S. Märtin: Die politische Führungsschicht der römischen Republik

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Titel
Die politische Führungsschicht der römischen Republik im 2. Jh. v.Chr. zwischen Konformitätsstreben und struktureller Differenzierung.


Autor(en)
Märtin, Stefanie
Reihe
Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 87
Anzahl Seiten
585 S.
Preis
€ 59,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Handy, Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Karl-Franzens-Universität Graz

Gerade in den letzten Jahren ist über die Führungsschicht der römischen Republik vieles gesagt und geschrieben worden. Diese Diskussion wurde nun um die Dissertation von Stefanie Märtin über die Führungsschicht der römischen Republik im 2. Jahrhundert v.Chr. erweitert, die im Jahre 2012 als Band 87 der Reihe „Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium“ erschienen ist. Das in zehn Kapitel gegliederte Buch beginnt im ersten Abschnitt mit einleitenden Bemerkungen (S. 17–34): Die Autorin thematisiert die Bedeutung des Auftretens der beiden Gracchen als Zäsur für die römische Geschichte, bietet einen Überblick zur Quellenevidenz und bespricht verschiedene konträre Standpunkte zur römischen Nobilität im Allgemeinen.

Im zweiten Kapitel widmet sich Märtin dem politischen und gesellschaftlichen Kontext im 3. Jahrhundert v.Chr. Auch nach dem Ausgreifen Roms in den Mittelmeerraum wurde an den überwiegend stadtstaatlichen Strukturen festgehalten. Der Senat bestand aus einem Kreis von plebeischen und patrizischen Familien, die sich oft und gerne öffentliche Denkmäler zur Manifestation ihrer Verdienste um die res publica aufstellen ließen. Die Quellen suggerieren das Bild eines in sich geschlossenen Senatorenstandes, an dessen Homogenität auch die Aktivitäten von ambitionierten Politikern wie P. Claudius Pulcher oder C. Flaminius nichts änderten. Es bestand demnach eine wechselseitige Kontrolle zwischen Senat und Magistraten, was auch für die Inhaber des Volkstribunats galt.

Das dritte Kapitel (S. 82–134) dieser Arbeit gilt der strukturellen Entwicklung des Senats zwischen 218 und 125 v.Chr. Anders als im 3. Jahrhundert gelangte man im 2. Jahrhundert bereits als vir praetorius in den Senat. Diese Tendenz hatte ein stärkeres Vordringen von homines novi in senatorische Betätigungsfelder zur Folge, wobei allerdings das Konsulat eine Domäne der Nobilität blieb. Die personelle Komponente in der römischen Führungsschicht im 2. Jahrhundert bespricht Märtin im vierten Teil (S. 135–209). Sie erwähnt jene Konflikte, die während des untersuchten Zeitraumes zwischen den einzelnen Amtsträgern und dem Senat ausgefochten wurden. Anhand der Beispiele des Cn. Octavius, Q. Pleminius, C. Cicereius und C. Cassius Longinus wird eindrucksvoll herausgearbeitet, dass gerade homines novi in ihren Positionen oft eigenmächtig handelten. Der Konkurrenzkampf um die senatorischen Ämter wurde in dieser Epoche härter, die noch dazu auch das Aufkommen der publicani sah, jener Gruppe von Unternehmern, die ihre wirtschaftlichen Interessen oft schonungslos vertraten.

Im fünften Kapitel (S. 210–287) betrachtet Märtin zunächst den Stellenwert der Geschichtsschreibung für die römische Führungsschicht. Im Laufe der mittleren Republik wurde deutlich, dass die zeitgenössischen historiographischen Werke – anders als noch die annales des Q. Fabius Pictor – kaum noch die Leistungen eines ganzen Kollektives wie des populus Romanus, sondern vielmehr die bedeutenden Taten einzelner Politiker oder gentes, wie der Scipionen, in den Vordergrund stellten. Der mos maiorum, die Orientierung am vorbildlichen Verhalten der Vorfahren in Roms Frühzeit, wurde – um hier Märtin selbst zu Wort kommen zu lassen – zu einer Art „Lippenbekenntnis“ (S. 242) degradiert, nach dem sich die Führungsschicht im 2. Jahrhundert nicht mehr richten wollte. Von Veränderungen innerhalb des ordo senatorius seit dem Zweiten Punischen Krieg kündet ferner der Erlass bestimmter Gesetze. Es wurden Regelungen gegen allzu reichen Lebensstil, aufwendigen Tafelluxus und Wahlbestechungen getroffen. Diese Maßnahmen waren nun erforderlich, weil das 2. Jahrhundert den Aufstieg zahlreicher Emporkömmlinge sah, die bestimmter Vorschriften bedurften und dementsprechend einem „Erziehungsprozess“ zu unterwerfen waren.

In den beiden folgenden Abschnitten (S. 288–483) behandelt Märtin die Reformtätigkeit der beiden Gracchen. Der Plan des Tib. Sempronius Gracchus, mit Hilfe einer lex agraria den ager publicus neu aufteilen zu lassen, entsprach der damals wohl allgemeinen Tendenz, die römische Führungsschicht ökonomisch und privat zu „disziplinieren“ und zu „erziehen“. Die Tatsache, dass dieses Reformvorhaben auch von weiten Teilen des ordo equester abgelehnt wurde, brachte C. Sempronius Gracchus dazu, diese Schicht erst recht in sein politisches Programm zu integrieren. Von den vielen Maßnahmen, für die die Gruppe um C. Sempronius Gracchus in den Jahren von 125 bis 122 v.Chr. verantwortlich war, hatten gerade jene die längste Dauer, die eine stärkere Verwendung des Ritterstandes in den staatlichen Strukturen, insbesondere den Gerichtshöfen, vorsahen. Ansonsten richtet sich die Gesetzgebung vergeblich – wie so oft im 2. Jahrhundert – gegen magistratischen und senatorischen Machtmissbrauch.

Es folgt dann im achten Kapitel (S. 484–491) ein knappes, aber nichtsdestotrotz präzises Resümee. Der Anhang (S. 492–548) bietet eine Aufstellung der im Untersuchungszeitraum bezeugten Magistrate und eine Übersicht zur Verteilung der römischen gentes auf die einzelnen Posten. Ein Verzeichnis der Quellen und der eingearbeiteten Fachliteratur beschließt dieses Buch mit dem zehnten Kapitel (S. 549–585).

Stefanie Märtin hat mit ihrer Dissertation neues Licht auf eine interessante Phase der römischen Geschichte geworfen. Die vorgebrachte These eines Erziehungsprozesses der Führungsschicht im 2. Jahrhundert erscheint mir durchaus überzeugend formuliert. Für all jene, die sich mit dem Scheitern und Zerfall der Republik beschäftigen, bietet dieses Buch, das nicht nur im Text, sondern auch in den Fußnoten von einer intensiven Beschäftigung der Autorin mit der Thematik kündet, wertvolle Anregungen.

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