B. Schmidt u.a. (Hrsg.): Ekklesiologische Alternativen?

Cover
Titel
Ekklesiologische Alternativen?. Monarchischer Papat und Formen kollegialer Kirchenleitung (15.–20. Jahrhundert)


Herausgeber
Schmidt, Bernward; Wolf, Hubert
Reihe
Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme 42
Erschienen
Münster 2013: Rhema Verlag
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Reinhard, Max-Weber-Kolleg, Erfurt

Beim vorliegenden Band handelt es sich um die Wiedergabe der Referate einer 2010 abgehaltenen Tagung des kirchenhistorischen Teilprojekts des Münsterer SFB 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertsysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“, das dem päpstlichen Zeremoniell gewidmet war. Eigentlich wäre die katholische Kirche mit dem „realsymbolischen“ Sakramentsbegriff besonders geeignet, die nicht zuletzt von diesem SFB geförderte Erkenntnis der neueren Ritualforschung zu untermauern, dass Riten und Zeremonien keinen im Grunde entbehrlichen „Überbau“ der „realen“ Geschichte darstellen, sondern selbst realhistorisches Handeln sind. Wenn römische Rituale und Zeremonien eine bestimmte Ekklesiologie „repräsentieren“, dann beschränkt sich das nicht auf bloße Darstellung, sondern bedeutet, Ekklesiologie auf selbständige Art und Weise zu praktizieren. Anscheinend wurde diese Sicht der Dinge aber in Münster erstmals von Theologen fruchtbar gemacht. Nichtsdestoweniger verzichtet der Band in Titel wie Untertitel auf entsprechende Hinweise. Er bezieht sich nach wie vor auf den „realen“ dogmatischen und kirchenpolitischen Sachverhalt der 1870 auf dem Vaticanum I festgeschriebenen papalistischen Ekklesiologie sowie auf die streng genommen nur noch historisch interessanten Alternativen des Konziliarismus und der daneben häufig übersehenen Leitungsansprüche des Kardinalskollegiums. Der vorübergehende Erfolg wie das Scheitern von beiden verdankte sich ihrer Verknüpfung mit dem großen abendländischen Schisma. Vielleicht waren bei der Titelwahl aber Absatzerwägungen im Spiel?

Seit der Spätantike stand fest, dass die lateinische Kirche eine römische Rechtskirche mit päpstlichem Herrschaftsanspruch sei. Seither entwickelte sie sich zum Paradigma der vormodernen abendländischen Monarchie. Für diese wurde schon vor über 30 Jahren ein idealtypisches Modell vorgelegt1, „idealtypisch“ im doppelten Sinn, weil es zum einen allenfalls näherungsweise verwirklicht wurde und zum anderen das Ideal politischer Harmonie unter vormodernen Bedingungen vorstellte. Seinen drei Stufen König – König im Rat – König in der Ständeversammlung entsprachen bis ins Detail Papst – Papst im Kardinalskollegium – Papst im Konzil (oder auch, wie Hubert Wolf andeutet, Bischof – Domkapitel – Diözesansynode). Wesentlich ist dabei, dass es sich nicht um konkurrierende, sondern um komplementäre Instanzen handeln sollte. Rat und Stände haben ursprünglich keine unabhängige Existenz, sondern sind vom Fürsten abhängig, den sie ergänzen und der sie einberufen muss. Nichtsdestoweniger sind die Befugnisse des Monarchen für sich allein genommen, seine „Prärogative“, zwar weitreichend, aber vom geltenden Recht begrenzt. Zur Verhinderung von Rechtsverletzungen, die seine Herrschaft in Frage stellen würden, regiert er deshalb mit dem Rat seines Rates, das heißt der Kontrolle rechts- und sachkundiger Mitarbeiter. Nicht nur in Rom kommt diesen außerdem das Recht zur Herrscherwahl zu. Angelegenheiten von besonderer Bedeutung für das Gemeinwesen bedürfen allerdings der Zustimmung aller Beteiligten oder ihrer Vertreter auf der Ständeversammlung. Allerdings verstanden es die meisten Monarchen während der Frühneuzeit, ihre Räte zu bloßen bürokratischen Handlangern zu machen und die Ständeversammlungen ganz zu beseitigen. Europas Monarchien wurden auf diese Weise zu Staaten. Republikanische Verselbständigungstendenzen der Ratsgremien und der Ständeversammlungen waren auf Dauer nur in Ausnahmefällen erfolgreich. Das Papsttum hat nun nicht das geschilderte Ideal einer päpstlichen Monarchie verwirklicht oder auch nur angestrebt, sondern ist den weltlichen Monarchien auf dem Weg monarchischer Staatsbildung nicht etwa gefolgt, sondern vorangegangen. Paolo Prodi hat uns nachdrücklich darauf hingewiesen, dass das Papsttum und mit ihm die Kirche in und nach der Renaissance zum Staat unter Staaten geworden ist.2 Hinzugefügt sei, dass es mit seiner etatistischen Ekklesiologie deshalb heute in Schwierigkeiten gerät.

Damit wären wir wieder beim Papsttum als konservierter Barockmonarchie samt seinem zeremoniellen „Karneval“ (um Papst Franz zu zitieren) und den gescheiterten Alternativen, sprich den Aufsätzen dieses Bandes. Drei konzeptionelle Beiträge eröffnen ihn. Hubert Wolf stellt den immer noch latenten Dauerkonflikt zwischen der papalen Ekklesiologie und den Alternativen dar. Günther Wassilowsky zeigt, wie konziliare Praxis einen symbolischen Überschuss produzieren kann, indem z.B. Vaticanum II unter papalistischen Bedingungen Kollegialität zelebriert hat. Dazu passt die Beobachtung von Ulrich Horst, dass die klassischen Konziliaristen wie die Papalisten oft Elemente der entgegengesetzten Ekklesiologie zu integrieren wussten – im Sinne des Idealtypus sogar mussten.

