen stark auf die Beichtthematik, rufen zur Beichte auf und erklären das Beichtverfahren, da seit 1215 am Ende der Fastenperiode die Pflichtbeichte zu Ostern festgeschrieben war. Aus dieser Verwandtschaft jedoch eine Gleichstellung von Fastenpredigten und diesem theologischen Traktat abzuleiten, ist nicht angebracht, da sich bei genauerem Hinsehen der Specchio von einer Predigtsammlung in Form, Sprache und Inhalt unterscheidet. Der Specchio ist damit als ein theologischer Traktat und keinesfalls als ein Predigtwerk zu betrachten.

Aber nicht nur die Quellenauswahl ist hier zu kritisieren, sondern auch die inhaltliche Analyse des Specchio weist Angriffspunkte auf. Corbari geht zu Recht davon aus, dass es sich um eine Form volkssprachlicher Wissensvermittlung handelt, die von der theologischen Diskussion an den Universitäten und den Klöstern abhängig ist. Aber sie kann nicht zufriedenstellend erklären, in welchem Verhältnis diese ‚volkssprachliche Theologie‘ zu den beiden anderen von ihr genannten Formen, der monastischen und der scholastischen Theologie, stand. Zum einen verwendet sie die Begriffe ‚scholastische‘ und ‚monastische‘ Theologie nicht adäquat, da sie den Unterschied an inhaltlichen Aspekten festmacht und die formale Struktur der Texte außer Acht lässt (sie scheint Scholastik mit artistischer Philosophie gleichzusetzen). Zum anderen greift ihre Annahme, dass die vernakulare Theologie in direkter Abhängigkeit zur monastischen Theologie stehe, da Frauen keinen Zugang zu universitärem Wissen gehabt hätten (S. 64), deutlich zu kurz.

Die entscheidenden Mittler waren hier die Verfasser dieser Texte und gerade die Dominikaner konnten auf eine quasi-universitäre Ausbildung zurückgreifen, somit als wichtige Distributoren universitären Glaubenswissens agieren. Doch popularisierten sie es und brachten die theologischen Debatten auf einen Punkt. Dabei bedienten sie sich nicht mehr der theologischen, das heißt universitär-scholastischen Darstellungsform, was Corbari selbst belegt. Sie beschreibt, wie sich die Prediger über die notwendige Komplexitätsreduktion, die mit dem Sprachwechsel einhergehe, beklagten und die Einfachheit der volkssprachlichen Glaubenskommunikation bemängelten (S. 110).

Diese volkssprachlichen Traktate müssen daher als eigenständige Gattung mittelalterlichen Wissenskommunikation betrachtet werden, die nicht allein in Abhängigkeit von monastischen Traditionen stehen, sondern auch enge Verbindung zu universitären Denkformen aufweisen. Auf die Predigt – wie es die Arbeit von Corbari nahelegt – lassen sich diese Ergebnisse aber nicht übertragen.

Die Predigt war ein zentrales Verbindungsglied zwischen Klerus und Laien. In der Predigt wurden zentrale Kommunikationsleistungen erbracht, fand ein fundamentaler Wissenstransfer statt. Dass dabei die klerikalen Prediger zumeist einen theologischen Hintergrund hatten, steht außer Frage. Aber aus diesem Grund von einer volkssprachlichen Theologie in der Predigt zu sprechen, erscheint wenig gewinnbringend. Die Theologie bildete sich im 12. und 13. Jahrhundert als wissenschaftliche Disziplin heraus. Ihre Wissenschaftlichkeit erhielt sie dabei durch die Befolgung formaler Regeln, geprägt von der Syllogistik und in den Ablauf einer Quaestio gegossen. Die Predigt hingegen orientierte sich nicht an syllogistischen, sondern an rhetorischen Vorgaben. Sie beanspruchte keine logische Vollständigkeit, vielmehr zielte sie auf die Überzeugung der Zuhörer ab. Deshalb bringt es keinen analytischen Mehrwert, im Fall der Predigt von einer vernakularen Theologie zu sprechen – dieses Konzept hat Corbari allerdings nicht selbst entwickelt, sie beruft sich dabei auf die Studien von Bernard McGinn und Nicholas Watson.2 Im Gegenteil: Dass die Predigt Glaubenswissen vermitteln soll, ist evident. Dennoch ist nicht jede Kommunikation religiösen Wissens als theologisch zu betrachten. Damit entschärft man den Begriff ‚Theologie‘, ohne rechte Konturen wird er unbrauchbar. Es bedarf hingegen eines klaren und konkreten Theologiebegriffes, neben den sich dann andere Formen des religiösen Sprechens stellen lassen, um die verschiedenen Formen der Kommunikation religiösen Wissens zu analysieren.

Damit weist Corbaris Untersuchung an zentralen Stellen Schwachstellen auf, die ihre Thesen angreifbar machen und den Titel der Arbeit als missverständlich erscheinen lassen – denn um Predigten geht es viel zu wenig. Als wesentliches Ergebnis ihrer Studie kann jedoch herausgestrichen werden, dass die weibliche Zuhörerschaft eine wichtige Rolle bei der Vermittlung theologischen Wissens spielte, indem sie selbst schreibend tätig wurde und damit zur Distribution in weitere Kreise beitrug.

Anmerkungen:
1 Marian Michele Mulchahey, "First the bow is bent in study...". Dominican Education before 1350, Toronto 1998, S. 446f.
2 Bernard McGinn, Meister Eckhart and the Beguines Maytics, New York 1994; Nicholas Watson, Censorship and Cultural Change in Late Medieval England. Vernacular Theology, the Oxford Translation Debate and Arundel's Constitutions of 1409, in: Speculum 70 (1995), S. 822–864.