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Titel
Kulturanthropologie als Rassenlehre. Nationalsozialistische Kulturphilosophie aus der Sicht des Philosophen Erich Rothacker


Autor(en)
Böhnigk, Volker
Erschienen
Anzahl Seiten
161 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Matthias Schöning, SFB 511 "Literatur und Anthropologie", Universität Konstanz

Über das intellektuelle Engagement für den Nationalsozialismus ist inzwischen viel geschrieben worden. Schärfer geworden ist dabei insbesondere der Blick für die Vielfalt intellektueller Partizipationsmöglichkeiten unterhalb der in die zentralen Institutionen von Staat und Partei voll integrierten Programmarbeit. Schon die Bemühungen der Weimarer Rechtsintellektuellen, sich zur NSDAP ins Verhältnis zu setzen, zeigen eine Gemengelage von Übereinstimmungen und Differenzen, die sich allein mittels des Kriteriums von Nähe und Distanz zu einem vermeintlich gegebenen inhaltlichen Kern der NS-Ideologie nicht analysieren lassen. Das explizite Bekenntnis zum Nationalsozialismus, das auch der Bonner Ordinarius für Philosophie und Psychologie Erich Rothacker 1 durch seinen Eintritt in den NSLB 1932 ablegte, war dabei oftmals mehr „eine Entscheidung für eine neue Kampfform, nicht für ein neues Kampfziel.“ 2

Wichtig mit Blick auf die Diskussionen um das NS-Engagement deutscher Philosophen ist die Unterscheidung zwischen Ideologie als Machtmittel, das auf Massenwirkung berechnet ist, und einem stellenweise offenen, keineswegs homogenen Ideologiehaushalt, der für Impulse von der Peripherie anschlussfähig ist. Nimmt man ernst, dass es nicht vorrangig die programmatischen Ziele waren, die zur Partizipation an der nationalsozialistischen „Bewegung“ motivierten – in dieser Hinsicht unterschied sie sich nämlich kaum von anderen intellektuell oft elaborierteren Fraktionen der radikal-nationalistischen Rechten –, dann kann aus der intellektuellen Armut des Parteischrifttums auch nicht auf die grundsätzliche Unverträglichkeit von professioneller intellektueller Arbeit und Nationalsozialismus geschlossen werden. So aber lautet das von einem – freilich naheliegenden – normativen Philosophiebegriff ausgehende Standardargument: Philosophie, in jedem Fall solche, die sich dank Wirkungsgeschichte als ‚echte Philosophie‘ erwiesen hat, könne nur nicht-nazistisch gewesen sein, da es zu den bestimmenden Merkmalen des Nationalsozialismus gehöre, „im wesentlichen philosophisch indifferent“ gewesen zu sein. 3 Oder in Beobachterperspektive, mit den Worten von Peter Schöttler: „Jeder Text, der nicht bloß Propaganda war, sondern wissenschaftlich akademisch argumentierte, wurde sofort als Beweis für Regimeferne interpretiert, obwohl man ebenso gut hätte fragen können, ob nicht darin der Beitrag dieser Wissenschaftler bestand: dem Regime ein rationales Supplement zu verschaffen.“ 4

Mit guten Gründen also setzt Volker Böhnigk in seiner kritischen Studie „Kulturanthropologie als Rassenlehre. Nationalsozialistische Kulturphilosophie aus der Sicht des Philosophen Erich Rothacker“ genau bei dieser Form, das Verhältnis von Nationalsozialismus und Universitätsphilosophie zu fassen, an. Sein erstes Kapitel (S. 15–35) widmet sich dieser von ihm so genannten „Separat-Theorie der Ideengeschichte“ (S. 22f.), die das traditionelle Bild vom politisch naiven Philosophen zeichnet, der sich ebenso schnell aus dem politischen Geschehen zurückzieht, wie er sich hat begeistern lassen, dabei aber stets nur als Privatperson oder allenfalls als universitärer Funktionsträger involviert war, niemals aber als philosophischer Denker. Um sich im Gegenzug dem behaupteten Sachverhalt anzunähern, „daß bestimmte, in den Wissenschaften als weltanschaulich unkorrumpierbar betrachtete Prinzipien wie Rationalität, Wahrhaftigkeit, Universalität oder Objektivität [...] im Dienste der Wissenschaft und des Nationalsozialismus mit aller Selbstverständlichkeit vertreten wurden“ (S. 23), macht Böhnigk sich zunächst einmal daran, den Stellenwert einiger Argumente einzuschränken, welche die Distanz eines Verfassers zum NS-System gewöhnlich nahelegen sollen. Dazu gehören die vermeintliche Unverträglichkeit eines „objektiven“ oder auch nur pragmatischen, aber nicht-relativistischen Wahrheitsbegriffs mit der NS-Ideologie (S. 27ff.) und die Frage nach der Zitierfähigkeit der Arbeiten von zwangsentlassenen und exilierten Kollegen (S. 32ff.).

