M. Rücker: Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus

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Titel
Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus. Rechtliche Ausgestaltung der Werbung und Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft


Autor(en)
Rücker, Matthias
Reihe
Rechtshistorische Reihe 229
Erschienen
Frankfurt am Main 2000: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 60,30
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Waltraud Sennebogen, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Die Werbegeschichtsschreibung in Deutschland ist ein junges Feld, dessen Methodik noch dabei ist, sich zu entwickeln.1 Über Grenzen und Möglichkeiten derselben besteht ein erheblicher Diskussionsbedarf, was auch Dussel in seinen kritischen Anmerkungen über das „Wundermittel Werbegeschichte“ zum Ausdruck brachte.2 Die Geschichte der wirtschaftlichen Werbung in Deutschland seit der Industrialisierung stellt sich auch heute noch weitgehend als eine Terra incognita dar, die bisher nur in Einzelaspekten und ersten Überblicken erschlossen worden ist.[3]
In ganz besonderem Maß trifft dies für die Zeit des Nationalsozialismus zu. Wenngleich sich die vorzügliche Studie des Wirtschaftshistorikers Reinhardt vor fast zehn Jahren unter anderem diesem Zeitabschnitt widmete 4, und einzelne weitere Beiträge Teilaspekte der „Werbung im Dritten Reich“ näher beleuchteten 5, blieb Westphals so betitelte, journalistische geprägte Monographie jahrelang die einzige Arbeit, die sich ausschließlich der Thematik widmete 6.

Mit seiner rechtshistorischen Dissertation unternimmt es Matthias Rücker, die „rechtliche Ausgestaltung der Werbung“ unter dem Nationalsozialismus und die „Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft“ zu betrachten. Damit findet die zentrale Instanz der nationalsozialistischen Organisationsstruktur des deutschen Werbewesens nach langer Zeit wieder wissenschaftliche Beachtung in monographischer Form.7 Erheblich erschwert wurde Rückers Vorhaben durch den anscheinend völligen Verlust der Unterlagen des Werberates selbst - laut seiner Einleitung wurden sie 1944 bei einem Bombenangriff auf Berlin zerstört (S. 20). So blieb Rücker nur der konsequente Rückgriff auf Sekundär- und Parallelüberlieferungen - unter anderem in den Aktenbeständen von Reichspropagandaministerium, Reichswirtschaftsministerium und Neuer Reichskanzlei.

Im ersten Teil der Arbeit steht zunächst „Die Entwicklung der Werbung in Deutschland bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft“ im Mittelpunkt (S. 21-62). Nach äußerst knapp gehaltenen Begriffsbestimmungen zu „Werbung“, „Reklame“, „Propaganda“ und „Wirtschaftswerbung“ (S. 21f.) widmet sich Rücker der Entwicklung der Werbung im Hinblick auf ihre Periodisierung und gesellschaftliche Akzeptanz, bevor er auf ihre gesetzlichen Reglementierungen zu sprechen kommt. Ein Abriß der organisatorischen Gliederung der Werbewirtschaft - verbunden mit einer Beschreibung der Stimmungslage in der Branche zu Beginn der 30er Jahre - rundet diesen Teil ab.

Das Kapitel „Der staatliche Zugriff auf die Werbung im Rahmen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik“ (S. 63-101) schließt sich als nächster Abschnitt an. Rücker umreißt die „Grundsätze nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik“ und ihre „Auswirkungen [...] auf die Wettbewerbsordnung“. Vor diesem Hintergrund wertet er das Gesetz über Wirtschaftswerbung vom 12. September 1933 (kurz: WWG) als „Ausdehnung des totalitären Machtanspruchs“ der Nationalsozialisten auf das Gebiet der Werbung. Seine Darstellung beschränkt sich allerdings im wesentlichen auf die Genese des WWG, sowie auf dessen inhaltliche Reproduktion, welche die zum Gesetz erlassenen Durchführungsverordnungen mit einschließt.

Das WWG schuf auch die rechtliche Grundlage des „Werberates der deutschen Wirtschaft“, der damit als zentrale Instanz des nationalsozialistischen Werbewesens errichtet wurde. Der dritte Teil von Rückers Arbeit (S. 103-174) behandelt insbesondere die „Aufgabenbereiche“, die „Organisation und Rechtsstellung“, sowie die „Instrumentarien des Werberats zur Durchführung seiner Aufgaben“. Mit der „Genehmigungspflicht“ für alle auf dem Gebiet der Werbung tätigen Berufsgruppen existierte eine zentrale Steuerungsmöglichkeit für die gesamte Branche. Jedoch - wie Rücker zumindest ansatzweise zu problematisieren versteht - mangelte es dem Werberat mitunter an Zwangsmitteln, um seine Bekanntmachungen, Bestimmungen und sonstigen Anordnungen durchsetzen zu können.

