W. Schulze (Hg.): Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges

Titel
Friedliche Intentionen - kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?


Herausgeber
Schulze, Winfried
Erschienen
St. Katharinen 2002: Scripta Mercaturae Verlag
Anzahl Seiten
VII + 168 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Kaiser, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Schon lange hat die Forschung für das frühe 17. Jahrhundert ein Bündel von Krisensymptomen konstatiert, die einen europäischen Flächenbrand entfachen konnten. Insbesondere die Erbfolgekrise am Niederrhein, die 1609 ausbrach, hatte sich zu einem gefährlichen Konfliktherd entwickelt, und nur die Ermordung des französischen Königs Heinrich IV. hatte einen bewaffneten Konflikt größeren Ausmaßes verhindert. Gleichwohl standen auch in den folgenden Jahren die Zeichen auf Krieg; dem Reich und seinen europäischen Nachbarn blieb nur noch ein fauler Friede vergönnt, bis sich 1618 in Böhmen die aufgestauten Spannungen entluden. Fast immer schwingt in historischen Darstellungen dieser „Zeit der Unsicherheit“ (Volker Press) der Gedanke mit, dass man zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf den Krieg gewartet, der Krieg mithin unausweichlich gewesen sei. Genau an diese Überlegung schließt die hier im Untertitel des Bandes gestellte Frage „War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?“ an.

Das Thema an sich ist also nicht neu. Dass sich wie hier eine Reihe von Historikern eigens mit dieser Fragestellung aus verschienen Blickwinkeln befasst, hat es aber in der Form bis dato nicht gegeben – einer der vielen immer noch weißen Flecken des zu Unrecht als „abgeforscht“ geltenden Dreißigjährigen Kriegs. Der Titel des vorliegenden Bandes entspricht dem der Sektion auf dem Historikertag in Frankfurt am Main 1998, auf dem die hier publizierten Vorträge präsentiert und diskutiert wurden. Im folgenden sollen die einzelnen Beiträge kurz skizziert werden; danach schließen einige allgemeinere Bemerkungen zum Thema des Bandes an.

J. Bahlcke stellt das „Theatrum Bohemicum“ und dabei den Versuch der ständischen Opposition vor, in Reaktion auf die wachsenden inneren Belastungen ein ständisch-föderatives Staatsmodell zu entwickeln. Dies habe Spannungen, die nicht zuletzt zwischen den Kronländern selbst bestanden und eine einheitliche Ständeopposition verhinderten, zu nivellieren geholfen und sei auch für andere Konföderationen vorbildlich gewesen. Der rein innerböhmische Reformprozess sei durch die außenpolitische Neuorientierung (Dynastiewechsel!) einem hohen Risiko ausgesetzt gewesen; erschwerend seien auch noch „herrschaftsimmanente[.] Mängel[.] der gesamten böhmisch-pfälzischen Außenpolitik“ (18 f.) gewesen. Der Konfessionsfrage schreibt Bahlcke in diesem Prozess lediglich eine katalysatorische Funktion zu.

Einen retrospektiven Ansatz verfolgt G. Horstkemper, der vom Versagen der Union in der Anfangsphase des Kriegs ausgeht. Er sucht zu ergründen, „welche Rolle die Integrationsprobleme der Union im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs [spielten]“ (23): Eine regionale Überdehnung, die unterschiedlichste Interessen zu koordinieren zwang und die die interne Kommunikation erschwerte, stets virulente Finanzprobleme, Spannungen zwischen Reichsfürsten und Reichsstädten hätten die „Desintegration“ des Bundes befördert. Dass das Bundeskonzept scheitern musste, wurde mit dem böhmischen Abenteuer offenbar, als die Kurpfalz die Union zunehmend für dynastisch-territoriale Eigeninteressen in Anspruch nehmen wollte. Horstkempers Ausführungen sind in sich vollkommen schlüssig. Die Tragfähigkeit seiner Argumente stößt aber dann an Grenzen, wenn für die Liga, also das komplementäre katholische Bündnis, mutatis mutandis die gleichen Strukturprobleme zu konstatieren sind – allerdings mit dem fundamentalen Unterschied, dass die Liga desungeachtet erfolgreicher agierte und nicht an ihren internen Spannungen scheiterte 1.