Die Kapitel 2 „Die Grundzüge einer rassisch motivierten Kulturanthropologie“ (S. 36–53) und 3 „Heroische Kulturen: Rothackers normativ-ontologischer Entwurf rassisch begründeter Hochkulturen“ (S. 54–68) widmen sich dann dem eigentlichen, mehrfach formulierten Ziel der Arbeit, nämlich zu zeigen, „daß Rothacker sich nicht nur politisch zum Nationalsozialismus bekannte, sondern seine Hauptwerke inhaltlich eine nationalsozialistische Philosophie“ (S. 10) bzw. „völlig von nationalsozialistischen Prämissen und Überlegungen durchzogen“ sind (S. 13). Böhnigks Kriterium, das ausdrücklich als vorläufig (im Falle Rothackers aber ausreichend) ausgewiesen wird, lautet folgendermaßen: „In der Regel [...] akzeptiert ein Nationalsozialist oder nationalsozialistischer Wissenschaftler alle vier der folgenden Grundsätze: (1) die rassisch-biologische Fundamentaltheorie; (2) das Recht der Gemeinschaft im Gegensatz zur Rechtlosigkeit des Individuums; (3) die rassen- und erbbiologische Bestandsbedrohung des eigenen Volkes vor dem Hintergrund einer Kulturkreistheorie; (4) die Rassen und Volkswert-Lehre.“ (S. 11)

Das Problem des Versuchs, den beabsichtigten Nachweis mit Hilfe eines solchen Kriterienkatalogs zu führen, liegt auf der Hand, zumal Böhnigk als weiteres Ziel formuliert, „herausstellen“ zu wollen, „welche Ideen überhaupt als paradigmatisch für eine nationalsozialistische Wissenschaft zu gelten haben“ (S. 10): Wenn gezeigt werden soll, dass Rothacker sich weder den Nationalsozialisten hat andienen wollen, noch den „Führer führen“ wollte, sondern sich als gleichberechtigten Teil, er spricht von „unserer Bewegung“, verstand (S. 90), dann gehört er zu denen, die jene vier Eckpunkte nationalsozialistischer Wissenschaft als solche konstituieren helfen und ist insofern Mitproduzent des Kriteriums, an dem er gemessen werden soll. 5 Anstatt Rothacker per Subsumtion in ein vorausgesetztes Paradigma einzuordnen, wäre ein hermeneutisches Vorgehen durchsichtiger gewesen, das seine methodisch kontrollierte Zirkularität expliziert.

Gleichwohl ist die Darstellung überzeugend, dass Rothacker ein gleichzeitig philosophisch gehaltvolles und nationalsozialistisches Werk vorgelegt habe. 6 Dabei stützt sich Böhnigk vor allem auf drei Arbeiten: den Vortrag „Kulturen als Lebensstile“ und den von Rothacker verfassten Band „Geschichtsphilosophie“ für das „Handbuch der Philosophie“ 7, beide aus dem Jahr 1934 (Kap. 2), und die 1942 als Beitrag zu einem von Nicolai Hartmann herausgegebenen Band verfassten „Probleme der Kulturanthropologie“ (Kap. 3), die 1948 unverändert separat erschienen (vgl. Kap. 5: „Die Fortsetzung der nationalsozialistischen Tradition durch Rothacker nach 1945“, S. 92–109). Legt man den genannten Vortrag zugrunde, so argumentiert Böhnigk, in wenigen Schritten nachgezeichnet, wie folgt: Vermittelt durch die Rezeption der „physiognomisch-mimischen Rassenforschung“ von Ludwig F. Clauß 8 lehnt Rothacker sich an die Rassentypenlehre von Erich Jaensch und Hans F.K. Günther an und unterlegt seinem Arbeiten somit eine „rassisch-biologische Fundamentaltheorie“ (vgl. Kriterium 1). Der Einfluss rassischer Merkmale auf Lebensstile wird zwar von Rothacker nicht eigens beobachtet. Rothacker nimmt aber, unter der Voraussetzung, dass es distinkte Rassetypen gebe, entsprechende Typen „seelischen Erleben[s]“ an, die bei idealer Vergemeinschaftungsform einen kollektiv homogenen Lebensstil (Kriterium 2) ausbilden. Abhängig vom Rassetyp, dabei aber nicht durch diesen determiniert, ist es gerade die Variationsbreite möglicher Lebensstile – und d.h. hier vor allem ihre Aberration vom Homogenitätsideal (Kriterium 3) –, die die Relevanz der philosophischen Kulturanthropologie begründet: In ihrer Hand liegt es, über die kulturellen Gegenwartsaufgaben zu befinden und der Gemeinschaft ihre eigentliche Form anzuweisen. Besonderen Wert legt Rothacker darauf, dass auch „‚Gesicht und Haltung des einfachen Mannes‘“ dabei erfasst werden, um einen „‚hervorragenden Durchschnittstypus‘“ hervorzubringen, wie ihn „‚jedes Volk [braucht], um das zu sein, was es ist‘“ (S. 44f.) (Kriterium 4).