Nach dem Werberat wendet sich Rücker im Abschnitt „Die nationalsozialistische Werbepolitik“ den zwei wichtigsten Teilaspekten dieser Politik zu (S. 175-278): Der „Reglementierung der Werbung“ - und zwar sowohl hinsichtlich des Inhalts und der äußeren Form, als auch im Hinblick auf einzelne Werbemittel (Anzeigenwerbung, Außenwerbung, Verkehrswerbung usw.) - sowie dem „Einsatz der Werbung im Rahmen der Wirtschaftslenkung“. Ein ergänzender Ausblick auf „Werbeästhetik und Entwicklung der Werbeumsätze“ schließt diesen Teil der Arbeit ab.

In einem 5. Teil folgt „Die Gleichschaltung der Werbewirtschaft“(S. 279-303). Überblicksartig unterscheidet Rücker hier zwischen der "Dienstaufsicht des Werberats unterstehende[n] Werbeverbände[n]“, „sonstige[n] [diesem] zugeordnete[n] Organisationen“ und „dem Werberat nicht unterstehende[n] Organisationen“. Darüber hinaus plaziert er an dieser Stelle die „Ausschaltung jüdischer Werbefachleute“, was aufgrund der ansonsten thematischen Orientierung des Kapitels am Werberat und seinen Kompetenzen fragwürdig erscheint.

Anschließend untersucht Rücker die Stellung des Werberates „innerhalb der Wettbewerbsordnung des Dritten Reichs“ (S. 305-345). Er bemüht sich zunächst um den allgemeinen Nachweis, daß „nationalsozialistisches Gedankengut“ das Wettbewerbsrecht beeinflußt hat. Die folgende Passage über die „Stellung des Werberats“ innerhalb der Wettbewerbsordnung selbst orientiert sich sehr stark an damals diskutierten Problemfeldern - etwa dem „Verhältnis des Werberats zu ordentlichen Gerichten“ - und beschränkt sich größtenteils auf deren Reproduktion. Der letzte Abschnitt dieses Teils thematisiert „wettbewerbsrechtliche Reformbestrebungen“. Er stützt sich im wesentlichen auf eine einzige Sitzung des „ Fachausschusses für Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht bei der Akademie für Deutsches Recht“ und befremdet deswegen zunächst. Dieser Aspekt ließe sich lediglich als Kompensation für das Fehlen derartiger Zeugnisse hinsichtlich des Werberats selbst aufgrund der bereits erörterten Quellensituation rechtfertigen.

Im letzten Abschnitt „Die Auflösung des Werberats und die Neuordnung der Werbewirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ (S. 347-355) streift Rücker die Situation unmittelbar nach Kriegsende (Verbot der Amtsausübung des Werberats) und die „Neuordnung der Werbewirtschaft“ bis hin zum noch heute existierenden „Deutschen Werberat“ kursorisch.

Mitunter offenbart die Arbeit Schwächen in der Darstellung. Die bloße Rekonstruktion des Faktischen, wenngleich in mühevoller Kleinarbeit unter nicht ganz einfachen Umständen geleistet, befriedigt nicht immer. Zu unverbunden stehen viele der Befunde nebeneinander. Bereits die Gliederung wirkt nicht schlüssig: So erschiene es angemessener, die Gleichschaltung der Werbewirtschaft (5. Teil) unmittelbar im Anschluß an die Darstellung des staatlichen Zugriffs auf die Werbung (2. Teil) abzuhandeln und die Teile 3 (Werberat der deutschen Wirtschaft) und 4 (Die nationalsozialistische Werbepolitik) im Sinne eines Ursache-Folge-Verhältnisses zu tauschen. Denn der 6. Teil (Der Werberat innerhalb der Wettbewerbsordnung des Dritten Reichs) steht in direktem Bezug zu Teil 3. Die Einzelteile sind aber eben jeweils nicht aufeinander bezogen und so verschenkt Rücker die Gelegenheit, über das rein Fragmentarisch-Faktische hinausgehend einen größeren Zusammenhang herzustellen. Die beeindruckende Detailfülle seiner Gliederung relativiert sich bei Lektüre der Arbeit - offenbart sie sich dabei doch als größtenteils originalgetreue Übernahme und Wiedergabe der einzelnen Bestimmungen und Regelungen des „Werberates der deutschen Wirtschaft“. Ärgerlich ist zudem die andauernde Wiederkehr der Bezeichnung „Werbungstreibender“ (etwa S. 125) anstelle des korrekten „Werbungtreibender“ 8 - zugleich aber der einzige sachliche Fehler einer ansonsten äußerst korrekten Arbeitsweise. So dürfte nun endlich auch Klarheit herrschen, über die genaue Anzahl der Bekanntmachungen des Werberates 9, die Rücker in seinen Anhängen (S. 361-376) - unter anderem neben Kurzbiographien zu wichtigen Personen der Wirtschaftswerbung im „Dritten Reich“ - übersichtlich aufzulisten versteht. Ein sehr sorgfältiges Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 377-399) schließt den Band ab und bietet eine gute Ergänzung der bibliographischen Gesamtsituation des Forschungsfeldes.