Für Kursachsen zeigt F. Müller eine politische Gratwanderung auf, die Loyalität zu Wien mit protestantischer Interessenwahrnehmung zu kombinieren trachtete. In der Situation des böhmischen Aufstands lief dies konkret auf eine Lokalisierung und rasche Beilegung des Konflikts hinaus – letzteres gelang, doch das erste Ziel wurde nicht erreicht; der Krieg griff aufs Reich über. Das Scheitern der sächsischen Deeskalationsstrategie lag jedoch nicht, wie Müller überzeugend erläutert, an der Schwäche der Dresdner Regierung, sondern an einer schlichten politischen Fehleinschätzung (man hoffte auf ein überkonfessionelles Bündnis, in dem dem Niedersächsischen Reichskreis eine Schlüsselstellung zukam), die letztlich, ohne es zu wollen, konfliktverschärfend gewirkt habe.

Das große Thema der kaiserlichen Politik exemplifiziert St. Ehrenpreis anhand zweier Sachkomplexe. Zum einen zeigt er anhand der wachsenden Bedeutung des Reichshofrates, wie sehr sich für die protestantische Seite ein Feindbild verfestigte, auch wenn die kaiserliche Handhabung der Gerichtsbarkeit gerade unter Matthias offenbar weniger konfrontativ als zuvor betrieben wurde. Zum anderen lassen sich für die kaiserliche Außenpolitik erhebliche Defizite in der diplomatischen Kommunikationsstruktur – insbesondere mit Blick auf die westeuropäischen Staaten – feststellen. Diese zogen eklatante Fehleinschätzungen hinsichtlich der bündnispolitischen Ausrichtungen der europäischen Mächte nach sich, was sich auch in der Krise von 1618/19 als nachteilig erweisen sollte. Dabei sei die kaiserliche Politik insgesamt nicht aggressiv, sondern vielmehr durch eine „defensive Passivität“ (104) gekennzeichnet gewesen.

Für Maximilian von Bayern, dem die Forschung nicht immer freundliche Urteile ausgestellt hat, kommt A. Edel zu einem vergleichsweise positiven Befund 2. Edel bescheinigt Maximilian in Reichsfragen eine am Status quo orientierte Haltung, die allerdings wenig Perspektiven für die Zukunft des Reiches bereit gestellt habe. Das bayerische Eingreifen sei allerdings weniger territorialen oder dynastischen Egoismen als vielmehr dem eigenen Sicherheitsdenken geschuldet gewesen; nach der Annahme der Wenzelskrone durch Friedrich V. habe Maximilian „schlechterdings keine Wahl mehr“ gehabt (138). Erst nach dem Erfolg am Weißen Berg habe auf Seiten der Sieger die „Verwilderung des Politikstils“ eingesetzt, für die eben Maximilian mitverantwortlich gewesen sei 3.

Eine besondere Betonung erfährt bei A. Gotthard der Konflikt der Konfessionen im Reich. Vor dem Hintergrund einer sich verfestigenden konfessionellen Polarisierung des Reichsverbandes wird für die geistlichen Kurfürsten ein „Bedrohungssyndrom“ diagnostiziert (147 ff.), das die Zerrüttung der kaiserlichen Autorität und den Ruin des eigenen Bekenntnisses als unmittelbar bevorstehend skizzierte. Ihre Ängste vor „Calvini geist“ ließen die geistlichen Kurfürsten bereits Jahre vor dem Kriegsausbruch eine Politik verfolgen, die sie subjektiv als defensiv und reichsrechtlich konform ansahen. Besonders auf die Union wirkten sie jedoch nur militant und aggressiv. Damit beförderten die Geistlichen Kurfürsten bei den protestantischen Reichsständen in fataler Weise die Einsicht, daß ein Waffengang unvermeidlich sei.