Das gleiche Muster kehrt auch in Rothackers Begriff der „Hochkulturen“ wieder, den die „Probleme der Kulturanthropologie“ vorschlagen. Sind zunächst „‚wahre Kulturen‘ nur solche [...], die einem einheitlichen Lebensstil gehorchen“ (S. 54), so kommt bei den Hochkulturen eine reflexive Wendung hinzu, die am Leitfaden eines idealisierten Selbstbildes zur Ausbildung eines Menschenbildes führt, das wiederum zur Vorlage einer aktiven ‚Durchstilisierung‘ der Kultur dient (S. 55f.). In welcher Weise sich solche Theoriebildung in ein an die Machthaber des nationalsozialistischen Staates gerichtetes Dienstleistungsangebot transformieren lässt, bedarf wohl kaum weiterer Erläuterungen.

Jedenfalls: Böhnigk geht der Verflechtung von theoretischen Voraussetzungen, eigentlicher Philosophie und pragmatischer Adressierung nach und legt überzeugend dar, dass es sich bei Rothackers genannten Arbeiten um philosophische Offerten handelt, die nicht nur durch die Person ihres Verfassers, sondern von ihrer Anlage her mit dem Nationalsozialismus verflochten sind. Insofern kann die „Separat-Theorie der Ideengeschichte“ im Falle von Rothacker als widerlegt gelten – oder wenigstens als deutlich widerlegbar, wenn man der schmalen Arbeit allein das nicht zutrauen will. Ob dabei im gleichen Zug eine weitreichende „historische Fiktion“ aufgewiesen wurde, die dazu dient, das „ganze Ausmaß der ideengeschichtlichen Verwurzelung des Nationalsozialismus in der Geschichte der Philosophie zu verschleiern“ (68), muss allerdings stark bezweifelt werden.

Abschließend sei kritisch angemerkt, dass angesichts des weitreichenden Anspruchs, der stellenweise aufscheint, die ‚Ökonomie‘ der Arbeit überraschen muss. Anstatt auf inhaltlicher Ebene weitere Kontexte zu erschließen, Vergleichsautoren heranzuziehen oder der Darstellung von Rothackers Philosophie mehr Raum zu geben, wenden sich die Kapitel 4 und 5 den „universitären Gutachten über den Nationalsozialisten Rothacker“ (S. 69–91) zu bzw. einem Fassungsvergleich der in der Bundesrepublik wieder aufgelegten Schriften mit ihren Erstausgaben z.Zt. des NS-Regimes. Diese Abschnitte bringen zwar zahlreiche interessante Details an den Tag, sie verfolgen aber ein ganz anderes Erkenntnisziel und reduzieren philosophisch gesehen den eröffneten Horizont, während sie historiografisch ein neues Arbeitsfeld betreten, das einer eigenen vergleichenden Untersuchung bedürfte.

Anmerkungen:
1 Zur Berufung vgl. Christian Tilitzki, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Berlin 2002, 2 Bände, Bd. 1, S. 261ff.
2 Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 2001 (EA 1996), S. 103.
3 Gereon Wolters, „Der ‚Führer‘ und seine Denker. Zur Philosophie des ‚Dritten Reichs‘“ in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 47/2 (1999), S. 223-251, hier S. 223.
4 Peter Schöttler, „Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Einleitende Bemerkungen“, im von Schöttler herausgegebenen Band gleichen Titels S. 7–30, hier S. 16f.
5 Dazu bereits – mit stärkerem Akzent auf der Seite der Dienstbarkeit – Thomas Weber: „Arbeit am Imaginären des Deutschen. Erich Rothackers Ideen für eine NS-Kulturpolitik“, in: Wolfgang F. Haug, Deutsche Philosophen 1933, Hamburg 1989, S. 125–158.
6 Anzumerken ist allerdings, dass Böhnigk sich hinsichtlich der philosophischen Dimension ganz auf die Wirkungsgeschichte verlässt. Dass Rothackers Arbeiten überhaupt philosophisch von Belang sind, wird grundsätzlich vorausgesetzt, nicht aber durch Rekonstruktion ihrer Bezugsprobleme herausgearbeitet.
7 Herausgegeben von Alfred Baeumler und Manfred Schröter.
8 Vgl. zu Clauß auch das „Nachspiel“ (S. 110–122) in dem sich Böhnigk kritisch mit der Arbeit von Peter Weingart: Doppel-Leben. Ludwig Ferdinand Clauss: zwischen Rassenforschung und Widerstand, Frankfurt/New York 1995, auseinandersetzt.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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