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Titel
Hitler konstruieren. Die Darstellung Adolf Hitlers in deutschen und amerikanischen historischen Spielfilmen 1945–2009. Eine Analyse zur Formung kollektiver Erinnerung


Autor(en)
Ben Moshe, Yael
Erschienen
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Joachim Hahn, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

Angesichts des großen Kassenerfolgs von Bernd Eichingers Film „Der Untergang“ über die letzten Tage im „Führerbunker“ fragte Jens Jessen 2004 in der „ZEIT“, was Hitler „so unwiderstehlich“ mache. Jessen behauptete, das mit Hitler verbundene Erregungspotential sei von keiner anderen lebenden oder toten Gestalt zu übertreffen. Weil vor dem Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen jede Erklärung versage, beginne eine Faszination des Grauens, von der Literatur, Spielfilme und selbst die Fernsehdokumentationen Guido Knopps zehrten. Das in Schule und Medien popularisierte Wissen habe einen breit bespielbaren Assoziationsraum erzeugt. Das zentrale Versäumnis früherer Jahrzehnte aber sei es gewesen, dass die vielen „Arisierungs“-Täter nie zur Rechenschaft gezogen wurden; so habe gerade die ungesühnte Schuld von Hunderttausenden den falschen Eindruck einer Kollektivschuld aller Deutschen nahegelegt. Jessen suggerierte dabei, dass die Populärkultur dieses durch die Straffreiheit für die Vielen erzeugte Vakuum gewissermaßen durch eine Faszination am Nationalsozialismus ausfülle.1

Zutreffend ist wohl, dass die Figur Adolf Hitler besonders während der letzten rund zehn Jahre in der Populärkultur verstärkt in Erscheinung getreten ist. Das reicht von Kabarett-Nummern (etwa Pigor und Eichhorn) über Comics (Walter Moers) bis zu TV-Produktionen über Wehrmachtsgeneräle (Rommel) und diverse Kinofilme. In welchem Verhältnis stehen aber diese kulturellen Bilder zu den NS-Verbrechen? Existiert irgendein Zusammenhang dieser zum Teil deutlich parodistischen Reinszenierungen mit der Selbstinszenierung Hitlers und des Nationalsozialismus? Was verraten solche Hitler-Bilder über heutige Affektlagen hinsichtlich des Nationalsozialismus – wie versuchen sie diese zu steuern oder zumindest auf diese zu reagieren? Kaum plausibel dürfte es sein, alle derartigen Repräsentationen über einen Leisten schlagen zu wollen und sie etwa pauschal auf die Versäumnisse bei der Bestrafung von NS-Tätern zurückzuführen. Ebenso wenig stellt der vielfach wiederholte Topos von der Unerklärbarkeit des Genozids an den europäischen Juden selbst schon eine Erklärung dar. Schließlich trägt auch der Affekt gegen die Populärkultur weniger zur Aufklärung bei als vielmehr zur Vermeidung, sich die jeweiligen Formen, Darstellungsweisen, Anlässe und Rezeptionen genauer anzuschauen. Der vergleichende Blick auf unterschiedliche „Erinnerungskulturen“ kann dagegen helfen, die konkreten Repräsentationen des Nationalsozialismus historisch zu situieren und zu befragen. Einen solchen Vergleich unternimmt Yael Ben Moshe in ihrer 2012 veröffentlichten Dissertation, in der sie Darstellungen Hitlers in historischen Spielfilmen aus der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten analysiert.

Zu Beginn ihrer Studie konstatiert Ben Moshe allerdings, dass die Figur Adolf Hitler „in historischen Spielfilmen nur eine geringe Rolle im Hintergrund des Geschehens über den Nationalsozialismus und im Zusammenhang mit der Darstellung des Holocaust meist gar keine Rolle“ gespielt habe (S. 11). Dies bezieht sie auf ihren gesamten Untersuchungszeitraum seit 1945 und auf beide Länder. Entgegen der aktuell wahrgenommenen Vielzahl von Hitler-Darstellungen in verschiedenen Medien und Genres steht am Anfang ihrer Arbeit also ein konträrer Befund: die weitgehende Abwesenheit von Hitler-Darstellungen. Diese Leerstelle nimmt Ben Moshe zum Anlass einer Bestandsaufnahme; sie kommt insgesamt auf neun historische Spielfilme aus der Bundesrepublik und den USA, in denen Hitler dargestellt wurde und die sie zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht. Ob damit tatsächlich alle relevanten Filme erfasst sind, ist für den Fokus der Arbeit nicht unbedingt entscheidend; Gertrud Kochs Zweifel gegenüber der empirischen Behauptung Ben Moshes, es habe während der Jahre 1961 bis 1989 keinen einzigen Film über Hitler gegeben, ist dem Buch im Anhang in Form eines von zwei Experteninterviews beigefügt (S. 287).