So ist Rückers „Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus“ insgesamt betrachtet doch ein gelungener Beitrag zur Rekonstruktion der organisatorischen und wettbewerblichen Verhältnisse im Werbewesen des „Dritten Reichs“. Denn seine Untersuchung über den „Werberat der deutschen Wirtschaft“ ist die erste Monographie zu dieser Thematik seit den 50er Jahren und zugleich die einzige, die diese Bezeichnung überhaupt verdient.10 Mit ihr wagt sich ein Rechtshistoriker auf ein Gebiet, das die historische Forschung erst in den letzten Jahrzehnten für sich entdeckte und das sie sich auf der Basis der von ihm rekonstruierten Fakten in Zukunft leichter wird erschließen können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Gries, Rainer / Ilgen, Volker / Schindelbeck, Dirk: Kursorische Überlegungen zu einer Werbegeschichte als Mentalitätsgeschichte, in: dies.: „Ins Gehirn der Masse kriechen!“. Werbung und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 1995, S. 1-28.
2 Vgl. Dussel, Konrad: Wundermittel Werbegeschichte? Werbung als Gegenstand der Geschichtswissenschaft, in: NPL 42 (1997), S. 416-430.
3] In diesem Zusammenhang sind besonders zwei neuere Sammelbände von Bedeutung: Bäumler, Susanne (Hrsg.): Die Kunst zu werben. Das Jahrhundert der Reklame, Köln 1996; sowie: Borscheid, Peter / Wischermann, Clemens (Hrsg.): Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg, Stuttgart 1995 (Studien zur Geschichte des Alltags 13).
4 Reinhardt, Dirk: Von der Reklame zum Marketing Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland, Berlin 1993 (Rez.: Dussel, Konrad, in: NPL 41 (1996), S. 303f.).
5 Vgl. zuletzt: Berghoff, Hartmut: Von der „Reklame“ zur Verbrauchslenkung. Werbung im nationalsozialistischen Deutschland, in: ders. (Hrsg.): Konsumpolitik. Die Regulierung des privaten Verbrauchs im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 77-112; sowie: Schindelbeck, Dirk: Werbung für alle? Kleine Geschichte der Gemeinschaftswerbung von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik Deutschland, in: Wischermann, Clemens / Borscheid, Peter / Ellerbrock, Karl-Peter (Hrsg.): Unternehmenskommunikation im 19. und 20 Jahrhundert. Neue Wege der Unternehmensgeschichte, Dortmund 2000, S. 63-97 (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte 19).
6 Westphal, Uwe: Werbung im Dritten Reich, Berlin 1989. Zur Wertung dieser Arbeit als „eine populärwissenschaftliche Aufbereitung des Stoffes, nicht jedoch eine tiefergreifende Analyse“ vgl. Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 12.
7 Vgl. Bickelhaupt, Heinz: Der Werberat der deutschen Wirtschaft, Diss. Bonn 1953.
8 Vgl. etwa: Naue, Erich / Röttger, Martin: Werbung! Zulässig oder verboten?, Berlin 1937, S. 203.
9 Bisher widersprachen sich Westphal und Lill diesbezüglich und auch im Hinblick auf die Anzahl der zum WWG erlassenen Durchführungsverordnungen. Vgl. Lill, Ursula, Die pharmazeutisch-industrielle Werbung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1990, S. 384 bzw. Westphal, Werbung im Dritten Reich, S. 171-174.
10 Bickelhaupts mittlerweile schwer zugängliche, lediglich sechzig Seiten umfassende Studie kann heutigen Ansprüchen weder in Zitierweise noch in fachlicher Hinsicht genügen. Gerade bezüglich der gesetzlichen Regelungen der Wirtschaftswerbung erweist sie sich nach Lektüre Rückers als überaus fehlerhaft. Vgl. Bickelhaupt, Werberat.

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