N. Schmenk: Totengedenken in der Abtei Brauweiler

Cover
Titel
Totengedenken in der Abtei Brauweiler. Untersuchung und Edition des Necrologs von 1476


Autor(en)
Schmenk, Nicole
Reihe
Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Neue Folge 2
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
IV, 458 S.
Preis
€ 57,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva-Maria Butz, Historisches Institut, Technische Universität Dortmund

Die Erforschung des mittelalterlichen Memorialwesens in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen erlebt seit Jahren eine Blüte. Insbesondere im Bereich der liturgischen Memoria liegt ein Schwerpunkt auf dem frühmittelalterlichen Gedenkwesen, daneben treten Untersuchungen zur hoch- und spätmittelalterlichen stadtbürgerlichen und adligen Memoria. In den letzten Jahren gerieten schließlich die Jahrzeitbücher der ländlichen Pfarreien und Domkapitel in den Fokus.1 Für die spätmittelalterlichen monastischen Gemeinschaften stehen solche grundlegenden Forschungen allerdings noch aus. Das Ziel, diese Lücke zu schließen, verfolgt die Arbeit von Nicole Schmenk über das Brauweiler Necrolog, die als Dissertation an der Universität Duisburg-Essen angefertigt wurde und in gekürzter Form nun vorliegt.

Eine Untersuchung des Brauweiler Necrologs, das von 1476 bis 1779 in Gebrauch war, ist besonders reizvoll und vielversprechend. Als Mitglied der Bursfelder Kongregation war Brauweiler den verbindlichen Vereinbarungen zur Durchführung der Totenmemoria verpflichtet. Das Necrolog ist somit Zeugnis einer umspannenden spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Memorialkultur. Darüber hinaus ist dieses Necrolog mit seinen 1.868 Nameneinträgen eine wichtige Quelle für die Geschichte des Klosters selbst. Allein 889 Namen, die zum Großteil aus einer älteren Vorlage stammen dürften, wurden von dem Mönch Heinrich Zonsbeck, der den Codex anlegte, eingetragen. Besonderes Interesse wecken darunter die Einträge der ezzonischen Gründerfamilie.

Grundlage der durchgeführten Studie ist die Edition des Necrologs, das Teil des in der Bursfelder Kongregation einheitlich gestalteten Kapiteloffiziumbuches ist. Eine Edition des Necrologkalendars wird im ersten Teil des Buches geboten (S. 31–136). Ihr vorangestellt sind eine kodikologische Beschreibung der Handschrift, die Abschichtung und Datierung des Anlagebestandes, eine Beschreibung der Nutzung des Necrologs bis 1779 sowie die zugrunde gelegten Editionsgrundsätze. Beigegeben sind ein prosopographischer Kommentar sowie verschiedene Register. Der zweite Teil des Buches ist der Untersuchung des Totengedenkens in Brauweiler gewidmet (S. 294–408). Am Beginn steht ein Überblick zu den memorialen Traditionen vom Früh- zum Spätmittelalter, in dem die Kontinuität des Memorialwesens in den Klöstern bis in die Frühe Neuzeit trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen herausgearbeitet wird (Kap. II, S. 298–319).

Im dritten Kapitel (Die Rückbesinnung auf die liturgische Memoria im Spätmittelalter in der Bursfelder Kongregation, S. 320–343) wird die Geschichte der Bursfelder Kongregation als spätmittelalterliche Reformbewegung dargestellt. Innerhalb der Kongregation wurde versucht, das Totengedenken möglichst lückenlos zu organisieren (S. 338–343). Wegen der Größe der Kongregation wurden die liturgischen Gebetsleistungen auf die Äbte beschränkt. Der Umfang des Gedenkens musste im Laufe der Jahrzehnte aber immer weiter reduziert werden, um das Totengedenken in den Klöstern durchführen zu können. Die Namen der Verstorbenen wurden für die Eintragung in die Necrologien der Kongregation auf den regelmäßig stattfindenden Generalkapiteln übermittelt.

In Kapitel IV wird die Geschichte des Klosters im Spiegel des Necrologs untersucht, wobei ein Schwerpunkt auf der Gründung durch die Ezzonen im 11. Jahrhundert liegt, ein zweiter auf dem Reformvorgang und dem Anschluss an die Kongregation im 15. Jahrhundert (S. 344–385). Die Geschichte Brauweilers ist in der Forschung gut aufgearbeitet, daher verfolgt Schmenk vor allem die Frage, ob Brauweiler als Grablege der Ezzonen und damit als bewusst geschaffene Erinnerungsstätte des Grafengeschlechts konzipiert war. Den Höhepunkt ihrer Macht erlangten die Pfalzgrafen unter Ezzo, der Mathilde, die Tochter Kaiser Ottos II., heiratete. Beide gründeten das Kloster Brauweiler. Nach einer Darstellung der Entwicklung des lothringischen Pfalzgrafenamtes und der Herkunft der Familie der Ezzonen geht Schmenk auf die Biographien der zehn Kinder aus dieser Ehe ein. Neben dem Gründer Ezzo sind die meisten seiner Kinder im Necrolog von 1476 mit dem Zusatz, dass sie zur Familie des Fundators gehören, eingeschrieben. Der Eintrag seiner Ehefrau Mathilde dürfte allerdings erst aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammen. Von den weiblichen Nachkommen fand nur Königin Richeza Eingang in das Totengedenken der Mönche. Die Aufnahme in das Necrolog war, so ein weiteres Ergebnis, also nicht zwingend mit einer Grablege im Kloster verbunden.