Das Erkenntnisinteresse der Autorin bezieht sich vor allem auf die Formung der „kollektiven Erinnerung“ an Hitler bzw. die in verschiedenen nationalen Kollektiven entworfenen Hitler-Bilder. Plausiblerweise nimmt sie an, dass das jeweilige Bild von Hitler in unterschiedlichen Gesellschaften, die im Rahmen ihres Samples neben der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten auch noch Israel als Vergleichshorizont umfassen, von der jeweiligen Perspektive auf die Zeit des Nationalsozialismus abhänge. Für die alte Bundesrepublik und das vereinigte Deutschland (die DDR bleibt außen vor) stellt sie die These auf, dass sich in der Darstellung Hitlers „bedeutsame Aspekte der Selbstreflexion der Gesellschaft“ widerspiegelten (S. 13). Die US-amerikanischen Filme betonten dagegen „eine Kluft zwischen der Gesellschaft und Hitler“ (ebd.).

Zu Ben Moshes Prämissen gehört auch die These, dass durch Filme „kollektive Erinnerung“ geschaffen werde. Was darunter eigentlich zu verstehen sei, versucht sie in Auseinandersetzung mit Theorien kollektiver Erinnerung und Fragen von Erinnerungspolitik im Rahmen von zwei Kapiteln zu klären, die zusammen keine 20 Seiten umfassen. Die dortige Darstellung vermag leider kaum zu überzeugen – was besonders schade ist, da gerade diesen beiden Theoriekapiteln die Funktion zukäme, den Nexus herzustellen zwischen den Filmanalysen und dem größeren Erkenntnisinteresse, der Bedeutung der Filmbilder für die jeweiligen Gesellschaften. Wenn es heißt, die „kollektive Erinnerung“ bilde die Grundlage für die Realitätsauslegung in einer Gesellschaft (S. 40), und das, was einer Gesellschaft wichtig sei, binde deren Mitglieder über die Erinnerung aneinander (S. 43), so wird die Bedeutung „kollektiver Erinnerung“ enorm aufgeladen, ohne jedoch die Frage nach den Akteuren der Erinnerung und ihren Interessen zu berücksichtigen. Weitgehend unerwähnt bleiben die komplizierten Mechanismen, die bei der Konstruktion „kollektiver Erinnerung“ beteiligt sind (falls man diesen Begriff überhaupt verwenden möchte), etwa die Konkurrenz verschiedener Gruppengedächtnisse oder die Bedeutung von Machtverhältnissen. Diese Problematik ist den Theorien von Maurice Halbwachs, Aleida und Jan Assmann und anderen zum Teil inhärent; sie hätte zumindest diskutiert werden müssen.

Am gelungensten sind die inhaltlichen und formalen Einzelanalysen der neun ausgewählten Filme. Die Parameter der Untersuchung bestehen dabei aus einer Liste von elf Punkten: 1. der Filmtitel, 2. das Narrativ des Films, 3. der Konflikt des Films, 4. die technische und filmische Inszenierung der Person Adolf Hitlers, 5. die charakteristischen Eigenschaften der Figur Hitler, 6. das Beziehungsgeflecht zwischen Hitler und den anderen Akteuren, 7. die Funktion der Opfer im Narrativ des Films, 8. die Funktion des Filmendes, 9. die Darsteller Hitlers, 10. der Regisseur sowie schließlich 11. die Filmkritiken. Im Vergleich dieser Einzelanalysen lassen sich die unterschiedlichen Akzentuierungen der Hitler-Figuren und ihrer jeweiligen Botschaften anschaulich nachvollziehen.

Wenn der Gesamteindruck der Studie dennoch zwiespältig ausfällt, so liegt das neben dem unbefriedigenden Theorieteil auch an sprachlichen Mängeln, die bei einer nichtdeutschen Muttersprachlerin zumindest erklärbar sind, sowie an einer Reihe von Selbstwidersprüchen und einigen sehr pauschalen Thesen der Autorin. Dafür nur zwei Beispiele: Ben Moshe geht davon aus, dass die Beschäftigung mit der NS-Zeit in den Medien keine Folge eines näheren Interesses an der Erforschung des Antisemitismus oder des Holocaust sei (S. 16). „Den Medien“ jegliches Interesse an einer Aufklärung über den Antisemitismus oder den Holocaust abzusprechen ist schon arg vereinfachend. Zudem gilt der Autorin die Geschichtsschreibung, ähnlich der Filminszenierung, als „Interpretation des Geschehens“ (S. 12). Später erklärt sie jedoch, Geschichtsschreibung basiere grundsätzlich auf Fakten und stehe dadurch in einem Spannungsverhältnis zur „kollektiven Erinnerung“ (S. 44). Die Relation zwischen Geschichtsschreibung und Filmbildern – als offensichtlich differenten Weisen der Interpretation – hätte diskutiert werden müssen. Schließlich wäre angesichts der Betonung von Kontinuitäten zwischen Selbstinszenierungen Hitlers und seinen Darstellungen im Film nach 1945 auch eine Analyse der ersteren zu wünschen gewesen.

Anmerkung:
1 Jens Jessen, Braune Schatten: Was macht Hitler so unwiderstehlich? Die Nazizeit wird zum Stoff für die Unterhaltungsindustrie und zum politischen Spielmaterial – Folge eines kollektiven Versäumnisses, in: ZEIT, 23. September 2004, URL: <http://www.zeit.de/2004/40/01_leit_1_40> (25.01.2013).

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