Sechs Beiträge sind der konziliaren Praxis zwischen Papstmonarchie und Kollegialitätselementen gewidmet. Thomas Prügl führt vor, wie das Basler Ideal geistgeleiteter Kollegialität an der politischen Praxis scheiterte. Demgegenüber stellte das 5. Laterankonzil laut Nelson H. Minnich den Extremfall einer sorgfältig inszenierten papalistischen Aufführung dar, meines Erachtens mit kontraproduktivem Effekt, denn es wurde kaum ernst genommen. In Trient war dergleichen laut Bernward Schmidt von vorneherein unmöglich. Die Vertretung des Papstes durch die Legaten musste auf das Selbstbewusstsein mancher Konzilsväter Rücksicht nehmen und sich oft genug eher diplomatischen Vorgehens befleißigen. Maria Teresa Fattori behandelt das römische Provinzialkonzil von 1725, das von Benedikt XIII. symbolisch hoch angereichert wurde, aber den Gegensatz episkopaler und papaler Momente nicht bewältigen konnte. Vaticanum I unterlag ähnlich Lateranum V einer geballten, römisch gesteuerten Symbolmacht. Die Minderheit resignierte vor ihr und schied, so Klaus Schatz, durch vorzeitige Abreise aus. Demgegenüber war Vaticanum II laut Massimo Faggioli ein hochkomplexes und auch konfliktreiches Ereignis, was sich in der Symbol- und Verfahrenspraxis niederschlagen musste. Er deutet die diversen päpstlichen Eingriffe allerdings weniger harmonisierend als Wassilowsky, sondern eher papalistisch, und hält die Erwartungen an Kollegialität für überzogen.

Das Kardinalskollegium, von dem vier Beiträge handeln, wurde im 15. und 16. Jahrhundert aus einem Senat von Kirchenfürsten, wie sie noch Paolo Corteses von Elisabeth Stein analysierter Traktat vorstellt und zu denen auch die von Carol Richardson behandelten Gewänder, besonders der Hut, gehören, in ein vorwiegend aus Kurienbürokraten bestehendes Konglomerat verwandelt, dessen ungleich bescheidenere Einschätzung Christoph Weber vorführt. Die Entmachtung des Konsistoriums, die Einführung der Kongregationen und das Scheitern aller Versuche, Päpste durch Wahlkapitulationen zu binden, waren entscheidende Schritte auf diesem Weg. Die von Gabriel-David Krebes entdeckten Artikel zur Reform des Konsistoriums und seiner Stabilisierung als Beratungsorgan haben daran nichts ändern können.

Nur die letzten drei Beiträge konzentrieren sich auf den eigentlichen Gegenstand des Projekts, die „Affirmation päpstlicher Suprematie im Medium des Zeremoniells“. Bemerkenswerterweise wird dieser Anspruch aber nur von Julia Zunckels sachlich und zeitlich weit gespanntem Abschlussbeitrag eingelöst. Denn die Normierung des Papstzeremoniells durch Paris de Grassis im frühen 16. Jahrhundert lässt nach der Untersuchung von Jörg Bölling das Zeremoniell für de Grassis beinahe als Selbstzweck erscheinen und enthält sogar eine geradezu modern anmutende Behandlung des Altarsakraments samt Reduzierung der päpstlichen Selbstdarstellung demgegenüber. Und der Aufsatz von Marco Cavarzere über „Rituale und Zeremonien zu Beginn der Reformation“ handelt höchst informativ vom Gegenteil, nämlich von protestantischer Ritualkritik samt ihren Wurzeln bei Erasmus von Rotterdam sowie den behutsamen Versuchen, evangelische Rituale zu schaffen.

Auch wenn die schlüssige Bestätigung der Grundthese des SFB nur in einem Teil der Beiträge stattfindet, so enthält der Band dennoch reiches Material zur zeremoniellen Seite von Papsttum, Kardinalat und Konzil. Was freilich die explizite dogmatisch-kirchenpolitische Fragestellung angeht, so erscheint das Fragezeichen im Titel nach wie vor höchst angebracht. Es gibt keine Alternative zum Papalismus mehr. Oder vielleicht doch? Meines Erachtens weist Wassilowskys These vom zeremoniellen Überschuss des letzten Konzilsereignisses immer noch in eine derartige Richtung: Wie die partizipatorische Liturgie in der Volkssprache samt Handkommunion und die Beteiligung von Lektorinnen und Ministrantinnen am Gottesdienst unbestreitbar zu theologischem und kirchenpolitischem Umdenken geführt hat, so könnte neben der Doktrin her praktizierte Kollegialität langfristig einem Wandel der Kirchenverfassung den Weg bahnen.

Anmerkungen:
1 Günter Barudio, Absolutismus – Zerstörung der „libertären Verfassung“. Studien zur „Karolinischen Eingewalt“ in Schweden zwischen 1680 und 1693, Wiesbaden 1976; ders., Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung 1648–1779, Frankfurt 1981.
2 Paolo Prodi, Il sovrano pontefice. Un corpo e due anime: la monarchia papale nella prima età moderna, Bologna 1982.

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