Alle Beiträge zeichnen sich durch intime Sachkenntnis aus und bewegen sich auf höchstem Niveau. Auffallend ist, dass sich in fast allen Aufsätzen mehr oder weniger ausführliche Passagen zur jeweiligen historiographischen Situation finden lassen. Dies ist kaum der übliche rückwärtige Blick auf die früheren Leistungen der historischen Zunft, sondern dient dazu, spezifische Probleme in der Behandlung der einzelnen Themen darzulegen. Unabhängig davon, ob es sich um den Fall Böhmen oder Kursachsen im Dreißigjährigen Krieg handelt, wird stets deutlich, daß die historiographische Aufarbeitung der Forschungen zum Dreißigjährigen Krieg eine nach wie vor notwendige Aufgabe bleibt. Wichtig ist die historiographische Verortung in diesem Kontext auch deswegen, weil sich die Frage, ob ein Krieg zu vermeiden gewesen wäre oder nicht, nur schwer von der Schuldfrage lösen läßt. Die Untiefen moralinsaurer Urteile über eine Schuld für den Kriegsausbruch haben die Autoren jedoch souverän vermieden. Bei aller Abgeklärtheit wird gleichwohl deutlich dargelegt, wo kriegstreibendes Potential vorhanden war oder welche Fürsten am sorglosesten mit der Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts umgingen.

Ein durchgängiges Motiv in den meisten Beiträgen ist das Gefühl der Gefährdung und Bedrohung. So gab es auf böhmischer Seite in wachsendem Maße ein Gefühl der Unterdrückung der Landesfreiheiten (11 f.), analoge Befürchtungen motivierten auch die Gründung der protestantischen Union (21). Kursachsen sah sorgenvoll auf die sich verstärkenden Polarisierungstendenzen im Reich und erwartete entsprechende militärische Verwicklungen (57). Allerdings lässt sich auch konstatieren, dass sich zeitweise wechselseitige Feindbilder zwischen Bayern und der Kurpfalz verflüchtigten (138). Die Angst als dynamisierender Faktor der (auswärtigen) Politik wird hier nicht systematisch untersucht; am deutlichsten tritt sie bei A. Gotthard und J. Bahlcke hervor. Insgesamt wird offenkundig, dass die Angst- und Bedrohungsthematik noch reichliches Potential für weitere Forschungen bietet. Auch deshalb ist es um so erstaunlicher, dass bis dato unternommene Initiativen doch recht wenig Impulse ausgelöst haben 4.

Der Band eröffnet eine neue Reihe, die von Albrecht P. Luttenberger und Andreas Edel initiiert worden ist und sich als spezielles Publikationsorgan für frühneuzeitliche Arbeiten versteht (vgl. Vorwort der Reihenherausgeber). Es ist immer gut, wenn – wie in diesem Fall – der Start gelingt. Den Reihenherausgebern ist nur zu wünschen, dass sie auch weiterhin derart perspektivenreiche und anregende Projekte zur Veröffentlichung bringen.

Anmerkungen
1 Vgl. dazu Michael Kaiser: Ständebund und Verfahrensordnung. Das Beispiel der Katholischen Liga (1619-1631), in: Vormoderne politische Verfahren, hrsg. v. Barbara Stollberg-Rilinger (ZHF, Beih. 25), Berlin 2001, 351-415.
2 Der hier abgedruckte Beitrag stellt eine kürzere Variante zu der soeben erschienenen erheblich erweiterten Version dar: Andreas Edel: Auf dem Weg in den Krieg. Zur Vorgeschichte der Intervention Herzog Maximilians I. von Bayern in Österreich und Böhmen 1620, in: ZBLG 65 (2002), 157-251.
3 An der Stelle sei noch auf die in Bälde zu erwartende Münchener Dissertation von Georg Wolf „Bayerische Außenpolitik unter Herzog Maximilian I. zwischen 1605 und 1619“ verwiesen, die nicht nur die bayerische Politik im Rahmen des Reiches beleuchtet, sondern vor allem auch den Faktor Bayern im Kontext des europäischen Machtgefüges herausstellt.
4 Vgl. dazu jüngst Franz Bosbach (Hrsg.): Angst und Politik in der europäischen Geschichte (Bayreuther Historische Kolloquien, 13), Dettelbach 2000, dort bes. die Einführung des Herausgebers XI-XIX.

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