Auch die Reform des 15. Jahrhunderts hat sich im Necrolog niedergeschlagen. Neben dem Kölner Erzbischof Ruprecht von der Pfalz wurden Abt Adam Meyer von Groß St. Martin und Adam Hertzentrath, Kellner ebendort, als Reformatoren von Brauweiler in das Necrolog eingeschrieben. Entgegen der chronikalischen Überlieferung führte laut Necrolog aber bereits Abt Eberhard von Galen (primus reformator) sein Kloster der Reform zu. Und auch die Mehrheit der Brauweilerschen Mönche blieb nach der Reform im Kloster, wo sie in das Totengedenken aufgenommen wurden.

Das letzte Kapitel ist den memorialen Verbindungen des Klosters innerhalb der Bursfelder Kongregation gewidmet (S. 386–403). Der erste Teil analysiert die Beziehung Brauweilers zum Nonnenkonvent von Neuwerk. Bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die Nonnen von Neuwerk in das Gladbacher Necrolog eingeschrieben. Im Jahr 1511 wurde Neuwerk in die Bursfelder Kongregation aufgenommen. Die Nähe der Klöster Neuwerk und Brauweiler zeigt der 1566 abgeschlossene Verbrüderungsvertrag, der in das Necrolog unter dem 10. Dezember eingetragen ist. Ein Vergleich des Brauweiler und des Gladbacher Necrologs zeigt, dass die Gladbacher Eintragungen unregelmäßig erfolgten. Offenbar hielt sich der Gladbacher Abt nicht an die Vereinbarungen der Kongregation, sich bei fehlender Teilnahme an den Generalkapiteln die aktuellen Totenlisten zu besorgen. Andererseits scheinen auch die Neuwerker Nonnen oder die Mönche von Brauweiler nicht immer die Namen der Verstorbenen an das Generalkapitel gesandt zu haben.

Ein Vergleich des Brauweiler Necrologs mit den Necrologien von Abdinghof und Laach, die ebenfalls der Kongregation angehörten, zeigt trotz Abweichungen im Tagesdatum, dass zu Beginn der Reformen wohl noch die Listen der Verstorbenen trotz Abwesenheit auf dem Generalkapitel eingeholt und in das jeweilige Necrolog übertragen wurden. Erst in späterer Zeit wurden die Aufzeichnungen immer mehr abhängig von der eigenen Teilnahme am Generalkapitel. Ebenso wie in Brauweiler haben die Necrologien in Abdinghof und Laach ältere Vorlagen bei der Anlage des neuen Kapiteloffiziumbuchs kopiert. Die der Analyse zugrunde liegende Synopse ist nicht abgedruckt, sondern kostenfrei von der Homepage des Verlags herunterzuladen (eine Web-Adresse fehlt).

Ein kurzer Ausblick (S. 404–407) fasst die Ergebnisse nochmals zusammen. Das Brauweiler Necrolog ist Zeugnis der vielfältigen Formen spätmittelalterlicher Memoria. Stiftungseinträge belegen das Grundbedürfnis von Laien, an der liturgischen Memoria teilzuhaben; die Aufnahme der fratres der Sebastianbruderschaft verdeutlicht die Bildung von Gruppen, um in den Genuss eines gemeinsamen Totengedenkens zu kommen. Der Abschied vom Adelsprivileg führt zu einer veränderten Zusammensetzung des Konvents, dem im 17. Jahrhundert kein einziger Mönch adliger Herkunft angehörte. Die bis in die frühe Neuzeit ausgeübte Totenmemoria der Kongregation zeigt die lange Tradition des Totengedenkens in den Benediktinerabteien. Bereits der Gebetsbund von Attigny (762) basierte auf ähnlichen Vereinbarungen. Die gegenseitige Aufnahme der verstorbenen Mitglieder in das tägliche Gebet im Kapitel bezeugt somit ein umfassendes Gemeinschaftsbewusstsein innerhalb der Kongregation. Der Niederschlag historischer Ereignisse im Necrolog schließlich zeugt von einem vorhandenen Geschichtsbewusstsein der Mönche, das typisch sein dürfte für den reformatorischen Akt der Erneuerung durch Rückbesinnung.

Schmenk arbeitet wichtige Aspekte der spätmittelalterlichen klösterlichen Memoria heraus, und ihre Studie ist damit ein Gewinn für die Forschung. Die Edition des Necrologs und seine Erschließung durch zahlreiche Register sowie die Auswertung unter einer breiten Fragestellung dürften zahlreiche Anstöße für die weitere Forschung geben. Dennoch ist der Band nicht einfach zu lesen. Durch das Vorgehen, den Forschungsüberblick bereits mit den eigenen Ergebnissen zu vermischen, wird der Zugang zur Analyse des Necrologs erschwert und die eigentliche Leistung tritt immer wieder in den Hintergrund. Daneben sind zahlreiche Setzfehler, zum Beispiel in der Prosopographie, und unschön gesetzte Seiten, aber auch interne Verweise in den Fußnoten ohne Seitenzahlen und das Literaturverzeichnis, das entgegen aller Gepflogenheit zuerst den/die Vornamen und dann den Nachnamen nennt, ärgerliche Zeichen einer wohl recht eiligen Drucklegung.

Anmerkung:
1 Uwe Braumann (Hrsg.), Die Jahrzeitbücher des Konstanzer Domkapitels, Hannover 2009; siehe auch die entsprechenden Beiträge in: Peter Erhart / Jakob Kuratli Hüeblin (Hrsg.), Bücher des Lebens – Lebendige Bücher, St. Gallen 2010.